Habe ver.di
Juliane Haber
Ende März wurde in einer gigantischen
Inszenierung in Berlin auf dem Verschmelzungsgewerkschaftstag aus den 5
Gewerkschaften ÖTV, HBV DPG, IG Medien und DAG die Vereinte
Dienstleistungsgewerkschaft ver.di gegründet. Lange Auseinandersetzungen
innerhalb der Gewerkschaften waren vorausgegangen, und bis zuletzt war
nicht ganz sicher, ob alle Einzelgewerkschaften die erforderlichen Stimmen
für deren Auflösung bekommen würden.
Wir haben das Projekt ver.di immer als
untauglichen - weil bürokratischen - Versuch kritisiert, mit
bürokratischen statt mit politischen Mitteln auf die Krise der
Gewerkschaften zu reagieren. So standen im gesamten Verschmelzungsprozess
Strukturfragen im Vordergrund, während ein politisches Programm nicht zur
Debatte stand. Angesichts der Doppeldeutigkeit des Namens – Vereinte
Dienstleistungsgewerkschaft als Gewerkschaft der in
Dienstleistungsbereichen Beschäftigten oder als Dienstleistungs- statt
einer Kampforganisation zur Durchsetzung der Interessen ihrer Mitglieder
– ist Mißtrauen nach wie vor angesagt.
Doppelte Bürokratie hält besser
Ver.di organisiert Beschäftigte aus über
1000 Berufen, die 13 Fachbereichen zugeordnet werden. Gleichzeitig
existieren neben der Fachbereichsstruktur die sogenannten Ebenen: die
örtliche Ebene, Bezirke, Landesbezirke und Bund. Diese Doppelstruktur ist
Ergebnis der langen kontroversen Verhandlungen zwischen den
bürokratischen Führungen der Gewerkschaften. Insbesondere die kleineren
Gewerkschaften HBV und IG Medien hatten befürchtet, keine Fachbetreuung
mehr gewährleisten zu können, wenn nur eine regionale Aufteilung und ein
zentralistischer Organisationsaufbau entsprechend dem Aufbau der ÖTV
erfolgt wäre. Insofern ist diese Doppelstruktur als Teilerfolg der
kritischen linken Gewerkschafter zu betrachten, die mit der Teilautonomie
der Fachbereiche durchaus auch die Absicht verfolgten, (teil)autonome
Entscheidungen über Arbeitskämpfe treffen zu können und damit
flexibler, handlungs- und kampffähiger zu sein.
Diese Doppelstruktur birgt aber auch
erhebliche Risiken bzw. beinhaltet auch eine mögliche gegenseitige
Lähmung der politischen Arbeit. Während tarifpolitische Arbeit in den
Fachbereichen – die sich übrigens nochmals in Fachgruppen untergliedern
– angesiedelt ist und die Verantwortlichen in der Regel im Landesbezirk
sitzen, ist andere politische Arbeit – z.B. (kommunal-)politische
Initiativen, Frauenarbeit, Jugendarbeit, Bildungspolitik etc. auf den
Ebenen, also vor allem auf örtlicher und bezirklicher Ebene angesiedelt.
In der Hauptamtlichenstruktur sind die politischen Betreuungssekretäre
den Fachbereichen, die geschäftsführenden Sekretäre den Ebenen
zugeordnet. Bisher war es in den Gewerkschaften, die auch schon bisher
über eine Fachgruppenstruktur verfügten, unerlässlich und üblich, dass
alle politischen Sekretäre bei einem Streik die jeweilige Branche
unterstützten. Dies konnte im übrigen auch disziplinarisch durchgesetzt
werden, da die Sekretäre dem Bezirk disziplinarisch zugeordnet waren. Bei
ver.di ist es einfach, sich in den Fachbereichen zu
"verstecken". Wenn also von der Ebenenstruktur, z.B. dem
ehrenamtlich besetzten Bezirksvorstand, eine politische Initiative
ergriffen wird, kann die Ebene den Fachbereich nicht zwingen, diese
Initiative aufzugreifen. Fraglich ist auch, ob die Fachbereiche sich
gegenseitig unterstützen werden.
Ob also eine kämpferische
Interessenpolitik möglich und durchsetzbar ist, ist noch mehr als bisher
von der Besetzung der Gremien und den dort handelnden Personen abhängig.
Doch es reicht nicht, das Personalkarussell ein Stück nach links zu
drehen. Vor allem muss die Basis selbst aktiv werden und gegen die
reformistische Politik und deren personelle Vollstrecker zu kämpfen.
Welche Gremien ....
Auch die ehrenamtlichen Gremien folgen der
Doppelstruktur. So gibt es auf dieser Ebene Orts-, Bezirks- und
Landesvorstände. In den Fachbereichen gibt es nochmals Unterstrukturen
der Fachgruppen, also Fachgruppenkonferenzen und Fachgruppenvorstände der
jeweiligen Ebenen.
Die Fachbereiche stellen sich ebenfalls
wieder auf allen Ebenen auf: Ortsfachbereich, Bezirksfachbereich,
Landesfachbereich etc. mit den entsprechenden Konferenzen und Vorständen.
Die Fachbereiche verfügen über ein eigenes Budget.
Personen- und Statusgruppen (Frauen,
Jugend, Senioren) sind der Ebene zugeordnet. Gleichzeitig sollen aber auch
in den Fachgruppen und Fachbereichen Strukturen für diese Arbeit
aufgebaut werden. Posten und Pöstchen gibt es also mehr als genug.
... und wie werden sie besetzt?
Es finden zunächst keine Wahlen statt –
soviel zur Frage der Demokratie in ver.di. Stattdessen werden die Gremien
streng quotiert nach den jeweiligen Mitgliedern der verschmelzenden
Gründungsgewerkschaften auf der jeweiligen Ebene sowie nach der
Geschlechterverteilung besetzt. Es handelt sich hierbei nicht nur um
Soll-, sondern um Muss-Vorschriften. Eine politische Diskussion bei der
Besetzung von Gremien um politische Positionen, die von den Kolleginnen
und Kollegen vertreten werden, findet nicht statt. Jede
Gründungsgewerkschaft delegiert entsprechend den jeweiligen Quoten.
Klar ist, dass die
Gewerkschaftsbürokratie, die ver.di mit diesen Strukturen von oben nach
unten durchgesetzt hat, damit bestimmte politische Absichten verfolgt.
Ver.di ist ein Projekt der sogenannten Neuen Mitte – das heißt:
Unterordnung unter die Politik der sozialdemokratisch geführten
Regierung, Erstickung gewerkschaftlicher Initiativen sowie Umbau der
Gewerkschaft von einer Kampforganisation zu einer Art
Versicherungsgesellschaft mit besonderen Dienstleistungen.
Die Gewerkschaftstage der
Einzelgewerkschaften HBV und IG Medien haben noch den Ausstieg aus dem
Bündnis für Arbeit beschlossen. Nach Einschätzung von Teilnehmern am
Verschmelzungsgewerkschaftstag waren die dort stimmberechtigten
Delegierten inzwischen vom Apparat handverlesen. Eine Mehrheit gegen das
Bündnis für Arbeit wäre nicht mehr zustande gekommen.
Schröders Bettvorleger?
Dennoch - der Konflikt um die Frage,
welches politische Programm sich ver.di auf die neuen Fahnen schreiben
wird, ist noch längst nicht entschieden. Ob sich die Bürokratie mit
ihren Absichten durchsetzen kann, wird vor allem davon abhängen, ob die
Linke in der Lage ist, durch und über diese Strukturen hinweg politische
Initiativen zu entfalten:
- gegen das Bündnis für Arbeit und die
daraus resultierende Politik
- gegen Privatisierungen
- gegen die Ausweitung und für die
Abschaffung des Niedriglohnsektors
- für die gewerkschaftliche Organisierung
neuer Bereiche
Dieser Kampf ist zugleich auch eine
Auseinandersetzung um eine revolutionäre Politik in den Gewerkschaften
und den Aufbau einer klassenkämpferischen Gewerkschaftsopposition. Die
bevorstehenden Angriffe gegen die Arbeitslosenversicherung oder die
paritätische Krankenversicherung bieten hierfür Möglichkeiten.
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