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Sarah Wagenknecht und das “Gastrecht”

Ein Ausrutscher?

Jürgen Roth, Neue Internationale 206, Februar 2016

DIE LINKE hält Gesetzesverschärfungen nach den Ereignissen der Silvesternacht für unnötig. Die Innenexpertin der Fraktion Ulla Jelpke, auf dem linken Parteiflügel angesiedelt, erklärte, die gesetzlichen Grundlagen lägen längst vor. Die aktuellen Forderungen hätten nichts mit dem dringend nötigen Schutz für Frauen zu tun, „sondern sind auf die Erweiterung der Abschiebemöglichkeiten gerichtet“. (ND, 12.1.2016)

Die Bundestagsfraktionsvorsitzende Wagenknecht stimmte der Forderung nach konsequentem Vorgehen gegen straffällige Migranten allerdings zu: „Wer Gastrecht missbraucht, der hat Gastrecht eben auch verwirkt“, meinte sie am 11.1. in Berlin. Ihr Co-Vorsitzender Dietmar Bartsch widersprach der Forderung nach Gesetzesverschärfungen, beklagte aber ein Vollzugsdefizit. Zu den Übergriffen in Köln sagte er: „Wer so etwas macht, der muss auch da, wo es möglich ist, abgeschoben werden.“ Eine Abschiebung nach Syrien nahm er jedoch aus.

Innerparteiliche Diskussion

Die rechtspolitische Fraktionssprecherin, Halina Wawzyniak, meinte, eine Verletzung des Gastrechts sei gesetzlich nicht geregelt und daher nicht „justiziabel“. Der Spitzenkandidat der LINKEN für die Landtagswahl in Sachsen-Anhalt, Wulf Gallert, widersprach Wagenknecht: „Die Formulierung legt nahe, dass das Asylrecht ein Ersatzstrafrecht ist, das man entsprechend anwenden kann, um Leute abzuschieben…das kann keine linke Haltung sein.“

Das sollte er mal seiner Doppelspitze in der Bundestagsfraktion erzählen. Bartsch und Wagenknecht sind sich ja im Prinzip über ein „Ersatzstrafrecht“ einig, außer bei der Rückführung nach Syrien. Bartschs Bemerkung von einem „Vollzugsdefizit“ schreit zudem gerade nach mehr Polizei und Justiz. Forderungen wie diese, also nach Verstärkung des staatlichen Repressionsapparats, sind in der LINKEN durchaus verbreitet.

Bundesgeschäftsführer Höhn, der verteidigungspolitische Sprecher Jan van Aken und die Innenpolitikerin Martina Renner kritisierten Wagenknechts Statement ohne Wenn und Aber, blieben jedoch im kleinen Kreis der „üblichen Verdächtigen“ aus Angehörigen des Reformerlagers und zwei unabhängigen Abgeordneten.

In einem Interview mit „Spiegel Online“ erklärte Sahra Wagenknecht: „Wir können nicht jedes Jahr eine Million Menschen aufnehmen.“ Zudem sprach sie sich wie Oskar Lafontaine für europäische Flüchtlingskontingente aus. Daraufhin fasste der Parteivorstand einen Beschluss, wonach Asyl ein Grundrecht sei, das nicht durch Obergrenzen und Kontingente eingeschränkt werden dürfe. Dieser Beschluss, die zahlreich vorgetragene Kritik an Wagenknecht (und Lafontaine) sowie die Asylpolitik des Parteivorstandes mag viele Linke inner- wie außerhalb der Partei zufriedenstellen, doch wie steht es grundsätzlich um den linksreformistischen „Antirassismus“?

Und die Kritik?

Würden Wagenknecht und Co. einen Belgier, der in Deutschland eine Bank ausraubt, zur Abschiebung freigeben? Wohl kaum, und deswegen ist Wagenknechts Position sozialchauvinistisch bzw. sozialrassistisch! Das Kind nennt aber keine der Kritiken beim Namen. Am „Gastrecht“ wird bemäkelt, es sei nicht „justiziabel“. Dass aber die vielen Geduldeten und Flüchtigen neben anderen MigrantInnen eben nur „Gäste“ bleiben, also keine vollen staatsbürgerlichen Rechte genießen sollen, damit nicht zur einheimischen Bevölkerung gehören sollen, beklagt niemand.

Sondergesetzgebung wie Asyl- und Ausländerrecht sind für diese KritikerInnen in Ordnung. Revolutionäre KommunistInnen fordern dagegen ihre Abschaffung, uneingeschränkte staatsbürgerliche Rechte für alle, die hier bleiben wollen, nicht nur ein Bleiberecht. Ohne vollständigste Demokratie ist eine Einheit der arbeitenden Klasse einschließlich der Zugewanderten unmöglich. DIE LINKE hat prinzipiell nichts gegen diesen Staat und seine (Grund-)Rechte, diesen deutschen Imperialismus einzuwenden. Sie biedert sich vielmehr als Partei des „sozialen Ausgleichs“ an, der nicht zu viele MigrantInnen verträgt, bei dem gerade der unterdrückteste Teil der Bevölkerung außen vor bleibt. Das ist das Wesen des Sozialchauvinismus - nicht nur in der Flüchtlingsfrage.

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Nr. 206, Februar 2016
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