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EU-Dienstleistungsrichtlinie

Lohndrücker Bolkestein

Peter Lenz, Neue Internationale 98, März 2005

Zuletzt wurde bekannt, dass über 26.000 Schlachterei-ArbeiterInnen in Deutschland ihren Job verloren haben. Die Gewerkschaft NGG schreibt dazu: "Jüngstes Beispiel ist der Schlachthof Oldenburg: Eigenen Arbeitnehmern, deutschen Lohnschlachtern wurde im September/Oktober gekündigt, für die Zeit von November 2003 bis Oktober 2004 wurde ein Kontingent von 75 Arbeitnehmern beantragt. Begründung: Auf dem deutschen Arbeitsmarkt gibt es keine Fachkräfte. Kontingentarbeitnehmer würden ihre Leistungen wesentlich günstiger anbieten."

Auch Beschäftigte in Schlachthöfen in Holland und in Dänemark werden unter Druck gesetzt, auf Tarifleistungen zu verzichten, weil Schlachten und Zerlegen aufgrund der osteuropäischen Kontingentarbeitnehmer in Deutschland am kostengünstigsten ist.

Für Teile der Arbeiterklasse ist die Liberalisierung von Dienstleistungen schon heute zur reinen Existenzbedrohung geworden. Sie wird beim Versuch, ihre Arbeitskraft zu verkaufen, in direkte Konkurrenz zu ArbeiterInnen anderer Länder genötigt. Diese sind durch die Arbeitslosigkeit in ihren Herkunftsländern dazu gezwungen, sich woanders einen Job zu suchen. Dabei arbeiten sie für Hungerlöhne, werden aufs Übelste unterdrückt und leiden unter haarsträubenden Bedingungen.

Nach den Hartz-Gesetzen und insbesondere den Ein-Euro-Jobs ist die EU-"Dienstleistungsrichtlinie" (auch "Bolkestein-Erlass" genannt) ein weiterer massiver Angriff auf die Lohnabhängigen. Sie richtet sich gegen Tarifverträge, Arbeitsbedingungen und Rechte der Arbeitenden und in letzter Instanz auch gegen Erwerbslose, weil "Normal-Jobs" massiv vernichtet werden. Wer aus einem Billigjob in die Arbeitslosigkeit fliegt, ist natürlich noch schlechter dran als jemand, der vorher "normal" verdient hat.

Kern des Bolkestein-Erlasses ist, dass Kapitalisten künftig Arbeitskräfte, die sie zu den Konditionen der Herkunftsländer eingekauft haben, europaweit "nutzen" können. Der Entwurf sieht vor, den europäischen Binnenmarkt für Dienstleistungen vollständig zu liberalisieren. "Die geplante Richtlinie sieht ein Herkunftslandprinzip vor, nach dem Firmen, die in Deutschland z.B. Baudienstleistungen anbieten, nicht mehr nach deutschem, sondern nach dem Recht des Landes behandelt würden, in dem der Firmensitz ist. Das hieße, dass weder das hiesige Tarifrecht noch das Steuer- oder das Sozialversicherungsrecht, sondern immer das Recht des jeweiligen Herkunftslandes gilt. Viele Dinge, die wir eingeführt haben, um einen Dumpinglohnwettbewerb zu verhindern, würden nicht mehr gelten. Selbst ältere EU-Richtlinien würden ausgehebelt." (Rainer Knerler, Geschäftsführer des Bezirksverbandes Berlin der IG BAU, in der jw).

Fatal ist zudem, dass die Einhaltung der jeweiligen Landesrichtlinien von Behörden der Herkunftsländer kontrolliert werden soll. Konkret heißt das dann z.B., dass rumänische Beamte deutsche Baustellen kontrollieren, was de facto unmöglich ist. So können nicht nur deutsche Tarifstandards unterwandert werden, es ist noch nicht einmal möglich, die Einhaltung der viel niedrigeren Standards etwa Rumäniens zu sichern.

Schröder gegen Bolkestein?

Hat Rot/Grün bisher vorbehaltlos diverse neoliberale Projekte durchgesetzt, so scheint Schröder jetzt einen Kurswechsel vorgenommen zu haben. Mitte Februar wurde er bei EU-Kommissionspräsident Barroso vorstellig. Was ist der Hintergrund?

An der "Bolkestein-Doktrin" gibt es zunehmend Kritik. Meist wollen die Betroffenen Ausnahmeregelungen für ihre jeweiligen Berufsgruppen erreichen, so für Lehrer, Rechtsanwälte, Architekten usw. Dabei geht es um die Verteidigung ständischer Privilegien, von auf nationaler Ebene festgelegten "Gebührenordnungen" und Reliquien wie der "Handwerksrolle" und dem "Meisterprivileg". Da ist jetzt natürlich auch die kleinbürgerlich-mittelständische Klientel der Grünen betroffen.

Bolkestein leitet eine Dynamik ein, die dazu führt, dass der jeweils schlechteste Standard sich bei Arbeitszeit, Lohn und rechtlichen Absicherungen durchsetzt. Sollte die Bolkestein-Linie unverändert zum EU-Gesetz werden, so würden quasi auf kalte Weise tarifliche Standards ausgehebelt werden.

Man kann sich auch lebhaft vorstellen, dass gewerkschaftliche Organisierung oder gar ein Streik z.B. auf dem Bau viel schwerer durchsetzbar sind, wenn jede Woche die Belegschaft wechselt, ein geradezu babylonisches Sprachgewirr herrscht und viele ausländische KollegInnen ihre Rechte noch nicht einmal kennen.

Gerade auch reformistische Strömungen, nicht zuletzt in den Gewerkschaften, beziehen jetzt in höchst "patriotischer" Weise Stellung gegen den Bolkestein-Erlass. Sie appellieren an die "Vernunft" und an den "Patriotismus" der Unternehmer. Appelle, die ebenso fruchtlos wie lächerlich sind. Auch in der "Linken" gibt es Stimmen, die eine "Verteidigung der nationalen Grundlagen der Produktion" sowie eine Verteidigung "unseres Sozialstaates" fordern.

SPD-Schröder, aber auch BCE-Schmoldt und DGB-Sommer wollen dies auch - den "Sozialstaat", wenn auch in "reduzierter" und "umgebauter" Form gegen die "amerikanische Variante" verteidigen. Freilich nicht aus Nächstenliebe, sondern weil sie ihre soziale Basis in Proletariat und Mittelschichten nicht komplett verprellen wollen.

Wasser auf die Nazi-Mühlen

Erlasse wie jener Bolkesteins treiben die Leute geradezu der NPD in die Arme. Sie weiß, dass die deutschen Beschäftigten, von Arbeitslosigkeit bedroht oder schon erwerbslos sind, die konkurrierenden ArbeiterInnen oft als Existenzbedrohung ansehen. Genau dieses Bedrohungsszenario will das Kapital auch aufbauen, es will die Konkurrenz innerhalb der Lohnabhängigen schüren und geradezu einen Run auf Billigjobs erzeugen.

Doch trotz allen Getönes der Nazis "Deutsche Arbeitsplätze nur für Deutsche" - am System der Lohnsklaverei wollten sie noch nie etwas ändern. Gegen Ausbeutung von ArbeiterInnen durch deutsches Kapital, wenn es zudem noch "schaffend" ist, haben sie noch nie etwas gehabt.

Arbeiterbewegungen, die sich mit ihren eigenen "patriotischen" Ausbeutern verbünden, würden ihre Verbindungen mit ihren Klassenbrüdern und -schwestern unterminieren und stünden so den Angriffen politisch und organisatorisch geschwächt, wenn nicht wehrlos, gegenüber.

Nur durch europaweit koordinierte Aktionen können die Mega-Konzerne, aber auch die vielen mittleren und kleinen Kapitale daran gehindert werden, Löhne und Arbeitsbedingungen zu verschlechtern, die Rechte oder sogar die Existenz gewerkschaftlicher und betrieblicher Organisationen zu zerstören und die sozialen Sicherungssysteme auszuhebeln.

Wir treten für die Ausdehnung der besten Sozialleistungen auf alle EU-Länder und für eine gemeinsame Kampagne zur Verkürzung der Arbeitszeit ohne Lohnverlust und für die Einführung eines EU-weiten Mindestlohns ein!

Wir müssen direkte Verbindungen zwischen den Gewerkschaften und den Belegschaften in der EU und der ganzen Welt aufbauen, so dass wir nicht mehr gegeneinander ausgespielt werden und gemeinsam gegen die Angriffe der Unternehmer auf die verschiedenen Standorte vorgehen können.

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Nr. 98, März 2005

*  Nein zum Europa des Kapitals! Für ein sozialistisches Europa!
*  EU-Dienstleistungsrichtlinie: Lohndrücker Bolkestein
*  Baskenland: Stoppt die Repression!
*  Siemens: Entlassungen trotz Rekordgewinn
*  Heile Welt
*  Politisch-ökonomische Perspektiven: 2005 - ein Jahr der Entscheidung?
*  Kritik des ASG-Programms: Reformistischer Wunschzettel
*  Soziale Unterdrückung: ASG und Frauenbefreiung
*  ASG-Spitze: Hände weg von den Linken!
*  SAV-Programmvorschlag für die ASG: Alternative oder Flickwerk?
*  Wahlfarce im Irak: Divide et impera