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Siemens:
Profit
geht über „Familie“ von
M.
Lehner Jahrzehntelang galt ein Arbeitsplatz bei Siemens in Deutschland als Jobgarantie. Bei Umfragen der Zeitschrift Capital nach dem „begehrtesten Arbeitgeber“ für Absolventen technischer Studienrichtungen lag Siemens jahrelang an erster Stelle. Tatsächlich waren die Beschäftigungsverhältnisse außerhalb Deutschlands schon immer ganz und gar nicht so sicher. Spätestens seit den 1970er Jahren herrscht das hire and fire an den Fertigungsstandorten für ‚NormalarbeiterInnen’ vor. Darüber
hinaus war Siemens in seinen ‚Heim-Standorten’ traditionell ein
Konzern mit besonders hohem Anteil an technischen Angestellten und
hochqualifizierten Facharbeitern. Ingenieure und obere Lohngruppen in den
Technologiebereichen hatten de facto fast Beamtenstatus. Diese breite
Schicht an ‚Arbeiterbeamtokratie’ war die wesentliche Basis für die
„Siemens-Familie“, eine eigenen Art von Sozialpartnerschaft. Der
geringen Zahl von offenen Klassenkonflikten und einer ‚braven’
Arbeiterschaft stand auf der anderen Seite ein hohes Ausmaß an
Einbeziehung des Betriebsrats in Personalfragen und nicht unbeträchtliche
soziale ‚Fleischtöpfe’ gegenüber, an deren Verteilung mitgewirkt
werden durfte. Vom
Goldesel ... Ein
Musterbeispiel für diese „Siemens Familie“ war der Bereich ICN
(Information and Communication Networks, früher als „Öffentliche
Netze“ bekannt). In alten Monopolzeiten war dies der Haus- und
Hoflieferant des Telefonbereichs der Bundespost (jetzt Telekom) und mit
ihr eng verwoben. Darüber hinaus wurden in imperialer Manier staatliche
Telefongesellschaften mit engen Beziehungen zum deutschen Imperialismus
beliefert (z.B. Indonesien, Brasilien, Südafrika). Wie es sich für einen
traditionellen deutschen Industriemonopolisten gehörte, war der Bereich
stark technologielastig, was sich bis heute darin ausdrückt, dass über
ein Drittel der Beschäftigten in Forschung und Entwicklung konzentriert
sind und auch das Management traditionell aus dem Technik-Bereich kommt.
Mit der Auflösung des staatlichen Telekomunikations-Monopols, der
Digitalisierung und Deregulierung der Telefonnetze in den 1990er Jahren
wurde der einst behäbige Bereich zu einem rasch expandierenden
Flaggschiff der ganzen Siemens AG. Digitale Telefonvermittlungsanlagen
wurden plötzlich zum Exportschlager, nur wenige ‚Global Player’
konnten da technologisch mithalten. Nur 8 Konzerne teilten sich dieses
Billionen-Geschäft weltweit auf. ICN lieferte seine Produkte jetzt in über
100 Länder. Kein Wunder, dass der Bereich zur ‚Cash Cow’ der Siemens
AG wurde, die jährlich Milliardenbeträge an Gewinn lieferte und andere
Bereiche mitfinanzierte. Auf Grundlage dieses Bereiches wurde gleichzeitig
der Mobilfunk gestartet und später als eigener Bereich ICM (Information
and Communication Mobile) ausgegliedert. Mit
dem Börsenboom Ende der 1990er und dem allgemeinen Internet/New
Economy-Hype schienen die Bäume der IC-Bereiche ins Unermessliche zu
wachsen. Vorstandsmitglied Volker Jung verkündete Ende 1999, dass sich
die Mitarbeiterzahlen verdoppeln würden und wurde deshalb zum eifriger
Betreiber der „Greencard“-Kampagne. Tatsächlich wurden noch im Jahr
2000 besonders bei ICM mehrere tausend Leute eingestellt, besonders in den
Ingenieurbereichen. Gleichzeitig wurden kräftig „Startup-Firmen“
eingekauft, speziell in den USA, womit man in das scheinbar grenzenlos
wachsende IP-Geschäft einsteigen wollte. Auch beim Spekulieren beteiligte
man sich im großen Stil. Schon früher wurde der „zu sprunghafte“
Halbleiterbereich als „infineon“ ausgegliedert und an die Börse
gebracht. Dann kam der „geniale“ Gedanke, durch Verkauf der bei
Siemens verbliebenen infineon-Aktien an den eigenen Rentenfonds Steuern zu
sparen und noch eine tolle Aktie für die Altersvorsorge deponiert zu
haben. ...
zum Minus-Kacker Mit
dem Platzen der globalen Spekulationsblase und dem völligen Zusammenbruch
der Konjunktur im Telekommunikationssektor hat sich auch die heile Siemens
IC-Welt ins Gegenteil verkehrt. Inzwischen gibt es kaum noch
Telekommunikationsgesellschaften die in ihre Netze investieren (da China
zu den Ausnahmen zählt, lässt die Siemens AG auch nichts über die
dortigen „Kommunisten“ kommen). Umsatz und Auftragseingang fallen
Quartal für Quartal zweistellig. Die aufgekauften IP-Firmen haben sich
als Milliardengrab erwiesen und wurden mit großem Verlust wieder abgestoßen.
Schließlich ist die infineon-Aktie heute unter 10 Euro gefallen und die
Siemens AG ist gezwungen, immer mehr Mittel aus ihren Gewinnen zur Deckung
des davon betroffenen Rentenfonds abzuzweigen. Kein
Wunder, dass Siemens, wie ähnliche Konzerne weltweit, in „finanziellen
Schwierigkeiten“ ist. Der Bereich ICN erzielt mit 8 Mrd. Umsatz 1 Mrd.
Verlust - Tendenz steigend. Da gleichzeitig der Kraftwerksbereich (Power
Generation) und der Verkehrstechnikbereich dagegen in einem
konjunkturellen Hoch sind, wird der Konzern dieses Jahr noch eine Gewinn
von ca. 1 Mrd. machen. Der rückläufige Auftragseingang in den zuletzt
genannten Bereichen und die drohende Katastrophe wegen der
Rentenfonds-Fehlspekulation machen das Management jedoch nervös und drücken
den Aktienkurs. Es droht eine „feindliche Übernahme“, z.B. durch
General Electric mit anschließender Zerschlagung von Siemens im Stile von
Mannesmann. In
dieser Situation ist klar, was das Management seinen Anteilseignern
schuldig ist: die Verlustbringer müssen „gesundgeschrumpft“ werden.
Nur Personalabbau bringt den Aktienkurs wieder in die Höhe. Damit ist natürlich
nicht der Abbau des Ober-Fehlspekulanten Volker Jung gemeint, sondern die
einst für unantastbar gehaltene Siemens-Techniker-Beamtokratie. Bei den
IC-Fertigungsstandorten wird in bekannt forscher Manier seit einem Jahr
zugeschlagen. Die Handy-Fertigung in Kamp-Lintford wurde geschlossen, bzw.
in eine Beschäftigungsgesellschaft ausgegliedert, die
Vermittlungstechnik-Fertigung in Bruchsal halbiert, die in Greifswald
geschlossen und in Berlin durch weitere Ausgliederungen reduziert.
Gleichzeitig wurde ein Großteil der Leiharbeitskräfte sofort vor die Tür
gesetzt. Doch die 5.000 betroffenen ArbeiterInnen im Inland und weitere
5.000 im Ausland, waren dem Konzern angesichts einer Vorgabe von über
20.000 zu streichenden Stellen (von weltweit ca. 60.000 zu Jahresbeginn)
nicht genug. Nachdem es in der Fertigung kaum noch Spielräume für
weitere Reduktionen gab, gerieten auch Techniker und Ingenieure ins
Fadenkreuz. Auf
den Spuren von Hartz Zunächst
schien es, als sollte dies in der üblichen sozialpartnerschaftlichen
Weise geschehen. Über sanfte Methoden mit schön klingenden Namen wie „new
placement“ sollte den KollegInnen während der Arbeitszeit die
Gelegenheit geboten werden, mithilfe „professioneller Beratung“ einen
anderen Job zu finden, um zwanglos bei Nichterfolg am alten Arbeitsplatz
zu bleiben zu können. Nachdem diese und ähnliche Theaterdonner-Aktionen
keine Effekte zeigten, war klar, dass nun schwere Geschütze aufgefahren würden.
Ziel war diesmal der zentrale Technik-Standort von ICN/ICM, der Standort München
Hofmannstraße mit seinen heute noch 7.000 Ingenieuren und Technikern.
Mitten in der bayerischen Urlaubszeit verkündete der Personalchef, dass
Anfang Oktober eine „Beschäftigungsgesellschaft“ gegründet wird, in
die 2.300 Beschäftigte von ICN und 300 von ICM ausgegliedert werden. Die
Ausgliederung sollte nicht nach „Sozialauswahl“ geschehen, sondern
durch „Portfolio-Bereinigung“ (also Streichung von bestimmten
Produkten). Die Ausgegliederten würden auf Kurzarbeit Null gestellt, hätten
einen auf ein Jahr befristeten Vertrag und müssten an
„Qualifizierungsmaßnahmen“ teilnehmen. Dazu soll eine
Auffanggesellschaft gegründet werden, in die aus der Beschäftigungsgesellschaft
mehrere Hundert KollegInnen verschoben werden können. Diese können dann
in dem in letzter Zeit boomenden Markt für EDV-Leiharbeitskräfte
eingesetzt werden (wobei Siemens der Hauptkunde wäre!). Dem
Betriebsrat wurde genau ein Monat für Verhandlungen gegeben, und schon
kurz nach der Ankündigung des Modells kursierten die „schwarzen
Listen“ mit den „Abschusskandidaten“. Natürlich gibt es keine
wirkliche „Portfolio-Bereinigung“, sondern bloß Vorwände, um von
bestimmten Beschäftigten zu behaupten, ihr Arbeitsplatz sei aus
betriebsbedingten Gründen weggefallen. Insgesamt handelt es sich also um
einen massiven Versuch, Entlassungen unter Umgehung des gesetzlich
festgelegten Kündigungsschutzes in großem Stil durchzuziehen. Die
Strategie der Reformisten Betriebsrat
und Beschäftigte reagierten geschockt und empört. Seit einem Monat gibt
es nun jede Woche Betriebsversammlungen. Doch nun zeigt sich die Schwäche
der Siemens-typischen Betriebsrats-Sozialpartnerschaft. Jahrelang hatte
man bei den Standorten mit großem ArbeiterInnenanteil und hohem
Organisationsgrad gekuscht und letztlich jeder Flexibilisierung und
Abbaumaßnahme zugestimmt, in der Hoffnung, dass damit die behäbige
Kernbelegschaft nicht angetastet würde. Jetzt, da es an deren Existenz
geht, ist diese auf sich gestellt kaum kampffähig (am Standort
Hofmannstraße gab es vor der besagten Ankündigung gerade 400
IG-Metall-Mitglieder). Betriebsrat und IG Metall reagierten von Anfang an
nur auf legalistischer Ebene und richteten Appelle an die alte
„Siemens-Vernunft“. Auf den Betriebsversammlungen wurde vorgerechnet,
dass die Konzernleitung die Lage viel zu düster male. Doch eine
Belegschaftsvertretung darf die Verteidigung gegen Stellenabbau nicht von
den unsicheren Bewegungen des Kapitals abhängig machen. Auf diese Weise lässt
man sich nur auf eine unsägliche Auseinandersetzung um Kosten und
Marktentwicklungen ein. Betriebsrat und IGM wollen die Verteidigung der
Arbeitsplätze zugunsten eines Beschäftigungssicherungs-Tarifvertrages
aufgeben. D. h., man schlägt eine generelle Absenkung der Arbeitszeit auf
bis zu 30 Stunden vor, bei Kompensation der Einkommensverluste durch
Umlage bestimmter Siemens-spezifischer Sonderzahlungen und die in dem
Tarifvertrag üblichen Sicherungen gegenüber betriebsbedingten Kündigungen.
Während der Betriebsrat vorrechnet, dass dies für die angestrebten
„Kosteneinsparungen“ während des Konjunktureinbruchs genug sei,
rechnet die Firmenleitung dagegen, dass der Einbruch weitaus
tiefgreifender sei. Es
ist kein Wunder, dass diese Form der Diskussion dem Bewusstsein der
typischen „Siemens-Familie“-Beschäftigten entspricht, im Sinne von
„Ich verlange meine Rechte, aber Siemens muss es auch gut gehen“. Die
30-Stundenwoche ist daher populär, und erzielte in einer Umfrage 95%
Zustimmung. Diese Kampagne war insofern positiv, als die KollegInnen eine
Alternative zum Vorstoß des Konzerns sahen und es sich abzeichnet, dass
kaum ein Betroffener der Überleitung in die Beschäftigungsgesellschaft
zustimmt. Die Firmenleitung hat für diesen Fall „Änderungskündigungen“
angedroht, was die IGM München mit einer Mitgliederwerbe-Kampagne
beantwortete. Immerhin sind die Aussichten vor dem Arbeitsgericht
angesichts der fehlenden Sozialauswahl und der fraglichen betrieblichen Gründe
nicht schlecht. In kurzer Zeit konnte die Mitgliederzahl verdoppelt werden
– auch Siemens-Ingenieure sind lernfähig! Kampf
an allen Standorten Ansätze
für weitergehende Aktionen gab es in Form einer Kundgebung auf dem
Marienplatz, an der über 500 KollegInnen teilnahmen. Das sind angesichts
der geringen Kampferfahrung des Standorts erste Schritte. Notwendig
ist es in dieser Situation, Meinungsbildung und Organisierung der
Betroffenen rasch voran zu bringen. Es können nicht einfach von
Betriebsrat und IGM-Führung irgendwelche „Gegenkonzepte“ vorgelegt
werden, für die dann die Basis als Drohkulisse in Verhandlungen gebraucht
wird. Wichtig ist vielmehr, dass diese Basis über Einrichtungen wie z.B.
Vertrauensleutekörper intensiv über Alternativen und Gegenreaktionen berät.
Dann wird auch klarer, dass man mit einem Konzern, der noch
Milliardengewinne macht, nicht unbedingt um „Kosteneinsparungen“
streiten muss. Die Kapitalisten sollen ihre Krise und Spekulationsverluste
aus ihren über Jahre angesammelten Profiten zahlen. Allerdings ist eine
Verkürzung der Arbeitszeit nötig, da angesichts der enorm gestiegenen
Produktivität weniger Arbeit in den besagten Bereichen notwendig ist.
Dies ist aber unabhängig von Konjunktureinbrüchen, sondern muss und kann
nur kollektiv und ohne Einkommensverluste durchgesetzt werden. Dies
sichert Arbeitsplätze, indem das Kapital gezwungen ist, das benötigte
Arbeitsvolumen auf möglichst alle Beschäftigten aufzuteilen. Das stärkste
Druckmittel gegen Arbeitslosigkeit wäre daher eine von
den Beschäftigten kontrollierte mobile Skala der Arbeitszeit, mit der
ohne Einkommensverlust die wöchentliche
Arbeitszeit an die konjunkturellen und langfristigen Entwicklungen des
Arbeitsvolumens angepasst wird. Eine
effektive Gegenwehr gegen die angedrohte Entlassungsoffensive kann nicht
nur in München durchgeführt werden. Dieser Angriff ist nur der Auftakt für
eine ‚Bereinigung’ an allen Standorten. Auch dort laufen schon überall
Diskussionen über mögliche Angriffe wie über Alternativen und Aktionsmöglichkeiten.
Auch andere Bereiche, speziell der Dienstleistungsbereich und der
Bosch-Siemens-Haushaltegeräte Bereich sind von Entlassungswellen bedroht.
Der Konzernbetriebsrats-Vorsitzende Schorsch Nassauer hat von „möglichen
gemeinsamen Aktionen“ gesprochen. Dies ist prinzipiell zu begrüßen,
nur müssen auch entsprechende Taten in der Mobilisierung der Basis
erfolgen. Es
muss auf allen Ebenen Treffen der Vertrauensleute, ebenso wie bundesweite
Vertrauensleute-Konferenzen geben, auf denen man über die
Alternativ-Vorschläge und die gemeinsamen Aktionen berät und beschließt.
Nur wenn es zu standortübergreifenden Streiks kommt, in der endlich für
die gemeinsamen Interessen von Beschäftigten in Fertigungs- und
Technikstandorten auch gemeinsam gekämpft wird, kann man den
Siemens-Konzern in die Knie zwingen! Schließlich ist es notwendig, in
diese Gegenwehr auch die KollegInnen an all den ausländischen Standorten
mit einzubeziehen. Allein in den belgischen IC-Bereichen wurden dieses
Jahr etwa 2000 Beschäftigte entlassen! Genauso muss der bornierte „Siemens“-Standpunkt
verlassen werden. Beim Konkurrenten Alcatel wird zur Zeit ein
Personalabbau in ähnlicher Größenordnung durchgeführt, bei dem am
Stuttgarter Standort über 1.000 KollegInnen betroffen sind – auch hier
ist gegenseitige Unterstützung notwendig!
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