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NATO-Krieg in Afghanistan

Kein Ende der Besatzung

Martin Suchanek, Neue Internationale 166, Februar 2012

Der Bundestag hat am 26. Januar wieder einmal mit überwältigender Mehrheit den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan verlängert. Seit mehr als 10 Jahren befinden sich damit NATO und Bundeswehr im Krieg. Trotz gebetsmühlenartig vorgetragener „Abzugspläne“ und den viel beschworenen „zivilen“ Lösungen widerspricht die reale Entwicklung diesen politischen Nebelkerzen.

Von 2001 bis heute

Im Oktober 2001 begann der Afghanistankrieg, unterstützt von der „Koalition der Willigen“, an der sich damals praktisch alle wichtigen Mächte der Welt beteiligten. Im Dezember 2001 wurde erstmals der „Sieg“ verkündet, Kabul war von der Nordallianz eingenommen und eine „provisorische Regierung“ eingesetzt worden.

Damals wurde ein Großteil des westlichen Kampfeinsatzes von der US-geführten Operation „Enduring Freedom“ geleistet. Die endgültige Niederschlagung der vertriebenen Taliban-Regierung und ihrer KämpferInnen wurde als nur relativ kurzfristige Angelegenheit hingestellt. Der Afghanistan-Einsatz sollte als Modell für zukünftige Kriege zur Neuordnung der Welt herhalten, als glorreicher Auftakt einer längeren Reihe rasch und erfolgreich geführter „Kriege gegen den Terror“.

Von diesen neo-konservativen Phantasien ist nach dem Irak-Krieg und nach über 10 Jahren Krieg und Besatzung in Afghanistan wenig geblieben. Eine grundlegende Änderung der Kriegspolitik hat es aber auch unter Obama nicht gegeben.

Im Gegenteil! Im September 2011 hatte die NATO 130.670  SoldatInnen in Afghanistan stationiert. Davon entfielen 90.000 auf die USA (die außerdem noch 10.000 durch  „enduring freedom“ und 18.000 „private Sicherheitskräfte“ im Land hat). Deutschland stellte mit 4.998 Männern und Frauen das drittgrößte Kontingent (nach 9.500 aus Britannien).

Die Anzahl der NATO-Truppen stieg seit 2003 massiv. Bis dahin waren die imperialistischen Truppen z.B. unter der US-Mission „enduring freedom“ stationiert. Insgesamt nahm die Gesamtzahl der eingesetzten Truppen bis 2011 zu - nicht ab!

Der von Obama angekündigte Abzug von 33.000 US-SoldatInnen bis Mitte 2012 darf nicht überbewertet werden. Er wurde mit Beginn seiner Präsidentschaft mit der Ankündigung einer „letzten“ Erhöhung der Truppe und Ausweitung der Kampfeinsätze verknüpft. Über die oben genannten 33.000 gibt es keine weiteren „festgelegten“ Zahlen. Ausdrücklich ausgenommen von den Abzugsplänen sind all jene Kräfte, die zur forcierten Ausbildung und Aufrüstung der afghanischen Armee und Polizei (Ausbilder, Versorgungseinheiten, Berater) sowie alle „Spezialkommandos“, die für besonders brutale und jenseits selbst des Militärrechts stehende Einsätze vorgesehen sind.

Hinzu kommt, dass in den letzten Jahren auch die Einsatzregeln der NATO (also auch der Bundeswehr) ausgeweitet wurden. Ursprünglich sollte die Truppe Waffengewalt nur zur Selbstverteidigung einsetzen. Jetzt geht es um die aktive Bekämpfung von Widerstandsgruppen, also Aufstandsbekämpfung.

Kein Wunder, dass in den letzten Jahren die Zahl der getöteten ZivilistInnen massiv angestiegen ist - sei es durch Angriffe der NATO-Truppen, sei es durch vermehrte Angriffe von ferngelenkten Drohnen. Gerade letztere Angriffe nahmen unter der Obama-Administration deutlich zu.

Selbst bei einem Abzug von einigen zehntausend US-SoldatInnen ist klar, dass der Krieg weiter geht, das Land weiter de facto unter US- und NATO-Hoheit steht und der Krieg  auch weiter mit aller Brutalität geführt werden wird.

Kriegsursachen und Ziele

Zerstört haben Krieg, Kriegsverlauf und Besatzung aber immer mehr die ideologischen Rechtfertigungen des Krieges selbst unter großen Teilen der Bevölkerung.

Neben der schon damals recht windigen Lüge, dass „die Taliban“ für den Anschlag auf die TwinTowers am 11. September durch die Aufnahme Bin Ladens „indirekt“ verantwortlich seien und so das ganze Land „befreit“ werden müsse, mussten auch noch eine Reihe selbstloser, humanitärer Gründe für die den Angriff und die Einsetzung eines Marionettenregimes in Kabul herhalten: die Demokratie, die Wahrung der Grundrechte, die Befreiung der Frauen und die Vernichtung von Drogenproduktion und Handel.

Diese Propagandalügen wagt heute kaum noch jemand mit allzu viel Überzeugung vorzutragen. Selbst hart gesottene imperialistische Schönredner - inklusive der damaligen Einpeitscher für den Krieg - kommen nicht ohne „entschuldigende“ Relativierungen aus. So hätten sie „die Schwierigkeiten“ unterschätzt oder orakeln, ob die Demokratie für „die Afghanen“ überhaupt das Richtige sei ...

Die eigentlichen Kriegsursachen waren ohnedies immer andere. Einerseits ging es um die Absicherung zu Rohstoffreserven in der Region, insbesondere um den Bau einer Pipeline, das die vermuteten großen Öl- und Gasvorkommen aus Zentralasien am Iran und an russischem Territorium vorbei über Pakistan zu den Häfen am Indischen Ozean geleitet hätte.

Noch wichtiger war und ist jedoch das geostrategische Interesse, das dem gesamten, schon von Bush Senior nach dem Sieg im Kalten Krieg ausgerufenen Kampf um eine „neue Weltordnung“ zugrunde liegt. Die USA wollten und wollen die Entstehung neuer, globaler Rivalen unterbinden, die ihren Führungsanspruch als „einziger Weltmacht“ anfechten könnten. Eurasien wurde als der Kontinent ausgemacht, auf dem sich solche Rivalen formieren können - sei es die EU um Deutschland und Frankreich, sei es China oder ein wieder erstarkendes Russland. Die „präventiven“ Kriege in Afghanistan und Irak sollten mithelfen, eine solche neue Weltordnung zu schaffen.

Von einer solchen Neuordnung sind die USA heute weiter entfernt als vor 20, ja vor 10 Jahren. Die fundamentale Ursache liegt - wie v.a. die globale kapitalistische Krise seit 2009 gezeigt hat - darin, dass sich der US-Imperialismus ökonomisch im Niedergang befindet. Er ist immer weniger fähig, die ökonomischen Voraussetzungen seiner globalen Vormachtstellung aufrecht zu erhalten und gerät von alten und neuen Rivalen unter Druck.

Doch wie ein angeschlagener Boxer keineswegs ein weniger gefährlicher Gegner ist, so ist auch ein angeschlagener imperialistischer Hegemon keineswegs freiwillig bereit, von der Bühne abzutreten oder seinen Rivalen einen größeren Teil vom Kuchen zu überlassen. Im Gegenteil, die Krise des kapitalistischen Weltsystems, die zuerst eine Krise der Überakkumulation von Kapital ist, erfordert selbst eine Neuaufteilung eines immer härter umkämpften Weltmarktes, die Sicherung von „Einflusssphären“ und Vormacht.

Die Fähigkeit, ihre eigene Vormachtstellung zu behaupten und zu demonstrieren, wird damit zum Gradmesser, ob und wie weit die USA noch in der Lage sind, ihre hegemoniale Rolle mit Leben zu füllen. Zweifellos steht hier der US-Imperialismus vor einem wirklichen Dilemma. Er will die Expansion Chinas begrenzen. Daher sollen die Prioritäten stärker auf den Pazifik und eine Allianz mit Indien gerichtet werden. Selbst in Myanmar wird jetzt der Junta ein möglicher „Demokratisierungswille“ bescheinigt, worunter letztlich die Bereitschaft verstanden wird, sich zum Verbündeten der USA und nicht Chinas zu machen.

Schwindende US-Dominanz

Zugleich sind die Mittel, die Welt in einer immer krisenhafteren Periode „im Griff zu halten“ begrenzt. Der US-Imperialismus hat das auch bei den arabischen Revolutionen gezeigt, die ihn überraschten, die ihm wichtige, zuverlässige Büttel raubten (allen voran Mubarak) und auch ansonsten eine ungewisse Zukunft verheißen. Der „Sieg“ im Irak war nicht nur weit davon entfernt, rasch zum Erfolg zu führen, er hat auch Regime wie Iran und Syrien gestärkt, die sich gegen die USA stellen.

In Afghanistan haben es der US-Imperialismus und seine NATO-Verbündeten wie die BRD nicht geschafft, das Land zu befrieden, zu stabilisieren und in das unter reaktionärer imperialistischer Dominanz stehende Weltsystem zu integrieren.

Das hatte keineswegs bloß militärische Ursachen oder ein „Vernachlässigung“ des zivilen Aufbaus, wie SPD, Grüne, ja selbst Teile der Linkspartei gern monieren. Im Gegenteil: Die Form des „wirtschaftlichen“ Aufbaus - die Bereicherung westlicher, selbst von Anlageproblemen geplagte Konzerne - hat zur weiteren Ruinierung der afghanischen Wirtschaft geführt.

Noch wichtiger ist jedoch, dass das kein Zufall war, sondern Ausdruck der Unfähigkeit des US-Imperialismus und seiner Verbündeten, in den von ihnen besetzten Ländern eine nachhaltige Ausbeutungsordnung zu schaffen, die eine ökonomische Integration nicht nur einiger inkorporierter Teile der Eliten, sondern auch der Mittelschichten erlauben würde. Das ist ein markanter Unterschied zur Periode nach dem Zweiten Weltkrieg.

Daher führte die Kriegs- und Besatzungspolitik letztlich eben nicht zu einer Befriedung, sondern zu einer Ausweitung des Krieges - nicht nur in Afghanistan, sondern zunehmend auch auf Pakistan und damit zu einer Destabilisierung eines wichtigen und langjährigen US-Verbündeten.

Kein Ende des Krieges

Aus all dem ergibt sich auch, dass ein Ende des Krieges nicht in Sicht ist. Die USA und ihre Verbündeten schaffen es einerseits nicht, den bewaffneten Widerstand (ob nun von Seiten der Taliban o.a., oft islamischer Kräfte) niederzuringen. Auch die Pläne, „moderate“ Taliban auf die eigene Seite zu ziehen, sind weit davon entfernt, den Widerstand groß zu schwächen. Das ist auch kein Wunder. Einerseits treibt die barbarische Kriegsführung in Afghanistan wie Pakistan ständig junge Männer zum Kampf gegen die Besatzer. Andererseits stellt sich auch die Frage, warum Anführer des Widerstandes gerade dann überlaufen sollen, wenn sich zeigt, dass die USA, die NATO und die Regierung trotz riesiger Mittel über Jahre nicht voran kommen.

Ein „Aufgeben“ des Landes kommt - Abzugsgerede hin oder her - für die USA aber auch nicht in Frage. Schließlich wäre das eine politische Niederlage mit wahrscheinlich überaus negativen Konsequenzen.

Sie würde die globale Vorherrschaft der USA weiter schwächen und auch die Existenz der NATO, die durch größere Gegensätze zwischen den EU-Führungsmächten und den USA immer mehr auseinandergetrieben wird, unmittelbar in Frage stellen. Ein Abzug würde natürlich auch jeden Widerstand gegen Besatzung und Unterdrückung auf der ganzen Welt ermutigen, weil er einfach beweisen würde, dass lang anhaltender Widerstand auch gegen die größte Militärmacht der Welt letztlich erfolgreich sein kann.

Schließlich würden ein US-Abzug und ein Ende der Kontrolle über Afghanistan auch eine enorme Schwächung der USA gegenüber Russland und China in der Region bedeuten. Schon heute haben sich v.a. chinesische und indische Konzerne wichtige Konzessionen zur Ausbeutung der erst im letzten Jahrzehnt entdeckten afghanischen Rohstoffe gesichert. Pakistan wird durch die neokoloniale Politik der USA von seinem Verbündeten immer mehr entfremdet. China wiederum hat Interesse an einer Verbesserung der Beziehung zu Pakistan, um so einen Verbündeten gegen eine drohende US-Indien-Allianz zu haben.

Diese geostrategische Bedeutung zeigt auch, warum Deutschland weiter einen Fuß in der Region behalten will. Dass seit Jahren die Ablehnung des Einsatzes bei allen Umfragen steigt, stört die Regierung dabei nicht weiter, solange das Parlament mit großer Mehrheit weiter dafür stimmt und das ohne großen Widerstand auf der Straße. Auch in den USA war bekanntlich Obama mit dem Versprechen angetreten, den Einsatz zu beenden und sukzessive die Truppen abzuziehen.

Zu erwarten ist vielmehr ein länger dauernder Krieg, eine kontinuierliche Spannung, die ihrerseits als Rechtfertigung für die permanente Präsenz von US und NATO-Truppen herhalten muss.

Abzug der Imperialisten- sofort!

Die imperialistische Besetzung Afghanistan, die Führung des Krieges in den paschtunischen Grenzregionen Pakistans, die Nutzung des Landes als Nachschubgebiet - all das muss bekämpft werden!

Auch wenn wir die politischen Programme und Ziele der Führung des afghanischen Widerstandes - zumeist in den Händen von reaktionären islamischen oder islamistischen Kräften - ablehnen, so ändert das nichts daran, dass der Widerstand gegen die Besatzer von NATO, USA wie auch der Bundeswehr vollkommen gerechtfertigt ist. Eine fortschrittliche Lösung der Lage in Afghanistan ist unter dem Joch des imperialistischen Angriffs und der Besatzung nicht möglich.

Die USA und ihre Verbündeten müssen raus - und zwar sofort! Das gilt selbstverständlich auch für ihre Unterstützungstruppen und Basen in Pakistan oder Zentralasien, ohne die der Krieg gar nicht geführt werden könnte.

Wir treten für den Sieg des Widerstands in Afghanistan ein, aber zugleich kämpfen wir dafür, dass die schwachen Kräfte der afghanischen Linken im engen Bündnis mit der Arbeiterbewegung Pakistans daran gehen, eine eigene, genuin revolutionäre Partei zu schaffen, die den Kampf für die Befreiung des Landes mit dem Kampf für eine Arbeiter- und Bauernregierung in Afghanistan verbindet und für eine Föderation von sozialistischen Staaten in Zentralasien eintritt.

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Nr. 166, Februar 2012
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*  Skandal um Bundespräsidenten: Ein Stich ins Wespennest
*  FDP-Krise: Neoliberale Bruchlandung
*  Film: Und dann der Regen
*  Vernetzungstreffen in Frankfurt: Startschuss in alle Richtungen
*  IG Metall/ver.di: Tarifrunde zur Kampfrunde machen
*  Gewerkschaftslinke: Eckpunkte Tarifrunde 2012
*  Italien: Generalangriff auf die Arbeiterklasse
*  Sri Lanka: Schikanen gegen Protestbewegung
*  Ägypten: Wahlen stärken die Konterrevolution
*  NATO-Krieg in Afghanistan: Kein Ende der Besatzung