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Bundestagswahl

DIE LINKE wählen, aber den Widerstand organisieren!

Hannes Hohn, Neue Internationale 142, September 2009

Die Bundestagswahl 2009 findet in der heftigsten Weltwirtschaftskrise nach 1945 statt. Trotz des vorsichtigen Optimismus ob eines leichten Wachstums von 0,3% und der vagen Hoffnung, dass das Schlimmste vorbei sei, ist schon jetzt klar, dass die neue Bundesregierung mit einem Riesenberg an Problemen konfrontiert sein wird.

Bisher gelang es der Großen Koalition, mit Konjunkturpaketen und der Abwrackprämie, v.a. aber mit der zweimaligen Verlängerung der Kurzarbeiterregelung, eine Riesenpleitewelle und einen extremen Anstieg der Arbeitslosigkeit zu vermeiden.

Doch all diese Maßnahmen haben die Ursachen der Krise - riesige Überkapazitäten und fallende Profitraten - nicht überwunden, sondern nur die Folgen gedämpft und zeitlich gestreckt. Immer klarer zeigt sich auch, dass die Kurzarbeiterregelung die Kosten der Unternehmen nur ungenügend entlastet.

Regierung unter Druck

Die mit dem staatlichen Krisenmanagement nochmals enorm gestiegene Staatsverschuldung sowie der demnächst zu erwartende deutliche Anstieg der Arbeitslosigkeit zwingen die nächste Bundesregierung zum Handeln - egal, welche Parteien sie stellen. Das Kapital erwartet von seinem Staat weitere Hilfen, damit nicht größere Teile der deutschen Wirtschaft im Strudel der Krise untergehen. Diese Angst ist durchaus begründet: Experten schätzen, dass bis zu einem Drittel (!) aller (west)deutschen Industriearbeitsplätze verloren gehen könnte.

Bisher bekamen v.a. die LeiharbeiterInnen, die als erste entlassen wurden, und die KurzarbeiterInnen die Krise zu spüren. Doch Pleiten wie bei Arcandor oder Hertie zeigen, dass demnächst auch hunderttausende „Festangestellte“ ihre Arbeitsplätze verlieren werden.

Bisher wurden die Kosten der Krise auf die Arbeiterklasse und die Massen abgewälzt - mit ihren Konjunkturpaketen, welche letztlich die Massen (künftig) über Steuern, Kürzungen usw. bezahlen müssen. Diese bürgerliche „Anti-Krisen-Politik“ erhielt im Kern bisher auch Beifall aus den Oppositionparteien - inkl. der Linkspartei - und von den reformistischen Gewerkschaftsspitzen.

Doch die kommende Regierung wird die Angriffe auf die Massen verschärfen müssen. Zusammen mit einem deutlichen Anstieg der Erwerbslosigkeit bedeutet das, dass die Arbeiterklasse von einem Angriff auf ihren Lebensstandard bedroht wird, gegen den die Hartz-Gesetze nur ein Geplänkel waren.

Um diesen Angriff führen zu können, um das deutsche Kapital aus der Krise zu hieven und auch, um dem zu erwartenden Widerstand energisch begegnen zu können, braucht die deutsche Bourgeoisie eine besonders schlagkräftige Regierung. Sie ist entschlossen, dass Kräfteverhältnis zwischen Kapital und Arbeit deutlich zu ihren Gunsten zu verschieben. Das ist auch deshalb wichtig, weil Deutschland als zentrales Land der EU auch daran gelegen ist, ihr imperialistisches Europa-Projekt weiter zu entwickeln. Das wird in Zeiten der Krise schwer genug, wenn man allein die bisherigen Turbulenzen einiger EU-Länder, v.a. in Osteuropa  anschaut.

Wen wählen?

Für die wichtigsten Fraktionen des Kapitals ist diese Frage klar. Sie favorisieren eine Regierung aus Union und FDP. Die Große Koalition mit der SPD war bisher recht gut geeignet, aufkommenden Widerstand gegen die Krise zu verhindern bzw. zu demobilisieren. So taten v.a. die Spitzen der Gewerkschaften außer wenigen förmlichen Protesten fast nichts. Die von der SPD dominierten Betriebsräte und Gewerkschaftsapparate agierten überwiegend als Co-Manager, damit „ihre“ Unternehmen über die Krise kommen. So stimmten sie z.B. den Entlassungen von LeiharbeiterInnen zu oder unternahmen zumindest nichts dagegen.

Doch das ist der herrschenden Klasse zu wenig und zu langsam. Die Abwarte- und Demobilisierungspolitik des DGB, die über die SPD eng mit der Regierung verbunden ist, hat gute Dienste getan, die Arbeiterklasse ruhig zu halten. Doch jetzt soll richtig nachgelegt werden!

Die Politik von Gewerkschaften und SPD hat natürlich selbst dafür gesorgt, dass Schwarz/Gelb - gegen deren „Marktradikalität“ man nun polemisiert - so gut dasteht. Die Union und v.a. die FDP nutzen ihre Stärke, um sich mit einem Wahlsieg eine demokratische Legitimation für ihre Attacken zu verschaffen. Die Zeit für „Kompromisse“ und für „Mäßigung“ ist vorbei. Das Angriffstempo muss forciert werden. Dazu ist die FDP - notfalls auch die Grünen - besser geeignet als die SPD, weil sich diese (trotz ihrer Krise und des Verlusts großer Teile ihres proletarischen Anhangs) immer noch stark auf die Arbeiterklasse, bes. auf die Arbeiterbürokratie (Gewerkschaftsfunktionäre, Betriebsräte usw.), stützt. Bei stärkeren Attacken auf die Klasse würde auch mehr Widerstand provoziert. Das brächte die SPD gehörig unter Druck und könnte sie gar zerreißen.

Sicher, auch dazu mögen die SPD-Spitzen bereit sein. Schließlich haben Steinmeier, Steinbrück und Co. im Gefolge der Agenda-Politik und als willige Helfer Merkels immer mehr AnhängerInnen und WählerInnen abgestoßen. Jugoslawien-Krieg, Afghanistan-Besatzung, Hartz I-IV sind nur einige Beispiele für diese Politik der SPD. Hinsichtlich der strategischen Ausrichtung der deutschen imperialen Außenpolitik ist die SPD mitunter gar zuverlässiger und klarer als die FDP.

Aber das eigentliche Problem für die herrschende Klasse liegt da, wo auch der Wert der SPD für die Herrschenden liegt. Die Sozialdemokratie ist - in Lenins Worten - eine bürgerliche Arbeiterpartei, also eine Partei, die sich wesentlich auf das Proletariat stützt, deren Politik, deren Apparat, deren inneres Regime jedoch bürgerlich sind. Das ist seit 1914 so und an Bereitschaft, den deutschen Imperialismus zu verteidigen, hat sie es seither nie fehlen lassen.

Für die herrschende Klasse hat die SPD den Vorteil, dass sie besser als jede andere Partei (auch als die Linkspartei) über die Gewerkschaften in der Lage ist, die Lohnabhängigen ruhig zu halten.

Aber das Problem der herrschenden Klasse liegt zugleich darin, dass sie für ihre imperialistischen Ziele in der Weltmarktkonkurrenz die Machtpositionen der Arbeiterbürokratie, also der Gewerkschaftsführungen und der Betriebsräte - eine Machtposition, die sich eben auch in ihrer Verbindung zur SPD und in deren politischem Einfluss ausdrückt - schwächen will, ja muss.

Daher ist die kommende Wahl für die herrschende Klasse durchaus auch eine „Richtungswahl“. Sie will eine härtere Gangart, auch wenn das natürlich Risiken birgt - wie jeder Angriffe auf zentrale Bastionen der Arbeiterklasse inkl. ihrer industriellen Kernschichten natürlich immer das „Risiko“ mit sich bringt, dass es mehr Widerstand gibt, dass sich der Klassenkampf verschärft. Aber - das bleibt auch den Herrschenden nicht erspart - eine Klassengesellschaft ohne Kampf der Klassen gibt es letztlich nicht.

Und die LINKE?

Die Zumutungen der letzten Jahre, die Krise, die permanenten Angriffe hat viele von der SPD abgestoßen, viele auch frustriert. Die Wahlen werden sicher wieder einen Anstieg der NichtwählerInnen bringen. Aber das ist eher ein Zeichen von Apathie, Demoralisierung oder von Ohnmacht. Wo sie aus Protest passiert - insgesamt ein nur geringer Teil der Nicht-WählerInnen - läuft dieser ins Leere.

Eine Mehrheit der politisch bewussteren und kämpferischeren ArbeiterInnen und Jugendlichen - alle, die sowohl Schwarz-Gelb wie einer Großen Koalition entgegentreten wollen - wenden sich bei diesen Wahlen wohl der Linkspartei zu.

Diese Hinwendung und die damit verbundenen Erwartungen resultieren erstens aus der Frustration mit der SPD und der Gewerkschaftsführungen - aber auch aus dem Willen, den Parteien, die für neo-liberale Reformen und Angriffe der letzten Jahre Verantwortlich sind, wenigstens an der Wahlurne ein NEIN entgegenzusetzen.

Hinzu kommt, dass DIE LINKE eine aktivere Haltung in den Protesten gegen die Krise (wie schon früher gegen Hartz IV) einnahm, als andere Parteien (was allerdings auch keine Kunst ist). Sie erklären sich aber auch aus linkeren politischen Positionen der Linkspartei gegenüber der SPD, darunter ihre - aber inkonsequente - Ablehnung von Kriegseinsätzen.

Vor allem aber geht es darum, die die Wahlen dafür zu nutzen, die gesamte Klasse für den Kampf gegen die Krise zu mobilisieren. Dabei spielen die stärker an der Linkspartei orientierten Vorhut-Elemente eine wichtige Rolle.

Die Versprechen der Gysi und Lafontaine, die reformistische Strategie der Linkspartei, lehnen wir ab und kritisieren sie. So zeigt gerade Berlin, dass DIE LINKE an der Macht nichts anders tut als die SPD. Aber viele AktivistInnen wählen sie trotzdem als Protest gegen die anderen Parteien und weil sie hoffen, dass DIE LINKE nach links gedrückt werden könnte. Wir teilen diese Illusion nicht. Aber wir wissen auch, dass diese Illusionen nicht nur durch Kritik und Propaganda zerstört werden können, sondern dem Test des praktischen Kampfes unterzogen werden müssen - aus zwei Gründen. Einerseits können so die Halbheit, die Inkonsequenz, ja die Verräterei der Linkspartei-Politik aufgezeigt und die Illusionen in sie überwunden werden. Andererseits kann der Aufbau von Widerstand, die Einbeziehung neuer Kräfte besser vorangebracht werden, wenn konkrete Forderungen an die Reformisten gestellt werden.

Ein Wahlerfolg der Linkspartei würde allgemein - auch von der Bourgeoisie - als Signal der Ablehnung der bürgerlichen Krisen-Politik, des Neoliberalismus und tw. auch des Kapitalismus gewertet werden. Er wäre ein Erfolg der Opposition und ein ermutigendes Signal für den Widerstand. Daher sagen wir: Wählt DIE LINKE, aber organisiert den Widerstand gegend die Krise!

Wie können wir die Offensive des Klassengegners stoppen?

Bisher gab es nur sehr wenig Protest und Widerstand gegen die Krise und das Abwälzen ihrer Folgen auf die Massen. Die Hauptverantwortung für diese „Lethargie“ trägt die Gewerkschaftsführung, welche die Politik des bürgerlichen Staates unterstützt und v.a. mit der Kurzarbeiterregelung dafür sorgte, dass der Übergang in die Massenarbeitslosigkeit in gedrosseltem Tempo abläuft; für diesen „Kompromiss“ ließ sie einige hunderttausend LeiharbeiterInnen im Regen stehen.

Es ist geradezu bizarr, wenn Sommer, Bsirske und Co. für eine Ausweitung der „bewährten Sozialpartnerschaft“ plädieren, während unter dem Druck der Krise die Grundlagen dieser Politik zunehmend erodieren und v.a. die kapitalistischen „Sozialpartner“ sich diesen teuren sozialen  „Ausgleichsmechanismus“ nicht mehr leisten können und wollen.

Angesichts der Dimension der Krise, deren Folgen die gesamte Klasse massiv treffen (werden); angesichts der zu erwartenden forcierten Angriffe kann es nur eine Antwort geben: politische  Massenstreiks bis hin zum Generalstreik!

Diese koordinierten Aktionen der ganzen Klasse bzw. zentraler Sektoren der LohnarbeiterInnen sind schon deshalb notwendig, weil jede einzelne betriebliche Aktion vor dem realen Problem steht, dass viele Unternehmen sich tatsächlich einem Bankrott gegenüber sehen. Umso wichtiger ist es daher, jede betriebliche Aktion mit anderen Unternehmen des Konzerns, der Branche, der Region, ja international zu verbinden.

Im Kampf gegen die Krise und gegen die neue Regierung schlagen wir vor:

Gegen alle Entlassungen! 30-Stunden-Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich! Aufteilung der Arbeit auf Alle - unter Arbeiterkontrolle!

Für eine gleitende Skala der Löhne und Sozialeinkommen gegen die Inflation!

Für einen Mindestlohn von 11 Euro/Stunde netto! Weg mit den Hartz-Gesetzen und der Rente mit 67! Arbeitslosengeld und Mindesteinkommen für RentnerInnen und Azubis von 1.600/Monat, finanziert aus Progressivsteuern auf Reichtum und Kapital!

Nein zu Rettungspaketen und Konjunkturprogrammen für Kapitalisten! Offenlegung aller Geschäftsunterlagen für Arbeiterinspektionen!

Entschädigungslose Enteignung der Banken, Zusammenlegung zu einer einheitlichen Staatsbank unter Arbeiterkontrolle!

Enteignung der Konzerne unter Arbeiterkontrolle - beginnend mit Firmen, die Löhne kürzen und entlassen wollen!

Betriebsbesetzungen, Blockaden, Streiks bis hin zum Generalstreik!

Aufbau von Aktionskomitees, die bundesweit und international koordiniert sind!

Welche Perspektive?

Um die Angriffe abzuwehren, um bestimmte Teilforderungen durchzusetzen, ist es notwendig, die gesamte Klasse in den Kampf zu führen. Proteste, der Widerstand einzelner Sektoren oder die alten gewerkschaftlichen „Tarifrituale“ reichen dafür nicht aus. Auch die etablierten Organe der Arbeiterbewegung wie Betriebsräte, Gewerkschaftsapparate, SPD und Linkspartei haben bisher Kämpfe nicht weiter getrieben oder sie gar boykottiert.

Daher braucht die Arbeiterklasse, daher brauchen alle von der Krise Betroffenen Kampforgane, die sie selbst demokratisch bestimmen und kontrollieren. Zugleich muss dafür gekämpft werden, die vorhandenen betrieblichen, gewerkschaftlichen und örtlichen Organe zu demokratisieren und zu wirklichen Aktionszentren zu machen! Das schließt den Kampf gegen die reformistische Ausverkaufspolitik v.a. des DGB ein.

Nötig ist eine Anti-Krisen-Bewegung, die in Betrieben und Gewerkschaften, die in der Jugend, bei Arbeitslosen und unter MigrantInnen verankert ist. Nur ein solches System von Selbstorganisation der Arbeiterklasse kann sicherstellen, dass wir unsere Aktivitäten selbst kontrollieren und verschiedene Konzepte und Erfahrungen diskutieren.

In dieser Bewegung kämpfen wir als RevolutionärInnen darum, dass die Arbeiterklasse das zentrale Subjekt ist, d.h. dass ArbeiterInnen die Kontrolle über Verstaatlichungen, Produktion, Verteilung usw. ausüben. Wir kämpfen darum, dass die Arbeiterklasse sich aus Streikposten, Kontrollorganen usw. eigene Machtorgane wie Räte und Milizen schafft und diese auf nationaler Ebene zentralisiert. Unsere Alternative zu jeder offen bürgerlichen Regierung ist eine Arbeiterregierung, also eine Regierung aus Arbeiterparteien, die sich auf Kampforgane der Arbeiterklasse stützt und die Macht der Kapitalistenklasse bricht, das Chaos des Marktes durch eine demokratische Planwirtschaft im Interesse der Mehrheit ersetzt.

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