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Ver.di-Tarifabschluss

Etwas Geld, viele Kröten

Hannes Hohn, Neue Internationale 128, April 2008

Nachdem ver.di-Chef Bsirske zuletzt vollmundig verkündet hatte, man werde dafür kämpfen, dass die Beschäftigten ein größeres Stück vom Kuchen abbekommen und dass der Lohnverzicht der letzten Jahre vorbei sein soll, zeigt sich nun, was die Versprechungen der Bürokratie wert sind: nichts!

Der Streik im Öffentlichen Dienst ist in Potsdam wegverhandelt worden. Die Interessen der Beschäftigten sind wieder einmal auf dem Altar des „Interessenausgleichs,“ der „Vernunft“ und des „sozialen Friedens“ geopfert worden.

Bsirske und Co. werden das Verhandlungsergebnis wie immer schön reden. Jede Seite hätte „Kröten schlucken“ müssen, meint Bsirske. Konkret bedeutet das für die Beschäftigten, dass der Abschluss gerade einmal einen Inflationsausgleich darstellt, die Verluste der letzten Jahre werden damit nicht wettgemacht. Zudem werden die Arbeitszeiten sich weiter verschlechtern. Und nicht zu vergessen: kein einziger schon  entlassener Kollege wird wieder eingestellt, die Privatisierung öffentlicher Bereiche geht weiter, der Billiglohnbereich breitet sich auch im öffentlichen Sektor weiter aus.

Das Ergebnis (soweit am 31. März bekannt): Für 2008 gibt es 3,1%, für 2009 nochmals 2,8% mehr Lohn. Dazu kommt ein Sockelbetrag von 50 Euro, 2009 noch eine Einmalzahlung von 225 Euro. Gleichzeitig verlängert sich die Arbeitszeit.

Obwohl die Verhandlungsergebnisse zum Zeitpunkt dieses Artikels noch von den Gremien beider Seiten bestätigt werden müssen, besteht kaum ein Zweifel daran, dass sie durchgenickt werden. Die Klagen der Kommunen über die entstandene finanzielle Mehrbelastung sind überwiegend Stimmungsmache, da sie im letzten Jahr wieder deutliche Steuermehreinnahmen erzielt haben.

Das Fatale am Ergebnis ist nicht nur der Abschluss an sich. Schwerer wiegt, dass die Laufzeit zwei Jahre beträgt. Damit hat man sich nicht nur im Angesicht des abklingenden Wirtschaftsaufschwungs und einer möglichen tieferen Weltwirtschaftskrise tariflich die Hände gebunden. Man hat damit auch signalisiert, dass es vor den nächsten Bundestagswahlen keinen bundesweiten Kampf im Öffentlichen Dienst mehr geben soll und der SPD der Rücken freigehalten wird.

Reformistische Strategie

Insgesamt wurde eine gute Chance im Klassenkampf vergeben. Warum? Zum einen ist die Stimmung an der Basis so, dass die Beschäftigten vom Lohnverzicht und der Verschlechterung der Arbeitsbedingungen in den letzten Jahren die Schnauze voll haben. Zum anderen laufen in einigen Bereichen (Handel) schon Streiks oder sind möglich (Berliner BVG, Post). Dazu kommt noch, dass der Streik der GDL gezeigt hat, dass ein energischer Kampf ein deutlich besseres Ergebnis bringen kann, als das, was die ver.di-Führung jetzt „rausgeholt“ hat.

Die schon laufenden Kämpfe hätten miteinander zu einem flächendeckenden Streik des Öffentlichen Dienstes (inkl. des Handels) verbunden werden können und müssen! Diese Möglichkeit vertan zu haben, ist der eigentliche Verrat der ver.di-Führung.

Doch all das kommt nicht überraschend. Bsirskes Kompromiss ist nur ein weiterer Dominostein in der Umfaller-Politik der reformistischen Gewerkschaftsführung.

Erfolg oder Misserfolg der Tarifauseinandersetzung darf nicht nur daran gemessen werden, wie viel Prozente Lohn usw. sie mit oder ohne Streik erreicht. Sie muss daran gemessen werden, ob sie die Kampfkraft und das Bewusstsein der Lohnabhängigen, aber auch der Arbeitslosen, der RentnerInnen u.a. heben. Sie muss insbesondere daran gemessen werden, welches gesamtgesellschaftliche Signal sie für kommende Kämpfe gegen Inflation, Entlassungen, Privatisierungen und kommende Rezession gibt.

Die Politik der Gewerkschaften muss daran gemessen werden, ob sie das Klassenverhältnis und den Klassenkampf zugunsten der Massen beeinflusst oder nicht. Die Fakten geben darüber klare Auskunft.

Mit Schröders „Agenda 2010“ wurde ein Generalangriff auf die Lohnabhängigen, ihre sozialen Errungenschaften und ihre Kampfmöglichkeiten begonnen. Die Regierung Merkel setzt diese „Reformen“ fort und führt diese Offensive weiter. Im Ergebnis dessen hat sich die soziale Lage von Millionen, ja der Masse der Bevölkerung verschlechtert. Die nach wie vor grassierende Massenarbeitslosigkeit und der mit den Hartz-Gesetzen massiv ausgeweitete Billig-Lohn-Sektor üben einen immensen Druck auf die Beschäftigten aus.

Unter Rot/Grün gab es gegen diese Angriffe Massenproteste, an denen Millionen beteiligt waren. Die Gewerkschaftsführung hatte sie nach dem Druck der Basis z.T. selbst initiiert. Doch anstatt die kämpferische Stimmung, die u.a. an den vielen Forderungen der Basis nach einem Generalstreik ablesbar war, auszunutzen und den Kampf bis zu politischen Massenstreiks und zum Generalstreik weiter zu treiben, demobilisierte und stoppte sie diese Dynamik. Sommer, Bsirske und  Co. sind (wie auch die Spitzen von PDS/DIE LINKE) wesentlich dafür verantwortlich, dass Kapital und Regierung ihre strategischen Projekte auf Kosten der Massen voranbringen konnte.

Die betrieblichen Mobilisierungen gegen die Rente mit 67 wurden demobilisiert. In der Stahlbranche gab es zuletzt einen Abschluss von 4,5% mehr Lohn - ohne jeden Kampf in einer Situation, in der die Branche extrem boomt.

Selbst im Streik der GDL attackierte deren Führung nicht die Privatisierung der Bahn als das zentrale Projekt des Kapitals, davon abgesehen, dass die anderen Bahngewerkschaften den Kampf der GDL offen boykotierten.

Diese Aufzählung ist lange noch nicht vollzählig, illustriert aber, dass die Politik von Bsirske und Co. total ungeeignet ist, den massiven Angriff des Kapitals abzuwehren und letztlich die Folgen der Krise des Kapitalismus auf die Massen abwälzt.

Fazit

Die allgemeine Offensive des Klassengegners kann nicht durch kleinere, voneinander isolierte Scharmützel und schon gar nicht am Verhandlungstisch gestoppt werden. Dafür müsste die gesamte Klasse, also alle Gewerkschaften, über Betriebs- und Branchengrenzen hinweg, verbunden mit den Arbeitslosen und der Jugend, zu koordinierten Aktionen in Bewegung gesetzt werden. Das ist offensichtlich nicht der Fall.

Die letzten Monate und Jahre haben immer wieder gezeigt, dass die traditionelle Gewerkschaftspolitik - also auf ökonomische Ziele begrenzte und auf Kompromisse zielende Tarifstreiks - unzureichend sind. Warum?

Erstens setzt das Kapital immer mehr auf offene Konfrontation, statt auf Kompromisse - nicht zuletzt, weil es unter immer schärferem Druck durch die globale Konkurrenz steht.

Zweitens ist absehbar, dass die „Kompromisse“ und „Teilerfolge“ der Bürokratie schon bald in der sich abzeichnenden Rezession massiv entwertet werden. Selbst derzeit, in einer relativ guten Konjunktur, haben sich die von den Gewerkschaftsspitzen als Erfolg gepriesenen Vereinbarungen zur „Standortsicherung“ und die „Arbeitsplatzgarantien“ oft genug als Flops erwiesen, die kaum das Papier wert sind, auf dem sie geschrieben sind. Wir können uns lebhaft ausmalen, was passiert, wenn der „Aufschwung“ vorbei ist.

Die vereinzelten Kämpfe - so energisch und mutig sie auch von den Beschäftigten selbst geführt werden - können objektiv nur zu einer Niederlage, zu weiterem Sozialabbau und weiter verschlechterten Lebens- und auch Kampfbedingungen der Gesamtheit der Klasse insgesamt - also der Beschäftigten, der Arbeitslosen, der Jugend und der RentnerInnen - führen. Damit werden letztlich auch permanent die Kampfbereitschaft, das Selbstbewusstsein der Klasse untergraben.

Drittens werden zentrale Angriffe in Form von Reformen auf politisch/staatlicher Ebene geführt, denen auf betrieblich-tariflicher Ebene nicht direkt begegnet werden kann. So wirken die Hartz-Gesetze durch Billigjobs und Arbeitslosigkeit massiv auf die Lage der Beschäftigten. Doch Bundes-Gesetze können nicht einfach durch einzelne Streiks auf Betriebs- oder Branchenebene gekippt werden. Dazu sind politische Massenstreiks nötig!

Gerade diese politische Dimension will die Gewerkschaftsführung ausklammern. Sie führt die Kämpfe weiterhin im rein ökonomischen, „tarifpolitischen“ Rahmen. Das aber führt automatisch dazu, dass selbst relativ hohe Lohnzuwächse eines kleiner werdenden Teils der Klasse durch Inflation, Arbeitslosigkeit, Sozialabbau aufgefressen werden.

Die Bürokratie (und zwar der rechte wie der linkere Flügel) betreibt diese Politik bewusst, weil er einen bundesweiten, grundlegenden politischen Kampf mit der Regierung und dem Kapital vermeiden will. Ein solcher würde die Frage aufwerfen, wie Lohnerhöhungen, bessere Dienste etc. finanziert werden und Privatisierungen gestoppt werden können. Ein Massenstreik könnte die Regierung kippen - kurz: aus dem Tarifkampf hätte leicht ein Kampf werden können, der der Kontrolle der Bürokratie entgleitet und zu einem entscheidenden Kampf zwischen Lohnarbeit und Kapital eskaliert.

Durch die Taktik der Bürokratie wird eine solche Auseinandersetzung natürlich nicht vermieden, wohl aber die Illusion genähert, dass er umgangen werden könne. Allgemein wird so die Kampfkraft der Arbeiterklasse weiter geschwächt.

Was tun?

Die Tarifkommission wird das Potsdamer Verhandlungsergebnis wahrscheinlich annehmen. Darauf kann es nur eine Antwort geben: Es muss in ver.di eine bundesweite Opposition gegen den Abschlusse aufgebaut werden! Auf Versammlungen, in den Vertrauensleutekörpern müssen Resolutionen eingebracht werden. Die Mitglieder der Tarifkommission müssen zur Ablehnung des Ergebnisses, zur Einleitung einer Urabstimmung und zur Vorbereitung eines Streiks aufgefordert werden. An dieser Stelle müssen die Gewerkschaftslinken und ihre lokalen Gruppen aktiv werden und Flagge zeigen.

Der Ausverkauf des Streiks mit dem schlechten Kompromiss von Potsdam zeigt, dass die Beschäftigten absichern müssen, dass die Vorbereitung und Durchführung des Kampfes nicht der Bürokartie und deren bornierten Interessen überlassen werden darf. Nur dann - und das ist die entscheidende Frage! - wenn die Beschäftigten ihren Kampf und ihre Organisation selbst direkt kontrollieren, können sie verhindern, dass sie übergangen werden, könne sie absichern, dass ihr Kampf auch Erfolg hat.

Der erneute Deal der ver.di-Spitze auf Kosten der Beschäftigten zeigt ganz klar, dass ver.di und auch alle anderen Gewerkschaften eine andere Führung brauchen. Diese muss der Basis direkt verantwortlich, wähl- und abwählbar sein. Sie darf keine Privilegien haben wie die Großverdiener vom Schlage Bsirske und Sommer.

Eine solche kämpferische Führung kann nur gegen die Bürokratie in den Gewerkschaften und gegen ihre Ausverkaufs-Politik durchgesetzt werden. Dafür müssen sich all jene KollegInnen zusammentun, die kämpfen wollen und mit der Strategie der Führung nicht einverstanden sind. Eine solche klassenkämpferische Basisbewegung in den Gewerkschaften und Betrieben muss ein Aktionsprogramm erarbeiten und es in den Betrieben und Gewerkschaften diskutieren.

Ohne eine solche schlagkräftige Basisstruktur werden wir weitere Niederlagen erleiden, ja werden wir erleben müssen, wie die Bürokratie die Stärke der Gewerkschaft immer weiter untergraben.

Doch das Verhalten der LINKEN - einerseits von den „berechtigten Ansprüchen der Beschäftigten“ und von „sozialer Gerechtigkeit“ zu faseln und sich zugleich dort offen gegen den Streik zu stellen, wo man selbst regiert - zeigt, dass die Lohnabhängigen auch eine andere Partei brauchen, die wirklich auf der politischen Ebene für die Interessen der Arbeiterklasse streitet und gegen das Kapital kämpft. Weder die LINKE noch die SPD sind solche Parteien oder können dazu werden!

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Nr. 128, April 2008
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*  Zum Klassencharakter von SPD und DIE LINKE: Marxismus oder Empiriodogmatismus
*  Sri Lanka: Arbeiterbewegung, Krieg und Krise
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