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Tarifrunde 2002:

Sprechen Sie nicht über Streik ...

... meinte Klaus Zwickel in einer Pressekonferenz. Es folgte die Allerweltsfloskel, dass Streik nur das letzte Mittel sei, zu einem Kompromiss zu kommen, dass man alles tun werde, um in Verhandlungen  ein Ergebnis zu erreichen, und natürlich keiner einen Streik wolle. Es ist die spezielle Eigenart gerade deutscher Gewerkschaftsbürokraten, Streik als etwas Schreckliches hinzustellen.

Hintergrund dieser Haltung ist das Verhältnis zwischen den Klassen, das sich in der BRD entwickelt hat. Flächentarifverträge sorgen für kalkulierbare Lohnkosten und die Sicherheit, dass für die Konkurrenz die gleichen gelten. Zusammen mit der Friedenspflicht sichern sie ab, dass im Vergleich zu anderen Industrieländern nur geringe Produktionsausfälle durch Streiks entstehen. In den dominierenden Branchen, vor allem der Metall- und Elektroindustrie, werden die Tarifrunden streng zentral gelenkt.

Bei der IG Metall liegt die Entscheidung, wo die Urabstimmung eingeleitet und wie der Streik geführt wird, immer beim Hauptvorstand. Dieser ernennt auch die Bezirksleiter, welche die Regionalverhandlungen führen. Das Ergebnis eines Bezirkes wird “selbstverständlich” überall übernommen. Sogar der Abschluss von 2000, der viele betriebliche AktivistInnen empört hat und auch jetzt von den Gewerkschaftsspitzen als Erklärung für die hohen Forderungen aus den Betrieben herangezogen wird, war in den offiziellen Gremien mit nur wenigen Gegenstimmen angenommen worden.

Als letzte Stufe dieser Konfliktregulierungsmechanik hat die IG Metall immer den Streik mitgedacht. Für die Bürokratie ist Arbeitskampf immer nur ein Mittel, ihre eigene Verhandlungsposition zu stärken und keinesfalls über den Rahmen des bestehenden Verhältnisses zu den Unternehmern, geschweige denn über das Lohnarbeitsverhältnis hinauszugehen.

Aber Streiks haben ein Problem: sie sind mit Massenaktivitäten verbunden und können eine Dynamik entwickeln, welche die schöne Regulationsmechanik über den Haufen wirft. Dann sind nicht nur die Produktionskennziffern im Eimer, es kann auch sozial und politisch etwas in Bewegung kommen, das nur schwer von der bürokratischen Führung kontrolliert werden kann und deren Privilegien in Frage stellt - vom Flächentarif zum Flächenbrand. Sprechen wir also vom Streik.

 

Streiks sind geil

 

Sie verändern die Verhältnisse gründlich. Eine Abteilung, die gegen den Widerstand ihres Vorgesetzten geschlossen streikt, wird sich von diesem nicht wieder so schikanieren lassen wie vorher. Belegschaften, die seit Jahren zu Opfern gezwungen worden waren, können in wenigen Stunden die Demütigungen abschütteln. So etwas kann schon bei Warnstreiks beginnen.

Zwickel schafft mit seinen Worten alles andere als eine gute Basis für einen Streik. Vor dem Kampf zu sagen, dass man nicht kämpfen will, verwirrt die eigenen Reihen. Die "Taktiker" in der IG Metall werden sagen, dass es nur darauf ankomme, dass die IGM in der Öffentlichkeit nicht als Angreifer dasteht.

Doch waren die Reallohnverluste der letzten 10 Jahre etwa kein Angriff? Sind die ständigen Produktionssteigerungen durch Rationalisierung und Arbeitsverdichtung kein Angriff? Die Arbeitsplatzvernichtung? Die Ausbeutung, wenn Unternehmer in der Stunde 20€ Lohn zahlen und Werte für 200€ produziert werden, um einmal realistische Zahlen aus der Autoindustrie zu nennen?

Immerhin: IGM-Vize Peters, aber auch Zwickel und andere Spitzenleute verteidigen heute die "hohen" Forderungen von 6,5% - allerdings mit dem Hinweis, dass der Druck aus den Betrieben noch nie so groß war. Sie wollen damit den Kapitalisten und der Regierung signalisieren: Kommt unseren Forderungen ein Stück weit entgegen – nur so können oder wollen wir die ArbeiterInnen im Zaum halten.

Die Pläne für die Mobilisierung sehen tatsächlich eine kurze Verhandlungsphase vor: "Unruhe in den Betrieben" im März, Warnstreiks nach Ostern und eine mögliche Urabstimmung Ende April.

 

Die betriebliche Linke

 

Sie steht vor der Frage, wie sie sich verhalten soll. Manche reiten darauf herum, dass 6,5% keine 9,5% Prozent sind. Aber das macht politisch wenig Unterschied: Auch 6,5% wird es nicht ohne Streik geben. Die Signalwirkung, die von den hohen Forderungen ausgehen sollte, hat funktioniert. Noch nie erhielt der Vorstand so viele Resolutionen zu diesem Thema.

Das Misstrauen gegenüber Vorständen und Bezirksleitern ist natürlich berechtigt und 6,5% sind auch ein Hinweis, dass diese erneut versuchen werden, so niedrig wie möglich abzuschließen. Völlig richtig ist daher die Forderung einiger Vertrauenskörper, dass kein Abschluss ohne Zustimmung der Mitglieder und Vertrauensleute zustande kommen darf.

Manchen fehlt eine Festgeldforderung. Es war korrekt, diese Forderung in der Diskussion zu vertreten und dafür zu kämpfen. Nun aber stehen die 6,5%. Sollen wir uns jetzt darauf konzentrieren, der Festgeldforderung nachzutrauern – oder geht es nun nicht eher darum, die größtmögliche Einheit im Kampf herzustellen, eine politische Alternative zur Bürokratie aufzubauen, um so auch die Politik des "Bündnis für Arbeit" zu durchbrechen?!

Jetzt muss eine Front gegen das Kapital, die Regierung und ihre Trommler in den Wirtschaftsinstituten und Redaktionen aufgebaut werden. Das kann man nicht den Bürokraten überlassen. Sie geben täglich ihr Interview, aber bis heute gibt es keine Flugblätter zur Mobilisierung für die Tarifrunde. Außer dort, wo Vertrauenskörperleitungen dies selbst in die Hand nehmen.

Dieser Schritt - selbst zu handeln - ist der Schlüssel für diese Tarifrunde.

Doch wir brauchen auch politische Argumente. Die Bürokraten stellen sich vor die Funktionärsversammlungen und erzählen ihnen, wie viele Leute zu welchem Termin wo stehen sollen. Aber sie geben den AktivistInnen kaum Argumente, mit denen sie kritischen Fragen begegnen können. Stellenweise funktioniert diese bürokratische Mobilisierung noch, aber für einen Erfolg in der Fläche reicht das nicht mehr.

Die Kolleginnen und Kollegen brauchen Diskussion und Argumente. Was die Bürokratie liefert, ist sehr dünn, politisch falsch und gefährlich. Höhere Löhne sollen nicht nur den ArbeiterInnen und Arbeitslosen nützen – sie sollen angeblich auch die Wirtschaftskraft des deutschen Kapitals steigern.

Kein Wunder, dass sich die Kapitalisten davon wenig beeindrucken lassen. Der Mehrwert wird in der Produktion geschaffen und der kann für die Kapitalisten nie groß genug sein. Das erkennt im Grund auch die Bürokratie an, wenn gleichzeitig immer darauf verwiesen wird, dass die Lohnstückkosten in der BRD verglichen mit dem Ausland ohnehin so gering seien.

Aber für die Gewerkschaftsspitzen steht eben nicht die Mobilisierung der gesamten Klasse für ihre Interessen und gegen die Kapitalisten im Zentrum, sondern der Appell an die “Vernunft” der Unternehmer, die doch auch von “mehr Kaufkraft” profitieren würden.

Als revolutionäre Organisation werden wir die Zeit hoher politischer Aufmerksamkeit nutzen und den KollegInnen aufzeigen, in welche Sackgassen die Politik der Reformisten die Gewerkschaften führt. Wir werden unsere programmatischen Forderungen dem entgegen setzen.

Die Forderung nach massiver Arbeitszeitverkürzung z.B. klingt in “normalen” Zeiten ziemlich unrealistisch. Bei einem Streik sieht das anders aus. Die Macht des Unternehmers im eigenen Hause wird in Frage gestellt. Warum sollte ein Komitee, das einen Streik oder gar eine Betriebsbesetzung organisiert, nicht auch die Aufteilung der Arbeit neu organisieren, einschließlich 5 oder 10% ehemaliger Arbeitsloser? Warum sollen Unternehmen, die entlassen oder mit Schließung drohen, nicht unter Kontrolle der ArbeiterInnen entschädigungslos enteignet werden? All das ist letztlich davon abhängig, wie groß die Mobilisierungskraft ist, die dahinter steht.

 

Klare Worte sind richtig...

 

Streiks haben ein Ziel und deshalb geht es im Kern um die Frage, wie dieses erreicht wird. Reichen Warnstreiks, oder brauchen wir die Urabstimmung? Soll man versuchen, wie die Bürokratie meint, die Kalte Aussperrung zu vermeiden; dass also die Arbeitsniederlegung in einem Betrieb nicht wegen der engen Zulieferbeziehungen auch die Produktion in anderen Betrieben unterbricht? Wenn diese Betriebe außerhalb des Kampfgebietes liegen, zahlte früher das Arbeitsamt Kurzarbeitergeld. Durch eine Gesetzesänderung von Kohl, die Schröder trotz aller Zusagen nicht geändert hat, erhalten diese Beschäftigten heute kein Geld.

Wir brauchen eine massive Kampagne zur Änderung dieses berüchtigten Paragraphen! Wir glauben nicht, dass ein defensiver Streik durchzuhalten ist. Zumal auch eine Heiße Aussperrung, also eine vom Arbeitgeberverband im Kampfgebiet veranlasste Aussperrung, dieselbe Fernwirkung nach außen erreichen kann. Wir halten es für falsch, die Belegschaften in Streikende, Heißausgesperrte, die beide Streikgeld erhalten, und Kaltausgesperrte, die dies nicht erhalten, zu spalten. Die Reaktion auf Aussperrung müssen ein allgemeiner Flächenstreik und Betriebsbesetzungen sein. Sollten die Kapitalisten darauf spekulieren, dass die Streikkasse leer wird, setzen wir darauf, dass die Solidarität so groß ist, um ohne Streikunterstützung weiter machen zu können.

Wir sind der Meinung, dass ein wirklicher Streik zu einer Änderung in dieser Gesellschaft führen kann. Ein Sieg der IG Metall wäre nicht nur für die Beschäftigten in anderen Branchen wichtig, um ihrerseits höhere Tarife zu erkämpfen, es würde zu einer allgemeinen Stärkung der Arbeiterbewegung kommen, neue Betriebe und Sektoren würden sich erstmals organisieren. Der Kampf gegen Niedriglohnkonzepte, gegen Arbeitslosigkeit, gegen die Diffamierung und Demütigung der Sozialhilfeempfänger würde neu belebt.

Wir rufen die KollegInnen aller Betriebe und Branchen und die Arbeitslosen auf, die Tarifbewegung aktiv zu unterstützten! Wir rufen die AktivistInnen der antikapitalistischen Bewegung auf, die Chance zu nutzen, mit der Arbeiterbewegung gemeinsam das Kapital zu bekämpfen und damit auch die Ideen von Seattle und Genua in die Betriebe zu tragen!

Niemand kann heute vorhersagen, ob es wirklich zum Streik der Metaller kommt. Viele werden alles tun, um ihn zu vermeiden. Aber die Chancen stehen besser als in den letzten Jahren. Je stärker heute mobilisiert wird, desto wahrscheinlicher wird er. Bereiten wir uns heute darauf vor, sprechen wir heute vom Streik, um morgen sagen zu können: "Sprechen wir nicht mehr vom Streik – machen wir ihn!"

 Von Frederik Haber

 

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