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Soziale Lage

Wen trifft die Arbeitslosigkeit?

Theobald Tiger, Neue Internationale 142, September 2009

Mit der Wirtschaftskrise steigt in allen Ländern die Arbeitslosigkeit, je nach statischen Tricks fällt dieser Anstieg unterschiedlich aus. Was aber klar ist: Leih- und ZeitarbeiterInnen, Frauen, Jugendliche und MigrantInnen sind besonders von der Krise betroffen.

Ihre schon vor der Krise unsicheren Arbeitsplätze werden jetzt als erste wegrationalisiert. Bis Ende 2008 wurden mehr als 200.000 Leih- und ZeitarbeiterInnen gefeuert, ihre Verträge waren ohnehin nur befristet und ihr Beschäftigungsverhältnis den konjunkturellen Erfordernissen des Kapitals angeglichen, d.h. jederzeit kündbar. Sie tauchen immerhin auch in der Statistik auf, die einen Anstieg von unter drei Millionen im Oktober 2008 auf 3,5 Millionen im Juli 2009 ausweist.

Das Heilmittel des deutschen Kapitals, der Gewerkschaften und der SPD gegen die Arbeitslosigkeit lautet: Kurzarbeit. Bis heute wurde für ca. 2,5 Mill. ArbeiterInnen in mehr als 36.000 Betrieben Kurzarbeitergeld beantragt. Trotz dessen Verlängerung von 18 auf 24 Monate durch die Bundesregierung, ist davon auszugehen, dass aus diesen KurzarbeiterInnen bis Jahresende und im nächsten Jahr Arbeitslose werden. Selbst die Bundesanstalt für Arbeit (BA) und die bürgerlichen Medien gehen von einer Erhöhung der Arbeitslosigkeit auf fünf Millionen bis Ende 2010 aus.

Statistisches Abenteuer

Dabei ist die Arbeitslosenstatistik eher ein statistisches Abenteuer, als dass sie die Realität widergeben würde. Wenn wir alle BezieherInnen von sozialen Transferleistungen zusammen zählen, kommen wir real auf mehr als neun Mill. Arbeitslose. Dazu gehören zwei Millionen Bezieher von Arbeitslosengeld (ALG) I, knapp fünf Millionen beziehen ALG II, sprich Harz IV. Hinzu kommen 1,8 Mill. BezieherInnen von Sozialgeld und ca. 650.000 Ein-Euro-Jobber.

Alle Arbeitslosen, die aktuell Maßnahmen der BA über sich ergehen lassen müssen, werden aus der offiziellen Statistik heraus gerechnet. Das beste Beispiel sind die Ein-Euro-Jobber, die offiziell nicht als arbeitslos, sondern als beschäftigt gelten.

Heute gibt es auch mehr als 1,3 Mill. Beschäftigte, welche aufgrund ihres zu geringen Lohns Zusatzleistungen von der Arbeitsagentur verlangen können, da ihr Lohn aus einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung niedriger ist, als die Leistungen, auf die sie Anspruch hätten.

Der Niedriglohnbereich ist in den letzten Jahren massiv gewachsen. Derzeit arbeiten mehr als sieben Millionen Beschäftigte, d.h. jeder fünfte Beschäftigte in Deutschland, für vier bis acht Euro brutto die Stunde. Diese Jobs gelten v.a. für „Jugendliche“ (bis 25), Frauen und MigrantInnen. Teilzeitstellen, 400-Euro-Jobs u.ä. gibt es besonders in Handel und Gastronomie, wo besonders viele Frauen arbeiten. In diesen Bereichen wurden und werden Vollzeitstellen abgebaut und durch prekäre und schlecht bezahlte Teilzeitjobs ersetzt.

Das „Jobwunder“ der letzten Jahre ging einher mit dem Abbau von festen, tariflich vergüteten Arbeitsverhältnissen. An deren Stelle trat ein aufgeblähter Niedriglohnbereich ohne Absicherung, der zur fortschreitenden Verarmung weiter Teile der Arbeiterklasse führt.

Die Wirtschaftskrise wird diesen Trend noch beschleunigen, dagegen helfen auch Kurzarbeit u.a. „Standortsegnungen“ nicht.

Dagegen hilft nur, dass Arbeitslose und Beschäftigte gemeinsam kämpfen! Doch gerade dabei versagen jene Organisationen, deren erste Aufgabe es wäre, die Interessen aller Beschäftigten inklusive der zeitweilig oder länger erwerbslosen ArbeiterInnen zu vertreten. Obwohl sich auch Arbeitslose in Gewerkschaften organisieren können und es auch Erwerbslosengruppen gibt, orientiert sich die Politik der Gewerkschaftsspitzen v.a. auf die Stammbelegschaften, weil die natürlich auch mehr Beiträge zahlen.

Rolle der Gewerkschaften

Diese Orientierung auf die relativ besser gestellte Arbeiteraristokratie zeigte sich besonders krass, als im Zuge der Krise hunderttausende LeiharbeiterInnen entlassen worden waren - ohne dass Betriebsräte oder Gewerkschaftsapparate dagegen groß Widerstand geleistet hätten. Das wiederum ist nur das Ergebnis der Politik des DGB, der schon seit der Einführung der Hartz-Gesetze unter Schröder die Ausweitung des Niedriglohnsektors hingenommen, ja tw. selbst mit ausgehandelt hatte.

Diese Spaltungspolitik der Bürokratie wird als „Kompromiss“ verkauft, der in schlechten Zeiten wenigstens die Jobs der Stammbelegschaften retten könnte. Doch statt dessen rettet er nur die Kapitalisten und unterminiert die Solidarität und die Kampffähigkeit der Belegschaften wie der gesamten Arbeiterklasse. Diese Klientel-Politik ist auch deshalb falsch, weil der Anteil der Arbeiteraristokeratie an der Gesamtklasse immer weiter abnimmt und jener der prekär Beschäftigten und Arbeitslosen tendenziell zunimmt. Kurz: die soziale Basis dieser fatalen reformistischen „Arbeiterpolitik“ schrumpft.

Das ist freilich ein geringer Trost, wenn wir der perspektivelosen bürokratischen  Arbeiterpolitik keine klassenkämpferische Alternative in den Bündnissen gegen die Krise, in Betrieben und Gewerkschaften entgegensetzen - eine Perspektive, die ALLE Lohnabhängigen im Kampf vereint.

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Nr. 142, September 2009
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