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Gewerkschaftslinke
Opposition oder Stammtisch? Die Vorbereitung der Tarifrunde 2002 war in der IG Metall von zahlreichen
Konflikten zwischen den Spitzenleuten geprägt. Zwickel, Huber, Peters - jeder
zog in eine andere Richtung, Kehrtwenden mit eingeschlossen. Das hat begünstigt,
dass sich die Funktionäre an der Basis wirksam einmischen konnten. Die Konfusion unter den Spitzen hatte unter anderem dazu geführt, dass
sie die Parole ausgaben, Forderungen in den Betrieben erst sehr spät
aufzustellen. Das erwies sich – von ihrem Standpunkt aus betrachtet – als
dumm. Gerade in den Betrieben, wo die Kritik am letzten Tarifabschluss am schärfsten
ist, wurden Forderungen früh aufgestellt. Diese waren dann entsprechend hoch
und prägten die Entwicklung. Zwickel musste das eingestehen. Die
Forderungsbandbreite, die 5 bis 6,5% betragen sollte, musste in Baden-Württemberg
auf 7% erweitert werden. Die endgültige Forderung liegt jetzt bei 6,5%. Das
Projekt des Bezirksleiters Huber, die Lohnerhöhungen von der Ertragslage der
Unternehmen abhängig zu machen, ist vorerst vom Tisch. So wollte er die
kampfstarken Belegschaften befriedigen, ohne dem Kapital insgesamt zu sehr weh
zu tun. Dafür hätte er auch bedenkenlos weitere Teile des Flächentarifvertrags
geopfert. In diesem Prozess hat jedoch nicht nur die
Uneinigkeit der Spitzenleute eine Rolle gespielt. Sicher gab es dabei auch persönliche
Rivalitäten in der Spitze und verstärkten die Konfusion. Entscheidend war
aber, dass der Druck aus den Betrieben erstmals einigermaßen koordiniert war.
Innerhalb der Gewerkschaftslinken hatte es Absprachen gegeben, Materialien zur
Vorbereitung der Forderungsdiskussion waren erstellt und die ersten Beschlüsse
aus Vertrauenskörpern waren verbreitet worden.(www.labournet.de). Das war nichts Revolutionäres. Es wurde
lediglich das selbst organisiert, was sonst Aufgabe des Gewerkschaftsapparates
ist. Aber der stellte die Materialen für die betriebliche Agitation nicht zur
Verfügung, weil noch nicht über die Löhne diskutiert werden sollte. Seit Jahren machen die Kollegen und
Kolleginnen folgende die Erfahrung: Diskutieren sie hohe Forderungen, wird ihnen
gesagt, nur sie seien so verrückt, das zu tun. Linke und kämpferische
Vertrauensleute und Betriebsräte in der IG Metall haben also höchst praktisch
in diesen Prozess eingegriffen und sich dabei mit all denen verbunden, die
Gewerkschaft noch als ein Instrument kämpferischer Interessenvertretung
ansehen. Auch viele Genossen und Genossinnen der GAM haben sich an diesen
Aktivitäten beteiligt, teils in zentralen Rollen. Auch wenn manche, die daran beteiligt sind,
die Höhe von 6,5% als zu niedrig ansehen und befürchten, dass etliche Arbeiter
und Arbeiterinnen an der Basis enttäuscht sind, hat das Eingreifen insgesamt
Wirkung gezeigt und ist somit ein Erfolg. Jetzt wird es ernst Die Vorstände der IG Metall haben sich auf
6,5 % geeinigt und sich damit für zwei Dinge entschieden: eine begrenzte
Offensive und dafür, wieder geschlossen zu marschieren, um das Heft des Handels
wieder in die Hand zu bekommen. Das stellt die Gewerkschaftslinke vor ziemliche
Herausforderungen. Sie haben gegenüber und in ihren
Belegschaften Verantwortung übernommen. Daran werden sie von den Kollegen und
Kolleginnen gemessen werden. Wenn es den Vorständen wie 2000 erneut gelingt,
die Tarifrunde mit einem Minusabschluss an die Wand zu fahren, werden sie mit
haftbar gemacht. Wenn sie jetzt nörgelnd über die Tatsache, dass 6,5% nicht
8,5% sind, abseits stehen bleiben, werden sie in die Rolle des wirkungslosen
Kommentators zurückfallen und dem Apparat das Feld überlassen. Leider gibt es Kräfte innerhalb der
Gewerkschaftslinken, die wortgewaltig für solche Rückfälle eintreten. Schon
im November 2001 erschien im express ein Artikel von Rico Müller mit dem Titel
"Augen zu und voran?", der auf die Konferenz der Gewerkschaftslinken
bezug nahm. Der Artikel fordert eine Bilanz der ersten drei Jahre ein, die er
auf dem Kongress vermisste. Sein eigener Versuch geht allerdings gründlich
in die Hose. Er kann keinen Unterschied darin erkennen, dass vor drei Jahren die
Tarifpolitik der Gewerkschaftsbürokratie kritisiert wurde, heute diese aber
tatsächlich wirkungsvoll bekämpft wird. Er kommt zum Schluss, dass sich die
"vor zwei Jahren im express geäußerte Ansicht, dass es für
Gewerkschaftslinke derzeit eigentlich nur um Selbstverständigung und Diskussion
gehen kann und dass alle Versuche, eine bundesweite Interventionsfähigkeit zu
simulieren, nur in folgenlosen Proklamationen enden können." Solches Sektierertum nährt sich politisch aus
einem völligen Unverständnis der Gewerkschaften als Klassenorganisationen. Wie
verräterisch auch immer deren Führungen sein mögen, wie niedrig auch immer
das Klassenbewusstsein sein mag - die Lohnabhängigen haben keine andere Wahl,
als sich für ihre Interessen zu organisieren – oder die Kapitalisten zwingen
ihnen ihre Interessen auf. Diese Organisation ist gegen die Kapitalisten
gerichtet. Die reformistischen Gewerkschaftsführungen aller politischen Färbungen
versuchen, die Interessen der Arbeiterklasse mit denen des Kapitals zu vereinen,
ihnen unterzuordnen und auf jeden Fall deren Herrschaft nicht anzutasten. Heute ist die Herrschaft des Kapitals in der
BRD zwar nicht in Gefahr, aber die Notwendigkeit der Organisierung eines großflächig
angelegten Abwehrkampfes steht an. Die Tarifrunde ist dabei ein zentraler
Faktor, da hier die Möglichkeit zur Mobilisierung großer Teile der Klasse, der
Steigerung ihres Selbstvertrauens und des Bewusstseins ihrer Kampfkraft besteht. Heute ist sicher die politische Dominanz der
sozialdemokratischen Reformisten in den Gewerkschaften noch recht solide – ihr
politisches Monopol ist gerade in den letzten Jahren unterhöhlt worden. Die
Tarifrunde ist eine große Chance für die Schaffung einer landesweiten
oppositionellen Basisbewegung, die sich auf Vertrauensleute und die aktive Basis
stützt und noch dazu in der Praxis zeigen kann, was eine andere Führung in den
Gewerkschaften leisten könnte. Die Gewerkschaftsführung hat ein Problem, für
das sie aktuell keine Lösung hat: Ein Teil der Klasse, die Metaller in den Großbetrieben,
versucht, seine Interessen mit Hilfe der Gewerkschaft durchzusetzen, die
Kapitalisten sind zu Zugeständnissen nicht bereit, weil ihnen die weltweite
Konkurrenz im Nacken sitzt. Sie setzen die Regierung unter Druck, die
Gewerkschaften zu zügeln. Möglich, dass sich in zwei Monaten eine
Kompromisslinie abzeichnet, die dem Kapital ein bißchen was kostet und einen
Teil der Klasse befriedigt, jedoch andere Teile der Gewerkschaftsbasis in
Resignation treibt. Aber noch ist nichts entschieden. Außer für Rico Müller.
Der will weiter an seinem Selbstverständnis arbeiten. Was wollen Richard Detje und Otto König, die
einen Artikel "Alphabetisierung - der Krieg um die Köpfe" in der
Zeitung Sozialismus 1/2002 veröffentlicht haben? Sie stellen sich erst mal
deutlich gegen die bisherige Intervention der Gewerkschaftslinken in die
Tarifrunde: "Seid realistisch, fordert das Unmögliche - lautet die Losung
von Teilen der Gewerkschaftslinken. Dahinter steckt die Vorstellung, es käme
nur auf eine scheinbar radikale Forderung an, um die Kollegen und Kolleginnen in
eine offensive Auseinandersetzung mit Kapital und Politik zu leiten. Wir halten
das für eine Illusion, die politische Potenziale verpulvert." Diese Polemik läuft komplett ins Leere. Die
Leute, die bisher in Tarifdebatte und Forderungsaufstellung eingriffen, haben
vermutlich politisch mehr in den Belegschaften vermittelt, als die Artikel des
"Sozialismus": Die Verteilung von Einkommen und Besitz, die Rolle des
Bündnis für Arbeit, die Auswirkungen der Rentenreform und die Notwendigkeit
einer europäischen bzw. internationalen Perspektive gegen die Politik des
"Standorts Deutschland". Leere und gelehrte Worte Dies sind genau dieselben Themen, die auch
Detje/König in der Tarifauseinandersetzung vermittelt haben wollen. Wo liegt
der Unterschied? Sie wollen "eine Verteilungspolitik durchsetzen, die sich
positiv auf die Beschäftigung auswirkt und in der Lage ist, Druck zu machen für
eine Wirtschafts- Finanz- und Arbeitszeitpolitik, die positive Wohlstandseffekte
aufweist." Es geht also um ein gesellschaftspolitisches Reformprojekt, eine
Nostalgie der 70er Jahre, um einen Kapitalismus, der es seinen Lohnabhängigen
auch gut gehen lässt. Wir halten wiederum dies für eine große
Illusion. Wir halten es da mit Marx. Das Problem mit dem Kapitalismus ist nicht,
dass er schlecht funktioniert, sondern dass die Entwicklung im Kapitalismus
aufgrund seiner eigenen Gesetzmäßigkeiten, seiner “normalen”
Funktionsweise immer auf Kosten der Arbeiterklasse (und der Natur) geht. Das
Wirtschaftswunder-Deutschland war eine historische und sehr bedingte
Ausnahmesituation im weltweiten Kapitalismus. Das hat die
"Globalisierung" in den letzten zehn Jahren den meisten klar gemacht.
Auch Herr Detje wird die 70er Jahre nicht zurückschreiben können. Für Detje/König geht es also in der
Tarifrunde darum, ihr Projekt zu propagieren. "Hierzulande bedarf es einer
offensive Strategie der sozial-ökonomischen Alphabetisierung der
gewerkschaftlichen und politischen Öffentlichkeit." Die Gewerkschaftslinke
soll ihren gelehrten Senf zur tarifpolitischen Wurst abgeben. Diese darf weiter
die Bürokratie braten. Es geht für Detje/König darum, "die Umverteilung
zu stoppen" und "unumkehrbare Eckpunkte beim
Entgeltrahmenabkommen" zu setzen. So unverbindlich, vage und brav hat noch
keiner die Vorstandslinie nachgebetet. Das ist kein Wunder. Otto König ist Mitglied
im IG Metall Vorstand und verteidigt seit Jahren jeden Tarifabschluss im
"Sozialismus" als wegweisend. Natürlich mit linken Worten. Herr Detje
tritt innerhalb der Gewerkschaftslinken tapfer für Debatten und gegen
gemeinsame Aktivitäten auf: Ihm war die Mobilisierung gegen die Rentenreform
ein Gräuel, die Intervention in die Tarifrunde ist es nicht minder. Was auch
immer noch persönliche Gründe sein mögen: Es ist die Funktion des linken
Reformismus, nicht nur utopische Kapitalismus-Reformmodelle zu erarbeiten,
sondern auch die Opposition gegen die Bürokratie in unschädliche,
kontrollierbare Bahnen zu lenken. Wir wollen genau das Gegenteil. Wir wollen
eine Opposition, die sich auf die Basis stützt, diese organisiert und
mobilisiert. So wie wir für eine Gewerkschaft eintreten, die von den
Mitgliedern kontrolliert wird. Die Gewerkschaftslinke kann dazu nur einen Betrag
leisten, wenn sie sich in den realen Kämpfen und Konflikten verankert. Die Opposition muss sich eine politische
Programmatik erarbeiten. Wenn das keine Programmatik sein soll, die wie Detje
und König immer wieder vor der Spitzenbürokratie auf den Bauch fällt, dann
muss sie genau deren Dogma angreifen, dass der Kapitalismus dauerhaft sozial
gestaltet werden könne und deshalb nicht abgeschafft werden müsse. Dafür werden wir in der Gewerkschaftslinken eintreten. Dazu reicht es natürlich nicht aus, sich ein- oder zweimal im Jahr zur Debatte zur versammeln oder etwas zu vernetzen. Dazu muss man sich organisieren. Unser Vorschlag dazu heißt: klassenkämpferische Basisbewegung. von Frederick Haber Kontakt-Email an:
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