Arbeitermacht
Liga für die fünfte Internationale

Nord & Südamerika Europa Asien & Australien


google.de arbeitermacht.de

Wirtschaftstheorie

Alternative Keynes?

Gerald Waidhofer, Neue Internationale 92, Juli/August

Seitdem immer größere Teile der Arbeiterklasse von der SPD abrücken, suchen Teile des Gewerkschaftsapparates nach einem neuen linksreformistischen Projekt, das in Form der "Wahlalternative" inzwischen Gestalt annimmt. Ihre politische Ausrichtung ist durch eine starke Orientierung auf den Keynesianismus gekennzeichnet. Was ist darunter zu verstehen?

1935 erschien in England die "Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes" von John Maynard Keynes. Der Bedarf nach einer solchen Theorie entstand vor allem durch den Schock der Weltwirtschaftskrise Ende der 1920er Jahre. Angebot und Nachfrage waren in massivem Ungleichgewicht. Die Bourgeoisie verlor ihr Vertrauen in die Selbstheilungskräfte des Marktes. Sie hatte Angst vor einem Zusammenbruch des Kapitalismus und einem antikapitalistischen Umsturz und suchte nach einem Ausweg.

In diesem Klima fielen die Theorien von Keynes auf fruchtbaren Boden. Ihre Grundannahme war, dass die kapitalistische Welt rational handeln könne - wenn sie dazu eine weise und gutwillige Regulierung hätte.

Keynes Erklärung

Gegenüber dem Sayschen Gesetz, das ein Gleichgewicht zwischen Käufen und Verkäufen annimmt und davon ausgeht, dass ein Angebot eine ihm entsprechende Nachfrage hervorrufe, hielt Keynes die "effektive Nachfrage" für das zentrale Problem. Da das Angebot nicht zwangsläufig seine eigene Nachfrage erzeugt, seien Eingriffe in den Markt nötig. Diese Eingriffe der Regierung könnten sich zwar gegen einzelne Kapitalisten richten, lägen dafür aber im Gesamtinteresse der Kapitalistenklasse.

Ziel und Objekt allen Wirtschaftens ist für Keynes der Konsum. Nimmt die Nachfrage zu, dann - so Keynes - steigt die Beschäftigung; nimmt sie ab, sinkt die Beschäftigung und eine Krise tritt ein.

Um eine Krise zu vermeiden, sei also der "Hang zum Verbrauch" zu steigern - über die Steuern, die Zinsen, eine Investitionslenkung und notfalls durch Verstaatlichung. Da die Steigerung des Verbrauchs wesentlich von einer Steigerung des Einkommens abhänge, plädiert Keynes dafür, einer stagnierenden Wirtschaft durch Vollbeschäftigung zu begegnen, um die Nachfrage wieder zu verbessern.

Als zusätzliche Variable fügt Keynes noch den "Anreiz für Investition" hinzu. Daraus ergebe sich dann ein wirtschaftliches Gleichgewicht, wenn die Nachfrage dem Einkommen entspricht und die Ersparnis der Investition. Wenn jedoch die Investitionen im Verhältnis zu den Ersparnissen geringer werden, sinken die Nachfrage und die Einkommen und die Arbeitslosigkeit steigt wieder. Um die Investitionsrate und die Verbrauchsneigung zu unterstützen, sei dann eine staatliche Intervention erforderlich.

Keynes grundsätzlicher Anspruch ist die Verwandlung wirtschaftlicher Zyklen in einen Daueraufschwung und damit die Abschaffung wirtschaftlicher Schwankungen durch Geldpolitik und staatlich gesteuerte Nachfrage. In einer Depression bedeutet das bewusste Inkaufnahme eines staatlichen Haushaltsdefizits. In der Periode wirtschaftlichen Aufschwungs wäre eine höhere Besteuerung nötig, mit der das Defizit wieder ausgeglichen werden kann.

Im Zuge der Regulierungen von Inflation und Deflation durch den Zinssatz entdeckte Keynes u.a. auch eine Möglichkeit, den Widerstand gegen Lohnsenkungen zu verringern, wenn anstelle des Geldlohnes der Reallohn gesenkt wird.

Was Keynes vorschwebte, war eine Überführung des "freien Kapitalismus" in einen "kontrollierten Kapitalismus".

In der Phase des langen Nachkriegsboom funktionierten seine Rezepte auch einigermaßen. Der Grund dafür liegt aber nicht in den "Wunderwirkungen" einer besonders klugen Wirtschaftspolitik, sondern in den besonderen historisch Voraussetzungen nach dem Zweiten Weltkrieg.

Die Neuordnung des Weltmarktes unter US-Führung, die hohe Ausbeutungsrate der Arbeiterklasse sowie die massive Kapitalvernichtung durch den Krieg - also allesamt Resultate vorhergehender Klassenkämpfe - hatten die Grundlage für eine längere Expansionsphase geschaffen. Diese waren die Voraussetzungen für die Schaffung des "Sozialstaates" in den imperialistischen Metropolen und für die "Erfolge" des Keynesianismus.

Scheitern

Spätestens mit der Ölkrise 1973 aber war damit Schluss. Gerade, als sich die keynesianische Wirtschaftspolitik hätte bewähren sollen, versagte sie. In den 1980ern geriet diese Theorie deshalb dann auch zunehmend in Misskredit durch die Neoliberalen.

Der Versuch, die gegenwärtige Krise des Kapitalismus durch eine Neuauflage des Keynesianismus zu lösen, ist aus mehreren Gründen illusionär. Einmal bewegt er sich im Rahmen des Nationalstaats. Dieser sieht sich aber einer immer globaleren, international verzweigteren Weltwirtschaft gegenüber.

Jede nationalstaatliche Intervention läuft zwangsläufig teilweise ins Leere, wenn das Kapital sich lukrative Anlagemöglichkeiten an anderen Orten der Welt sucht oder die Schwankungen des internationalen Finanzmarktes jegliche nationale Regelung torpedieren.

Das Kapital zerfällt in konkurrierende Sektoren (Branchen, Konzerne, Nationalstaaten usw.) und muss darum auch jede kurzfristige Möglichkeit der Renditeoptimierung nutzen, um konkurrenzfähig zu bleiben.

Von einem rationalen, dem "Gesamtinteresse" des Kapitals verpflichteten Handeln der Kapitalisten kann also keine Rede sein.

Woher kommt die Krise?

Der Hauptfehler des Keynesianismus war und ist, nicht von der Produktion von Kapital auszugehen. Eine Wirtschaftskrise verlangt aber vor allem eine Lösung im Produktionsbereich, weil es nicht einfach um den Verkauf von Waren geht, sondern um den Verkauf von Waren, um Profit zu schaffen.

Die Konkurrenz treibt die Umwälzung der Produktion immer weiter voran. Der Anteil der lebendigen Arbeit sinkt mehr und mehr im Verhältnis zu den Auslagen für konstantes Kapital (Maschinen, Rohstoffe, ...).

Damit sinkt aber auch die Profitrate - also das Verhältnis von investiertem Kapital zum Gewinn -, da nur die lebendige Arbeit Mehrwert für das Kapital schafft. Jeder Kapitalist bzw. die Kapitalistenklasse in ihrer Gesamtheit muss in dieser Lage nach Wegen suchen, die Profitrate wieder zu erhöhen - durch Verschärfung der Ausbeutung, Erhöhung der Produktivität usw. Gleichzeitig verschärft sich die Konkurrenz unter den Kapitalen.

Das Kapital fließt nicht mehr in die Ausdehnung der Produktion, sondern in Aufkauf, Rationalisierung oder Spekulation. Die Mittel, welche die Profitabilität wiederherstellen sollen, führen früher oder später zur Vertiefung der Krise, zum weiteren Fall der Profitrate.

Die Anhänger des Keynesianismus stehen dieser Entwicklung mit komplett untauglichen Mitteln gegenüber. Sie hoffen, das "investitionsscheue" Kapital durch allerlei "Anreize" zu ködern; sie hoffen, die Krise durch Hebung der Kaufkraft abzufangen und so die Wirtschaft zu beleben. Sie bekämpfen die Symptome, ohne die Ursachen der Krise anzutasten.

Eine solche Politik, den Kapitalismus auf Basis des Kapitalismus retten zu wollen, erweist sich für beide Hauptklassen der bürgerlichen Gesellschaft als unnütz. Die Kapitalisten haben die keynesianische Doktrin längst über Bord geworfen und durch ein "neoliberales" Angriffsprogramm ersetzt.

Sie haben längst ihren Kampf um eine Neuaufteilung der Welt begonnen, für die sie vor allem auch die Arbeiterklasse hierzulande angreifen müssen.

Für die Arbeiterklasse gibt es noch viel weniger Grund, den veralteten, untauglichen Rezepten des "linken" Flügels der Bourgeoisie und ihrer sozialdemokratischen Gefolgsleute hinterher zu laufen.

Nicht "bessere Regulierung der Marktwirtschaft" oder ähnliche Phrasen dürfen unser Ziel sein - sondern der revolutionäre Sturz des Kapitalismus!

Leserbrief schreiben   zur Startseite

neue internationale
Nr. 92, Juli/August 2004

*  Arbeitszeitverlängerung: Keine Sekunde länger!
*  Arbeitszeitverlängerung bei Siemens: Vermeidbare Niederlage
*  Ausbildungsplatzumlage: Ausbildung für alle!
*  Heile Welt
*  Arbeitskampf bei FIAT Melfi: Basis erzwingt Schritt vorwärts
*  Vor 20 Jahren in Britannien: Bergarbeiterstreik
*  Palästina: Keine Hoffnung in den Imperialismus!
*  (Anti)Deutsche Demo: Rassisten marschieren
*  Wirtschaftstheorie: Alternative Keynes?
*  Wahlalternative: Wahlverein oder Kampfpartei?




Zu dieser Broschüre

Kampfpartei oder nur Wahlverein?

Exkurs: Arbeiterparteitaktik

Anhang: Linksruck auf Rechtskurs

Alternative Keynes?

Das Wunder der Binnennachfrage

Der lange Schatten der SPD

Für ein revolutionäres Programm!