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Rente mit 67

Die Basis kämpft - die Führung kneift

Frederik Haber, Neue Internationale 118, März 2007

Noch hatte der Bundestag nicht endgültig über die Rentenreform abgestimmt, aber der Kampf schein schon entschieden. Die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung ist gegen dieses Projekt, das Milliarden in die Taschen der Kapitalisten umverteilt und für Millionen Menschen Armut im Alter bringt, mehr Schinderei und noch mehr Jugendarbeitslosigkeit. Hunderttausende haben gegen diese "Reform" protestiert, viele auch während der Arbeitszeit.

Aber die Gewerkschaften weigern sich, den Protest erfolgreich zu organisieren. DGB, IG Metall und ver.di haben hunderte Beschäftigte in ihren Zentralen sitzen. Aber es gibt keinen einzigen Plan, wie der massenhafte Protest erfolgreich weitergeführt werden kann. Während in der letzten Januarwoche 270.000 MetallerInnen meist während der Arbeitszeit protestierten und viele sich zu Protestveranstaltungen zusammenfanden, gab es danach gerade noch ein paar Saalveranstaltungen und etwas Begleitung für die Experten des DGB, als sie im Reichstag ihre Meinung sagen durften.

Es gibt (zum Zeitpunkt der Redaktion) keinen Plan, was zur zweiten und dritten Lesung am 9. März passieren soll. Gerüchteweise soll in Berlin vor allem seitens der IG Metall-Jugend etwas Action stattfinden. Es gibt keinen Plan für eine zentrale Demo in Berlin geschweige denn für bundesweite Arbeitsniederlegungen oder gar politische Massenstreiks, die nicht nur Protest, sondern echter Kampf wären.

Es gibt auch keinen Plan, wie andere Betroffene (RentnerInnen, Jugendliche) einbezogen werden sollen. Und es gibt keinen Plan, wie mit der Rentenreform verbundene politische Themen aufgegriffen werden sollen, z.B. die Frage weiterer Privatisierung der Altersvorsorge, die für die Masse zur Kürzung und Verteuerung führt, während sich die Versicherungskonzerne weiter bereichern. Die Verlängerung des Rentenalters erhöht die Arbeitslosigkeit zwangsläufig. Parallel zur Rentenreform wurde die Gesundheitsreform durchgepeitscht. Was hätte näher gelegen, als dass alle Gewerkschaften, Sozialverbände und politischen Organisationen der Linken gemeinsam agieren?

Natürlich weiß niemand vorab, ob solche Aktionen auch die nötige massenhafte Unterstützung erhalten, die sie brauchen. Natürlich findet ein Generalstreik nicht deshalb statt, weil der DGB das beschließt. Aber wenn eine Führung noch nicht einmal Vorschläge hat, wie der Kampf zu führen ist, dann kann sie ihn auch nicht führen.

Kartell der Bremser

Und ganz offensichtlich wollen DGB, IG Metall und ver.di auch keinen Kampf gegen die Regierung. Sie wollen kleine Zugeständnisse, die Fortführung der Altersteilzeit etwa. Die soll die Belegschaften der Großbetriebe ruhig halten und ist v.a. für diese interessant. In den großen Konzernen sind die Gehälter (noch) hoch genug und die Profite des Kapitals fett genug, um die Leute, wenn sie verbraucht sind, hinauszukaufen.

Die Gewerkschaften hätten die Chance, in der Rentenfrage zur Vertreterin aller Arbeitenden und Erwerbslosen zu werden. Stattdessen wollen sie nur ihr „Kernklientel“ zufrieden stellen und ein paar Verbesserungen rausholen, während die große Masse im Regen steht. Aber selbst für die „Kernschichten“ ist diese Politik kurzsichtig und fatal. Wer hat heute schon einen Arbeitsplatz über Jahrzehnte? Wie die Schließungen und Entlassungen in der Großindustrie, bei Banken oder im Öffentlichen Dienst zeigen, ist heute jeder von Hartz IV und damit von Verarmung bedroht.

Angesichts dieser Erfahrung müssen sich alle, die jetzt gegen die Rentendemontage aktiv waren, fragen, wie diese Politik bekämpft werden kann. Dazu ist folgendes nötig:

Wir brauchen Kampf- und Aktionsformen, mit denen die Rente mit 67 wirklich gestoppt werden kann, d.h. Großdemonstrationen und politische Massenstreiks.

Wir brauchen Organisationsformen, die die Gewerkschaften zum Kampf zwingen, und, wenn nötig, diesen unabhängig von den Gewerkschaftsbürokraten organisieren können.

Der Angriff auf die Rente ist ein Angriff, der alle Lohnabhängigen, ob beschäftigt oder erwerbslos, ob jung ob alt, ob Mann ob Frau triff. Wir brauchen daher auf diesen generellen politischen Angriff eine generelle politische Antwort.

Unabhängige Organisationsformen aufzubauen bedeutet keinesfalls, die Gewerkschaften links liegen zu lassen oder neue zu stricken. Im Gegenteil! Überall muss in den Gewerkschaften dafür gekämpft werden, dass die Führung für den Erfolg handelt! Dafür sind sie gewählt und dafür zahlen wir Beitrag!

Aber wir dürfen nicht warten, bis sie tatsächlich handeln. Wir brauchen Aktionskomitees in allen Orten aus VertreterInnen der Betriebe, von Arbeitslosen und allen, die aktiv werden wollen. Die Drohung, dass der Kampf notfalls auch ohne sie stattfindet, ist das wirksamste Argument gegen den Boykott der Bürokraten! Letztlich müssen wir soweit kommen, dass sich aus diesen lokalen Aktionskomitees, die es ja teilweise schon gibt, eine bundesweite Koordination bildet, die auch übergreifend handeln kann.

Rolle des Reformismus

Aber auch so eine demokratisch kontrollierte Struktur wird letztlich nur dann anders handeln, wenn sie eine Alternative zur Politik der Gewerkschaftsführung bietet. Diese ist völlig im Reformismus verhaftet. Das bedeutet, dass sie immer den Konsens mit dem Kapital sucht, dem "Sozialpartner", der "die Wirtschaft macht", an der man "gerecht beteiligt" sein will. Wenn das Kapital einfach tut, was es will, sind diese Reformisten beleidigt. Aber sie werden nie die "Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft" in Frage stellen, geschweige denn die Macht des Kapitals über die Produktion und die Profite.

Genauso akzeptieren die Reformisten die Entscheidungen der Regierung. Wenn eine Mehrheit im Parlament wie bei der Rente entscheidet, dann gilt das für sie letztlich - auch wenn die Mehrheit der Bevölkerung etwas anderes will. Deshalb wollen die Gewerkschaftsspitzen es sich nicht mit der SPD verderben, auch wenn diese den größten Sozialkahlschlag in der Geschichte der Bundesrepublik zu verantworten hat. Die rechten Gewerkschaftsführer, überzeugte Sozialdemokraten, haben jede Aktion gegen die Rente sabotiert (IG BCE, Transnet ...). Aber auch die "linken" (Peters, Bsirske) wollen das "Gespräch nicht abreißen" lassen. Auf der Strecke bleiben die Interessen der Arbeitenden.

Auch die GewerkschafterInnen, die sich für die neue Linkspartei einsetzen, bleiben in diesem Rahmen. Obwohl manche von ihnen unter diejenigen sind, die gute Aktionen gegen die Rente organisiert haben, weigern sie sich, gegen die sozialdemokratischen Saboteure zu kämpfen. Sie rufen auch nicht auf, nach Berlin zu fahren.

WASG und PDS zeigen auch in der Rentenfrage, dass sie sich in der bürgerlichen Politik eingerichtet haben. So rufen beide Parteien in Baden-Württemberg dazu auf, die Aktionen der Gewerkschaften gegen die Rente mit 67 zu unterstützen. Doch was passiert dort, wo die Gewerkschaften nicht mobilisieren …

WASG und PDS scheuen sich, selbst zu Aktionen aufzurufen oder diese zu organisieren. Sie scheuen sich, GewerkschafterInnen, die gegen den Willen ihrer jeweiligen Führung aktiv werden wollen, zu unterstützen. Vor allem Metaller wie Klaus Ernst stellen die „Einheit der Gewerkschaft“ über alles und meinen damit die Einheit des Apparates.

Sie wollen „Sprachrohr der Gewerkschaften“ sein, also die bessere SPD werden, nachdem diese sich seit Jahren nach rechts entwickelt hat. Was Ernst und Co. übersehen, ist, dass sich auch die Gewerkschaften in dieser Zeit nach rechts bewegt haben, dass die Mehrheit ihrer Führung und viele mittlere Funktionsträger die Agenda 2010 ebenso unterstützt haben wie sie in den Betrieben Standortsicherungsverträge unterschrieben, auf Lohn verzichtet und die Arbeitszeit verlängert haben.

Statt also heute gegen die rechten Sozialdemokraten in den Gewerkschaften Front zu machen,  planen die Strategen der WASG, die Rentenfrage zum Wahlkampfthema 2009 zu machen. Es geht ihnen nicht darum, die Rentenreform zu verhindern. Es geht darum die Aktionen in Parlamentssitze umzumünzen.

Das zeigt genau, was wir brauchen: eine Politik, die mit dem Reformismus bricht, die sich gegen das Kapital und seinen Staat stellt, und eine Partei, die zum Kampf bereit ist. Wenn die Unternehmer mit Entlassungen oder Verlagerung drohen, ist die Antwort: Besetzung der Betriebe. Wenn die Regierung mit Reformen droht, ist die Antwort: Generalstreik.

Wir rufen dazu auf, den Aufbau einer solchen Partei zu beginnen - jetzt! So sammeln sich im Netzwerk Linke Opposition (NLO) derzeit Menschen, die den Kurs der Linkspartei und der WASG ablehnen, weil er nur zu einer aufgewärmten SPD führt.

Wir rufen auf, überall Aktionsbündnisse gegen die Rente zu bilden! Der Kampf ist am 9. März noch nicht vorbei. Unabhängige Strukturen für den Kampf und für eine neue Arbeiterpartei, die nicht nur gegen die Rentenreform, sondern gegen den Generalangriff insgesamt und für eine Alternative zum kapitalistischen System, für eine sozialistische Revolution kämpft! Das ist die Perspektive, auf der wir in Zukunft aufbauen können!

 

Aktives Basiskomitee

Der “Aktionskreis Soziale Gerechtigkeit” in Stuttgart Bad Cannstatt konnte bereits die zweite öffentliche Kundgebung durchführen, eine weitere musste wegen Sturms im Januar abgesagt werden.

Dieser Aktionskreis stützt sich auf die Betriebsräte und Vertrauensleute der wichtigsten Cannstatter Metallbetriebe, beteiligt sind Erwerbsloseninitiativen und politische Gruppen.

Nachdem auf der ersten Kundgebung die Beteiligten zu Wort kamen, sprachen am 22. Februar die Bundestagsabgeordnete Binder und Aurore, eine Studentin aus Frankreich, über die Proteste dort im letzten Jahr.

Es wurde zu den nächsten Aktionen aufgerufen und einer Veranstaltung. Das Signal aus Cannstatt: Der Kampf geht weiter!

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Nr. 118, März 2007
*  Deutsches EU-Präsidentschaftsprogramm: Nächster Anlauf zum Europa der Imperialisten
*  Rente mit 67: Die Basis kämpft - die Führung kneift
*  Internationaler Frauentag: Emanzipation im Kapitalismus?
*  Netzwerk Linke Opposition: Die Chancen des NLO
*  Parteifusion: Die Linke und die "Linke"
*  UN-Klimabericht: Mehr heiße Luft
*  RAF-Diskussion: Widerstand oder "Terrorismus"?
*  Heile Welt
*  Imperialistische Mobilmachung: Kein Krieg gegen den Iran