IG Metall
Rückwärts in die Zukunft
Frederik Haber
In Baden-Württemberg führt die IG Metall derzeit
eine Tarifrunde durch. Es geht diesmal nicht um Lohnerhöhungen, denn die
Tarifverträge(TV) über Löhne und Gehälter laufen in der
Metallindustrie noch bis nächstes Jahr. Die IG Metall hätte an sich
allen Grund, die Debatte aufzunehmen und einen Lohnnachschlag zu fordern,
denn die ausgehandelte Erhöhnung von 2,1% liegt unter der Inflationsrate.
Aber das Ziel dieser Runde ist ein TV zu Qualifizierung und Leistung. Auch
wenn das nicht die klassischen Themen von TV sind, ist es nicht falsch,
diese aufzugreifen.
Qualifikation
Während die Firmen Fachleute und vor allem
Führungskräfte mit Seminaren und Schulungen bombardieren, gibt es für
die Masse der ungelernten und angelernten Arbeiter und Angestellten bis
hin zu Teilen der Facharbeiter keine oder zuwenig Angebote seitens der
Unternehmen. Die Leute werden ausgenutzt, und wenn ihre Qualifikation
technisch oder organisatorisch nicht mehr gefragt ist, werden sie
ausgesondert. Dann reden die Kapitalvertreter von Fachkräftemangel und
verhöhnen so noch ihre arbeitslosen Opfer, denen Schröder dann noch
einen Drang zur Faulheit unterstellt.
Aber auch diejenigen, denen die Unternehmer
Qualifizierung zukommen lassen, müssen zunehmend Freizeit dafür opfern.
Betriebe wie die Trumpf-Maschinenfabrik in Ditzingen bei Stuttgart lassen
die Beschäftigten zwei Stunden pro Woche länger arbeiten als
"Vorratszeit" für Qualifizierungsmaßnahmen. Solchen Angriffen
könnte mit einem TV ein Riegel vorgeschoben werden. Es zeigt sich, dass
Qualifizierung durchaus etwas mit klassischen Themen wie Arbeitszeit und
Arbeitslosigkeit zu tun hat.
Leistung
Dasselbe gilt für die Kontrolle der
Leistungsabforderung. Schon auf zwei Gewerkschaftstagen in den 80er Jahren
hatten die Metaller aus Baden-Württemberg gefordert, die
Arbeitszeitverkürzung mit einer Kontrolle über die Personalbemessung zu
verbinden, um zu verhindern, dass überall dort, wo es keine festen
Richtzeiten (Akkorde) gibt, die Arbeitshetze zunimmt und die Arbeit
verdichtet wird. Damals konnte diese Forderung in der IG Metall nicht
durchgesetzt werden, ein Arbeitskampf also nicht einmal versucht werden.
Der letzte Gewerkschaftstag hatte sich jetzt diese Logik zu eigen gemacht,
allerdings in negativer Form: Eine weitere Arbeitszeitverkürzung mache
nur Sinn, wenn es gelänge, die ausufernden Arbeitszeiten und die weitere
Arbeitshetze zu bekämpfen, so lautet sinngemäß ein entsprechender
Beschluss.
In den letzten Jahren verstärkten die Unternehmer
den Druck auf die Ausweitung der Arbeitszeiten. Einerseits dürfen im
Rahmen der TV Teile der Belegschaften bis zu 40 Stunden arbeiten, was
immer mehr ausgeschöpft wird, auch über die tariflichen Grenzen hinaus.
Zweitens werden an TV und Gesetzen vorbei betriebliche Arbeitszeiten
durchgesetzt, die zusätzliche unbezahlte Mehrarbeit bedeuten. Millionen
von Arbeitsstunden verfallen, weil sie über die zulässigen
Gleitzeitrahmen hinaus geleistet werden. Es wurden Sondermodelle wie
"Vertrauensarbeitszeit" entwickelt, bei denen jegliche
Zeiterfassung zugunsten der Verpflichtung der Beschäftigten aufgegeben
wird, die zugeteilte Arbeitsaufgabe zu erledigen. Bereitschaft oder das
Aufräumen nach Ladenschluss nicht zu bezahlen, sind weitere Beispiele.
Das sind keine Überraschungen. Es gehört zum Wesen
der Lohnarbeit, dass der Kapitalist versucht, aus der gekauften
Arbeitskraft soviel wie möglich herauszupressen und den Arbeitstag
auszudehnen. Das kann man auch noch auf Seminaren der IG Metall lernen.
Die Bezirksleitung der IG Metall Stuttgart möchte diesen Konflikt, der
Bestandteil des täglichen Klassenkampfes ist, nur mit Verhandlungen und
Aktionstagen angehen - also nicht besonders ernsthaft. Bundesweit sind
noch nicht einmal ähnliche Forderungen erhoben worden. Aber es kommt noch
schlimmer.
Tarifliche Verlängerung der Wochenarbeitszeit
Seit Jahren versuchen die Großkonzerne
DaimlerChrysler und Bosch, längere Wochenarbeitszeiten in bestimmten
Bereichen, z.B. in Forschung und Entwicklung, auf breiter Front und
geregelt durchzusetzen. Jetzt ist herausgekommen, dass ein entsprechender
Sondertarif für die F+E-Betriebe von Bosch kurz vor dem Abschluss steht,
der auch offen für andere F+E-Betriebe sein soll. Es wurde auch bekannt,
dass bei DaimlerChrysler parallel Sondertarifverhandlungen hinter dem
Rücken der Belegschaft und des Betriebsrates geführt werden. Der
Bosch-TV sieht die Einführung der 40 Stundenwoche vor. Bezahlt werden
sollen allerdings nur 37,5 Stunden und 2,5 Stunden sollen auf ein
Lebensarbeitszeitkonto (LAK) fließen.
Auf der Delegiertenversammlung der IGM Stuttgart am
31.März wurde erstmals offiziell über dieses Projekt informiert, das in
der Woche vorher schon den BR und Vertrauensleuten des
Bosch-Entwicklungszentrums als unterschriftsreif vorgestellt worden war.
Die Verfechter dieses Abschlusses weisen daraufhin, dass Bosch ein neues
Entwicklungszentrum plant und damit droht, durch Nichteintritt in den
Arbeitgeberverband dieses tariffrei zu lassen. Sie argumentieren damit,
dass es besser sei, die ständig verfallenden Überzeiten tariflich
"einzufangen".
Gegner solcher Politik, wie der BR-Vorsitzende von
Alcatel-SEL, Alois Süss, stellten dar, dass ein solcher TV ihre
jahrelange erfolgreiche Abwehr von längeren Arbeitszeiten in diesen
Bereichen auf einen Schlag vernichten würde und die Unternehmer ermutigt
würden, für andere Bereiche ähnliche Erpressungen vorzunehmen. Andere
verwiesen darauf, dass so dort kein einziges neues Mitglied geworben
werden könne.
Lebensarbeitszeitkonten
Viele verwiesen auch darauf, dass die LAK in der
Organisation bisher abgelehnt worden waren, auch wenn der frühere
stellvertretende Vorsitzende Riester schon seit Jahren mit dieser Idee
spielte, z.B. um Zeit anzusparen, die dann in eine frühere Rente
eingebracht werden kann. Was passiert beim Firmenwechsel, die
Betriebszugehörigkeitszeit nimmt ja derzeit eher ab? Wer zahlt diesen
Zeitkredit dann vor der Rente ab? Was ist bei Pleiten? Gibt es auch eine
garantierte Lebenszeit? Hinter diesen scheinbar technischen Fragen steht
ein politischer Inhalt: Die LAK entziehen den Beschäftigten genauso die
Kontrolle über die Arbeitszeit und damit auch über die Freizeit, wie die
obengenannten Angriffe des Kapitals. Sie wälzen wie die anderen
Flexibilisierungsmodelle die Anarchie des Marktes auf die Arbeiterinnen
und Arbeiter ab.
Für die laufende Tarifrunde bedeutet der Sonder-TV
den Genickschuss. Jeder ernsthafte Versuch, Leistungsüberforderung
einzuschränken, braucht eine klare Definition der Arbeitszeit. Ein
Zeichen für Überforderung wäre z.B., wenn Guthaben auf Gleitzeitkonten
oder Freischichtguthaben nicht abgefeiert werden können. So wird das auch
in der IG Metall diskutiert. Das Abfeiern von LAK kann kein Mensch
kontrollieren. Der Sinn dieser Tarifrunde, mit einer Kontrolle der
Leistung und der Arbeitszeit, auch bessere Möglichkeiten zu haben, die
Personalbemessung zu beeinflussen, um damit die Voraussetzungen für eine
weitere Arbeitszeitverkürzung zu schaffen, geht sowieso flöten, wenn TV
über die 40 Stundenwoche eingeführt werden.
Aufgaben
So katastrophal die Politik der
Gewerkschaftsführungen ist, so instabil ist zugleich auch die Basis
dafür. Die Klamotte des letzten Jahres, als ein TV mit zweijähriger
Laufzeit in Ba-Wü ausgehandelt und in NRW abgeschlossen worden war, um
anschließend Krokodilstränen über dieses selbstinszenierte Manöver zu
vergießen, ist ebenso wenig ein Zeichen von Souveränität wie ein
Geheimabschluss bei Bosch. Noch hat die Linke in der IG Metall die Chance,
sich dagegen zu wehren. Im Kampf gegen die Rentenreform konnte die
Demobilisierungsstrategie der Spitzen durchbrochen werden. An diesem
Beispiel muss angeknüpft werden.
Gegen die LAK muss eine Kampagne entwickelt werden,
die sich auf die Empörung bei Bosch und in Stuttgart stützt, aber nicht
regional beschränkt bleiben darf. Sie kann sich mit Initiativen wie
"Zeit ist Geld" verbinden, die bei einigen Verdi-Gewerkschaften
die unbezahlten Arbeitszeiten angegriffen haben. Je besser die Tarifrunde
in Ba-Wü in den Betrieben entwickelt wird, desto besser kann sie
entfaltet werden.
Die öffentliche Diskussion über die zukünftigen
Lohn- und Gehaltserhöhungen wie die Empörung über die lächerliche
diesjährige Erhöhung von 2,1% in der Metallindustrie, eine Marke die
nicht nur von der Inflationsrate, sondern auch von Abschlüssen in
drittrangigen Branchen übertroffen werden dürfte, können heute schon
eine Tarifforderung jenseits der 10% im nächsten Jahr genutzt werden.
Um die Manöver der Apparate zu durchbrechen, ist
eine Opposition in der IG Metall nötig, die bundesweit und nicht nur
regional Informationen austauscht und die sich auf Verankerung in den
Betrieben stützen kann. Eine Opposition, die fähig ist zu einzelnen
Fragen und Konflikten Einheitsfronten auf zu bauen, die sich selbst aber
eine Plattform schafft, die sich jenseits der Kumpanei mit dem Kapital und
des Standortwettbewerbs definiert. Das geht nur im Bruch mit den
reformistischen Apparaten.