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Elterngeld

Gleichberechtigung oder Sozialdarwinismus?

Helga Müller, Neue Internationale 111, Juni 2006

Nach heftigen Diskussionen vor allem in der CSU, aber auch zwischen den Unions-Ministerpräsidenten und der Unions-Bundestagsfraktion hat sich Anfang Mai die Große Koalition zur Einführung eines Elterngeldes zum 1. Januar 2007 geeinigt, welches das „alte“ Bundeserziehungsgeld ablöst.

Die wesentlichen Punkte bestehen darin:

das Elterngeld soll einem Elternteil - heute in der Regel den Müttern - 12 Monate lang gezahlt werden, es beträgt 67 Prozent des bisherigen Gehaltes;

die Höhe des Elterngeldes beträgt maximal 1.800 Euro, der Mindestbetrag 300 Euro;

zusätzlich soll es zwei Partnerschaftsmonate („Vätermonate“) geben, die gezahlt werden, wenn das andere Elternteil - in der Regel die Väter - mindestens zwei Monate die Kindererziehung übernimmt und dafür sein Erwerbsleben einschränkt;

gezahlt wird das Elterngeld auch bei Teilzeitarbeit von bis zu 30 Wochenstunden;

den Sockelbetrag von 300 Euro monatlich (der dem bisherigen Erziehungsgeld entspricht) sollen auch Eltern erhalten, die von staatlichen Transferleistungen wie ALG II (Hartz IV) leben.

Gefeiert wird das sowohl von der Union als auch von der SPD als „moderne Familienpolitik“ oder gar als Paradigmenwechsel innerhalb der Familienpolitik, welche die heutige Realität junger Familien berücksichtigen würde. Dabei wird auf folgende tatsächliche Änderungen abgezielt:

da oft beide (Ehe)Partner berufstätig sind, würde mit der Einführung dieser Einkommensersatzleistung vor allem berufstätigen jungen Müttern der Kinderwunsch erleichtert, da die finanzielle Abhängigkeit vom Partner abgemildert wird;

der gestiegene Wunsch junger Männer, sich stärker an der Kindererziehung zu beteiligen, würde begünstigt, da auch diese Elterngeld erhalten könnten.

Orientiert hat sich die Regierung beim Elterngeld an der Familienpolitik der skandinavischen Länder, die schon seit Mitte der 90er Jahre ein Elterngeld eingeführt hatten. Das habe dazu geführt, dass sich Väter stärker an der Erziehung beteiligen und wieder mehr Kinder geboren würden, was ja auch ein Grund für die Einführung des Elterngeldes war.

Laut Bundesamt für Statistik war das Jahr 2005 das Jahr mit einem Rekordtief an Geburten in Deutschland. Diese Entwicklung wird sich in den nächsten Jahren fortsetzen.

Zumindest die Frage, ob das Elterngeld zu mehr Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau in der Frage der Kindererziehung geführt hat, lässt sich am Beispiel Schweden bestreiten. Dort haben sich zwar seit Einführung des Kindergeldes mehr Väter an der Kindererziehung beteiligt und sich von der Arbeit freistellen lassen (bis zu 80 Prozent der Väter bleiben dort zumindest für eine gewisse Zeit zuhause), das aber nur tageweise (was im schwedischen Modell bisher im Gegensatz zum deutschen möglich ist) und oft nur dann, wenn es in ihre Lebens- oder Freizeitplanung passt (z.B. zu Ostern oder zu Weihnachten).

Heilige Familie

Zudem wurde das ursprüngliche Vorhaben von CDU-Familienministerin Ursula von der Leyen, das Elterngeld nur dann volle 12 Monate zu zahlen, wenn sich auch die Väter an der Kindererziehung beteiligen und sich entsprechend freistellen lassen, von der CSU abgelehnt, weil dies angeblich eine unzulässige Einmischung des Staates in die Kindererziehung bedeuten und eine staatliche Sanktion darstellen würde. Es sollte den Ehepartnern selbst überlassen werden, wer die Kindererziehung übernehme.

Der Kompromiss besteht nun darin, keine staatlichen Sanktionen zu veranlassen, sondern eine Bonusregelung einzuführen, die eben darin besteht, zwei Monate zuzugeben, wenn sich die Väter (in der Regel) freiwillig bereit erklären, sich mindestens zwei Monate für die Kindererziehung freistellen zu lassen.

In der Kritik steht aber vor allem die Benachteiligung einkommensschwacher Familien, Alleinerziehender und BezieherInnen von ALG II.

Ursprünglich wollten CDU und CSU, dass das Elterngeld, auf das „großzügig“ bemessene Arbeitslosengeld II, das ja durch das SGB II Optimierungsgesetz noch gekürzt werden soll, anzurechnen. Diesen brutalen sozialen Eingriff wollte oder konnte die SPD dann doch nicht mitgehen, weil sie sonst erneut ihre soziale Basis verprellt hätte.

Umverteilung

Die Einführung des Elterngeldes wurde von Familienministerin von der Leyen von Anfang an ganz offen als Förderung des Kinderwunsches von jungen Akademikerfamilien propagiert, geringer verdienende Familien, Alleinerziehende oder gar ALG II-EmpfängerInnen waren nie ihr Zielklientel.

Selbst in einer internen Stellungnahme der CDU/CSU zum Entwurf des Kindergeldes wird davon gesprochen, dass „185.000 Klein-Einverdiener-Haushalte und 155.000 Kleinverdiener-Haushalte“, also insgesamt 340.000 sozial schwache Familien, zu den Verlierern des Elterngeldes gehören werden, da sie im zweiten Jahr nichts mehr bekämen. Einkommensschwache Familien konnten das bisher gültige Erziehungsgeld bis zu zwei Jahre beziehen bei einem Grundsockel von 300 Euro. Das bedeutet für diese Familien, darunter auch viele Hartz IV-EmpfängerInnen, eine Einbuße von 300  Euro pro Monat für ein Jahr!  (nach Financial Times Deutschland, 11.05.06)

Der Knackpunkt dieses Modells ist die einkommensabhängige Auszahlung des Elterngeldes (statt eines Grundbetrages unabhängig vom Einkommen) und der damit einhergehenden enormen sozialen Ausdifferenzierung bei der Höhe der Auszahlung. Je nach Einkommen kann dies variieren von 300 Euro als Grundsockel bis zu 1.800 als Höchstbetrag.

Bei einer prozentualen Anrechnung von 67 Prozent auf die letzten drei Monatsgehälter (oder wahlweise der letzten 12 Monate) wird, je höher das Gehalt war, auch entsprechend mehr Elterngeld gezahlt.

Hinzukommt, dass zwar das Elterngeld steuerfrei ist, aber bei der Lohnsteuererklärung auf das Gehalt angerechnet wird. D.h. zwar auf der einen Seite, dass die tatsächliche Auszahlung geringer wird, aber für Besser- und Bestverdienende der Abzug geringer wird, da die Steuerprogression bei gut bezahlten Jobs auch geringer wird.

Zynisch betrachtet kann man davon sprechen, dass es in der BRD zwei Sorten von Nachwuchs geben soll: einerseits Kinder gut situierter Mittelschichten, die erwünscht sind und möglichst viel Förderung erhalten sollen; andererseits Kinder aus sozialschwachen Schichten, die zwar nicht verhungern sollen, aber von Anfang an an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden und ihre zukünftige Rolle als AlmosenempfängerInnen oder NiedriglöhnerInnen früh genug eingebläut bekommen.

Dazu erfolgt noch eine gigantische Umschichtung von unten nach oben. Die Einführung des Elterngeldes sollte ja den Bundeshaushalt mit nicht mehr als 4 Mrd. Euro belasten. Um dies zu erreichen, muss man natürlich den sozial Schwächeren die bisherigen Leistungen kürzen.

Insofern kann man tatsächlich von einem Paradigmenwechsel in der Familienpolitik sprechen. Was mit der Einführung der Hartz-Gesetze begonnen hat, soll jetzt auch in der Familienpolitik eingeführt werden: ein immer größerer Teil der arbeitenden Bevölkerung wird bewusst an den Rand der Gesellschaft gedrängt.

MarxistInnen kritisieren am Elterngeldprojekt grundsätzlich, dass damit die bürgerliche Familie gestärkt werden soll, also gerade jene Struktur, die als „Keimzelle“ der bürgerlichen Gesellschaft wesentlich ist für die Unterdrückung der Frau. Anstelle jeder Art von Familienpolitik plädieren wir für die Vergesellschaftung der Hausarbeit und der Kinderbetreuung. Anstatt einer Gießkannenmethode oder gar der Bevorzugung reicherer Familien müssten vor allem arme Haushalte, z.B. von Arbeitslosen oder von ImmigrantInnen bevorzugt unterstützt werden.

Wären das Wohl der Kinder und die Gleichberechtigung wirklich von Layens Sorge, müssten ganz andere Sachen angepackt werden.

Kindern geht es weder in den deprimierten Arbeitslosenfamilien, noch in ausgelaugten Geringerverdienerhaushalt, noch in der gestressten Akadamikerehe besonders gut. Die steigende Belastung im Arbeitsprozess hat ebenso negative Auswirkungen auf die Kindererziehung wie die Belastung durch den Verlust des Arbeitsplatzes und der neo-liberale Kahlschlag von Kinderbetreuungseinrichtungen.

Alternative

Kinder müssen mal raus aus der Familie – und Frauen müssen raus aus der alleinigen Verantwortung.

Solange Frauen für die Reproduktionsarbeit zuständig sind, kollidiert jede löbliche Absicht ganz einfach mit der tagtäglichen Reproduktion der sozialen Unterdrückung der Frauen, die sich unter anderem in geringeren Löhnen für gleichwertige Arbeit, in der verstärkten Abdrängung von Frauen in unsichere, schlecht bezahlte Arbeitsverhältnisse ausdrückt.

Ein wirklicher Paradigmenwechsel wäre es also, wenn Erziehung und Ausbildung, wenn die Nutzung entsprechender Einrichtungen kostenlos und qualitativ gut ausgestattet wären - bezahlt aus den Profiten der Konzerne und dem Reichtum der Oberschicht; wäre es, wenn Frauen gleich bezahlt werden würden und die Arbeitszeit für alle drastisch verkürzt würde.

Während Ursula von der Leyen sich zur staatlichen Samariterin stilisiert, läuft ihr Programm auf die weitere Verschlechterung der Lage der Frauen hinaus. Zugleich plädiert sie für die stärkere Betonung konservativer Werte in Bildung und Erziehung und die stärkere Einbeziehung der Kirchen.

Entgegen dieser, auch von der SPD mitgetragenen, verlogenen familiären „Sozialpolitik“ muss die Linke auf eine andere Perspektive setzen: den Aufbau einer proletarischen Frauenbewegung, die sich für ihre ureigensten Interessen selbst engagiert und organisiert. Denn dabei hilft auch den Frauen „kein Gott, kein Kaiser noch Tribun“ - und schon gar keine CDU-Ministerin.

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Nr. 111, Juni 2006

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