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Paul Mason stellt sein Buch „Post-Kapitalismus“ vor

Vorwärts zum utopischen Sozialismus zurück

Martin Suchanek, Infomail 875, 9. April 2016

Die Austernschüssel war voll wie selten. Hunderte wollten bei der Vorstellung von Paul Masons Buch „Post-Kapitalismus“ am 5. April dabei sein. Der Saal im Berliner „Haus der Kulturen der Welt“ war zu klein, etliche mussten auf die Video-Übertragung im Foyer ausweichen.

Die Veranstalter, die „Blätter für deutsche und internationale Politik“ sind voll des Lobes für ihren Gast. Moderator Greffrath kündigt in seiner Vorstellung gar „Grundrisse einer kommenden Ökonomie“ an. Der Suhrkamp-Verlag, „Unterstützer“ seiner eigenen Promotiontour, könnte einen Bestseller landen.

Der einem deutschen Publikum wenig bekannte Paul Mason war früher revolutionärer Marxist. Heute ist er einer der bekanntesten Journalisten Britanniens, linker Sozialdemokrat und Berater Corbyns. Mit seinem Buch „Post-Kapitalismus“ verfolgt er jedoch mehr, als nur ein „neues“ reformistisches Programm mit populistischen und libertären Ergänzungen zu präsentieren – er möchte ihm auch eine theoretische Grundlage geben. So prätentiös die Vorstellung von „Grundrissen einer kommenden Ökonomie“ auch ist – sie entspricht durchaus dem Anspruch des Buches.

Masons Präsentation

An dieser Stelle können wir keine umfassende Darstellung und Kritik von „Post-Kapitalismus“ vorstellen. Das würde den Rahmen eines Veranstaltungsberichts sprengen.

Wohl aber lohnt es sich, Masons Darstellung am 5. April kurz zusammenzufassen. Den ersten Teil seiner Einleitung beginnt er damit, dass „der Neoliberalismus“ gebrochen, in einer ausweglosen Situation wäre. Das zeige sich unter anderem an der Ratlosigkeit der Herrschenden und ihrem Unvermögen, einen umfassenden, praktikablen Ausweg aus der Krise und zu einem neuen politischen und ökonomischen Gleichgewicht zu weisen.

Die „Eliten“ stehen sich dabei gewissermaßen selbst im Wege. Die neo-klassische (neo-liberale) Doktrin schreibe eigentlich vor, die Krise „ihr Werk“ machen zu lassen und überschüssiges Kapital zu zerstören.

Diesen Weg sind sie jedoch nicht gegangen oder nur in einem unvollständigen Maße, da das auch die Zerstörung eigener Vermögen, eigener Ansprüche bedeuten würde.

Aus dieser „Theorie“ wurde ein Moment umgesetzt, die Abwälzung der Krisenkosten auf die Masse der Bevölkerung einschließlich der Mittelschichten – und als weitere Lösung scheint es nur ein noch Mehr an Angriffen zu geben.

Galt der „Neo-Liberalismus“ nach dem Zusammenbruch des Ostblocks als Garant für wirtschaftlichen Aufschwung, so schlage er jetzt ins Gegenteil um. Seine Erfolge (Ausweitung des Finanzsektors, kreditfinanzierter Boom) würden angesichts systemisch geringer Produktivität und der Ausweitung globaler Ungleichheit zur Ursache des Niedergangs.

Wir befinden uns, so Mason, wieder einmal in einer grundlegenden Krise des Kapitalismus. In seinem Buch geht er im Anschluss an die „langen Wellen“ von Kondratieff von einer Periodizität solcher Wendepunkte in 50-Jahres Zyklen aus. Dabei kommen auch „die Marxisten“ um eine wenig originelle Abrechnung nicht rum. Lt. Mason hätten sie die Anpassungsfähigkeit des Kapitalismus unterschätzt. Der Sündenfall beginne schon bei Marx und dem Gesetz vom tendenziellen Fall der Profitrate und wäre von „ZusammenbruchstheoretikerInnen“ wie Rosa Luxemburg oder „Amateur-Ökonomen“ wie Lenin und Bucharin fortgesetzt worden.

Bedeutung der Marx-Kritik

In seiner Rede belässt es Mason bei einigen oberflächlichen Bemerkungen zu Luxemburg. In seinem Buch unterzieht er Marx und andere einer „Kritik“ – genauer, er tischt eine Reihe neo-ricardianischer, keynesianischer und „linker“ Einwände gegen die Marxsche Krisentheorie auf und mixt sie auf seine typische, eklektische Manier.

Das Gesetz vom tendenziellen Fall der Profitrate habe Marx schon falsch konzipiert, weil er „unterschätzt“ hätte, dass die „entgegenwirkenden Ursachen“ die Tendenz aufheben würden, in bestimmen Perioden auch vorherrschen könnten.

Für Mason ist die Krise letztlich nur ein Moment des industriellen Zyklus wie jedes andere, während sich für Marx gerade darin die historische Tendenz der kapitalistischen Produktionsweise manifestiert. Der tendenzielle Fall der Profitrate ist letztlich auch nur ein Ausdruck dieser Tendenz, der Tatsache, dass das Kapital selbst zur Schranke seiner weiteren Entwicklung wird, dass die inneren Widersprüche des Kapitalismus zu ihrer Aufhebung, zur revolutionären Überwindung drängen.

Mason hält wie alle Revisionisten vor ihm Marx entgegen, dass seine Krisentheorie „einseitig“ und „monokausal“ wäre, andere Krisenmomente nicht berücksichtige oder gar die „Autonomie der Subsysteme“ vernachlässige. Viel Begründung liefert Mason für die Thesen auch in seinem Buch nicht, er vertraut hier vielmehr auf den „post-marxistischen“ Common-Sense des Publikums.

Viel wichtiger als die These, dass Marx und die MarxistInnen eine einseitige Krisentheorie gehabt und die „Anpassungsfähigkeit“ des Kapitalismus unterschätzt hätten, ist ihm jedoch die Zurückweisung anderer Grundgedanken des wissenschaftlichen Sozialismus.

Marx und Engels haben im Unterschied zu den Frühsozialisten die Notwendigkeit des Sozialismus aus der inneren Dynamik der kapitalistischen Produktionsweise herzuleiten vermocht. Mehr und mehr werden vor-kapitalistische Formen überwunden oder ins kapitalistische System eingebunden. Das Kapital ist einem ständigen Prozess der zunehmenden Konzentration und Zentralisation unterworfen, der die gesellschaftlichen Widersprüche auf die Spitze treibt.

Anders als beim Übergang vom Feudalismus zum Kapitalismus kann sich in der kapitalistischen Ära eine neue sozialistische Produktionsweise nicht organisch im Rahmen der bestehenden Gesellschaftsformation entwickeln. Im Gegenteil: Alle nicht-kapitalistischen (d.h. in der Regel vor-kapitalistischen Formen) werden zurückgedrängt. Wo Formen des Neuen entstehen (z.B. in Krisenperioden), so kann das nur zeitweilig sein und allenfalls Hilfs- und Nischencharakter haben (Genossenschaften usw.).

Hierin besteht für Mason der erste, theoretische Sündenfall des Marxismus, ein quasi-hegelianisches Dogma von „Das Kapital“.

Der zweite „Sündenfall“, der unvermeidlich zum „Staatssozialismus“ (Stalinismus) führe, wäre bei Marx im Kapital und seiner Revolutionstheorie angelegt. Lt. Marx/Engels muss die ArbeiterInnenklasse die politische Macht ergreifen, um die Produktionsmittel mittels der Diktatur des Proletariats, also eines ArbeiterInnenstaats, in ihren Händen zu konzentrieren und planmäßig umzugestalten und eine neue Gesellschaftsordnung aufzubauen. Für den Weg zum Sozialismus ist eine Übergangsperiode, die Diktatur des Proletariats, unerlässlich.

Wir können hier auf Masons schiefe „Widerlegung“ des revolutionären Kommunismus, seine Entgegensetzung des Marx der „Grundrisse“ gegenüber jenem des „Kapitals“, seiner Rehabilitation des Frühsozialismus und Lassalles nicht näher eingehen.

Wie frühere Revisionisten sieht er sich gezwungen, die von Marx herausgearbeiteten inneren Tendenzen des Kapitals, so auch dessen wachsende Zentralisation und Konzentration wie auch den Übergang zum Imperialismus zu bestreiten. Für Mason leben wir nicht in der „imperialistischen Epoche“, sondern im „Neo-Liberalismus“, der vor die Hund geht. Für Mason bilden nicht die Monopolisierungstendenzen, die immer größere Ausdehnung des Kapitals, die Herausbildung eines gigantischen Kredit- und Bankensektors Erscheinungsformen, die auf eine Zuspitzung des Widerspruchs zwischen dem gesellschaftlichen Charakter der Produktion und der privaten Aneignung des geschaffenen Reichtums verweisen. Es geht ihm daher auch nicht (vorrangig) um die Enteignung dieser Kapitale. Vielmehr sieht er die Übergangsformen zu einer anderen Gesellschaft im „genossenschaftlichen“ Sektor.

Auch wenn Mason verglichen mit Bernstein ein kleines Licht am Himmel der revisionistischen Ideologen ist, kommt auch er um eine Marx-Kritik nicht umhin, weil so neben der „Anpassungsfähigkeit“ des Kapitalismus des 19. und 20. Jahrhunderts die Entstehung neuer Produktionsweisen im Rahmen des Kapitalismus (Netzwerkproduktion, Open Source, Genossenschaften) begründet – genauer: herbeiphantasiert – werden soll.

Zurück zum Vortrag

Im Vortrag skizziert daher Mason zwei mögliche Entwicklungspfade. Einer besteht darin, dass sich die politische und wirtschaftliche Lage weiter zuspitzt und radikalisiert. Vorboten dafür gibt es sicher genug: Trump, Rassismus in Europa, Kriege, Plünderungen, ...

Entscheidend für Masons Argumentation sind aber zwei Dinge:

Erstens habe der Kapitalismus anders als in früheren historischen Umbrüchen heute seine Anpassungsfähigkeit verloren. Das wäre nicht nur Resultat der Sackgasse, in die der Neoliberalismus uns gebracht hat. Es hänge mit der Entwicklung der Ökonomie, genauer einer neuen Umwälzung der Produktivkräfte durch die „IT-Revolution“ zusammen. Diese führe zu einer derartigen Reduktion der Kosten, dass der Preismechanismus eigentlich ausgehebelt, nur noch künstlich aufrechterhalten werden könne. Der Preis hätte letztlich keine Relation mehr zum Wert und zur im Produkt vergegenständlichten Arbeit. Damit sind natürlich auch Löhne, Reproduktion der Arbeitskraft, Arbeitszeit „entkoppelt“ und wird erklärt, warum der gewerkschaftliche Kampf mehr und mehr ins Leere laufen muss. Eigentlich würden die Preise nur noch künstlich durch Monopole existieren.

Das Problem der Neo-Liberalen, der Elite, ja des Kapitalismus bestehe darin, dass selbst die drakonischsten Unterdrückungsmaßnahmen und Angriffe ihren Laden nicht mehr wirklich in Schwung bringen können, weil die Basis des Kapitalismus durch technologische Entwicklung mehr und mehr wegbreche.

Diese Gedanken sind nicht neu und geistern seit Jahrzehnten in der Linken (Gorz, Hardt/Negri) wie unter Linksliberalen (Rifkin) um.

Auf der Basis dieser Auffassungen ist es nur folgerichtig, sich von der ArbeiterInnenklasse als Subjekt, als Akteur gesellschaftlicher Veränderung zu verabschieden. An ihre Stelle würden lt. Mason die Individuen der Genossenschaften, der „Netzwerk-Produktion“ im Kampf um soziale Existenz und Kontrolle treten.

Die zweite, damit verbundene Schlussfolgerung liegt dann auch auf der Hand. Wenn sich der „Postkapitalismus“ ohnedies schon entwickelt, braucht es keine Revolution mehr. Die Scheidung von Reform und Revolution erklärt Mason für erledigt, umso sicherer beim Reformismus zu enden, wenn auch mit einem Schuss Populismus und libertären Anarchismus versehen. Die technologische Entwicklung, so Mason, macht die Verwirklichung des utopischen Sozialismus möglich, erlaube die Rückbesinnung auf die „Schönheit“ des Lassalleanismus.

Dazu brauche es aber nicht nur Slogans, sondern auch einige „Grundpositionen“. Mason schlägt dafür folgende Patentrezepte vor:

1. Ausweitung des genossenschaftlichen Sektors

2. Bedingungsloses Grundeinkommen für alle

3. Verstaatlichung der Banken und Unterordnung unter den Staat

4. Staat so frei von Unternehmerinteressen und so demokratisch wie möglich machen.

All das soll dereinst im „post-kapitalistischen“ „Projekt Zero“ münden. Die Preise, die fossilen Energieträger, die notwendige Arbeit sollen dabei auf Null gefahren werden. Bevor wir bei der Verwirklichung des utopischen Sozialismus angekommen sind, weiß auch Mason, braucht es noch etwas Realpolitik – schließlich kann der Mensch von post-kapitalistischen Utopien allein nicht leben. Nachdem er seine „Vision“ ausgemalt und theoretisch zu begründen versucht hat, tischt er wenig Neues, sondern recht „alten“ Reformismus auf.

Es brauche ein Bündnis der (linken) Sozialdemokratie, der Gewerkschaften, der „horizontalen“ (libertären) und „radikalen“ Linken. Das politische Modell, das ihm vorschwebt, ist einerseits eine „Vernetzung“, andererseits eine Partei wie Syriza.

Während Mason nicht müde wird, das Scheitern der „radikalen“, revolutionären, marxistischen Linken als endgültig zu betrachten, lässt er sich sein „Modell“ durch den Verrat von Syriza, ihre Wende zum Helfershelfer von Troika und griechischer Bourgeoisie nicht madig machen. Ja selbst über 100 Jahre Klassenverrat des sozialdemokratischen Reformismus zwingt zu keiner „kritischen“ Auseinandersetzung.

Schließlich werden im „Postkapitalismus“ die politischen Karten neu gemischt. Entweder droht die Trumpisierung der Welt oder es kommt zu einem Netzwerkbündnis, in dem ironischerweise nicht die „Netzwerker“, sondern die Sozialdemokratie – die PSOE in Spanien, Corbyn in Britannien und schließlich die SPD (!) – die Schlüsselrolle einnehmen sollen.

Die Paneldiskussion

Über letztere Folgerung zur SPD waren auch die drei „Experten“ beim anschließenden Panel und der Moderator „überrascht“.

Zuerst äußerte sich Friederike Habermann (attac), eine kleinbürgerliche Ökonomin und „Degrowth-Expertin“. Sie hatte Mason wenig vorzuwerfen, außer „zu viel Optimismus“ und dass er so sehr auf die Entwicklung der Produktivkräfte setze. Das hätte sie richtig „irritiert“. Paul Mason irritierte das wenig. Er könne sich auch gut eine „Degrowth“-Version seines Buches vorstellen. Besser hätte auch eine umfassende Kritik die „Methode“ Masons nicht auf den Punkt bringen können: ein Eklektizismus, der seine Kritiker durch seine Unverhülltheit und Biegsamkeit widerlegen will.

Frank Rieger vom Chaos Computer Club traf mit Teilen seiner Kritik immerhin einen wunden Punkt. Die „neue“ Netzwerkwelt, die Open-Source-Community usw. sind doch längst Teil der kapitalistischen Unternehmenswelt und in die Konkurrenz eingebettet.

Im Gegensatz zum „Werttheoretiker“ Mason verwies er darauf, dass die Digitalisierung zahlreicher Arbeitstätigkeiten zur Ersetzung komplizierter durch einfache Arbeit führe, mithin zu einem Sinken des Werts der Ware Arbeitskraft infolge gesunkener Bildungskosten. Solche realen Entwicklungen kümmern Masons abstrakte (und falsche) These vom Verschwinden des Preissystems, jedes Bezugs der Arbeitszeit zum Lohn usw.

jedoch nicht. Rieger hatte hier tatsächlich einen wunden Punkt getroffen, der sich generell im Mangel an Analyse der Kapitalentwicklung, seiner organischen Zusammensetzung, der Bedeutung des Kapitalstocks, der Erhöhung der Produktivität der industriellen Arbeit in den letzten Jahren, der mangelnden Scheidung von produktiver und unproduktiver Arbeit in Masons „Analyse“ zeigt.

Allerdings entkam auch Rieger den kleinbürgerlichen Vorurteilen der „Netzwerk“-Community nicht, die in den Genossenschaften ein Modell für die Zukunft nach der oder für das Überleben in der Krise sieht.

Ironischerweise blieb es dem einzigen „echten“ Traditionsreformisten, dem IG Metall-Vorständler Hans-Jürgen Urban vorbehalten, ein paar richtige politische Kritikpunkte vorzubringen. Auch wenn seine Idee der „Mosaiklinken“ dem Bündnis-Vorschlag des Briten sehr ähnlich sei und auch er teile, dass man um die „Erneuerung der Sozialdemokratie“ kämpfen müsse, so fehle doch bei Mason erstens der Hinweis, dass sich der Kapitalismus wie auch schon in früheren Perioden durch Niederlagen der ArbeiterInnenklasse und Unterjochung anderer Länder „stabilisieren“ könne. Es drohe lt. Urban ein autoritärer Stagnationskapitalismus. Die herrschende Klasse möge zwar perspektivlos sein, machtlos sei sie aber noch lange nicht und ganz sicher entschlossen, ihre Macht zu gebrauchen. Diese müsse ihr entrissen werden.

Daher sie die Subjektfrage besonders dringlich. „Vernetzte“ Menschen ohne Plan und Strategie könnten das nicht leisten, es brauche einen mächtigen, durchsetzungsfähigen Akteur. Hier seien die Gewerkschaften gefragt. Diese müssten auf die „Informationsökonomie“ reagieren, die dort Beschäftigten organisieren und sich gegenüber progressiven Kräften öffnen. Und schließlich müssten sie sich transnational in Gewerkschaften und in betrieblichen Vertretungen organisieren.

Urbans Antwort verblieb zwar im Rahmen des linken Reformismus, aber sie enthüllte, dass Masons politisches Programm und die dahinter liegende Analyse selbst gegenüber dieser Ideologie einen Schritt nach rechts darstellt.

Es ist kein Zufall, dass Mason als Berater Corbyns und Kolumnist im Guardian der Labour-Linken zu Kompromissen mit dem Zentrum und der Rechten rät und sich gegen die Abschaffung der Nuklear-Bewaffnung Britanniens ausspricht.

Wie alle Theorien, die die „klassische“ Kapitalismustheorie für überholt erklären, die ArbeiterInnenklasse durch ein anderes „Subjekt“ ersetzen wollen, führt auch Masons Theorie letztlich zu einer Politik der Klassenzusammenarbeit. Ist die ArbeiterInnenklasse nicht mehr das Subjekt der Veränderung, so ist auch die Kapitalistenklasse nicht mehr der Gegner. Schließlich macht auch übermäßiger Reichtum, so schwadronierte er in typisch kleinbürgerliche Manier, nicht glücklich. So betrachtet, wäre auch die Elite im Postkapitalismus besser dran.

Bedeutung

Auch wenn die Betrachtungen von Mason und sein Buch nichts Neues bringen, so trifft es offenkundig auf ein gesellschaftliches Bedürfnis. Die Veranstaltung in der Austernschüssel war voll. Das Buch ist schon jetzt ein Topseller in Britannien. Es reiht sich ein unter andere Versuche (Picketty, Klein, Harvey), den Reformismus oder linken Populismus „neu“ zu begründen.

Auch wenn die Sozialdemokratie und die Gewerkschaften bis auf die Knochen servil und „angepasst“ worden sind, so zeigen die Entwicklungen in Britannien, aber auch in Spanien, Portugal oder Griechenland, ja auf seine Weise auch das „Sanders-Phänomen“, dass es nicht nur eine Desintegration der „Mitte“ nach rechts, sondern auch nach links gibt. Diese Entwicklung nimmt zur Zeit nicht die Form einer revolutionären Kritik an, sondern eher die einer Suche nach einer Neubegründung von Reformismus, linkem Nationalismus, von „Genossenschaftssozialismus“ oder linkem Populismus. Klein und Picketty versuchen für ein bestimmtes politisches Spektrum, diesen Trends eine geeignete ideologische Grundlage zu schaffen.

Mason verwurstet das zu einer „Gesamtschau“, die theoretisch und analytisch weit hinter Autoren wie Picketty oder Harvey zurückbleibt. Aber er punktet gerade damit, dass er eine „Gesamtstrategie“ zu proklamieren sucht. Sein bodenloser Eklektizismus, seine grundlegende theoretische Schwäche kommt diesem Vorhaben ironischerweise zugute. Wo andere Schwierigkeiten hätten, Unvereinbares zusammenzufügen, sagt Mason einfach „Let’s try“. Und wenn es nicht funktioniert, dann machen wir eben etwas anderes. Einen Weg weist diese empiristische Try-and-Error-Politik natürlich nicht. Das Scheitern ist vorprogrammiert, unvermeidlich.

Aber das Interesse an Mason (wie ähnlichen Autoren) zeigt auch, dass sich im reformistischen Spektrum eine Gewissheit des Scheiterns nicht nur gegenüber dem Neo-Liberalismus, sondern auch hinsichtlich der sozialdemokratischen Anpassung an diese Doktrin entwickelt. Mason und andere links-bürgerliche Ideologen beziehen sich darauf, ja sie sind ein ideologischer Ausdruck davon. Ein Ausdruck freilich, der ein mögliches Suchen nach neuen politischen Antworten bei der Basis von SPD und Linkspartei, bei GewerkschafterInnen und Jugendlichen im Rahmen reformistischer und kleinbürgerlicher Politik ideologisch einhegen soll. „Postkapitalismus“ ist keine neue Antwort auf reale Probleme, sondern ein Versuch, den Reformismus, eine bestimmte Spielart bürgerlicher Politik erneut zu begründen. Lobhudelei, wie vom„Neuen Deutschland“ und anderen betrieben, ist fehl am Platz. Vernichtende Kritik ist notwendig.

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