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Wahlalternative

Der lange Schatten der SPD

Frederik Haber, Neue Internationale 96, Dez 2004/Jan 2005

6000 Mitglieder, die Weichen für die Parteigründung gestellt, die NRW-Wahlen im Blick - die Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit hat sich auf ihrer Bundesdelegierten-Konferenz in Nürnberg dynamisch und zukunftsorientiert präsentiert. In starkem Kontrast dazu aber stehen die Zweifel, die viele Delegierte im Gespräch äußerten, sowie die Konfusion und großen Unterschiede hinsichtlich der politischen Orientierung.

Diese zeigen sich schon in den Anträgen und den Beiträgen zum Programm. Letztlich wurden aber die meisten Anträge an den Länderrat aus Bundesvorstand und Vertretern der Landesvorstände weitergeleitet. Die Programmdebatte wurde ebenfalls vertagt. Das vorläufige Programm des Vorstandes soll aber die rechtlichen Voraussetzungen zur NRW-Wahl schaffen und dürfte damit auch gleich die Gleise legen, auf denen dann die Programmdebatte fährt. Die offizielle Parteigründung soll Ende April in NRW vollzogen werden.

Mitgliedschaft

Die Zusammensetzung der WASG stellte sich in Nürnberg so dar: Einerseits gibt es die mittleren GewerkschaftsfunktionärInnen, darunter viele hauptamtliche. Sie haben die erste organisatorische Arbeit geleistet und dabei auch aufgepasst, dass nichts außer Kontrolle gerät. Für die programmatische Arbeit haben sich Ernst, Händel und Co. Joachim Bischoff und andere geholt, die seit Jahren versuchen, Abnehmer für ihre Vorschläge zur Rettung des Kapitalismus zu finden.

Es gibt viele ehemalige und Noch-Linke verschiedenster Herkunft, viele von ihnen waren in den letzten Jahren nicht aktiv und hoffen, endlich ein Betätigungsfeld zu finden. Die meisten wünschen sich eine ausgewiesen linke Partei und alle Beiträge, die in irgendeiner Form nach sozialistischer Perspektive verlangten, hatten ein gutes Drittel der Delegierten hinter sich. Große Unklarheit herrscht aber in der Frage, wie eine solche Perspektive konkret umzusetzen sei.

Die dritte Gruppe besteht aus wild gewordenen Kleinbürgern aller Art, die entweder die ganze Truppe für ihr privates Konzept zur Weltverbesserung einspannen wollen oder aber allen Unsäglichkeiten der "Basisdemokratie" nachhängen. Letzteres fängt damit an, dass sie die einfachste demokratische Übung, zum Thema zu reden, nicht einhalten, geht über imperatives Mandat - was jede Konferenz überflüssig machen würde, da keiner seine Meinung ändern dürfte - bis zur Forderung, dass niemand ein Mandat annehmen dürfte, der schon eines, z.B. in den Gewerkschaften, hat.

Dieses Gehabe erinnert stark an die Grünen, seinen eigentlichen Impuls erhält es aber aus der Weigerung der führenden Truppe um Ernst, wirklich mit der Politik der Sozialdemokratie zu brechen. Wer zurück zur Politik der SPD früherer Jahre will, erhält die letztlich hilflose Antwort auf die damalige Politik der SPD - die Grünen - gleich mitgeliefert.

Drei von vier geschäftsführenden Vorstandsmitgliedern haben es in ihrem Bericht geschafft, sich nach links abzugrenzen, während ihre Offenheit nach rechts sehr weit ging. Das findet seinen Ausdruck in dem Begriff "Sozialstaatspartei", wie vor allem Klaus Ernst gerne das Projekt definiert haben möchte. Was auf den ersten Blick als übervorsichtiger bürokratisch formulierter Versuch erscheint, sich angesichts des Generalangriffs des Kapitals auf der anderen Seite, also der Arbeiterklasse, zu positionieren, entpuppt sich im Gegenteil schnell als Versuch, "wohlmeinende" Vertreter des Kapitals zu gewinnen.

Aufschlussreich ist ein Antrag aus Hamburg-Süd, dort wo Joachim Bischoff und seine Freunde aus der Redaktion der Zeitung "Sozialismus" sitzen: "Wir lehnen diesen bewusst und gezielt verengenden Begriff ( Neue Links-Partei) ab. (...) Der unabänderliche Verfassungsgrundsatz des Sozialstaates wird praktisch von keiner sog. Volkspartei mehr verteidigt. (...) Das heißt, dass sogar der Verfassungskonsens von den herrschenden politischen Parteien verlassen wird. Die Verfassung hat die Identität dieses Staates geprägt. (...) Auf diese Identität waren ursprünglich Christen, Sozialisten, Liberale, Freidenker und Gewerkschafter und viele andere verpflichtet. (...) Die Wahlalternative hat die Aufgabe, dieses 'heimatlose Erbe' anzutreten und nimmt damit eine Aufgabe wahr, die für den realen Bestand unserer Verfassung von zentraler Bedeutung ist."

Neutraler Staat?

Im weiteren Text werden dann jene 50% der Bevölkerung als Zielgruppe der WASG definiert, die zur Wahlenthaltung tendieren. Das sind "Konservative ebenso wie Christen, Sozialdemokraten ebenso wie linke Gewerkschafter". Ganz in der Logik dieses Textes wird weiter festgestellt, dass diese Kreise nicht durch eine Links-Partei mobilisiert werden könnten, weshalb man sich gegen eine Verengung der Partei durch entsprechende Programmatik und Praxis ausspricht.

Es ist kein Wunder, dass die Anhänger einer solchen Orientierung mit Hass auf unseren Programmvorschlag reagieren, der klar benennt: "die eigentliche Macht im Staat liegt nicht beim Parlament, sondern bei der Exekutive, einer ungewählten und nur formal kontrollierten polizeilichen, militärischen und bürokratischen Maschinerie, die fest mit den kapitalistischen Eigentumsverhältnissen und der Bourgeoisie als Klasse verbunden ist." (eingebracht von GenossInnen und UnterstützerInnen der Gruppe Arbeitermacht.)

Hunderttausende sind in den letzten beiden Jahren aktiv geworden, haben demonstriert und gestreikt, oft zum ersten Mal in ihrem Leben. Sie fragen sich heute, warum sie nur so wenig verhindern konnten und wie der Kampf weitergehen soll. Das muss die Zielgruppe einer neuen Partei sein, nicht die überflüssig gewordenen linken Flügel von FDP oder CDU/CSU!

Die Gründung der WASG ist eine Antwort auf den "Verrat" der SPD. Aber der Verrat besteht nicht im Verlassen eines "Verfassungskonsenses", sondern im Durchsetzen der Interessen des Kapitals, einer Minderheit in der Gesellschaft gegen die Mehrheit. Dabei stützt sich das Kapital auf seine Macht über die Produktionsmittel und den bürgerlichen Staat. Der Verrat der SPD besteht darin, dass sie anerkennt, dass alles den Interessen des Kapitals untergeordnet werden muss und dass der Staat dabei helfen muss.

Programmatische Alternative

Wenn der Kampf gegen den Generalangriff des Kapitals eine Zukunft haben soll, dann muss eine breite Bewusstseinsbildung darüber einsetzen, dass wir uns nicht den Interessen des Kapitals in Form von "Standortpolitik" und "Wettbewerbsfähigkeit" verschreiben dürfen und dass dieser Staat der des Kapitals ist. Der Verrat der SPD beinhaltet im Grunde genommen die Beteiligung am "Verfassungskonsens", der genau diese Verhältnisse verschleiern soll.

Wenn die WASG-Spitze heute die Illusionen in Staat und Verfassung, welche die SPD jahrzehntelang genährt hat, weitertragen will, wird sie die Hunderttausenden, die eine politische Orientierung suchen, genauso enttäuschen wie deren Hoffnung auf eine kämpferische Partei. Auch in diesem Fall werden die Menschen früher oder später das Original der Nachbildung vorziehen.

Wir haben mit unserem Programmvorschlag eine Alternative formuliert. Wir haben dargestellt, wie die berechtigten Forderungen der Klasse - und bei diesen haben wir ja durchaus viele Gemeinsamkeiten mit den meisten Mitgliedern der WASG - mit Aktionen und dem Aufbau von Machtorganen gegen das Kapital durchgesetzt werden können. Das erscheint vielen unrealistisch, ganz besonders die "Arbeitermilizen", die wir dabei erwähnen:

"Dieses Programm ist in seiner Gesamtheit nur durchsetzbar von einer Arbeiterregierung, die sich auf Kampforgane der Arbeiterbewegung, auf Fabrik- und Stadtteilkomitees, auf Arbeitermilizen und Räte stützt und willens und fähig ist, die bürokratische Staatsmaschine zu zerbrechen und durch ein rätedemokratisches System zu ersetzen. Solche Räte stellen nicht nur ein Kampfmittel gegen das herrschende System dar; sie sind zugleich auch die Form, in der die Arbeitenden die Gesellschaft selbst demokratisch verwalten und die Wirtschaft gemäß den Bedürfnissen der Produzenten planen können."

Wir könnten polemisch antworten, ob z.B. Hartz IV vielleicht realistischer durch eine bundesweite Unterschriftensammlung gegen den "Staatsstreich von oben" (Landesvorstand WASG Bayern) gestoppt werden könnte. Aber es geht nicht um Rechthaberei.

Diejenigen in der WASG, die sich selbst schon in gut sozialdemokratischer Tradition an die Verfassung und den Staat binden, welche die "neoliberalen Irrtümer" bekämpfen wollen, weil sie den Kapitalismus nicht angreifen wollen, oder gar "unsere Wirtschaft wieder zum Laufen bringen wollen", werden revolutionäre Positionen auch dann angreifen, wenn die Mehrheit der Arbeiterklasse dafür ist.

Aber viele Linke in der WASG fragen sich, wie denn einerseits eine linke Kraft massenhaften Zuspruch erhalten soll und andererseits diese Partei selbst "sozialistisch" oder "antikapitalistisch" werden kann. Deren Frage nach dem "Realismus" unseres Programms nehmen wir sehr ernst. Auch für die Linke in der WASG geht es darum, sich aus der Tradition der Sozialdemokratie zu befreien.

Die Linke in der SPD hat sich letztlich immer den "Sachzwängen" untergeordnet: Der Notwendigkeit, Stimmen zu sammeln, um an die Regierung zu kommen; der Regierungsbeteiligung, um die CDU/CSU zu verhindern; der Zustimmung zu Einschnitten, um Schlimmeres zu verhindern ... Als Ausgleich durfte dann ab und zu, am liebsten in historischen Zusammenhängen, vom demokratischen Sozialismus geschwärmt werden.

Wir meinen, eine Partei muss politische Führung sein und Orientierung geben. Sie darf sich nicht an den rückständigen Teilen der Bewegung orientieren, sondern muss diese gewinnen, mit der Avantgarde zu marschieren. Mit verbrämtem Politiker-Deutsch und Verfassungstreue kann man versuchen, bei Sabine Christiansen nicht so hart abgestraft zu werden. Wenn wir jedoch diejenigen gewinnen wollen, denen Hartz IV und die Arbeitsplatzabbau-Welle des Kapitals heute die Existenz raubt oder die Zukunft verbaut, brauchen wir eine klare Sprache: welche Gegner wir haben, worauf ihre Macht beruht und wie wir sie ihnen entreißen können.

Wenn die WASG und ihre Vertreter in allen Kämpfen gegen die Agenda an vorderster Front stehen, werden sich auch diejenigen mit ihrem Programm und ihrer Politik auseinandersetzen, die dies heute noch für utopisch halten.

Revolutionäre Plattform

Wir schlagen allen, die an diesen Punkten ähnlich denken, vor, eine revolutionäre Plattform in der WASG zu bilden, um die Debatte unter uns zu organisieren und in die Partei hineinzutragen.

Wir sollten uns aber zugleich in die "Parteifrage" einmischen. Die Geschichte ist die Geschichte von Klassenkämpfen und für diese Kämpfe bilden Klassen ihre Parteien. Gegen den Generalangriff des Kapitals brauchen die abhängig Beschäftigten und die Erwerbslosen eine neue Arbeiter-Partei. Das muss nicht der Name sein, wohl aber der Charakter dieser Organisation. Linkspartei waren auch mal die Grünen. Sie haben sich von einer linken kleinbürgerlichen zu einer rechten bürgerlichen Partei entwickelt. Die Anhänger der "Sozialstaats"-Partei stehen im Schatten der Godesberg-SPD und weigern sich, aus ihm heraus zu treten. Wir sind angetreten, dieses Kapitel zu beenden, nicht zu verlängern.

 

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Nr. 96, Dez 2004/Jan 2005

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*  Gewerkschaftsopposition und revolutionäre Partei: Neuer Anspruch
*  Slowakei, Streik bei Neusiedler: Papierstau im Sweatshop
*  17. November in München: Ver.di-Aktionstag
*  Wahlalternative: Der lange Schatten der SPD
*  Linksruck in der Wahlalternative: Links ruckt in die Mitte
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*  Gesundheitsreform: OP gelungen, Patient tot
*  Rechtsextremes Wahlbündnis: Nazi-Partei stoppen!
*  Statt eines Nachrufs: Wer war Arafat?
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