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Britannien

Neue Arbeiterpartei - Gebot der Stunde!

Richard Brenner, Neue Internationale 142, September 2009

Die Labour-Partei in Großbritannien steckt in einer tiefen Krise - und die Ratten verlassen das sinkende Schiff. Selbstsüchtige Minister gehen, nachdem sie Kürzungsprogramme umgesetzt hatten. Sie haben nichts getan, um Arbeitsplätze zu sichern. Viele Tausende werden arbeitslos in der Auto- und der Ölindustrie, auf dem Bau, bei Versicherungen und Banken. Aber sie haben den Bankern zig Milliarden gegeben, Millionen verteilten sie untereinander für private Ausgaben. Sie haben Milliarden in blutige Kriege gesteckt. Sie haben öffentliche Dienste an die Reichen verscherbelt und riesige Summen ausgegeben, damit milliardenschwere Privatinvestoren Krankenhäuser und Schulen kontrollieren und daran verdienen.

Labour in der Krise

Doch Labour wagt es noch immer, sich als die Partei der Arbeiterklasse darzustellen. Es wundert deswegen kaum, dass der Stimmenanteil der Labour-Party in Britannien bei den Europawahlen auf ein historisches Tief von 15% abgesackt ist. Weniger als ein Viertel der Stimmen entfielen auf die Labourkandidaten bei den Stadtratswahlen. Die konservativen Tories heimsten die meisten Wählerstimmen ein, aber sie sind noch schlimmer als Labour, denn sie sind eine Partei der Superreichen. Einige stimmten für stramm rechte Gruppierungen wie die UKIP und sogar für die Faschisten von der BNP. Etliche blieben der Wahl einfach fern.

Wie konnte das geschehen? Die Antwort liegt auf der Hand: Labour vertritt nicht die Arbeiterklasse! Kann diese Partei verändert und für die Lohnabhängigen „zurück gewonnen“ werden? Linke Labour-Abgeordnete wie John McDonnell behaupten das. Deswegen sollten SozialistInnen bis nach den Wahlen warten und ihre Hoffnungen darauf setzen. Aber jeder Linke kann sehen, wie schwach dieses Argument ist. Heute haben die Parteiführer die Parteikonferenz als eventuelle Möglichkeit, den politischen Kurs zu ändern, praktisch abgeschafft.  Die Linke innerhalb von Labour ist nie schwächer als jetzt gewesen. Jeder Tag, der abgewartet wird, verhindert die Schaffung einer linken Alternative zu Labour und bewirkt nur, dass viele in Apathie versinken und glauben, dass die Linke erledigt sei. Manche werden sogar für die Rechten votieren. Die Zeit ist also reif für eine neue Arbeiterpartei.

Nur wenn wir eine neue Partei in den nächsten 9 Monaten gründen, wird eine wirkliche Alternative zu den offiziellen diskredierten Parteien des Establishments und des Ausgabenskandals sichtbar. Wir brauchen eine neue Partei, damit eine fortschrittliche, antirassistische, arbeiterparteiliche Alternative zu den gefährlich spalterischen Argumenten der UKIP und dem unverhohlenen Rassismus und Faschismus der BNP entsteht.

Initiative der Gewerkschaften

Bei den Europawahlen haben Bob Crow und seine RMT-Transportgewerkschaft eine neue Wahlinitiative ergriffen, gemeinsam mit der KP und der Socialist Party. Das ist bedeutsam und zeigt, dass es Kräfte gibt, die Labour herausfordern können. Aber der Name, den sich diese Wahlplattform gab, spricht Bände. Sie nennt sich No2EU, betont die Opposition gegen ausländische Regierungen, Bosse und sogar gegen Freizügigkeit von ausländischen Arbeitskräften.

Die Gefahr besteht, dass diese Initiative mit dem spalterischen Nationalismus flirtet, der in Britannien heute an Boden gewinnt. Statt den Reichen, den Bankern, Kapitalisten und Regierungen in Britannien die Schuld zu geben, lenkt sie ab von den wirklichen Feinden. Es führt zu gefährlichen Spaltungen in der Arbeiterklasse wie der Streik in der Bauwirtschaft unter dem Motto „Britische Arbeitsplätze für britische Arbeiter“, der nicht jene Unternehmer aufs Korn nahm, die Arbeiter entlassen, sondern sich gegen ausländische Arbeiter richtete.

Die Arbeiter bei der Lindsey-Ölraffinerie wiederum sind schlimmen Attacken auf ihre Jobs ausgesetzt gewesen. Doch dank ihres Einsatzes gegen die Anti-Gewerkschaftsgesetze und den Solidaritätsstreiks haben die Lindsey-Arbeiter einen Sieg errungen und über 600 Arbeitsplätze retten können.

Die Lehre daraus ist, dass wir durch unmittelbare Aktionen, massenhafte Streiks, Solidarität und Widerstand gegen Gesetze siegen können. Wenn wir aber denselben Schluss ziehen, wie einige in der Linken, dass der Sieg im zweiten Streik den vorgehenden Streik für britische statt ausländische Arbeitsplätze rechtfertigen würde, würden wir riesige Probleme für die Zukunft schaffen. Wir wären blind gegen jeden spalterischen Kampf zwischen ArbeiterInnen auf der Basis von Nationalität. Wir würden uns damit nur selber schwächen gegen die Versuche der Bosse, uns gegeneinander auszuspielen. Nur die ArbeiterInnen im Kampf, nicht die Gewerkschaftsführer mit Labour-Parteibuch können eine Kampfpartei in den Jahren der Arbeitslosigkeit und Kürzungen aufbauen, die vor uns liegen.

Die RMT, die KP und die Socialist Party überdenken nun ihre Position. Bob Crow hat klar gemacht, dass er eine neue Partei für verfrüht hält. Er von außerhalb und der Parlamentsabgeordnete John MCDonnell in der Labour-Party wollen, dass die ArbeiterInnen eine „Volkscharta für Reformen“ unterstützen. Aber sie sagen nichts darüber, was hier und jetzt getan werden muss, um den Widerstand gegen Entlassungen und die Krise aufzubauen.

In den Diskussionen in der Labour-Bewegung, wie sie sich gegen Brown aufstellen soll, verkünden Crow und McDonnell beide dieselbe Botschaft: Überlasst die Entscheidung über alternative Politik diesem Diskussionsprozess, gründet keine Partei, ehe dieser Prozess nicht abgeschlossen ist - und das kann ewig dauern.

Das genügt nicht! Diese Situation, angesichts des großen Stimmenzuwachses der Rechten und der BNP macht eine abwartende Haltung kriminell und verantwortungslos. Viele tausende sozialistisch gesonnene ArbeiterInnen und Jugendliche müssen die Lockrufe von McDonnell, Crow und der sie umwerbenden KP und Socialist Party ignorieren!

Stattdessen müssen wir einen anderen, entscheidenden Aspekt der Lage erkennen: es gibt ein wirkliches Fundament für eine neue Partei, die ohne die Bevormundung durch Parlamentarier und Gewerkschaftsführer zusammenkommen kann - all jene ArbeiterInnen, die schon gegen die Unternehmer und die verrottete Regierung der Bosse ankämpfen:

Eisenbahn-, Post- und BauarbeiterInnen, die für Kampfmaßnahmen gegen Jobabbau, Angriffe auf Tarifabkommen und Privatisierung sind;

die Visteon- und Prime-ArbeiterInnen, die ihre Betriebe besetzt haben, statt abzuwarten, bis ihre Bosse sie ohne angemessene Abfindung entlassen;

EinwohnerInnen und ArbeiterInnen in Lambeth (London), die sich gegen die Kürzungen der Stadtverwaltung und steigende Mieten einsetzen. Linamar-ArbeiterInnen, die die Entlassung ihres Versammlungsleiters erfolgreich verhindert haben;

Junge Leute, die durch den Zulauf für die BNP aufgeschreckt wurden;

SchülerInnen und StudentInnen, die gegen Kürzungen im Bildungsbereich eintreten und solidarisch mit der Bevölkerung von Gaza sidn;

Arbeitslose und Jugendliche, die Gefahr laufen, zur „verlorenen Generation“ zu gehören.

Im Grunde komemn alle dafür in Frage, die das gegenwärtige Systems satt haben. So ist auch die Antikapitalistische Partei in Frankreich zustande gekommen. SozialistInnen müssen nicht jede Aussage im Parteiprogramm der NPA unterschreiben, aber erkennen, dass sie eine kämpfende Organisation mit vielen tausend Mitgliedern ist, viele von ihnen gehörten nicht einmal sozialistischen Gruppen an, sondern wurden durch Ortsausschüsse geworben, die kämpferische AktivistInnen aus allen Teilen Frankreichs einbezogen und  beschlossen haben, eine Partei zu gründen. Kann das auch in Britannien geschehen? Die Antwort müssen die sozialistischen Gruppen geben.

Positionen der Linken

Die größte linke Organisation in Britannien, die Socialist Workers Party (in Deutschland: Marx 21), hat einen Offenen Brief für die Einheit der Linken und eine gemeinsame Herausforderung an Labour und für ein Auftreten bei den nächsten Wahlen geschrieben. Zwar wird dort nicht die Gründung einer neuen Partei gefordert, aber es scheint klar, dass es darüber Diskussionen in den Reihen der SWP gibt.

Die zweitstärkste Gruppe, die Socialist Party (hier: SAV), hat eine Konferenz mit der SWP klar abgelehnt und ist für einen reformistischen Block mit RMT und KP. Die gemeinsame Unterstützung der nationalistischen Streiks in diesem Jahr ist dabei ein starkes einigendes Band zwischen ihnen. Das Herangehen der Socialist Party kann nur eine Missgeburt zeugen, eine neue Partei mit dem Geburtsfehler des Nationalchauvinismus, deren Politik von oben durch Gewerkschaftsfunktionäre und Parlamentsvertreter bestimmt  wird.

Aber die Socialist Workers Party muss sich noch entscheiden. Wenn ihre Führer die Nerven verlieren, könnten sie die Initiative ganz der KP und der Socialist Party überlassen und um ein Wahlbündnis betteln, das keinerlei Gewinn bei den nächsten Wahlen und keinen fortschrittlichen Impuls für den Klassenkampf bringen wird. Aber wenn sie den Weg einer neuen antikapitalistischen Partei beschreiten, könnten sie das Heft des Handelns zurückgewinnen, örtliche Vereinigungen von Arbeiterschaft und Jugend zum Aufbau einer neuen Partei anspornen, eine Konferenz im nächsten Frühjahr einberufen und großes Aufsehen erregen, wenn diese Partei bei den nächsten Wahlen gegen die Labour-Party antritt. Sie könnte eine demokratische Debatte über Politik eröffnen, könnte antirassistische ArbeiterInnen, Jugendliche, Einwanderer und Antikriegs-AktivistInnen zusammen führen, um den Slogan „Britische Arbeitsplätze für britische Arbeiter“ ad absurdum zu führen und zugleich die Lehren aus den erfolgreichen Streiks für Jobs in der gesamten Bewegung verallgemeinern sowie eine politische Kampagne entfachen, die nicht wie No2EU den Ausländern die Schuld für die Krise gibt, sondern den Kapitalisten und ihrem System.

Es gibt v. a. vier Menschen, die hoffen, dass dies alles zumindest vor der nächsten Wahl nicht zustande kommt: die Führer der etablierten Parteien Gordon Brown, Nick Clegg, David Cameron, Nick Griffin. Das allein sollte ein weiteres Argument für den Aufbau einer neuen Arbeiterpartei sein.

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Nr. 142, September 2009
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