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Afghanistan-Konferenz in London

Imperialismus in der Zwickmühle

Theo Tiger, Neue Internationale 146, Februar 2010

Bei der internationalen Aghanistan-Konferenz in London am 28.1. und bei der darauf folgenden Sicherheitskonferenz (SiKo) in München am 6.2. werden die Besatzungsmächte ihre Strategie für Afghanistan neu aushandeln und beschließen. Auch wenn der Artikel noch vor der Konferenz verfasst wurde, so lassen sich die Ergebnisse schon absehen.

Seit dem Ende der US-Regierung unter Bush fordern die USA von den europäischen ISAF-Partnern mehr Truppen für die Besatzung. Bushs Nachfolger Obama - der angetreten war, um eine „alternative“ Strategie zu Bushs Kurs zu verfolgen - erhöhte das US-Kontingent um 30.000 Soldaten. Laut ISAF-Kommandeur McChrystal soll diese Aufstockung den Sieg der Besatzungsmächte gewährleisten und damit eine Abzugsperspektive ab 2011 eröffnen.

Seit dieser Aufstockung stehen auch die europäischen Besatzungspartner unter Druck. Verschiedene US-Repräsentanten forderten immer wieder eine deutliche Truppenerhöhung, speziell von Deutschland. Unter diesen Vorzeichen und Forderungen steht die Konferenz in London.

Das offizielle Motto der Konferenz „Strategie der Übergabe in Verantwortung“ soll für die Öffentlichkeit den Eindruck einer Abzugsplanung erwecken - in der Realität stehen die Besatzer vor einem militärischen und politischen Trümmerhaufen.

Was ist die Realität?

Realität ist, dass der afghanische Widerstand am 17. Januar in der Hauptstadt Kabul den Amtssitz der Marionettenregierung angegriffen hat. Realität ist, dass die afghanischen Sicherheitskräfte keine einzige Provinz wirklich unter Kontrolle haben, sondern der Widerstand überall offen im Krieg mit den Besatzern steht.

Diese Realität zwingt den Friedensnobelpreisträger Obama, die US-Truppen massiv aufzustocken; die ISAF-Truppen, die NATO-Staaten stehen vor der militärischen Niederlage.

Die USA führen inzwischen auch einen offenen Krieg im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet. Er hat zur Folge, dass in Pakistan die Situation immer mehr einem Bürgerkrieg gleicht. Zusammen mit dem pakistanischen Militär werden die grenznahen Provinzen wie Waziristan und das Nordwest-Territorium zum offenen Kriegsschauplatz. US-Truppen und die US-Luftwaffe sind dort im Einsatz. Aus der Besetzung Afghanistans ist inzwischen ein offener Krieg in zwei Staaten geworden, in beiden Staaten sind die vom Imperialismus unterstützten Regime bedroht.

Die Präsidentschaftswahl im September zeigte deutlich, welchen Charakter das Regime des afghanischen Präsidenten Hamid Karzai hat. Zusammen mit einem anderen Zögling des westlichen Imperialismus, dem ehemaligen Außenminister und Nordallianz Kommandeur Abdullah Abdullah, lieferte sich Karzai ein Spektakel der Wahlfälschung und Bestechung - mit dem Ende, dass die geplante Stichwahl abgesagt wurde, da nur noch Karzai kandidierte.

Das ist eine Seite der vom Imperialismus geförderten „Demokratie“ in Afghanistan. Eine andere ist, dass die alten Warlords, die alten Großagrarier, die alten „Würdenträger“ überall noch im Sattel sitzen und mit dafür sorgen, dass jede politische oder soziale Verbesserung in Afghanistan blockiert. Unter diesen Umständen kann auch die Überwindung der Unterdrückung der Frauen - einst ein „plausibler“ Grund für die Aggression des Imperialismus - nicht gelingen.

Auch in Pakistan steht die Regierung unter Ministerpräsident Gilani vor dem Ende. Die Militäroperationen gegen die eigene Bevölkerung, die finanzielle und militärische Abhängigkeit vom US-Imperialismus mobilisiert immer größere Unzufriedenheit gegen das Regime.

Den afghanischen und pakistanischen Widerstand gegen diese Regierungen und die Besatzungsmächte insgesamt als „Taliban“ abzustempeln, gehört zur Propaganda des „Krieges gegen den Terrorismus“. Jeder Widerstand wird als „islamistisch“ gebrandmarkt.

Dem legitimen Widerstand des afghanischen Volkes gegen die Besatzung und die Marionettenregierung Karzai wird nun mit einer massiven Kriegsausweitung begegnet - unter diesen Vorzeichen tagt die Konferenz in London.

US-Strategie

ISAF-Kommandeur McChrystal fordert von der deutschen Bundeswehr einen grundlegenden Strategiewechsel. Es sei die falsche Taktik, „dass die Sicherheitskräfte in ihren Feldlagern bleiben, ihre gepanzerten Fahrzeuge nicht mehr verlassen, kaum noch Kontakt zur Bevölkerung haben". Wie der Kontakt der US-Streitkräfte zur Bevölkerung aussieht, zeigen die Tausenden getöteten AfghanInnen. Die USA fordern nun auch von den NATO-Bündnispartnern den „direkten“ Einsatz. Dies auch deshalb, weil einige bislang willfährige Partner wie Kanada ihren baldigen Abschied von der Mission verkündet haben.

Die USA schicken nun auch ca. 2.500 Soldaten nach Kunduz im Norden, also in das deutsche Protektorat. Die anfängliche Arbeitsteilung der Besatzer funktioniert nicht mehr: dort USA, GB und Kanada im Krieg mit den Aufständischen und hier die EU-Staaten, die „nur“ mit der Absicherung der Nachschublinien und der regionalen Verbündeten befasst sind. Schon die Aufforderung, Deutschland möge sein Einsatzgebiet erweitern und die zusätzlichen Luft-Aufklärer seit 2008 zeigen das Ende der bisherigen Einsatztaktik an.

Nun setzt Obama alles auf eine Karte: Krieg. Mit den verlegten SoldatInnen aus dem Irak soll zumindest der zweite Krieg innerhalb des „Kriegs gegen den Terror“ nicht verloren werden, die USA wollen eine Abzugsperspektive erzwingen. Das heißt zum einen, den Krieg gegen aufständische Bevölkerungsgruppen bis nach Pakistan auszuweiten. Andererseits sollen „gemäßigte Taliban“ in ein künftiges Marionettenregime einbezogen werden. Karzai nennt das „Regierung der nationalen Einheit“. Auch Obama oder Deutschlands Verteidigungsminister zu Guttenberg sind bemüht, jetzt bestimmte Teile des Widerstands zu integrieren d.h. einzukaufen.

Diese Taktik wurde auch im Irak angewandt, als die US-amerikanischen und britischen Truppen in jeder Stadt massiven Angriffen ausgesetzt waren und militärisch erfolglos blieben, wurde der militante Schiitenführer Al-Sadr mit seinen Milizen anerkannt und die Besatzungstruppen zogen sich aus den Städten zurück. Heute sind die US-Truppen in sechs größeren Forts stationiert, die für die nächsten Jahre vertraglich zugesichert sind.

Doch der Angriff auf den Regierungssitz in Kabul zeigt, dass die Aufständischen in Afghanistan nur wenig Interesse an „Integration“ haben - sie wollen den Abzug aller Besatzungstruppen erkämpfen.

Das hat vor allem zwei Gründe. Erstens gibt es kein wirklich klares „Integrationsangebot“, das für Gegner der Besatzer und des Regimes eine lukrative Option böte. Zweitens hat sich das militärische Geschick in den letzten Jahren immer mehr zu Ungunsten der Imperialisten und ihrer Marionettenregierung verschoben, so dass sich natürlich die Frage erhobt, wozu eine Machtteilung mit Karsai dienen soll, wenn er zwei, drei Jahres später ohne diese gestürzt werden könnte.

Die deutsche Strategie

Von der schwarz/gelben Regierung waren widersprüchliche Signale für London zu vernehmen. Während Außenminister Westerwelle (FDP) noch im Dezember gar nicht hinfahren wollte, wenn es nur um Truppenerhöhung gehen sollte, stellt Verteidigungsminister zu Guttenberg sogar eine Aufstockung der Truppen um 1.500 Soldaten in Aussicht. Schon 2009 verstärkte die Bundesregierung die deutschen Truppen um 600 SoldatInnen, diese sollten helfen, die „Wahl“ von Karzai abzusichern.

Die neue Regierung setzt die Rhetorik der Vorgängerregierungen fort: der zivile Wiederaufbau müsse gestärkt werden, ebenso die Ausbildung der afghanischen Sicherheitskräfte und die Bundeswehr befinde sich nicht im Krieg, sondern höchstens in einem „robusten Kampfeinsatz“.

Der Begriff Krieg wird offiziell immer noch abgelehnt, da die Bundeswehr es nicht mit einer organisierten Armee zu tun hätte. Dies wird pseudo-wissenschaftlich „asymetrische Kriegführung“ genannt. Sicher: die Besatzungstruppen kämpfen nicht gegen eine Armee im herkömmlichen Sinn, doch sie kämpfen gegen die große Mehrheit des afghanischen Volkes und werden von diesen als Besatzer betrachtet.

Spätestens der Luftschlag gegen afghanische ZivilistInnen im September hat wieder eine größere öffentliche Diskussion über den Zweck der Besatzung in Gang gebracht. Der Befehl des deutschen Oberst Klein schickte wahrscheinlich mehr als 100 Menschen in den Tod. Die „Bedrohung“ der deutschen Truppen als Anlass für die Bombardierung wurde inzwischen auch von der NATO-Verbündeten als Zwecklüge offenbart.

Seitdem bemühen sich alle Vertreter der Bundesregierung, die Bundeswehr zu schützen, die SoldatInnen müssten sich auf die „Heimatfront“ verlassen können und bräuchten für ihren Einsatz die Rückendeckung der deutschen Bevölkerung. Sehr angespannt reagierte dann auch die schwarz/gelbe Regierung auf die Äußerungen der Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche Käßmann. Diese fand am Afghanistan-Einsatz in ihrer Neujahrsansprache „nichts Gutes“. Zwar ist auch sie weit davon entfernt, den sofortigen Abzug der Truppen zu fordern, aber allein ihre Aussage brachte sie in den Medien in eine „Frontstellung“ gegenüber Verteidigungsminister zu Guttenberg.

Die widersprüchlichen Aussagen der Regierung zeigen die Probleme des deutschen Imperialismus in Afghanistan. Während der achtjährigen Besatzungszeit hat der BRD-Imperialismus stets versucht, mit dem US-Imperialismus zu schwimmen und sich gleichzeitig abzugrenzen; die Bundeswehr sollte nur „Aufbauhelfer für Frieden und Demokratie“ sein, dies sollte den deutschen Einfluss in Zentralasien nach dem Ende des Afghanistan-Einsatzes stärken und dem deutschen Kapital den Zugriff vor Ort sichern. Diese Taktik geht jedoch nur auf, wenn die Besatzung siegreich ist, d.h. der afghanische Widerstand niedergeschlagen wird und das Marionettenregime Karzai im Interesse des westlichen Imperialismus die Bevölkerung unterdrückt und den Markt dem westlichen Kapital ausliefert. Davon ist die aktuelle Situation weit entfernt.

Sieg dem afghanischen Widerstand!

Die Bewegung gegen Krieg und Besatzung leidet speziell in Deutschland unter einer zurückgehenden Mobilisierung. Dies liegt am Reformismus und Pazifismus der bestimmenden Kräfte der Bewegung: der Linkspartei und der Friedensbewegung (deren pazifistischer Konzeption sich auch viele „radikale“ wie z.B. die DKP unterordnen). Sie fordern Neutralität, unterstützen nicht den afghanischen Widerstand und sehen die UNO oder NGOs als Lösung des Problems. Sie plädieren für „humanitäre Aufbauhilfe“ und „übersehen“ dabei, dass diese Unterstützung zugleich auch eine Methode ist, dem deutschen Kapital Einlass in der Region zu verschaffen. Sie vertrösten die AktivistInnen damit auf imperialistische und kleinbürgerliche Organisationen - so kann keine imperialistische Besatzung bekämpft werden!

Für alle konsequenten Anti-ImperialistInnen muss die Gegnerschaft zur Besatzung auch Unterstützung des Widerstands bedeuten. Diese Unterstützung muss jedoch zugleich auch scharfe und offene Kritik an den reaktionären und beschränkten Zielen vieler Kräfte des Widerstands, insbesondere der Taliban, einschließen.

Deren unzureichenden und letztlich auch pro-imperialistischen Konzeptionen muss die Alternative eines Afghanistan entgegengesetzt werden, dass von allen reaktionären Kräften befreit ist, in dem die ArbeiterInnen, die Bauern und die Armut selbst die Macht innehaben.

Doch erst die militärische Niederlage der Besatzung eröffnet dem afghanischen Volk die Möglichkeit, sich auch gegen „islamistische“ u.a. reaktionäre Gruppen zu behaupten. Die ArbeiterInnen, die Jugend und die Bauern müssen ihren Kampf gegen den Imperialismus mit dem Kampf gegen die reaktionäre und feudale Ordnung verbinden - nur dies kann ihre Befreiung bewirken.

Zusammen mit dem pakistanischen Widerstand hat das afghanische Volk die Möglichkeit, dem Imperialismus eine entscheidende Niederlage in Zentralasien zuzufügen.

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