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20 Jahre Währungsunion

Eine Volkswirtschaft verschwindet

Jürgen Roth, Neue Internationale 152, September 2010

Am 1. Juli 1990 wurde der Geltungsbereich der D-Mark-Währung auf das Territorium der DDR ausgeweitet. Die geldpolitische Zuständigkeit lag damit bei der Bundesbank. 24 Millionen DDR-Konten wurden auf DM umgestellt. Laufende Transaktionen wie Löhne, Renten, Mieten, Pachten, Gehälter, Stipendien u.a. wiederkehrende Zahlungen wurden 1:1 umgestellt. Sachvermögen und Schulden wurden halbiert. Die Sparguthaben der Bevölkerung wurden durchschnittlich mit 1:1,5 bewertet.

Noch existierte die DDR als Staat. Dieser Zustand sollte aber nur noch ein Vierteljahr andauern. Der Staat, dem zunächst das Volk weglief und anschließend seine Volkswirtschaft abhanden kam, war zum Untergang verdammt.

Das Erbe des SED-Regimes

Die Todeskrise des Stalinismus begann in der DDR Anfang der 80er Jahre. Die Aufwendungen für Rohstoffe wurden immer teurer, u.a. weil im RGW/Comecon die SU-Öllieferungen zu Weltmarktpreisen bezahlt werden mussten. Seit Beginn der 70er Jahre geriet die DDR über den Handel mit dem kapitalistischen Ausland in immer größere Auslandsverschuldung.

Die Wachstumskurve der Arbeitsproduktivität verflachte. Der Kapitalstock alterte zusehends (außer in einigen Vorzeigebranchen). Im Sozialbereich konzentrierte sich der Plan auf Wohnungsneubau und Subventionen. Am Ende ihrer Existenz wies die DDR eine versteckte Inflation von 3,2% auf. Das stalinistische Akkumulationsmodell stand vor dem Kollaps.

Modrow und der Runde Tisch

In dieser Situation und angesichts einer Wirtschaftsweltmacht BRD im Westteil der deutschen Nation beschloss die Regierung im Februar 1990 mit Unterstützung der „Opposition“ am Runden Tisch die Gründung der Treuhandanstalt (THA). Diese sollte eine Währungsunion mit der BRD einleiten und gleichzeitig das Vermögen der DDR in Form von Aktienanteilen an die „Bürger“ verschenken. Die SED-Nachfolgeregierung unter Modrow nahm die Auflösung von Planwirtschaft, Außenhandelsmonopol und Staatseigentum nach tschechoslowakischem Vorbild in Kauf.

Die Bürokratie hatte alle Hoffnungen in ihre nichtkapitalistische Misswirtschaft aufgegeben. Auch ihre Existenz als machthabende bürokratische Kaste endete. Ihre individuellen Mitglieder setzten auf eine Rolle als Juniorpartner im Kapitalismus. Doch lange währte diese restaurationistische, bürgerliche Arbeiterregierung Modrow nicht mehr.

Weichenstellung auf Anschluss

Die offen bürgerliche Regierung unter de Maizière wurde nach den Volkskammerwahlen im März 1990 zum willfährigen Erfüllungsgehilfen des BRD-Imperialismus. Die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion (WWSU) führte zur Einführung der DM über Nacht, aber gleichzeitig zur sofortigen und unwiderruflichen Enteignung der DDR-Arbeiterklasse und des größten Teils der Agrar-Genossenschaften. Mit der WWSU wurde der schon eingeschränkte Spielraum einer DDR-Regierung auf Null reduziert.

In den ersten beiden Jahren nach 1989 sanken das BIP im Anschlussgebiet um 40% und die Industrieproduktion um zwei Drittel. Vom Volksvermögen, das die Staatsholding THA - sie operierte bis Ende 1994 - privatisierte, gelangten 85% in westdeutsche Hände, nur 5% in ostdeutschen Besitz. Eine vorsichtige Schätzung seines Wertes von 1989 ergab über 400 Mrd. DM. Die Abschlussbilanz der Bundesholding lautete jedoch anders: 260 Mrd. DM Verlust!

Man muss sich diese Zahlen auch vor dem Hintergrund vorstellen, dass der Staat und das Sozialversicherungswesen Jahr für Jahr enorme Summen in den Osten gepumpt haben, bezahlt durch Solidarbeiträge und Sozialversicherungsbeiträge im wesentlichen der lohnabhängig Beschäftigten - West wie Ost. In 20 Jahren wurden ca. 1,8 Billionen Euro brutto ostwärts transferiert, davon mindestens jährlich 20 Milliarden direkt aus dem Staatshaushalt ohne verdeckte Fonds. Trotz dieser gewaltigen Summen belief sich das BIP im Beitrittsgebiet noch 10 Jahre nach dem Anschluss auf nur 50% der Bruttotransfers - Sonderabschreibungsmöglichkeiten, Übernahme- und Abwicklungsprämien für privatisierte THA-Betriebe und Investitionszulagen für WestkapitalistInnen nutzten der Ex-DDR also überhaupt nicht. Nur 1992/93 waren ihre Wachstumsraten höher als im Westen. Von Aufholen kann also keine Rede sein.

Alternativen?

Beschränken wir uns hier auf bürgerliche Überlegungen, so sind es im Wesentlichen zwei: Beibehaltung der Mark der DDR, bis eine Angleichung der wesentlichen ökonomischen Leistungsparameter mit der BRD hergestellt ist. Das ist ungefähr die Ideologie hinter der Bildung der Euro-Zone über die Zwischenstufe des EG-Währungssystems und ihres Wechselkursmechanismus' (Währungsschlange).

Doch hinter dem Euro stecken durchaus nicht gleichberechtigte Interessen aller beteiligten Länder, sondern es ist ein Projekt, von dem v.a. Deutschland profitiert. Die Beibehaltung einer eigenen Währung unter Bedingungen eines offenen kapitalistischen Weltmarkts ist durchaus keine Garantie, kein Puffermechanismus, um den schwächeren nationalen Gesamtkapitalen ein Aufholen, eine Angleichung an die Weltmarktführer zu ermöglichen.

Das Gesetz der ungleichzeitigen und ungleichmäßigen Entwicklung funktioniert - verstärkt in der imperialistischen Epoche und dort in Krisenperioden - auch hier. Der DDR hätte der gleiche Weg wie den ehemaligen Ostblockstaaten (mit Ausnahme Russlands) offen gestanden: eine verlängerte halbkoloniale Werkbank der BRD mit abhängiger industrieller „Entwicklung“. Die „Schere“ schließt sich zwischen nationalen Gesamtkapitalen (Volkswirtschaften) unterschiedlicher Durchschnittsintensität und -produktivität nur in absoluten Ausnahmefällen (VR China heute; Südafrika in den 80er Jahren). In der Regel öffnet sie sich: man vergleiche die Türkei vor 1918, Portugal vor 1975, Tschechoslowakei 1930 mit heute! Viel eher geraten ehedem imperialistische Länder in den halbkolonialen Strudel, auf die Abstiegsränge, als umgekehrt SenkrechtstarterInnen in die imperialistische Championsleague abheben!

Die stimmenkräftigere innerbürgerliche „Alternative“ zur THA-„Strategie“ unter Birgit Breuel unterstützte den Kurs ihres - unter mysteriösen Umständen 1991 ums Leben gekommenen - Vorgängers Rohwedder. Dieser wollte die marktwirtschaftlich überlebensfähigen industriellen Kerne der ehemaligen DDR erhalten, sie unter DM-Währung mit geringfügigen „Anschubfinanzierungen“ zu „Akkumulationsclustern“ einer dadurch stärkeren deutschen Nationalökonomie machen und letztere in der globalen Konkurrenz mittels dieser Regulationspolitik stärken. Fürwahr ein vortrefflicher Diener des „ideellen Gesamtkapitalisten“! Doch muss dieser deshalb noch lange kein Promoter der real nicht existierenden deutschen Gesamtfirma sein. Sein Verweis auf die Währungsreform von 1948, auf die Leistung Ludwig Erhards als Vorbild, machen ihn nicht zu dessen Nachfolger, sondern im streng dialektischen Hegelschen Sprachduktus zu einer tragisch gescheiterten Farce auf sein Vorbild.

Warum konnte ein Verfechter einer 1948 mit (bürgerlichem) Erfolg durchgeführten Währungsreform dann 1990/91 nur scheitern?

Zwei Währungsreformen

„Der Unterschied der beiden Währungsreformen ist unter diesem Aspekt eklatant: 1948 wurde mit ihr eine formelle Staatsgründung eingeleitet. 1990 wurde mit ihr der Status eines bis dahin souveränen Staates besiegelt.“ (E. Altvater, Ein Leistungsvergleich zwischen Währungsreform 1948 und 1990, o.O., o.J.)

1948 war die DM nur begrenzt konvertibel. Damals wurden Geldvermögensbesitzer gegenüber Sachvermögensbesitzern benachteiligt. 1990 ist exakt das Gegenteil passiert. „Altschulden“, die in der stalinistischen Kommandowirtschaft mangels auch (!) betrieblicher Rechnungsführung von unten (!) als Steuerungskennziffern des „Gesamtunternehmens“ DDR zusammenliefen und betrieblich heruntergebrochen wurden, um der Planbürokratie Durchführung und Bedeutung ihrer Wirtschaftsbeschlüsse zu signalisieren, wurden 1990 zu realen Krediten umgewandelt. D.h. plötzlich waren viele Ost-Unternehmen verschuldet. Das wurde aufgrund der Schlüsselfunktion des Kreditsystems im „finanzmarktgetriebenen“ Kapitalismus der monetaristisch-neoliberal ausgerichteten Periode struktureller Überakkumulation ab 1973/74 zur entscheidenden Akkumulationsbremse für Ostdeutschland - zudem in einem übersättigten Weltmarkt mit unterausgelasteten Produktionskapazitäten. Dem Kapital in den alten Bundesländern war ein solches Verschwinden in „Neufünfland“ nur recht.

Für das Finanzkapital aber waren diese Altschulden der VEB, die sie mit Übernahme der DDR-Staatsbankanteile auf die 6 bedeutendsten westdeutschen Bankinstitute „erbten“, Mittel zur konstanten Bedienung des Geldkapitals: sei es aus regulärer oder verdeckter Staatsschuld, aus Übernahme - auf jeden Fall zahlte dafür das Proletariat in Ost und West.

Im 2. Teil unseres Artikels, der sich um die staatliche Einheit dreht, geht es um die Veränderungen dieser auch für den Klassenkampf des Proletariats. Wer sind Gewinner und Verlierer der deutschen Einheit? Wie muss(te) die Arbeiterbewegung ihre (veränderten) Kampfbedingungen analysieren, wie sie ausnutzen.

Die Fortsetzung erscheint in NI 153 im Oktober 2010.

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Nr. 152, Sept. 2010
*  Atomkonflikt: Schwarz/gelber Störfall
*  Heile Welt
*  Massenaktionen gegen S 21: Gegen "die da oben"!
*  Freiheit statt Angst Demo: Überwachungsstaat bekämpfen!
*  Perspektive: Der Flügel fällt - der Kampf geht weiter
*  Arbeitermacht-Sommerschulung: Marxismus praktisch
*  Rassismus: Sarrazin und seine Kritiker
*  20 Jahre Währungsunion: Eine Volkswirtschaft verschwindet
*  NPA und Frankreich: Vor einem heißen Herbst
*  Belgien: Rechtsruck in die Staatskrise
*  Frauen in Afghanistan: Elend statt Freiheit
*  Pakistan: Ohnmacht durch Zorn
*  Pakistan-Solidarität: Hilfe für das Jugendcamp!
*  Gegen die Sparpakete! Für eine europäische Massenbewegung!