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Ägypten

Imperialistischer Konsens bei Pseudowahlen

Marcus Halaby, Infomail 758, 18. Juni 2014

Der russische Imperialismus und seine westlichen Rivalen mögen sich über die Ukraine in den Haaren liegen, in Ägypten jedoch scheinen sie eine stillschweigende Übereinkunft zu Gunsten der Konsolidierung einer kaum verhüllten Militärdiktatur getroffen zu haben.

Bei der Farce der Präsidentschaftswahlen vom 26.-28. Mai, zu dessen Gewinner der Militärmachthaber Abdel Fattah al Sisi erklärt worden ist, hat nur die Hälfte der ägyptischen Bevölkerung abgestimmt. Zwei Jahre zuvor hatte der konterrevolutionäre Präsidentschaftskandidat des Militärs, Achmed Schafik, der dem durch das Militär gestürzten und verhafteten zivilen Amtsvorgänger Mohamed Mursi unterlegen war, 48,3% der Stimmen erhalten. Diesmal war das Wahlergebnis weit mehr verfälscht.

Der ‚Rückhalt in der Bevölkerung’ für das Militär besteht sozial und materiell darin, dass die ägyptische Arbeiterklasse über keinen politischen Ausdruck verfügt. Die städtischen Mittelschichten, v.a. die sozial abgesicherteren, sind erschöpft und von der Revolution 2011 desillusioniert und bevorzugen eine Rückkehr zu den Jahrzehnten der Militärherrschaft seit Nasser.

Kein demokratisches Mandat

Doch Sisis Militärjunta, die immer noch mit der massenhaften und brutalen Unterdrückung von Protesten in der Bevölkerung gegen ihren Putsch im Juli 2013 beschäftigt ist, kann keine freien und fairen Wahlen zulassen. Ihr durch alle gesäuberten und kontrollierten Medien verbreiteter Schlachtruf, ‚den Terror’ bekämpfen zu wollen, gibt mit dieser Wahlfarce Sisi kein demokratisches Mandat für seine Präsidentschaft. Es fehlt selbst der Anschein von Glaubwürdigkeit, den die Wahlfälschungen unter Diktator Hosni Mubarak noch zu wahren suchten.

Ein Blick auf die Ergebnisse zeigt dies deutlich. Bei insgesamt 25,6 Mill. Stimmen, d.h. 47,5% der Wahlberechtigten, sollen 23,8 Millionen für al Sisi gestimmt haben. Hamdin Sabahi, ein Nasserist, der als einziger bekannter bürgerlicher Politiker sich für die Rolle des Strohmann-‚Gegenkandidaten’ hergab, erhielt 758.000 Stimmen (3,1%). Weniger als eine Million Stimmen waren ungültig.

Doch die Behörden hatten die Wahlen um einen Tag auf 3 verlängert, nachdem Sabahis AnhängerInnen laut Meldungen des Senders France 24 von Auszählungen berichteten, die ihren Kandidaten auf 10-15% brachten. Innenminister Hany Abdel Latif bezifferte den Stimmanteil gegenüber der Nachrichtenagentur Associated Press gar auf 30%.

Premierminister Ibrahim Machlab drohte damit, ein Gesetz anzuwenden, wonach Nichtwählen mit 500 ägyptischen Pfund (100 Euro) Geldstrafe oder dem Einzug eines durchschnittlichen Wocheneinkommens geahndet werden soll.

Die von Sisi-Freunden kontrollierten Fernsehkanäle, also fast alle, trommelten noch einmal für den Urnengang, machten sich lustig über die Trägheit von Leuten, die nicht zur Wahl gehen wollten, weil sie nicht die Annehmlichkeit einer Klimaanlage missen möchten, und über den Mangel an politischem Engagement bei Leuten, an die Demokratie sowieso verschwendet sei.

Sogar Sabahi, der mitgespielt und seine Niederlage eingestanden hatte, protestierte nun gegen diese schreiende Form von Wahlverfälschung. Israels „Jerusalem Post“ zitierte ihn mit der Äußerung, dass diese Wahlen im Ergebnis „eine Beleidigung der Intelligenz von Ägyptern“ sei.

Internationale Reaktionen

Als ob dies nicht genug Beweis für den konterrevolutionären Charakter der Wahlen war, fand sich eine Schar von Gratulanten ein, die Sisi zu seinem ‚Wahlsieg’ beglückwünschten: an der Spitze Israels Premier Netanjahu, US-Präsident Barack Obama, Russlands Präsident Wladimir Putin, der britische Außenminister William Hague, der algerische Diktator Abdelasis Bouteflika, der omanische Monarch Sultan Kabus bin Said sowie der palästinensische Präsident Mahmoud Abbas.

Nicht zu vergessen natürlich, dass Saudi Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate, die unverzichtbaren Unterstützer jeder Diktatur im arabischen Raum, sich bereit erklärt haben, ein Hilfspaket zu schnüren, das mit 20 Milliarden Dollar Ägyptens angeschlagene Wirtschaft stabilisieren soll.

Opposition

Doch entgegen der Behauptung der breiten Unterstützung in der Bevölkerung lebt eine Anti-Putschbewegung fort. Sie genießt den Rückhalt großer Teile der ägyptischen Gesellschaft, die sich durch Sisis Staatsstreich im Juli 2013 um die Früchte ihrer Stimmen und der Revolution betrogen sieht. Die Bewegung ist noch nicht zerschlagen - trotz der massiven Staatsgewalt, die gegen sie eingesetzt wird. Ein Gericht in Minja hat z.B. 529 Menschen zum Tode verurteilt wegen der angeblichen Ermordung eines Polizisten im März. 37 von ihnen wurden hingerichtet, die übrigen sollen lebenslang im Gefängnis schmoren.

Dasselbe Gericht beschrieb die Verurteilten (zur Hauptsache Islamisten oder mit ihnen Verbündete) als ‚Dämonen’, die den Lehren ‚ihres heiligen Buches, des jüdischen Talmuds’ folgten und verhängte im April gegen weitere 683 Personen die Todesstrafe. Sie soll am 21. Juni rechtskräftig werden. Mehr als 41.000 Menschen wurden gefangen genommen und von den Behörden seit dem Putsch vor Gericht gestellt, berichtete das Portal Wikithawra am 25. Mai.

Hayham Abo Khalil vom Opferzentrum für Menschenrechte gab am 30. Mai bekannt, dass sich über 20.000 Gefangene in über 114 Gefängnissen an einem einwöchigen Hungerstreik beteiligen. Das wäre der wahrscheinlich größte Hungerstreik der Geschichte, doch er wird von den Mainstream-Medien in Ost und West übergangen. Worin sich Russia Today, die BBC, das deutsche Fernsehen und Al Arabija einig sind, ist ihre Wahrnehmung, dass in Ägypten nichts zu sehen ist außer Sisis offensichtlicher, wenn auch nicht immer appetitlicher Popularität.

Einheitsfront

Dringend notwendig ist dagegen eine solidarische und gemeinsame Aktion aller Kräfte, die gegen die Unterdrückung des Militärs sind und sie zu spüren bekommen. Gemeinsame Aktionen sind notwendig - ungeachtet unterschiedlicher Ideologie (islamistisch oder weltlich), der Haltung zur Forderung nach der Wiedereinsetzung von Mursi und unabhängig davon, ob Organisationen an Protesten gegen die von der Moslembrüderschaft dominierte Regierung teilgenommen oder ob sie diese Regierung verteidigt haben.

Dies sollte aber nicht die Freiheit der Kritik ausschließen, denn wenn die Massen nicht aus den Fehlern ihrer Führer in den letzten 3 Jahren lernen, gibt es keine Hoffnung auf die Errichtung eines wahrhaft demokratischen, revolutionären Regimes, das sich der Herstellung von gesellschaftlicher Gerechtigkeit verschreibt.

Bislang ist weder eine gemeinschaftliche Aktion noch eine Selbstkritik vonstatten gegangen. Die liberale ‚Jugendbewegung’ hat im Großen und Ganzen den Sturz Mursis als Ausweitung der Revolution begrüßt und ist erst tröpfchenweise in das Antiputschlager gewechselt, als sie selber Zielscheibe von Unterdrückung durch die Militärregierung wurden.

Die radikale Linke ist da kaum besser. Die ägyptischen „Revolutionären Sozialisten“ (verbunden mit Marx 21) sahen zunächst Sisis Putsch als Fortsetzung der Massenbewegung gegen Mursi vom 30. Juni. Sie erkannten nicht die Konterrevolution, sondern missdeuteten sie als Fortsetzung der Revolution.

Vordem hatten sie eine Unterstützung von Mursi, dem Kandidaten der Moslembruderschaft, gegen Achmed Schafik, den Vertreter der alten ‚Feloul’-Mubarak-Gefolgschaft, als einen verzerrten Reflex der Revolution gerechtfertigt. Sie haben nun diese Fehler um einen erweitert: die Unterstützung von Sabahis zum Scheitern verurteilter Präsidentschaftskandidatur. Während dies vor 2 Jahren bedeutet hatte, das Prinzip der politischen Unabhängigkeit der Arbeiterklasse fallen zu lassen - und das während eines Kampfes für demokratische Rechte -, heißt dies heute, der Militärdiktatur Glaubwürdigkeit zu verschaffen, um die diese gerade zu kämpfen hat.

Arbeiterpartei

Am dringlichsten stellt sich die Aufgabe, die gesellschaftliche Kraft wach zu rufen, die im wesentlichen die Kräfteverhältnisse in der ägyptischen Gesellschaft ändern kann: die organisierte städtische Arbeiterklasse. Die Anti-Putschbewegung kann auch die verarmten ländlichen Regionen erfasst haben, die erst einige Zeit nach dem Beginn der ägyptischen Revolution tätig geworden sind, und sie kann auch die Bindung einer neuen Generation von jungen und plebejischen Jugendlichen prägen, die die VertreterInnen der liberalen ‚Jugendbewegung’ alt aussehen lassen können.

Aber es bedarf v.a. der Arbeiterklasse, die allein imstande ist, die Unzufriedenheit und Ablehnung der Militärherrschaft zu bündeln und die wacklige ‚Stabilität’ dieser Regierung zu erschüttern.

Im Februar, als Sisi das Schaufenster mit verfassungsmäßiger Legitimität für seine Inthronisierung dekorieren wollte, zwang eine Streikwelle mit Lohnforderungen sein ohnehin zerstrittenes Kabinett zum Rücktritt. Mit 100.000 ArbeiterInnen in 54 verschiedenen Unternehmen waren diese Streiks kaum geringer als unter Mursi oder der Militärjunta. Damals war dies der Auslöser, Mubarak zu opfern, um ihre eigene Position zu retten.

Auf der Grundlage einer Massenbewegung der ArbeiterInnen mit politischen Forderungen könnte so vieles erreicht werden: ein entschiedener Bruch mit der Militärmacht, wirklich freie und faire Wahlen, wahrhafter politischer Pluralismus und die Aufhebung von Zensur und staatlicher Repression.

Dies jedoch benötigt eine Partei, die diese Strategie formuliert und verfolgt, die nicht nur ein repräsentatives Regime in einer zutiefst ungleichen Klassengesellschaft errichten will, sondern sich das Ziel steckt, durch eine sozialistische Revolution die kapitalistische Gesellschaftsordnung zu stürzen, die, so lange sie besteht, selbst die formale Demokratie auszulöschen droht.

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