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Nach dem europäischen Aktionstag

Bilanz und Perspektiven

Infomail 163, 11. April 2004

Am 2. und 3. April nahmen europaweit mehr als eine Million Lohnabhängige an den Aktionstagen teil. Die größten Aktionen fanden in Italien, Deutschland und Frankreich statt. In Rom beteiligte sich eine halbe Million Menschen an einer landesweiten Demo, in Berlin 250.000-400.000, in Stuttgart 150.000 und in Köln 100.000 - also auch in Deutschland mehr als eine halbe Million. In Frankreich fanden am 2. April mindestens 60 regionale und lokale Kundgebungen und Demos statt und am 3. April eine zentrale Demo in Paris.

Außerdem gab es zentrale Demos in der Slowakei, Slowenien und Belgien. Kleinere dezentrale Aktionen und reine Saalveranstaltungen wurden in Dänemark, Estland, Britannien, den Niederladen, Österreich, Polen, Portugal, Rumänien, Spanien und Ungarn durchgeführt.

Der 2. und 3. April zeigten, dass das Potential für eine kraftvolle, europaweite Mobilisierung und einen erfolgreichen Abwehrkampf gegen den Generalangriff der Bourgeoisien Europas vorhanden ist. Drei der größten und wichtigsten Arbeiterklassen des Kontinentes - die deutsche, französische und italienische - führten Massenmobilisierungen durch. Das ist deshalb besonders hervorzuheben, weil diese drei Klassen auch zentral sind, weil diese auch im Zentrum des Angriffs des Kapitals stehen. In dieser Hinsicht war der europäische Aktionstag ein Erfolg - weil er sowohl den ArbeiterInnen wie der herrschenden Klasse einen Eindruck von der Kampfkraft der Klasse vermittelt hat.

Trotzdem muss der Terminus "europäischer Aktionstag" relativiert werden. Zahlreiche Gewerkschaftsführungen sabotierten den Tag vollständig. Streiks und betriebliche Aktionen gab es entweder kaum und wenn, dann nur von linken „AbweichlerInnen“ organisiert - oder sie fielen „ungeplant“ mit landesweiten Streiks wie in Italien zusammen. Überhaupt waren die Mobilisierungsthemen nicht "europäisch" geprägt, sondern richteten sich in erster Linie gegen strategische Angriffe im "eigenen" Land. Wo Europa berührt wurde, geschah das in überaus zurückhaltender Form durch den Ruf nach "mehr Einbindung", mehr Sozialpartnerschaft und einen mehr schlecht als recht verhüllten Ruf nach einem Klassenkompromiss im Rahmen eines europäischen imperialistischen Blocks.

Für die RednerInnen in Deutschland kann außerdem gesagt werden, dass sie keine konkrete Mobilisierungsperspektive aufzeigten, zudem gab es einen stark volksfrontlerischen Charakter bei der Zusammensetzung der RednerInnen. Das zeigte sich in den Appellen an die "Vernunft" der Herrschenden und auch darin, dass Spitzenleute aus den Kirchen und Sozialverbänden (die selbst z.T. zu den Vorreitern von Kürzungen bei ihren Sozialeinrichtungen und beim Lohnraub gehören) und der CDU-Sozialminister Kohls - Norbert Blüm - in Köln auf den Redebühnen vertreten waren.

Doch es zeigte sich auch in Deutschland eine massive Bereitschaft der Gewerkschaftsmitglieder und auch vieler nichtorganisierter Lohnabhängiger, aktiv zu werden. Es zeigte sich das nach wie vor vorhandene große Mobilisierungspotential des DGB. Aber es zeigte sich auch, dass über den Aktionstag hinaus keine weitere Aktionsperspektive gezeigt wurde - und von den Gewerkschaftsführungen aufgrund ihrer Politik auch schwer gezeigt werden kann.

Das ist umso dramatischer, als das Kapital die strategischen Angriffe auf die Arbeiterklasse auf allen Fronten verschärft hat. Einerseits durch die Hartz- und Agendagesetze - vor allem aber durch dramatische Forderungen nach Arbeitszeitverlängerung (42-Stunden-Woche im Öffentlichen Dienst, 40 Stunden in Großenkonzernen) und nach drastischen Lohnsenkungen (bis zu 20, 30 Prozent). Es handelt sich um einen Generalangriff, der jetzt unmittelbar bevorsteht und von dem in den nächsten Monaten die Beschäftigten im Öffentlichen Dienst und in den Großkonzernen zentral betroffen sein werden.

Daher muss die Generalstreiklosung jetzt auch in den Vordergrund gerückt werden! Im Fall z.B. des Angriffs auf den Öffentlichen Dienst rufen wir nicht nur für eine volle Mobilisierung der dort Beschäftigten und einen landesweiten Streik auf; sondern auch für dessen Generalisierung zu einem Generalstreik!

Die Reden und Aufrufe der GewerkschaftsführerInnen fielen dramatisch hinter solche Notwendigkeiten zurück, geschweige denn davor, den Kapitalismus selbst anzugreifen.

Anders als am 1. November, als Losungen nach Streik und Generalstreik und eine gewisse anti-kapitalistische Grundstimmung vorherrschten, war die Masse der DemonstratInnen stark gewerkschaftlich-reformistisch geprägt - jedoch mit viel Wut, Empörung und spürbarem Misstrauen gegenüber der Führung. Dieses Misstrauen darf jedoch nicht vorschnell schon mit einem Bruch mit diesen Führern verwechselt werden. Bei allem Misstrauen sehen die Massen in ihrer großen Mehrheit keine Alternative zur Gewerkschaftsführung. Der Hass und das Misstrauen gegen einige besonders verabscheuenswürdige Bürokraten wie DGB-Chef Sommer führt daher oft dazu, dass andere wie Bsirske oder Peters trotz ihrer eigenen Ausverkaufspolitik in den Tarifvertragsrunden als Hoffnungsträger erscheinen.

Die Aktionen haben zu einer gewissen Verschiebung des Kräfteverhältnisses im Apparat geführt. Im letzten Jahr konnten die „Modernisierer“ und der offen rechte Teile der Bürokratie noch alle Aktionen abwürgen. Mit dem 1. November und dem Europäischen Sozialforum konnte der Mainstream der Gewerkschaften zur Aktion gezwungen und weitergetrieben werden, als er es wollte. Die Mobilisierungen wurden größer, als von manchen gewünscht.

Der 1. November war eine politische Mobilisierung der Avantgarde der Klasse gegen den Willen aller großen Strömungen des Gewerkschaftsapparates - der "Traditionalisten" wie der "Modernisierer". Der 3. April fand vor einer veränderten Konstellation statt. Er war eine Mobilisierung der aktiveren Masse der reformistischen Gewerkschaftsbewegung. Die Demonstration vom 3. April wurde daher politisch von der Bürokratie dominiert (und diese tat auch ihr Möglichstes, das sicherzustellen).

Für die Mobilisierung waren die Avantgarde der Klasse wie auch die Sozialbündnisse von großer Bedeutung: in zahlreichen Veranstaltungen, an Infotischen, in den Betrieben und bei den leider wenigen Aktionen am 2. April. Aber die VertreterInnen der Mobilisierung vom 1. November vermochten es nicht, zu einer bundesweit sichtbaren politischen Alternative zur Bürokratie zu werden, obwohl es erste Schritte zu einer solchen bundesweiten Positionierung gab (Aufruf der Frankfurter Aktionskonferenz), die auch in den Betrieben verwendet wurden. Hinzu kommt, dass es auf dieser Linie auch viele betriebliche Aufrufe von Vertrauensleutekörpern und anderen Gremien gab.

Aber als eigenständige politische Kraft, die eine Alternative zur Politik der Bürokratie weisen könnte, war die Gewerkschaftslinke auf der Demo nicht präsent. Nur wenig mehr konnten die Sozialbündnisse- und foren, die Aktionskonferenzen, Blöcke der radikalen Linken usw. der Hegemonie der Gewerkschaftsbürokratie entgegensetzen. Immerhin hatten letztere eigene Aufrufe, formierten kleinere Blöcke und konnten auf die Rednerlisten Einfluss nehmen.

Die Schwäche dieser Kräfte zeigte sich in Berlin besonders deutlich, als der rund 1000 Leute starke "Wir wollen Alles" Block von der Polizei angegriffen wurde und keine Solidarisierung seitens der Gewerkschaften und anderer Blöcke erfolgte. Im Gegenteil: die VeranstalterInnen vom Bundesvorstand des DGB weigerten sich nicht nur, gegen die Polizeiprovokation zu protestieren, sondern stimmten den Polizeiübergriffen auf die Demonstration sogar noch zu!

Die politische Schwäche der Gewerkschaftslinken und der Sozialbündnisse, die am 3. April auch deutlich wurde, liegt oft darin, dass sie selbst von linken Bürokraten dominiert oder nicht bereit sind, gegen deren politische Anlehnung an den Apparat offen aufzutreten. Hinzu kommt die schwache, organisierte Verankerung von Gewerkschaftslinken in den Betrieben bzw. der Sozialbündnisse und -foren in den Stadtteilen. Was kleinbürgerliche Kräfte und die "radikale" Linke betrifft, so liegt ihre zentrale Schwäche darin, die strategische Bedeutung der Lohnabhängigen und vor allem der produktiven ArbeiterInnen zur Abwehr der Angriffe des Kapitals zu negieren.

Die Massenmobilisierung am 3. April hat das Kampfpotential der Arbeiterklasse gezeigt. Die Reaktionen der Regierung und der herrschenden Klasse haben aber auch klar gemacht, dass weit mehr als Großdemonstrationen am Wochenende notwendig sind, um den Generalangriff des Kapitals zu Fall zu bringen. Im Öffentlichen Dienst werden jetzt mit der 42-Stunden-Woche die Daumenschrauben angezogen. Bei den Großkonzernen drohen Massenentlassungen oder Lohnraub in bisher nicht gekanntem Ausmaß. Diese Angriffe sind Angriffe auf die ganze Klasse! Sie müssen deshalb auch von der ganzen Klasse bekämpft werden! Nur ein Generalstreik kann sie deshalb stoppen!

Dafür müssen wir in den Betrieben, in den Gewerkschaften, den Sozialbündnisse- und foren, in Vorbereitung des 1. Mai mobil machen. Dazu müssen jetzt betriebliche und lokale Vorbereitungstreffen organisiert und der Basis verantwortliche Ausschüsse gewählt werden.

Über diese Mobilisierung kann und muss eine neue politische Alternative - eine neue Arbeiterpartei - geschaffen werden. Sie muss eine Kampforganisation gegen die Agenda des Kapitals sein - nicht bloß ein neuer sozialdemokratischer Wahlverein. Sie muss internationalistisch sein und den gemeinsame Kampf mit dem anti-imperialistischen und sozialen Widerstand auf der ganzen Welt aufnehmen und klar gegen jeden Chauvinismus, gegen jeden Standortpatriotismus Stellung nehmen.

Die Kapitalisten gehen aufs Ganze. Wir auch! Ein Generalstreik ist deshalb nicht nur der einzige Weg, die Angriffe des Kapitals und der Regierung zu stoppen; er wirft zugleich die Machtfrage auf und mobilisiert die Arbeiterbewegung als soziale Kraft, die Machtfrage auf der Ebene des Staates zu lösen. Auch eine neue Arbeiterpartei muss einen Weg zu ihrer Lösung weisen - zur sozialistischen Revolution, zur Herrschaft der Arbeiterklasse.

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