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Lage der Frauen in Brasilien

Kleine Erfolge, große Probleme

Interview mit Rachel Silva, Liga Socialista, sympathisierende Gruppe der LFI

Neue Internationale (NI): Kannst Du uns einen Überblick über die soziale Lage der Frauen in Brasilien geben?

Rachel (R): Lt. Statistik sind 46,1% der Frauen berufstätig. Davon haben 45,4% eine offizielle Anstellung. Frauen stellen aber nur in der öffentlichen Verwaltung und in der Hausarbeit eine Mehrheit. In allen  anderen Sektoren sind sie, trotz eines verbesserten Zugangs zu Bildung, noch in der Minderheit.

Frauen verdienen immer noch weniger als Männer, im Schnitt 72,3 % der Einkommen von Männern. Dieser Anteil variiert nach Schulbildung und Beschäftigungssektor. Im Gegensatz dazu ist die Arbeitszeit der Frauen in quasi allen Sektoren niedriger.

NI: Wie steht es um die Kinderbetreuung, Kindergärten usw.? Wie ist die Arbeitsteilung und welche Rollen haben Mann und Frau im Haushalt?

R: Die Versorgung mit Kindergärten ist mangelhaft, die föderale Regierung hat aber Programme angekündigt, um die Versorgung zu verbessern. Es gibt private Kindergärten, deren Zugang für Frauen aus der Arbeiterklasse mit niedrigerem Einkommen jedoch schwierig ist, denn die Gebühren sind hoch. Die öffentlichen Kindergärten, die weniger kosten, bieten nicht immer adäquate Betreuung an, und darüber hinaus gibt es eine ganztägige Betreuung nur für Kinder zwischen 0 und 4 Jahren.

Ganztagsschulen gibt es nicht, die Betreuung erfolgt entweder morgens oder nachmittags. Es gibt neuerdings einige öffentlichen Schulen, die anfangen, eine ganztägige Betreuung anzubieten. Ansonsten bieten nur die großen privaten Institutionen eine ganztägige Betreuung an.

Das brasilianische Scheidungsrecht garantiert gleiche Rechte für Frauen und Männer. Die Aufsicht über die Kinder ist heute in rechtlicher Hinsicht „geteilt“, beide Eltern sind für die Kinder verantwortlich, aber nur ein Part übernimmt die Aufsicht. Wenn es keine Übereinkunft gibt, bevorteilt die Gesetzgebung jenen Part, der bessere Bedingungen für das Kind bietet. Der Vater, oder die Mutter, der/die nicht mit der Aufsicht über die Kinder verbleibt, ist nach dem Gesetz dazu verpflichtet, Unterhalt für die Kinder zu bezahlen. Aber die Frau oder Mann haben nach der Scheidung kein Recht auf Unterhaltszahlungen. Nur in Ausnahmefällen entscheiden die Gerichte zugunsten einer Unterhaltszahlung für eine ehemalige Ehefrau (für ehemalige Ehemänner noch seltener).

Die Hausarbeit wird immer noch der Frau zugeschrieben. Frauen sind praktisch im ganzen Land für die Führung des Haushalts verantwortlich. Das bewirkt, dass die Mehrheit der ArbeiterInnen einen dreifachen Arbeitstag hat: Arbeit, Haushalt und Kinder.

NI: Gibt es das Recht auf Abtreibung? Wie ist der Zugang zu Verhütungsmitteln?

R: In Brasilien ist, wie in anderen Ländern auch, Abtreibung immer noch illegal und gilt als  Verbrechen. Die Diskussion über Abtreibung ist ein „Tabu“, die Leute reden darüber nicht. Es gibt viele Vorurteile und einen sehr großen religiösen Gehalt dieser Frage. Natürlich gibt es die Praxis illegaler Abtreibungen. Das große Problem dabei ist, dass nur Frauen mit gutem finanziellen Hintergrund einen sicheren Zugang zu sauberen Kliniken haben. Für arme Frauen bleibt nur die Wahl, zu sehr schlechten Kliniken mit schlechten hygienischen Verhältnissen, Instrumenten und Betreuung zu gehen. Viele Frauen erkranken darum im Zuge einer Abtreibung und müssen ein öffentliches Krankenhaus aufsuchen - mit dem Risiko, danach angezeigt zu werden. Viele sterben daher als Opfer mangelnder Versorgung.

Für die Reichen ist dieses Risiko minimal. Kürzlich hat das oberste Bundesgericht die Abtreibung für von Anencephalie, einer schweren Fehlbildung, betroffenen Föten erlaubt. Es gab starken Druck der Kirchen, um das zu verbieten. Die Abtreibung für die von dieser tödlichen Fehlbildung betroffenen Föten war vorher auch schon legal, aber es bedurfte einer richterlichen Genehmigung, die jetzt nicht mehr nötig ist.

Brasilien ist bei diesem Thema sehr konservativ. Aber Nachforschungen haben ergeben, dass die  Mehrheit der Frauen, die abtreiben, katholisch sind, gefolgt von evangelischen. Die Abtreibung war das Thema, das fast die aktuelle Präsidentin Dilma Rousseff zu Fall gebracht hat, da sie sich für die Entkriminalisierung der Abtreibung in Brasilien ausgesprochen hatte, als sie Ministerin unter Lula war.

Die Diskussion über die Abtreibung bringt uns zur Frage der Emanzipation der brasilianischen Frauen. Trotz des steigenden Zugangs zu Bildung und Information ist die Mehrheit der Frauen in Brasilien immer noch sehr konservativ, mit machistischen Positionen und vielen Vorurteilen gegenüber der Frauenbefreiung. Der religiöse Faktor verschlimmert diese Situation noch.

NI: Wie sind die Frauen in Gewerkschaften und in der Linken repräsentiert? Gibt es Frauenbündnisse oder Plattformen innerhalb der Gewerkschaften oder Parteien, die sich für Frauenbelange einsetzen? Gibt es solche Initiativen von anderen linken Gruppen?

R: Die Repräsentation von Frauen in den Gewerkschaften ist ein Resultat des Kampfes der Frauen, die vor Jahrzehnten bereits begonnen haben, ihren Platz in der brasilianischen Linken einzunehmen. Die CUT-Gewerkschaften haben momentan eine Quote von 30% Frauen in Führungspositionen. Auf dem diesjährigen CUT-Kongress steht eine 50%-Quote zur Debatte. Einige Gruppen aus der Linken lehnen diese Regelung ab - ein Reflex der Gewerkschaftsbürokratie, des Machismo, letztendlich der kapitalistischen und patriarchalischen Gesellschaft, wie in anderen Ländern.

Es ist wichtig zu erwähnen, dass die größte Landlosen- und Bauernorganisation Brasiliens, der MST (Movimento dos Trabalhadores Rurais sem Terra) bereits eine 50%-Quote für Frauen hat, mit gleichen Verantwortlichkeiten für Frauen und Männer. Die Parteien der Linken verteidigen historisch die Rechte der Frauen. Diese Kämpfe und Diskussionen gingen mit den internationalen Emanzipationsbewegungen und Kämpfen der Frauen einher und reflektierten diese positiv. Deshalb  haben die brasilianischen Frauen große Errungenschaften im Laufe der Geschichte des Widerstands erzielt.

Die linken Parteien haben besondere Gruppen, die sich mit der Frage der Frau, wie mit anderen diskriminierten Gruppen in der Gesellschaft wie Schwarze und Homosexuelle beschäftigen.

NI: Was sind ihre wichtigsten Forderungen?

R.: Die wichtigsten Forderungen beziehen sich auf die Themen Gleichberechtigung, Verteidigung von Rechten, gegen Gewalt zu Hause und am Arbeitsplatz - denn Frauen sind die Mehrheit der Opfer von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz, Rechte über den Körper (was die Frage der Abtreibung beinhaltet), Recht zur politischen Repräsentation und Partizipation. Trotzdem weisen die linken Gruppen die alten Probleme auf, wie in anderen Ländern und Gesellschaften: Bürokratie, der Kampf um Ämter, der Machismo, Vorurteile usw.

Die Frage, wie wir Frauen uns organisieren sollten, sollten wir in der Zelle der Liga diskutieren. Im Moment agieren wir als GewerkschaftInnen. Wir verteidigen und unterstützen die Kämpfe der CUT und ihrer Gewerkschaften u.a. Gruppierungen der Linken, die die Rechte der Arbeiterklasse verteidigen und für die Ausweitung der Errungenschaften und der Emanzipation der ArbeiterInnen eintreten.

Im Zuge der Erarbeitung eines Aktionsprogramms für Brasilien müssen wir dieser Frage große Aufmerksamkeit widmen - gerade wenn es darum geht, den Kampf für demokratische und soziale Rechte mit dem Kampf für die Vergesellschaftung der Hausarbeit und zum Sturz des Kapitalismus zu verbinden.

Offizielle Daten über Frauen im Arbeitsmarkt in Brasilien unter:

http://www.ibge.gov.br/home/estatistica/indicadores/

trabalhoerendimento/pme_nova/

Mulher_Mercado_Trabalho_Perg_Resp_2012.pdf

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Nr. 171, Juli/Aug. 2012
*  Fiskalpakt: Durchmerkeln in der Krise
*  Heile Welt
*  Gewerkschaftslinke: Neustart für Opposition?
*  Verfassungsschutz-Skandal: Pleiten, Pech und Pannen?
*  Energiewende: Windkraft und heiße Luft
*  Berlin: Wir bleiben alle!
*  Politisch-ökonomische Situation: Klassenkampf im Herzen der Bestie
*  Präsidentschaftswahlen in Ägypten: Doppelte Niederlage der Revolution
*  Lage der Frauen in Brasilien: Kleine Erfolge, große Probleme
*  Sommerspiele 2012: Olypmia-Wahnsinn
*  Jugend: Wie weiter im Kampf gegen Bildungsabbau?
*  Griechenland: Perspektiven des Klassenkampfes
*  Strategie: Griechenland und europäische Revolution
*  Solidaritätskomitees mit der griechischen Arbeiterklasse aufbauen!