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    Ver.di-Funktionärsgehälter

     

    Die Logik der Apparate

     Frederick Haber

    Millionen an Mitgliedsbeiträgen werden für Immobilien, Umzüge und Sozialpläne verbraten, an der Basis geht fast gar nichts, der Apparat beschäftigt sich mit sich selbst. Was sich derzeit in der größten deutschen Gewerkschaft abspielt, ist für die Arbeiterbewegung ein Fiasko. Aber es ist nicht Ergebnis einer verlorenen Schlacht mit dem Klassengegner - es ist hausgemacht und war vorhersehbar.

    Genüsslich breiten jetzt die bürgerlichen Zeitungen die Details aus. Die Miete für die neue Bundeszentrale kostet rund eine Million im Monat. Warum muss eine Gewerkschaftszentrale in der Hauptstadt sein? Sie muss gute Verkehrsanbindungen haben; sie muss nicht Passanten anlocken. In Stuttgart wird dafür die neugebaute ÖTV-Zentrale notverkauft, die IG-Medien Zentrale ist es schon.

    Der Umzug nach Berlin verdammt hunderte Beschäftigte in den alten Zentralen zum Nichtstun, in Berlin werden krampfhaft Leute aus den lokalen und regionalen Strukturen in die Zentrale gezogen, im Land Berlin geht gar nichts mehr. Für rund tausend Leute wird an einem Sozialplan gebastelt. Die dringendsten Aufgaben vor Ort können nicht mehr erledigt werden, die simpelsten Anfragen und Materialbestellungen werden aus Berlin nicht beantwortet.

    50.000 Mitglieder hat ver.di seit der Gründung bereits verloren. Das wird weitergehen, weil einfach keine Mitgliederwerbung mehr stattfindet. Die Hauptamtlichen werden auf neue Posten und Aufgaben verteilt, die Zuteilung erfolgt nach Mitgliederstärke der Bereiche. Was schlecht organisiert ist, wird es bleiben. Entscheidungen, dort Zeit und Geld zu investieren, wo großer Handlungsbedarf besteht und/oder hohe Mitgliederpotentiale liegen, ist für ver.di derzeit nicht möglich. Eine Gewerkschaft, die noch nicht einmal einfache Machtpolitik in Form ihres eigenen Aufbaus leisten kann, ist zu politischer Initiative erst recht unfähig.

    Ein schönes Beispiel für diese politische Inkompetenz ist die Erklärung von Bsirske zu Terror und Krieg: "Wir sind auf einer Linie mit der Bundesregierung in fester Solidarität mit den USA, bereit alles zu unterstützen... (...) aber es darf dabei keiner verletzt werden." Das ist der Kerngehalt seiner zugleich zynischen wie naiven Aussage.

    Und dafür gönnt er sich jetzt knapp 80% Gehaltserhöhung!

     Augenhöhe

     Eine der bezeichnenden Begründungen für diese Dreistigkeit – immerhin sind die heutigen Vorstände noch nicht einmal durch scheindemokratische Wahlen legitimiert und auch nicht jene, die diesem Beschluss zugestimmt haben – ist das Argument, als Gewerkschaftschef müsse man mit der anderen Seite, also Kapitalvertreter und Regierung, auf gleicher Augenhöhe sein. Sicher ist das nicht die Augenhöhe der Verkäuferin, die 3 500 brutto bekommt.

    Das ist auch der Grund, warum wir fordern, dass Funktionäre ein Durchschnittsgehalt erhalten sollen, das dem der von ihnen vertretenen Beschäftigten entspricht, und jederzeit abwählbar sein sollen. Es geht nicht nur um Bsirske. Jeder Gewerkschaftssekretär, jede Gewerkschaftssekretärin bei ver.di ist heute hauptsächlich damit befasst, sich ein möglichst guten Posten zu sichern. Die einen schauen auf Einfluss, die anderen auf Geld, die dritten nach möglichst wenig Arbeit.

    Das ist kein böser Wille oder mangelnde Moral. Das ist die Logik eines Apparats, der sich von der Organisation gelöst hat und über sie herrscht. Auch wenn letzteres momentan vor allem dadurch geschieht, dass der Apparat das Chaos herrschen lässt. Das ist die Logik von Leuten, die eigene soziale Interessen haben, und nicht mehr die Interessen derer vertreten, die sie vertreten.

    Am Beispiel ver.di wird auch klar, dass mehr nötig ist, als Gehälterkürzung und Gewerkschaftsdemokratie. Auch wenn wir Forderungen unterstützen, die Gehaltserhöhung zurückzunehmen, ist doch klar, dass Bsirske auch mit weniger Geld die gleiche Politik machen würde.

    Bei der Forderung nach Wählbarkeit der Funktionäre, wird manch linker Funktionär darauf verweisen, dass dann sicher reaktionäre BR-Fürsten die linken Sekretäre abwählen. ...

    Diese Kritik wäre richtig, ginge es nur um formale Demokratie. Die Bürokratisierung der Gewerkschaft ist aber untrennbar mit ihrer politischen Entfremdung verbunden. Der Apparat dient heute vor allem der Kontrolle der Arbeiterbewegung, nicht dazu, deren Interessen durchzusetzen. Er dient der Sicherung des sozialen Friedens und im Falle der Ex-ÖTV und des Öffentlichen Dienstes auch zur Sicherung der Funktionen des bürgerlichen Staates.

    Dem entspricht eine Politik, die sich mehr dem Bündnis für Arbeit und der Regierung verpflichtet fühlt, als den Wünschen der Basis nach mehr Geld, die die Privatisierung reguliert und nicht bekämpft und die gegen die Kriegspolitik, den Rassismus und den Angriff auf die demokratischen Rechte durch die Regierung nichts unternimmt.

     Auge um Auge

     Für uns ist also der Kampf für Gewerkschaftsdemokratie und gegen die Bürokratisierung mit dem Kampf für eine andere Gewerkschaftspolitik verbunden. Das heißt für uns, dass diese erkämpft werden muss.

    Wir gehen eben nicht davon aus, dass der böse Apparat über eine gute Basis herrscht, die durch etwas mehr Demokratie ihren Willen durchsetzen würde und alles wäre gut. Die Gewerkschaftsbürokratie ist wie jene der SPD oder der PDS eine besondere Kaste, deren Interessen einerseits wesentlich von ihren sozialen Privilegien und politisch von der Bourgeoisie bestimmt werden, sich andererseits aber auf die Arbeiterbewegung als soziale Basis stützen.

    Die übergroße Mehrheit der Mitglieder sieht die Gewerkschaft als ihre "Stell"-Vertretung, nicht als ihre eigene Organisation an, in der sie direkt die Politik festlegt, kontrolliert und durchsetzt. Sie kritisieren, aber sie kämpfen nicht. Letztlich fehlt ihnen eine Alternative zu einer Politik, die angeblich "das Beste rausholt", also sich in dem Spielraum bewegt, den das Kapital zulässt.

    Eine andere Perspektive muss also erkämpft werden. Die ständige Abwählbarkeit der Funktionäre bekommt dann ihren wirklichen Sinn, wenn es in der Gewerkschaft eine Strömung gibt, die nicht nur für höhere Tarife kämpft, sondern für die Abschaffung des Lohnsystems; nicht mehr nur gegen Übergriffe der Unternehmer, sondern für deren Enteignung.

    Bedeutet das Fehlen einer klassenkämpferischen Gewerkschaftsströmung und einer kommunistischen Gewerkschaftsfraktion, dass Revolutionäre heute zuschauen müssen, wie der reformistische Apparat ver.di an die Wand fährt? Nein! Der Apparat dominiert zwar, aber er ist selbst in einer Krise. Es gibt viele, die versuchen, für eine andere Politik in ver.di zu kämpfen. So gibt es verschiedene Initiativen in Nordrhein-Westfalen oder Hessen gegen Privatisierung. Kampagnen gegen die Gesundheitsreform werden vorbereitet. Es gibt Proteste gegen Bsirske und zahllose Gliederungen haben ganz andere Aussagen und Mobilisierungen gegen den Krieg in Gang gesetzt.

    Aber damit aus vielen guten Initiativen eine sichtbare Bewegung wird, ist eine Bündelung nötig. Wir schlagen allen, die diese Entwicklung in ver.di nicht hinnehmen wollen, die Organisierung von Notkongressen auf allen Ebenen vor:

    • Vorbereitung der nächsten Tarifrunde gemeinsam, nicht gegeneinander, unter Einschluss des Öffentlichen Dienstes!

    • Übergreifende Kampagne gegen alle Privatisierungsversuche!

    • Gegen Krieg, Rassismus und Angriffe auf demokratische Rechte!

    • Landesweite Mobilisierung gegen die WTO-Konferenz am 10. November und den EU-Gipfel in Brüssel!

    • Rücknahme der Gehaltserhöhungen, Offenlegung der Finanzlage für alle Mitglieder, Durchschnittsgehalt für alle Funktionäre!

    • Urabstimmung über den Sitz der Zentrale nach Vorlage aller Kostenrechnungen

    Alle hauptamtlichen Funktionäre müssen sich sofort Bereiche suchen, die sie betreuen bzw. neu organisieren wollen, natürlich mit Zustimmung der dortigen ver.di-Mitglieder. Es darf keinen Hauptamtlichen ohne direkten Kontakt zur und direkter Verantwortlichkeit gegenüber der Basis geben!

    Ziel muss sein, Organisationsgrad, Flächendeckung und Kampfkraft zu erhöhen, und nicht wie in den jetzigen Plänen, von Mitgliederverlust auszugehen und entsprechende Anpassungen auszurechnen.

     

     



     

     

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