Die Lehren des englischen Minority Movement in den
zwanziger Jahren
Nach dem Erfolg der russischen Revolution 1917 standen
die Revolutionäre in aller Welt vor dem Ziel, es den Bolschewiki gleich
zu tun und die Arbeiterklasse auch in anderen Staaten, insbesondere den
imperialistischen Kernländern, zum Sieg zu führen. In den
Nachkriegsjahren bildeten sich aus relativ kleinen, kommunistischen
Zirkeln Parteien, deren erklärtes Nahziel der Sturz der eigenen
Bourgeoisien war.
Dieser Sprung war zum einen ein organisatorischer Akt,
zum anderen aber eine Herausforderung auf politischer, programmatischer
Ebene. Es mussten Strategien und Taktiken entwickelt werden. Es musste mit
den alten Organisationsformen sozialdemokratischer Prägung gebrochen
werden. Für diese neuen kommunistischen Parteien stellte sich die Frage,
wie sie die Mehrheit der Arbeiterbewegung auf ihre Seite ziehen und den
organisatorischen, politischen und ideologischen Einfluss des Reformismus
brechen können.
Hintergründe
Alle grundsätzlichen Fragen der kommunistischen
Strategie und Taktik, des Parteiaufbaus, des Verhältnisses von Agitation
und Propaganda, des Internationalismus u.a.m. mussten in einer harten
Auseinandersetzung aufgearbeitet und konkretisiert werden.
Die Fragen des Kampfes um die Gewerkschaften nahmen
hierbei eine zentrale Stellung ein. Stuart King hat sich 1978 in einer
Broschüre unserer Schwesterorganisation Workers Power intensiv mit der
Ent wicklung des Minority Movement (Minderheitsbewegung) in Britannien
auseinander gesetzt. Das Beispiel des Minority Movement ist relativ
unbekannt geblieben, jedoch aktueller denn je. Für uns ist interessant,
welche Er kennt nisse wir aus den geschichtlichen Er fahrungen für die
heutige Situation gewinnen können, um eine korrekte Politik in den Ge
werkschaften durchführen zu können.
Die Initiative für den Aufbau des Minority Movements
ging von der British Communist Party (CPGB) aus, die am 31. Juli 1920
gegründet wurde. Zum Zeitpunkt ihrer Gründung bestanden eine Reihe von
programmatischen Differenzen, insbesondere in der Taktik gegenüber der
Labour Party innerhalb der Partei. Die ehemaligen Mit glieder der British
Socialist Party, einer der Vorläuferorganisationen der CPGB, waren auch
Mitglieder der Labour Party und Lenin empfahl, in der reformistischen
Partei zu verbleiben, um bei Wahrung der Propaganda- und
Agitationsfreiheit den politischen Ein fluss zu erweitern und neue
Mitglieder für den Kommunismus zu gewinnen. Keines falls sollte das Ziel
sein, eine "Linkspartei" aufzubauen oder die Labour Party zu
stärken.
Noch bevor die junge Partei zu einem kohärenten
Gefüge zusammenwachsen kon nte, gab es Ende 1920 eine massive
ökonomische Krise. Sie verdeutlichte, dass die CPGB der Aufgabe noch
nicht gewachsen war, ihre Politik auf den Kampf um die Macht auszurichten
und als politische Führung der Klasse zu agieren, die imstande gewesen
wäre, die Interessen der Arbeiterbewegung erfolgreich zu verteidigen.
Wie so oft in der Geschichte der britischen
Arbeiterbewegung standen die Bergarbeiter in dieser kritischen Phase in
der vordersten Front. Der Regierungskoalition aus Liberalen und
Konservativen forderte massive Lohnkürzungen. Im Jahr davor hatte die
Androhung eines Generalstreiks durch einen landesweit organisierten,
gewerkschaftlichen Aktionsrat den britischen Imperialismus daran
gehindert, direkte militärische Aktionen gegen die Sowjetunion
durchzuführen, und 1920 wurde das alte parlamentarische Komitee des
gewerkschaftlichen Dachverbandes TUC durch einen neuen "General
Council", ein zentrales Koordinierungsorgan für die gesamte
Gewerkschaftsbewegung, er setzt. In der Arbeiterklasse gärte es gewaltig.
Als Lloyd George ein Gesetz zur Beendigung der
staatlichen Kontrolle der Minen (eine Maßnahme aus Kriegszeiten) ver
kündete und die Unternehmer drastische Lohnkürzungen verkündeten, war
dies eine Kampfansage an die Bewegung. Die Lage spitzte sich zu, als
Militär und Reservisten, ausgerüstet mit Maschinengewehren, in den
Arbeitervierteln und bei den Minen postiert wurden.
Angesichts der Entschlossenheit der Regierung und der
Kampfbereitschaft der Basis griffen die Führer der Gewerkschafts bewegung
- Thomas (Eisenbahner), Hodges (Bergarbeiter) sowie Williams und Bevin
(Transportarbeiter) zum Verrat. Am Freitag, dem 13. April sagten die
reformistischen Führer die versprochenen Solidaritätsak tionen ab und
der Tag ging in die Annalen der britischen Arbeiterbewegung als
"schwarzer Freitag" ein.
Die Auswirkungen auf die britische Arbeiterklasse waren
durch die Bank verheerend. Ende des Jahres 1921 erhielten sechs Millionen
Arbeiter einen im Schnitt um 8% geringeren Wochenlohn. Der Reallohnver
lust bis 1924 war dramatisch: 26% bei den Bergarbeitern, 20% in der Eisen-
und Stahlindustrie, 11% bei den Textilarbeitern. Nahezu zwei Millionen
Arbeiter - etwa ein Viertel der Gesamtmitgliedschaft - verließen die
Gewerkschaften. Die Arbeitslosigkeit stieg von 250.000 1920 auf fast zwei
Millionen im Juni 1921.
Fehler der CPGB
Es folgte noch eine Serie von, teilweise monatelangen
Defensivstreiks der Arbeiter. Aber die Gewerkschaften wurden in die Knie
gezwungen, die Streikkassen waren leer und viele betriebliche Strukturen
in den Ruin getrieben. Die Elemente der Arbeiterkontrolle, die im und nach
dem Krieg durchgesetzt worden waren, gingen verloren. Die
Shop-Steward-Bewegung (eine Art gewerkschaftlicher Vertrauensleute) brach
unter dem Eindruck der steigenden Arbeitslosig keit und der Niederlagen
zusammen.
Die junge CPGB warnte zwar vor dem drohenden Verrat der
reformistischen Führer unter dem Titel "Behaltet eure Führer im
Auge", doch die Partei gab keine klar Linie aus, wie dagegen
vorzugehen sei. Sie organisierte auch keinen Erfahrungsaustausch zwischen
den einzelnen Ortsgruppen, die in ihrer Arbeit auf sich allein gestellt
waren. Die Lehren aus dem "schwarzen Freitag" gingen jedoch
nicht verloren, da hier die Kom munistische Internationale zur Seite
stand.
Auf dem III. Kongress der Komintern (Juni/Juli 1921)
wurde Taktik und Organi sation der CPGB einer ernsthaften Kritik
unterzogen. Es zeigt sich die Notwendigkeit eines direkteren Eingreifens
der Interna tionale und so wird 1922 vom Londoner Büro der Roten
Gewerkschaftsinternationale (RGI) die Initiative für eine Kampagne
"Zurück in die Gewerkschaften" gesetzt, um den Austritten aus
den Gewerkschaften entgegenzuwirken. Im August 1921 konnten die
Kommunisten die Führung im "National Unemployed Workers Committee Mo
ve ment" gewinnen.
Ein Schlüssel für die effektive kommunistische Arbeit
in den proletarischen Massen organisationen war eine stabile Organisation
der kommunistischen Partei selbst. Diese wurde nach dem Kongress 1922 auf
Initiative der jungen Parteimitglieder Pollitt und Dutt und mit
Unterstützung der Kom intern in Angriff genommen. Im März 1923 begann
die CPBG mit der Herausgabe der "Workers Weekly" mit einer
Auflage von annähernd 50.000 Exemplaren (zuvor hatte es "The
Communist" nur auf 17.000 gebracht).
In diesem Jahr begann sich auch die Arbeiterbewegung
von ihren Niederlagen zu erholen. Die Zahl der Streiks stieg an, die
Arbeiter und Arbeiterinnen entwickelten Selbstvertrauen. In den Wahlen im
Novem ber 1923 wurde Labour stärkste Partei und bildete eine
Minderheitsregierung.
Vor diesem Hintergrund begann die CPGB 1923 einen Kern
von CPGB-Mit gliedern und gewerkschaftliche Basismit glieder, die nicht
der Partei angehörten, in den Bergwerken, bei den Eisenbahnern und
Maschinenbauarbeitern, gemeinsam zu organisieren. Wie weit sich die junge
CP von der propagandistischen Unbeweglichkeit ihrer frühen Tage wegbewegt
hatte, war an der Strategie und Taktik zu sehen, mit der sie operierte,
als sie das Minority Movement aufbaute.
Die Entstehung der Minderheitsbewegung
Die Vorschläge des Minority Movement umfassten vier
Hauptbereiche für die Konso lidierung der Gewerkschaftsbewegung und ihre
Reorganisation: Fabrik- und Abteilungs komitees am Arbeitsplatz, die Trans
formierung der Trades Councils (einer Art Ortskartell, in dem sich die
Vertreter aus Ortsgruppen der verschiedenen, lokalen Gewerkschaften
treffen), die Zusammen fassung der zersplitterten berufs- und
handwerksorientierten Gewerkschaften in In dustriegewerkschaften und
Umwandlung des Zentralrates des TUC in einen Generalstab der Arbeiterbe
wegung.
Die Fabrikkomitees sollten alle Arbeiter eines
bestimmten Arbeitsplatzes ungeachtet ihrer Ausbildung oder ihres Berufes
umfassen und eine Einheitsfront der Arbeiter gegen die Offensive der
Unternehmer darstellen sowie die primären Organe im Kampf um die
Arbeiterkontrolle und ihrer Durch führung sein. Die Trades Councils
sollten so ausgebaut werden, dass sie die gesamte Arbeiterbewegung in
einem Gebiet umfassen, also auch die Fabrikkomitees und die politischen
Organisationen der Arbeiter klasse. Um den Sektoralismus und
berufsständische Dünkel zu überwinden, sollten die Beschäftigen einer
Industrie in Industriege werkschaften zusammengefasst werden.
Gleichzeitig brauchte die Arbeiterklasse eine
zentralisierte, repräsentative Führung für die Offensive gegen den
Kapitalismus. Der TUC war jedoch in den frühen 1920er Jahren bloß eine
Föderation von Einzelge werkschaften, getrennt durch berufsständische
Interessen, wobei jede auf ihre Auto nomie bedacht war.
Zwischen den einzelnen Gewerkschaften gab es
Rivalitäten um Mitglieder, sie standen oft am Arbeitsplatz, in den
Abteilungen gegeneinander. Der Zentralrat hatte kaum Befugnisse, konnte
keinen Generalstreik ausrufen, nicht einmal Solidaritätsstreiks. Für die
Kapi talisten bestanden also viele Mög lichkeiten zur Spaltung, für die
Arbeiter klasse keine Möglichkeit, die besten und vorausschauendsten
Kräfte wirksam an die Spitze der Organisation zu stellen.
Die junge CPGB erkannte, dass die organisatorische
Erneuerung allein nicht ausreichend war. Auf keinen Fall durfte sie
abgekoppelt werden vom politischen Kampf und dem, was die KI
"Schaffung einer neuen Ideologie in der Gewerkschaftsmit glied schaft"
nannte. Genauso wenig sollte sich das Minority Movement darauf
beschränken, nur die etwas radikaleren Gewerkschafter zu sein, die immer
etwas höhere Forderungen aufstellen. Der Unterschied zu den
reformistischen Kräften lag nicht in den höheren Tagesforderungen,
sondern in dem Verständ nis, dass die Einzelforderungen mit dem
Heranführen der Arbeiterklasse an die Machtfrage verbunden werden
müssen.
Die größtmögliche Einheit aller
Arbeiterorganisationen in jeder praktischen Aktion gegen die
kapitalistische Front wurde durch die Einheitsfront ermöglicht, und zwar
ohne eine Einheit in ideologischen und politischen Fragen vorauszusetzen.
Um diese jedoch einbringen zu können, brauchte die CPGB die Freiheit für
ihre Propaganda und den ideologischen Kampf - eine Freiheit, die unter
keinen Umständen irgendwelchen Abkommen mit den reformistischen Führern
geopfert werden darf.
Der 4. Weltkongress der KI 1922 brachte es noch genauer
auf den Punkt:
"....sehen wir, dass es ein Desaster wäre, wenn
die Partei sich damit begnügt mit der Organisierung ihrer Kräfte allein
in ihrem kleinen Parteikern. Das Ziel muss die Schaffung einer
zahlenmäßig größeren Opposition in der Gewerkschaftsbewegung sein.
Unser Ziel muss darin bestehen, dass unsere kommunistischen Gruppen als
Kristal lisationspunkt handeln sollten, um den sich die oppositionellen
Elemente konzentrieren können. Ziel muss sein, Oppo sitionskräfte zu
schaffen, zu ordnen, zu integrieren, und die KP selbst wird gleichzeitig
mit der Opposition wachsen. Es muss eine Beziehung zwischen der
Parteiorganisation und der Opposition erreicht werden, das seiner wahren
Natur heterogen ist - in einer Art, dass die Kommunisten nicht beschuldigt
werden können, danach zu streben, mechanisch die gesamte
Oppositionsbewegung zu dominieren. Für dieses Ziel, d.h. das Ziel der
Gewinnung der Arbeitermassen für den Kommunismus, müssen wir unter
diesen Umständen mit aller Sorgfalt, mit Ent schiedenheit und
Standhaftigkeit."
Zur praktischen Umsetzung dieser Linie wurden die oben
erwähnten Kampagnen "Haltet eure Führer im Auge" und
"Zurück zu den Gewerkschaften" gestartet, um eine
Minderheitsbewegung, ein Minority Move ment, gründen zu können. Die RGI
organisierte Konferenzen unter dem Motto "Zurück in die
Gewerkschaften" und "Stoppt den Rückzug".
Zu einer dieser Konferenzen erschienen 200 Delegierte,
die ca. 150.000 Gewerk schaftsmitglieder repräsentierten. Auf dieser
Konferenz ging es hauptsächlich darum, eine Einheitsfront gegen die
kapitalistische Offen sive aufzubauen. Der RGI Sekretär Gallagher stellt
dazu fest:
"Das wesentliche Ziel des Londoner Büros ist
nicht die Schaffung unabhängiger revolutionärer Gewerkschafter, oder die
Abspaltung der revolutionären Elemente von den existierenden
Organisationen, die dem T.U.C. angegliedert sind..., aber aus der
revolutionären Minderheit in jeder Industrie eine revolutionäre Mehrheit
zu machen."
Die Gewerkschaften sollten von Organi sationen, die
unter dem Kapitalismus Instru mente der Unterordnung und Disziplinierung
der Arbeiter sind, zu Instrumenten der revolutionären Bewegung des
Proletariats werden.
Die Bedeutung der Übergangsforderungen
In der KI und ihren Sektionen gab es 1922 bis 1924 eine
Debatte um nationale Aktionsprogramme. Das Aktionsprogramm sollte ausgehen
vom unmittelbaren Bedürfnis der Klasse, der sich in Tagesforderungen,
Teilforderungen und Übergangsforderungen ausdrückt. Der Kampf dafür
erzieht und organisiert das Proletariat für die Not wendigkeit, die
Staatsmacht zu ergreifen.
Eine alte Gemeinsamkeit von reformistischen Strömungen
mit linksradikalen, sektiererischen ist die künstliche Trennung von
ökonomischem Kampf und sozialistischem Ziel. Die einen beharren auf der
Trennung, um die Bewegung vom Ziel abzukoppeln bzw. dieses in
Sonntagsreden zu verbannen. Die anderen leugnen die Möglichkeit des
Kampfes um politische, demokratische Forderungen, weil diese in der
imperialistischen Epoche eh nicht durchsetzbar seien und das Proletariat
sich im wirtschaftlichen Kampf so radikalisiere, dass es dann sofort die
Diktatur des Proletariats verwirklichen werde. Lenin hat gegen letztere
Strömung einen langwierigen politischen Kampf geführt und sie als
imperialistischen Ökonomismus abgelehnt.
In der KI haben sich die Auffassungen Lenins nach
seinem Tod nicht behaupten können, doch in den politischen Dokumenten der
ersten vier Kongresse finden wir viele Bestandteile seiner politischen
Auffassungen wieder. Es sollte nicht mehr die Forderung nach der Diktatur
des Proletariats isoliert und abstrakt, losgelöst von den Tageskämpfen
gestellt werden, sondern versucht werden, an der Seite der reformistischen
Arbeiter auf der Basis von Übergangsforderungen zu kämpfen, die jetzt in
den Vordergrund gestellt werden. Lenin wurde in diesen Auffassungen von
Trotzki unterstützt. So ist es dann auch kein Zufall, das dieser
Zusammenhang wohl kaum irgendwo besser und systematischer als im
Übergangsprogramm dargestellt worden ist:
"Man muss den Massen im Prozess ihres täglichen
Kampfes helfen, die Brücke zwischen ihren jeweils aktuellen Forderungen
und dem Programm der sozialistischen Revolution zu finden. Diese Brücke
sollte aus einem System von ÜBERGANGSFOR DERUN GEN bestehen, das von den
jetzigen Bedingungen und dem heutigen Bewusstsein breiter Schichten der
Arbeiterklasse ausgeht und unausweichlich zu ein und derselben
Schlussfolgerung führt: der Eroberung der Macht durch das Proletariat.
Die klassische Sozialdemokratie, die sich in einer
Epoche des fortschrittlichen Kapi talismus aufbaute, teilte ihr Programm
in zwei voneinander unabhängige Teile: Das Minimalprogramm, das sich auf
die Refor men im Rahmen der bürgerlichen Gesell schaft beschränkte, und
das Maximalpro gramm, das die Ablösung des Kapitalismus durch den
Sozialismus in einer unbestimmten Zukunft versprach. Zwischen dem Minimal-
und dem Maximalprogramm gab es keine Brücke. Und tatsächlich braucht die
Sozialdemokratie eine derartige Brücke auch gar nicht, da sie vom
Sozialismus kaum einmal an den höchsten Feiertagen spricht."
Vor der CPGB stand die Aufgabe, zum einen als Partei
ein revolutionäres Aktions pro gramm für England, zum anderen ein
Gewerkschaftsprogramm für eine Minder heits bewegung in den
Gewerkschaften zu schaffen. In den Diskussionen wurde klar, dass eine
Arbeiterregierung im Zentrum des Programms stehen sollte. Der Kampf für
das Aktionsprogramm sollte jedoch sofort be gon nen werden. Die Macht der
Arbeiter klasse sollte die Labour-Regierung zwingen, auf der Basis der
staatlichen Kontrolle der Banken und Kreditinstitute zu intervenieren.
Stillgelegte Fabriken sollten durch den Staat ohne Entschädigung zu
übernehmen und von den Arbeitern in Betrieb zu nehmen.
Arbeiterkontrollkommissionen sollten das Management und die Regulierung
aller Produktion wird vom Staat übernommen überwachen.
Darüber hinaus wurden Forderungen zur unmittelbaren
Lösung der Misere aufgestellt, die gleichzeitig erhoben werden sollten.
Diese umfassten Forderungen nach Min destlohn, einer 44-Studenwoche, die
Ab schaffung von Überstunden und Programme unter Arbeiterkontrolle für
die Wiederbe schäftigung von Arbeitslosen. Die Finan zierung sollte durch
die Besteuerung des gigantischen Einkommens der Reichen gewährleistet
werden und das Steuersystem von indirekten Steuern auf die Besteuerung von
Einkommen und Vermögen umgestellt werden.
Jede Forderung wurde in der Parteipresse diskutiert und
erläutert. Die Kernforderun gen wurden dem Programm der Reformisten
gegenübergestellt und als in sich geschlossene Alternative angeboten.
Die Anwendung dieser politischen Methode wurde von der
CPGB nicht ohne politische Fehler umgesetzt. Im August 1922 noch zog die
Partei ihre Kandidaten zurück, die in Opposition zu Kandidaten der Labour
Party standen und stellte nur Kandidaten zur Wahl, die nicht in Opposition
standen. Sie forderte zur Wahl der Labourkandidaten auf und machte das
Ganze zu einem "Instrument für revolutionären Fortschritt".
Nach den Wahlen erklärte das Zentralkomitee der Partei, dass die Wahlen
große Siege gebracht und zu einer Neuausrichtung der Kräfte geführt
hätten. Auf der einen Seite die politischen Verteidiger des Kapitalismus,
auf der anderen die Labour Party als Vertreterin der Arbeiterklasse
unterstützt in ihrem Kampf durch die Mitglieder der CPGB im Unterhaus.
Radek griff diese Auffassung von Einheitsfront auf dem
IV. Kongress der KI scharf an, da durch solche Verlautbarungen die Labour
Party als kämpfende und antikapitalistische Kraft vor den Arbeitern
hingestellt werde. Das war eine klare opportunistische Abweichung von den
Grundsätzen und Zielsetzungen der Einheitsfront.
Unter dem Einfluss der Komintern er kannte die CPGB
ihre Fehler. In einer Resolution, die auf einer Parteiversammlung 1923
verabschiedet wurde, wurde dieser Fehler in der Einheitsfrontpolitik
gesehen "als ein Versuch, einen Block von Organi sationen zu bilden
statt einer Einheit der Massen in aktuellen Kampf". Bis 1925 ließ
die Partei dann in ihrer Kritik an den reformistischen Führern nicht mehr
nach.
Eine weitere Auseinandersetzung entwickelte sich um die
Forderung, den Zentral rat des T.U.C zum "Generalstab der Ar
beiterbewegung" zu machen. Der Zentralrat war natürlich ein Nest
der reformistischen Führer. Ohne die Reorganisation der Gewerkschaft im
Zuge des Klassenkampfes, ohne eine Änderung im Kräfteverhältnis
zugunsten des Minority Movements würde sich daran auch nichts ändern.
Diese Gefahr wurde in der CPGB durchaus gesehen, die Losung jedoch zurecht
beibehalten.
Sinowjew, Linkszentrismus und Einheitsfront von unten
Der Triumph der politischen Positionen Sinowjews auf
dem V. Kongress der Komin tern führte zu einer kurzen linkszentristisch
geprägten Periode, die nicht ohne Aus wirkungen auf die britische Partei
blieb. Der im Sommer 1924 unter Verantwortung Sinowjews stattfindende V.
Weltkongress behielt die Einheitsfronttaktik formal bei, verstand sie
jedoch als Einheitsfront ,,von unten", die unter der Führung der Kom
munistischen Partei von kommunistischen, sozialdemokratischen und
parteilosen Ar beitern im Betrieb verwirklicht werde.
Mit dieser Umdeutung der Einheitsfront strategie
stellte der V. Weltkongress bereits die Weichen für die stalinistische
Politik bis 1933. 1925 kam es in der Komintern durch den gewachsenen
Einfluss Sinowjews dazu, dass die Parole der Arbeiterregierung fallen
gelassen und durch die Parole des "Aufbaus kommunistischer
Massenparteien" ersetzt wurde. Die Arbeiterregierung wurde mit der
Diktatur des Proletariats gleichgesetzt. Das Schwanken der Komintern
hinterließ die CPGB ohne klare Orien tierung. Für die jungen, relativ
unerfahrenen Kader der CPGB war die Politik der Komin tern zum kritischen
Punkt bei der Ent wicklung kommunistischer Taktiken gegenüber der
Gewerkschaftsbewe gung geworden.
Die Theorie des Sozialismus in einem Lande, vertreten
von Bucharin und Stalin, war inzwischen offizielle Doktrin der Komin tern
geworden. Das blieb nicht ohne Auswirkungen auf die Politik der
kommunistischen Parteien. Es bildete sich jetzt auch der Keim einer
Politik heraus, die Klassen kämpfe in den Ländern Europas und in den
Kolonialstaaten den außenpolitischen Inte ressen der SU unterzuordnen.
Dennoch konnte das Minority Movement vorerst noch einen
Aufschwung erleben. Umfasste das Minority Movement auf seinem 2. Kongress
683 Delegierte, die 750.000 Aktivisten und Aktivistinnen repräsentierten,
stieg die Zahl bei der Sonderkonferenz auf 547 Delegierte, die 957.000
Personen vertraten. In der Folge konnte diese Zahl jedoch nicht gehalten
werden und beim 4. Kongress vertraten die Delegierten bloß noch 300.000
Oppositionelle.
Die Rolle des Anglo-Russischen Komitees
Den Versuchen der Roten Gewerk schafts internationale,
Gespräche über eine Einheit der Weltgewerkschaftsbewegung zu führen,
hatte die Amsterdamer Internationale immer wieder unannehmbare Bedingungen
entgegengestellt. Allenfalls war sie bereit, mit den russischen
Gewerkschaften Ge spräche zu führen.
Zu Beginn des Jahres 1924 kam es zum Erstarken der
"Linken" im Zentralrat des T.U.C. Cook, der Sekretär der
Bergarbeitergewerkschaft, befürwortete Gespräche mit den russischen
Gewerkschaften. Tomski baute die Kontakte zu den reformistischen
Gewerkschaftern in Britannien aus. Anfangs sah Trotzki das Anglorussische
Komitee (ARC) durchaus als eine positive und korrekte Aktion im Rahmen der
Einheitsfronttaktik an.
Die Probleme traten jedoch immer deutlicher hervor, als
die Illusionen in die (manchmal auch radikalen) Sprüche der
reformistischen Führer zu eklatanten Fehlern in der Einheitsfront
führten. Verbal waren einige der reformistischen Führer durchaus für
den Sozialismus, aber in der Sowjetunion und nicht in England. Mehrere
Delegationen britischer Ge werk schafter besuchte die Sowjetunion,
während Tomski auf britische Gewerkschaftskongresse fuhr. Die rechten
Zentristen in der Komintern gaben die Parole des Zusammenschlusses der RGI
mit den Amster damern aus, wofür das ARC Modell stehen sollte. Nun
wucherten Hirngespinste, die eine starke kommunistische Massen partei (mit
vielen linksreformistischen Gewerkschaftsführern) oder eine "Linkspar
tei" entstehen sahen. Es kam zu scharfen Aus ein ander setzungen
zwischen Tomski und Losowski über den Charakter der Verhandlungen.
Entscheidender Fehler aber war, das ARC nicht als einen
Teil der Einheitsfront taktik zu betrachten, sondern als ein diplo ma
tisches Manöver. Statt der Einheitsfront taktik wurde von einer
eigenständigen Frie dens politik schwadroniert, losgelöst vom Klas
senkampf. Eine Taktik für weitere historische Niederlagen der Komintern
war geboren.
Im September 1924 fand ein TUC-Kongress in Hull statt.
Pollitt fordert einen Kongress zur Weltgewerkschaftseinheit "ohne
Bedingungen für die Beteiligten". Im März 1925 wurde eine
"breite linke" Zeitung ins Leben gerufen, der "Sunday
Worker", der gemeinsam von Linksreformisten und KP-Mitgliedern
herausgegeben wurde. Selbst redend war in dieser Publikation kein Platz
für eine Kritik an den "linken" Führern des TUC und der Labour
Party.
Die CPGB geriet entgültig in die "doppelte Falle
zwischen Opportunismus und Sektierertum". Auf Grundlage der Ein
schät zung, dass sich im Gefolge von wirtschaftlichen Krisen die Massen
radikalisierten und ihre reformistischen Führer zum Teil mitziehen
würden, wuchsen erst einmal die Illusionen.
Ohne revolutionäre Strategie, korrekte revolutionäre
Programmatik, ausgefeilte Taktik und analytische Methodik waren die
Zentristen, insbesondere die treuen Anhänger Stalins, nicht in der Lage,
die Arbeiter massen systematisch an die Revolution heranzuführen. Sie
begannen die Wirklichkeit nach ihren Wünschen zu verbiegen,
interpretierten die Tatsachen nach den Vorgaben Stalins und schwankten in
grundlegenden Fragen der politischen Linie in immer kürzeren Abständen
und immer heftiger. Trotzki blieb die Abrechnung mit den abenteuerlichen
Einschätzungen der Stalinisten bezüglich der Entwicklung der
Wirtschaftlage und - damit korrespondierend des Massenbe wusst seins -
vorbehalten.
In seiner Schrift "Die ‚Dritte Periode‘ der
Irrtümer der Kommunistischen Inter nationale" entlarvte er die
Methoden, die von Stalins Anhängern angewandt wurden, als empiristisch
und eklektisch. Am Beispiel der Interpretation der französischen
Streikstatistik in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre, aus der die
Anhänger Stalins eine "Radikalisierung der Massen" herauslasen,
wird die ganze abstruse Theoriebildung entlarvt.
Statt genauer Untersuchung der Realität soll sich die
Realität nach den Vorgaben Stalins richten. So werden munter Kon
junkturkrisen und die allgemeine Krise des Kapitalismus
durcheinandergeworfen. Dies führt dazu, sich und die Massen ständig am
Rande einer Katastrophe zu sehen, was mit Revolution gleichgesetzt wurde,
da die Arbeitermassen durch die ökonomische Krise schon radikal genug
seien, um die Re volution durchzuführen. Solcherlei Analyse methoden zur
Grundlage der Politik einer Partei, gar einer Internationale zu machen,
hatte in den Arbeiterbewegungen der In dustriestaaten verheerende
Auswirkungen.
Trotzki bemerkte dazu, dass die Anhän ger Stalins
offenbar in der Lage seien, recht lange vom Bonus der Arbeit Lenins zu
profitieren, jedoch ebenso wenig wie andere zentristische Strömungen in
der Lage seien, allein neue revolutionäre Parteien und Bewegungen
aufzubauen. Wie Recht sollte er doch behalten.
Stalin deckt den Verrat der Gewerkschaftsbürokratie
Als die Kohlegrubenbesitzer Ende Juni 1925 drastische
Lohnkürzungen ankündigten, da sie der Konkurrenz der deutschen Bergwerke
nunmehr wieder ausgesetzt waren, wurde ein nationaler Streik ausgerufen
gegen die Angriffe der Grubenbesitzer ausgerufen. In letzter Minute
schaltete sich jedoch die Regierung ein und versprach, die Löhne durch
eine Subvention auf dem gleichen Niveau zu halten. Und der Streik wurde
abgeblasen. Wie Seifenblasen zerplatzten die Illusionen, als die Rechten
im TUC mit Unterstützung der linken Reformisten an diesem "roten
Freitag" die Arbeiter verrieten. Schlimm war auch, dass die
Fähigkeit zur Korrektur der politischen Linie verkümmert war, es wurden
in der Parteipresse noch etliche Versuche der Rechtfertigung unternommen.
Trotzkis rechnete mit der Gewerk schaftspolitik der Stalinisten ab.
"1926/1927, vor allem in der Periode des
Bergarbeiterstreiks und des General streiks, d.h. zur Zeit der größten
Verbrechen des General Council der Gewerkschaften, schmeichelte die
Komintern-Bürokratie auf die servilste Weise den hochgestellten
Streikbrechern, stattete sie in den Augen der Massen mit ihrer Autorität
aus und half ihnen, im Sattel zu bleiben. Damit wurde der revolutionären
Minderheit (Minority Movement) ein tödlicher Schlag versetzt.
Die Komintern-Bürokratie erschrak derart über die
Resultate ihrer eigenen Arbeit, daß sie einen ultralinken Kurs einschlug.
Die verhängnisvollen Abenteuer der "Dritten Periode" sind auf
den Wunsch der kleinen kommunistischen Minderheit zurückzuführen, so zu
handeln, als hätte sie die Mehrheit hinter sich. Die Kommunistische
Partei isolierte sich immer mehr von den Arbeitermassen und stellte den
Gewerkschaften, die Millionen Arbeiter umfaßten, ihre eigenen
Gewerkschaftsorganisationen entgegen, die blind der Komintern gehorchten,
aber von der Arbeiterklasse durch einen Abgrund getrennt waren. Der
Gewerkschaftsbürokratie hätte kein größerer Dienst erwiesen werden
können. Hätte es in ihrer Macht gelegen, den Hosenbandorden zu
verleihen, so hätte sie damit sämtliche Führer der Komintern und
Profintern (Rote Ge werkschaftsinternationale) auszeichnen müssen."
Die Bourgeoisie hat ein feines Gespür, wenn die
Arbeiterklasse paralysiert ist, nachdem sie eine Niederlage hat hinnehmen
müssen. So begann sie auch umgehend nach zu stoßen. Die Drecksarbeit
machten wie so oft ihre "Polizisten" in der Arbeiterbewegung.
1927, nach der Niederlage der Bergarbeiter und anderer Streiks, verbietet
die reformistische Gewerkschaftsführung die Teilnahme an des Minority
Movements und droht mit Ausschlussverfahren.
Aufbau Roter Verbände und organisatorische Trennung
Anstatt weiter für die gewerkschaftliche Einheit zu
kämpfen wurde ab 1929 auch in Britannien offen zur Bildung
selbstständiger "Roter Verbände" und zum Austritt aus den
reformistischen Gewerkschaften aufgerufen. Keine sektiererische Formel
wurde ausgelassen, so auch nicht die Sozialfaschismus theorie. Wir wollen
uns hier mit dieser Theorie nicht weiter auseinander setzen. Die Folge der
Einschätzung der Sozialdemo kratie und der Gewerkschaftsführung als
"linker Flügel" des Faschismus jedenfalls hat die
Einheitsfrontpolitik unmöglich gemacht. Es sind aus Deutschland Beispiele
bekannt, dass kommunistische Gewerkschaftsmit glieder kritisiert wurden,
weil sie es gewagt hatten, mit sozialdemokratischen Gewerk schaf tern auf
Betriebsebene gemeinsam gegen Angriffe der Kapitalisten zu kämpfen.
Das Ziel der Reformisten war erreicht, die Kommunisten
entfernten sich freiwillig aus den Gewerkschaften. Der Einfluss und die
Mitgliedszahlen der RGI sanken international, besonders aber in Britannien
auf einem Tiefststand. Das Übergangsprogramm der IV. Internationalen
rechnete mit dieser Politik klar und deutlich ab:
"Sektiererische Versuche, kleine ‘revolutionäre’
Gewerkschaften als zweite Ausgabe der Partei aufzubauen oder zu erhalten,
bedeuten in Wahrheit den Verzicht auf den Kampf um die Führung der
Arbeiterklasse. Man muss folgende feste Regel aufstellen: kapitulierende
Selbstisolierung von den Massengewerkschaften ist gleichbedeutend mit
Verrat an der Revolution und unvereinbar mit der Mitgliedschaft in der IV.
Internationale." (Übergangsprogramm)
Es war dem schreibfreudigen RGI-Sekretär Losowski
vorbehalten, auf dem V. Kongress der RGI eine Bilanz der Fehler der RGO zu
ziehen:
"1. Zurückbleiben der Organisationen hin ter der
Kampfstimmung der Massen...
2. Schlechte Vorbereitung der Wirt schafts kämpfe und
Verlass auf Sponta neität...
3. Ernennung der Streikleitung (d.h. de ren Einsetzung
von oben oder Wahl derselben) durch eine geringe Anzahl von Ar beitern.
4. Mangelnde Einsicht in die Rolle und Bedeutung der
Streikleitungen. Ist die Streikleitung ernannt, so fühlt sie sich nicht
verantwortlich vor den Streikenden. Deshalb kann man in der Praxis der
letzten Jahre Streiks sehen, bei denen die Streikleitung
"Befehle" erliess, ohne sich um die Stimmung in den Massen zu
kümmern.
5. Ungenügend überlegtes Verhalten zu den
Forderungen; Ausarbeitung von Forde rungen im engen Kreise leitender
Personen. Das ist einer unserer wichtigsten Mängel. Häufig geben wir uns
dem Glauben hin, es genüge, bloß Forderungen abzudrucken und zum Streik
aufzufordern, und die Arbeiter werden unverzüglich unserer Aufforderung
nachkommen. (...)
7. Gewaltsame Massnahmen gegenüber den rückständigen
Schichten des Proleta riats, nicht Überzeugung, sondern Befehle.
9. Unvermögen, rechtzeitig, organisiert den Streik
einzustellen, und Verschleppung des Streiks bis zur vollkommenen
Zersetzung und Desorganisierung der Streikenden.
10. Kopflosigkeit vor den Unternehmern und Unvermögen,
Verhandlungen mit Nach druck zu führen." (Zitiert nach S.
Schwarz, Rote Gewerkschaftsinternationale, aus: Internationales Handbuch
des Gewerk schafts wesens, S. 1348-1359)
Losowski legt hier geradezu ein Musterbeispiel
bürokratischer "Selbstkritik" ab. Nicht die Richtigkeit der
sakrosankten "Generallinie" wird einer Prüfung unterzogen,
sondern alle Misserfolge werden Fehlern der untergeordneten Gremien und
Mitgliedern der KI in die Schuhe geschoben.
Der Niedergang der RGI
Dem politischen Niedergang folgte der organisatorische.
Nach Zahlen der RGI wa ren im Juli 1921 knapp 9 Millionen Mit glieder
organisiert, darunter 5.2 Mio. in der Sowjetunion. Beim 1. Kongress der
RGI 1921 war diese Zahl bereits auf über 16 Mio. angestiegen (dv. 6.5
Mio. in der Sowjetunion). Losowski schätzte 1923 die RGI-Anhänger auf
12-13 Millionen (dv. 5 Mio. in Russland). Der Bericht an den IV. Kongress
der RGI 1927 nennt 13,862.200 (davon 10.248,000 in der SU und 2,6 Mio. in
China, 525.000 in Frankreich, 196.000 in der Tschechoslowakei) in den
Mitgliedsge werkschaften und dazu "revolutionäre Minderheiten"
in 26 Ländern mit 2.874.6000 Mitgliedern. Dabei in Deutschland 1 Million
und in GB 800.000.
1930/1931 wird das ganze Desaster sichtbar: Die RGO in
Deutschland war auf 300.000 geschrumpft. Allein 54.000 verlor die CGT in
einem knappen Jahr. In der Tschechoslowakei ging der Mitgliedsbestand auf
72.000 zurück. In China war jetzt noch von 60.000 die Rede. Am
schlimmsten war jedoch die Entwicklung England. Auf dem V. Kongress der
RGI wurde schon die völlige Misere des Minority Movements festgestellt.
Heckert sprach von 300-500 Mitgliedern, gegenüber 300.000 1927.
Linke Fehler
Es liegt uns fern, die Erfahrungen aus der Geschichte
des Minority Movements 1:1 auf die heutige Situation übertragen zu
wollen. Aber mit den Grundproblemen, die seinerzeit im Mittelpunkt
standen, haben wir es auch heute noch zu tun.
Ähnlich wie viele Sektionen der jungen Kommunistischen
Internationale stehen auch wir heute vor dem Problem, dass wir die
revolutionären Kräfte zahlenmäßig schwach und von der
Arbeiteravantgarde weit entfernt sind. Daher ist die Taktik des Minority
Movement ein interessanter, lehrreicher und aktueller politischer
Bezugspunkt. Das ist auch ein Grund, warum wir heute für die Bildung
einer klassenkämpferischen Basis bewegung gegen die Bürokratie eintreten
und versuchen, in den entstehenden oppositionellen
Gewerkschaftsströmungen in diese Richtung zu wirken.
In den letzten Jahrzehnten sind viele Fehler, die wir
im Vorhergehenden analysiert haben, von sich "links",
revolutionär oder auch trotzkistisch nennenden Gruppierungen wiederholt
worden.
Man denke nur an die Wiederauf erstehung der
Sozialfaschismustheorie bei verschiedenen Gruppen der maoistischen
Tendenzen (KPD/ML und KPD/AO) oder die Wiederauflage der RGO-Politik.
Es wurde aber auch kein rechtsopportunistischer Fehler
ausgelassen. Gerade die Strömungen der niedergehenden Vierten
Internationale sowie die "International Socialists" (Linkruck
bzw. Linkswende) oder das "Komitee für eine Arbeiterinter
nationale" (SAV bzw. SLP) unterlagen der Versuchung, politische und
organisatorische Abkürzungen zu suchen. Meist fand man sich aber nach
einer gewissen Zeit am Ausgangspunkt wieder oder die eigenen Kader waren
im Sumpf des Reformismus oder Syndikalismus auf der Strecke geblieben.
Die lambertistischen Strömung, die sich heute
"IV. Internationale" nennt, ging sogar noch weiter. Eine der
Kernthesen dieser Strömung besteht darin, die Einheits fronttaktik zu
einer "Strategie" zu modeln. So schreibt Pierre Fougeyrollashat
in seinem Büchlein "Mehr als 125 Jahre des Kampfes für die
Arbeiterinternationale" ( 1979, 1992 erschienen im Intarlit-Verlag):
"1. die Arbeitereinheitsfront ist das strategische Mittel, mit dem es
dem Proletariat gelingt, den Kapitalismus wirksam zu bekämpfen."
Er nennt die Einheitsfront eine permanente Strategie
der Arbeiterbewegung. Immerhin haben sich die Anhänger Lamberts daran
gehalten und sind heute strategisch in der Sozialdemokratie abgetaucht.
Positive Lehren
Angesichts dieser abschreckenden Beispiele ist es umso
dringender, die Lehren aus der Erfahrung der 1920er Jahre für unsere
aktuelle Praxis zusammenzufassen. Wenn wir von einer klassenkämpferischen
Basisbe wegung sprechen, haben wir das Minority Movement als ein
historisches Beispiel vor Augen. Daher wollen wir kurz unsere Schluss
folgerungen für den Aufbau einer klassenkämpferischen Basisbewegung
heute skizzieren:
1. Der Kampf für eine klassenkämpferische
Basisbewegung (Minderheitsbe we gung) ist eine Taktik von Kommunisten und
Kommunistinnen. Die Basisbewegung darf nicht mit der kommunistischen
Partei, aber auch nicht mit der kommunistischen Gewerkschaftsfraktion
verwechselt werden (d.h. mit der Organisierung von Genossen und
Genossinnen, die bereit sind auf der Grundlage eines gemeinsamen
revolutionären Aktionsprogramms für die Gewerk schaften und gemeinsamer
revolutionärer Disziplin zu agieren).
2. Die klassenkämpferische Basisbewegung ist selbst
eine Anwendung der Einheitsfronttaktik, der Versuch eine ge meinsame Front
mit der kampfbereiten Gewerkschaftsbasis gegen die Bürokratie zu
schaffen. Ziel der Basisbewegung muss aber in jedem Fall der Kampf um eine
neue Führung, der Bruch mit der Politik der Klassenkollaboration und die
Demokratisierung der gewerkschaftlichen und betrieblichen
Organisationsformen sein. Eine Basisbewegung oder oppositionelle
Strömung, die sich nicht die Ersetzung der aktuellen Führung zum Ziel
setzt, kann nur zu einem "kritischen" Anhängsel der bestehenden
Führung verkommen.
3. Die Basisbewegung hat kein im voraus bestimmtes
Programm. Aber Kommu nisten und Kommunistinnen müssen aber von Beginn an
in der Basisbewegung (bzw. bei der Schaffung einer solchen) für eine
revolutionäre Führung und für ein revolutionäres Aktionsprogramm
eintreten. Sie machen die Annahme dieses Programms jedoch nicht zur
Bedingung ihrer Mitarbeit in einer solchen entstehenden oder schon
formierten Bewegung.
4. Die Basisbewegung muss klar unterschieden werden von
einem "Block der Gewerkschaftslinken", d.h. einem Bündnis von
revolutionären, reformistischen, zentristischen Kräften, das auf einem
politischen Nichtangriffspakt beruht. Revolutionäre müssen von Beginn an
ihre Kritik an nicht-revolutionären Strömungen, die entweder selbst in
einer solchen "Basisbewegung" vertreten sind oder diese
ideologische beeinflussen, deutlich machen.
5. Der Aufbau einer klassenkämpferischen Basisbewegung
gegen die Bürokratie kann und darf keine Ersatz für den Aufbau einer
revolutionären Partei und Gewerkschaftsfraktion sein – er ist vielmehr
eine Mittel dazu. Damit eine Basisbewegung nicht im Reformismus oder
Syndikalismus versackt, ist vielmehr die Schaffung einer revolutionären
Partei und deren organisiertes Wirken Voraussetzung.