Arbeitermacht
Liga für die fünfte Internationale

Nord & Südamerika Europa Asien & Australien


google.de arbeitermacht.de

Eine Bilanz der Blockaden in Magdeburg

Erfolge und Mängel

Svenja Spunck, REVOLUTION Berlin, Infomail 724, 22. Januar 2014

Die Geschichte bietet rechtsradikalen Organisationen zahlreiche Anlässe, Geschichtsrevisionismus zu betreiben und ihr Gedankengut auf die Straße zu tragen. Vor allem wollen sie sich mehr Akzeptanz verschaffen.

Dagegen gibt es vielfältige Gegenaktionen. Stadtregierungen und Bürgerkomitees organisieren Veranstaltungen für mehr Toleranz, während linke Organisationen und AktivistInnen versuchen, die Nazi-Aufmärsche zu blockieren.

Mobilisierung

Es gehört zu unserem Selbstverständnis als kommunistische Jugendorganisation, zu solchen Blockaden zu mobilisieren, um Neonazis militant und massenhaft von den Straßen zu vertreiben. Natürlich sind wir der Meinung, dass faschistischer Terror im Keim erstickt werden muss - mit allen dazu nötigen Mitteln. Straßenfeste und Bürgerversammlung sind eine Möglichkeit, die AnwohnerInnen zu informieren, aktiv verhindern können sie faschistische Aufmärsche jedoch nicht. Veranstaltungen wie die „Meile der Demokratie“ verklären außerdem das Prinzip der Toleranz. In Magdeburg wurde diese gemeinsam von CDU, FDP, Linkspartei, SPD und Gewerkschaften organisiert. Konkret bedeutet das, dass Organisationen der Arbeiterklasse gemeinsam mit rein bürgerlichen Parteien traute Einigkeit vortäuschen. Denn die von den bürgerlichen Parteien gesetzlich legitimierte Polizeigewalt richtet sich v.a. gegen AntifaschistInnen – aber auch gegen Streikende oder MigrantInnen. Die Spitze des politischen Verrats ist der Beschluss der Organisatoren dieser Meile, DemonstrationsteilnehmerInnen den Zugang zu verwehren, weil von ihnen potentiell eine Gefahr ausginge. Die Gefahr, die von den Nazi-Gruppen ausging, die in der Stadt unterwegs waren, wird dadurch verharmlost. Trotz aller Schikanen waren die antifaschistischen Aktionen im Vergleich zu den letzten Jahren ein Erfolg! Nicht nur die Zahl der Nazis hat sich um ein Drittel verringert, sie mussten auch in einiger Entfernung zum Stadtzentrum, nämlich im Rand- und Industriegebiet um den SKET-Bahnhof, ihren erbärmlichen Marsch abhalten, weil es uns mehrmals gelang, ihren ursprünglichen Versammlungsort zu blockieren.

Aber haben wir wirklich das gesamte Potential ausgeschöpft, das in unserer Mobilisierung steckte?

Demonstrationen und Blockaden sind gemeinsame Aktionen verschiedener linker Gruppen und EinzelaktivistInnen, die unterschiedliche Erfahrungen mitbringen. Anhand der diesjährigen antifaschistischen Demonstration in Magdeburg am 18.01. möchten wir als REVOLUTION Stellung zu einigen Demonstrationstaktiken beziehen, über die wir auch mit anderen AktivistInnen diskutieren möchten, um gemeinsam erfolgreich zu sein.

Einige taktische Fragen

Als erstes wollen wir klarstellen, dass wir Pazifismus als Strategie ablehnen. Nicht etwa, weil wir der Meinung sind, allein durch Gewalt unsere politische Überzeugung zum Ausdruck bringen zu können. Im Gegenteil, wir möchten demokratische Mitsprache für jedeN ermöglichen und wehren uns gegen sämtliche Formen der Unterdrückung. Jedoch halten wir es für eine Illusion, die herrschende Klasse, die sich auf das Gewaltmonopol des Staates in Form von Armee und Polizei stützt, durch moralische Überlegenheit davon zu überzeugen, dass wir ihre Politik für falsch und menschenverachtend halten.

Denn möglich wurde der Nazi-Aufmarsch in Magdeburg überhaupt erst durch den massiven Polizeieinsatz in der Landeshauptstadt. Mit dem Einsatz von ca. 3.300 Beamten schirmte die Polizei den ganzen Tag über die Nazi-Route im östlich von der Elbe gelegenen Stadtteil Herrenkrug ab, um den wenigen hundert Nazis den Weg frei zu halten - auch mit Gewalt. Die Bilanz des Tages: 33 Ingewahrsamnahmen, 15-20 Schwerverletzte durch den Einsatz von „Zwangsmitteln“, wie die Polizei Sachsen-Anhalt in ihrer eigenen Pressemitteilung schreibt. Ein Polizist zog gegen die Demonstration am Buckauer Bahnhof sogar seine Dienstwaffe, an anderer Stelle sahen Polizisten bei Angriffen auf AntifaschistInnen durch Nazis tatenlos zu.

Um einen politischen Feind siegreich zu bekämpfen, sollte man also seine Macht realistisch einschätzen. Die Bourgeoisie wird sich wahrscheinlich nicht freiwillig enteignen lassen und die militärischen Mittel, über die sie verfügt, sind kein Geheimnis.

Die richtige Einschätzung des Gewaltmonopols gilt auch für Situationen in Tageskämpfen, wie die Verhinderung von Naziaufmärschen. In erster Linie versucht die Polizei dort, uns von den Blockadepunkten fernzuhalten und greift die AntifaschistInnen von allen Seiten an. Wir verurteilen geworfene Steine oder Flaschen gegen die Polizei nicht generell, denn wir kämpfen auch für die Zerschlagung des bürgerlichen Staates. Wenn die Steine jedoch ihr Ziel verfehlen und die eigenen GenossInnen verletzen, ist uns  nicht geholfen. Wenn wir uns von der Polizei nicht daran hindern lassen wollen, die Nazis zu stoppen, braucht es gut organisierte, militante und gezielte Massenaktion. Sie sind auch die Voraussetzung dafür, dass erfolgreiche Blockaden, wie die auf der Eisenbahnstrecke zwischen Bahnhof Herrenkrug und Bahnhof Neustadt durchgesetzt werden können. Wir wollen politische Ziele erreichen. Deshalb sollte es dabei nicht darum gehen, sich persönlich einen Kick zu verschaffen oder sich in seiner Bezugsgruppe zu profilieren.

Das gleiche gilt für die Errichtung von Barrikaden. Die Frage, die man sich als erstes stellen sollte, ist: Wen wollen wir blockieren? Uns selber oder alle, die unsere Demonstration oder unseren Kiez angreifen wollen? Mülltonnen auf die Straßen zu schieben oder Baustellenabsperrungen zu nutzen, um eine Straße unbefahrbar zu machen, kann sinnvoll sein - in der richtigen Situation. Weniger sinnvoll ist es jedoch, wenn die zweite oder dritte Reihe der Demonstration beginnt, alles auf die Straße zu schleifen, was nicht niet- und nagelfest ist, und alle Nachfolgenden darüber stolpern. Gerade dann, wenn die Polizei hinter der Demonstration läuft, führt das eher zu Panik und Verletzungen. Die Polizei ist technisch versiert genug, um andere Wege für ihre Einsatzwagen zu finden. Wenn man aber sein Ziel erreicht hat, wie zum Beispiel den Bahnhof in Magdeburg, an dem die Nazis ankommen sollten, ist es durchaus sinnvoll, zwischen sich und der Polizei Barrikaden zu errichten, um sich einerseits gegen Angriffe zu wehren, aber auch, um direkt gegen die Faschisten vorgehen zu können und ihnen den Schutz der Polizei zu nehmen.

Ähnliches gilt unserer Meinung nach für PassantInnen, die mit ihren Autos auf Straßen unterwegs sind, die auch wir nutzen. Solange keine Faschisten in den Autos sitzen und wir diese Straßen nicht unmittelbar blockieren wollen, besteht kein Grund, die Autos kaputt zu machen und die FahrerInnen anzupöbeln. Wir haben als linke AktivistInnen die Verantwortung, den bisher „unpolitischen“ Menschen verständlich zu machen, dass es auch Ihre Aufgabe ist, gegen jede Form des Faschismus zu protestieren. Wir plädieren dafür, dass linke und revolutionäre Organisationen Flugblätter und Zeitschriften auf Demonstrationen verkaufen, an PassantInnen aushändigen oder auch auf Versammlungen wie der “Meile der Demokratie” unter ArbeiterInnen und AnwohnerInnen verteilen, die sich Blockaden nicht zutrauen oder Illusionen in den Charakter dieser durchaus bürgerlich geführten Versammlungen haben.

Wir erreichen diese Menschen aber nicht, in dem wir der alleinerziehenden Mutter, die seit drei Jahren für ein Auto spart, um mit ihren Kindern am Wochenende wegfahren zu können, die Spiegel kaputt schlagen.

Auf einer großen antifaschistischen Demonstration in Nikea, einem Stadtteil von Athen, wo pakistanische MigrantInnen vor zwei Jahren ihren Bezirk gegen die Angriffe von Neonazis der „Goldenen Morgenröte“ verteidigten, wurde die ganze Demonstration unterbrochen, um Anwohner mit dem Auto durchfahren zu lassen. Sie haben freudig gehupt und sich über die Demonstration gefreut, die auch jetzt noch als eine der erfolgreichsten gilt.

Uns geht es dabei nicht um das Bild, das in den Medien produziert wird, denn der bürgerliche Staat biegt sich sowieso zurecht, was er braucht, um unseren Demonstrationen jegliche Berechtigung abzusprechen. Aber wir sollten mit den Menschen, die wir für uns gewinnen wollen und die uns nicht bewusst bekämpfen und sabotieren, solidarisch umgehen.

Eigene Organisierung

Solidarisch müssen wir auch und v.a. in den eigenen Reihen sein. Dazu gehört es unserer Meinung nach, Reihen, und in Gefahrensituationen Ketten, zu bilden. Eine Demonstration ist kein Sonntagsspaziergang, sondern ein Mittel des politischen Kampfes. Zum einen verleihen uns organisierte Reihen nach außen einen ernsthafteren Eindruck, zum anderen geben sie uns allen mehr Sicherheit und Durchsetzungsvermögen.#

In Magdeburg kam es zu einigen Situationen, in denen die Polizei mit relativ wenigen Kräften - insgesamt Schätzungsweise 20 Beamte auf einer 50 Meter breiten Straße - versuchte, uns den Weg zum Blockadepunkt abzuschneiden. Nur wenige der insgesamt 3.000 AntifaschistInnen in Magdeburg organisierten sich in zusammenhängenden Reihen, weshalb ein Durchbruch nicht möglich war, und wir nicht zur Blockade kamen. Besonders für die Leute in der ersten Reihe ist es extrem demoralisierend zu merken, dass die große Masse nicht kampfbereit hinter ihnen steht. Zahlenmäßig waren uns die Bullen weit unterlegen und die Erfahrungen der letzten Jahre in Dresden haben gezeigt, dass wir in organisierten Reihen vieles erreichen können. Man kann jedoch nicht von der ersten Reihe verlangen, dass sie sich Knüppeln und Pfefferspray aussetzen, um durch die Polizeikette zu brechen, wenn man sie nicht aktiv unterstützt. Sprüche wie „BRD, Bullenstaat, wir haben dich zum Kotzen satt“ zu rufen, aber in dem Moment, wenn man sich gegen diesen Bullenstaat wehren könnte, einen Rückzieher zu machen, ist feige. Wir verurteilen die Taktik, die von Kadern der autonomen Linken immer wieder aufs Neue die gesamte Bewegung schwächt. Unorganisierten Jugendlichen, die sich dem politischen Protest anschließen wollen, wird dadurch jeglicher Schutz verwehrt und die fetischisierte „Freiheit des Individuums“ gefährdet damit alle. Wir müssen uns klar sein, dass wir uns im mittlerweile sechsten Jahr der Krise befinden und auch in Deutschland, dem Herz der Bestie, die sozialen Proteste zunehmen. Deshalb dürfen wir keine Chance vergeuden, junge MigrantInnen, ProletarierInnen und Arbeitslose in unsere Reihen zu integrieren.

Sprüche auf Demos werden hauptsächlich von Männern gerufen. Das ist prinzipiell nicht schlecht, und je lauter desto besser, aber für viele Frauen wird es dadurch schwieriger, sich in linke Gruppen zu integrieren. Sie haben das Gefühl, weniger Fähigkeiten zu haben und nicht so respektiert zu werden wie Männer. Deshalb appellieren wir an alle Männer politischer Organisationen, ihr Auftreten auf Demonstrationen in ihren Gruppen zu reflektieren. So gut euer Spruch auch sein mag, überlegt vorher, ob nicht vielleicht die Genossin neben euch gerade eine Parole rufen wollte und bietet ihr das Megafon an. Auch wenn man hört, dass eine Frau einen Slogan ruft, hat sie genauso das Recht, dass er aufgenommen und mitgerufen wird.#

Natürlich haben große Bündnismobilisierungen immer das Problem, dass unterschiedliche AkteurInnen unterschiedliche Vorstellungen von Taktik und Strategie haben. Man wird sich nie über diese Fragen z.B. zwischen der Linkspartei, den JuSos, einer autonomen Antifa-Gruppe und einer kommunistischen Jugendorganisation vollkommen einigen können. Deshalb kommt es manchmal auch während Aktionen zu Konflikten zwischen DemonstrationsteilnehmerInnen.

Die Organisationen, die wie wir in dem ihnen möglichen Rahmen eine demokratische Organisation, effektive Aktionen und die Absprache zu anderen gewährleisten wollen, empfehlen wir vor jeder Demonstration eine “Einsatzleitung” zu wählen. Also einen oder mehrere Menschen, die während der Aktion die Verantwortung bekommen, einen Überblick über die Gruppe zu haben und in heiklen Situationen, in denen keine Zeit für ein Plenum ist, Entscheidungen zu treffen. Diese Leitungen sollten wähl- und abwählbar sein und sich jeder Kritik stellen, die vorgebracht wird.

Wir halten das für eine demokratische und effektive Methode, schnelle Entscheidungen zu treffen und dadurch unmittelbar handlungsfähig zu sein, aber auch durch die kollektive Wahl der Gefahr zu entgehen, dass sich informelle Leitungen aus den Leuten bilden, die einfach am lautesten schreien. FührerInnen, ob uns das gefällt, wird es solange geben, wie wir in einer Gesellschaft der Unterdrückung leben, ob uns das gefällt oder nicht. Die Frage ist, ob die Masse sie kontrolliert oder wie so oft in vielen autonomen oder anarchistischen Gruppen, informelle FührerInnen die Gruppe kontrollieren - und sich somit auch jeder Rechenschaft und einer Veränderung entziehen. Wir schlagen vor, dass es spätestens auf dem letzten Bündnistreffen Diskussionen darüber geben sollte, um die Aktionen erfolgreich verlaufen zu lassen.

Auch in diesem Jahr stehen einige Großdemonstrationen an, wie der Erste Mai in Berlin oder die Blockupy-Aktionstage. Natürlich werden wir uns an diesen Mobilisierungen beteiligen und rufen alle dazu auf, unsere Kritik und unsere Vorschläge zu diskutieren!

Leserbrief schreiben   zur Startseite

Wöchentliche E-News
der Gruppe Arbeitermacht

:: Archiv ::