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Bullenangriff in Hamburg

Ein Präventivschlag „wehrhafter Demokratie”

Martin Suchanek, Infomail 721, 27. Dezember 2013

Von den “schlimmsten Unruhen seit Jahren” und von “blutigen Krawallen” weiß die BILD-Zeitung am 23. Dezember zu berichten. Die Welt titelt am selben Tag mit: „Freizeitvergnügen von Psyochopathen“ - gemeint sind dabei selbstredend nicht die Bullen.

Dass 7-10.000 Menschen für den Erhalt der “Roten Flora”, eines linken Kulturzentrums, für die Flüchtlinge, gegen staatlichen Rassismus und gegen die Wohnungspolitik des Hamburger Senats (Esso-Häuser) auf die Straße gehen, kann für nur solche Hetze nur ein Vorwand sein. “Die meisten wollen nur Gewalt”, weiß die BILD-Zeitung - und damit sind auch alle anderen Fragen erledigt.

Schließlich hat die bürgerliche Presse verlässliche ZeugInnen und ExpertInnen aus den Reihen von Bullen und Politik. Polizeisprecher erklären, dass sie eine solche “Gewaltbereitschaft” schon seit Jahren nicht mehr erlebt hätten. Sie waren also, folgt man ihren Darstellung, überrascht - freilich hielt sie das nicht davon ab, die Demonstration von Beginn an massiv zu behindern.

Nach eigener Darstellung ging die Staatsgewalt also richtig „selbstlos“ zur Sache, um “die Stadt” vor den “Chaoten” zu schützen. Dabei wurden angeblich 120 Bullen verletzt. Die rund 500 verletzten DemonstratInnen werden dabei natürlich, wenn überhaupt, nur am Rande erwähnt.

Aus heiterem Himmel?

Aus heiterem Himmel kam die „entschlossene“, aber selbstverständlich „angemessene“ Reaktion der Bullen natürlich nicht. Schließlich waren ja auch nicht “zufällig” mindestens 3.000 vor Ort. Schon lange vorher hatte die Polizei die Hamburger Innenstadt zur “Gefahrenzone” erklärt, um Weihnachtsmarkt und Weihnachtsgeschäft zu schützen.

Aber natürlich hatte die Aktion nichts mit der Politik in Hamburg, nichts mit konkreten Inhalten zu tun. Das jedenfalls versichert SPD-Innensenator Michael Neumann, der offenkundig nicht nur seine Stadt sehr gut kennt: „Chaoten aus ganz Deutschland und dem Ausland haben unsere Stadt aufgesucht und massive Gewalt ausgeübt.“

Solche Statements sollen dem Protest seine Legitimität entziehen und jede Diskussion über deren inhaltliche Anliegen “präventiv” erledigen. Eine Aktion, die in “Gewalt ausartet”, jede militantere Demonstration, so die Unterstellung, könne erst gar kein politisches Anliegen haben - darin sind sich BILD-Zeitung und SPD-Senat eins.

Dass es mit brutaler Gewalt abging, dafür sorgten die Bullen von Beginn an. Es handelte sich um eine ähnlich geplante Provokation wie bei Blockupy in Frankfurt oder beim G8-Gipfel in Rostock - und natürlich fand das auch in Hamburg nicht zum ersten Mal statt.

Schon lange vor dem geplanten Beginn der Demonstration stoppte die S-Bahn nicht mehr in der Nähe des Versammlungsortes. Sämtliche Straßen in Flora-Nähe waren gegen 14.30 Uhr bereits von der Polizei gesperrt. Der Ring von über 2.000 Einsatzbeamten zog sich immer enger. Alle Personen im Bereich Schulterblatt und Nebenstraßen (also am Kundgebungsplatz vor der Flora) befanden sich in einem Kessel.

Kaum hatte sich das Fronttransparent auf dem Platz vor der Flora in Bewegung zu setzen versucht, wurde die Menschenmenge nach einer kurzen Räumungsaufforderung massiv mit Wasserwerfern attackiert. Hundertschaften stürmten auf den Hauptblock der Demonstration ein und trieben die KundgebungsteilnehmerInnen - die meisten waren noch gar nicht von der Stelle gekommen - brutal auseinander. Selbst wer sich einzeln, in normalem Gangtempo und unbewaffnet aus der Einkesselung entfernen wollte, wurde nur nach Ausweiskontrolle durchgelassen.

Nicht hingenommen

Dass die DemonstratInnen am 21. Dezember diese Provokation nicht einfach hinnahmen, war nicht nur ihr gutes Recht, sondern auch ihre Stärke. Tausende wehrten sich, bildeten Ketten, versuchten das Demonstrationsrecht durchzusetzen.

Allein das straft die Darstellung der Mainstream-Medien, von SPD, CDU u.a. Lügen. Dass sich Tausende gegen die Provokation wehrten und eine politische Aktion gegen brutale Angriffe durchzusetzen versuchten, zeigt schon, dass es keine „Chaoten“ waren, die nur Weihnachtsmärkte zerlegen und EinkäuferInnen erschrecken wollten.

Noch wichtiger ist, dass die große Zahl von 7-10.000 DemonstrantInnen auf die politischen Inhalte der Demonstration zurückführen war. Viele kamen auch nicht nur wegen der Autonomen und der drohenden Räumung der Flora, die ohnehin von den meisten linken Organisationen wegen ihrer antideutschen Tendenzen und ihrer Abgrenzungspolitik gemieden wird.

Die Demonstration verband vielmehr mehrere politische Anliegen. Ein Teil der TeilnehmerInnen war auch empört über die Nacht- und Nebelentmietung der Esso-Häuser, wo der Senat als williger Vollstrecker einer Immobilienmafia fungiert. Für andere stand die Solidarität mit den Lampedusa-Flüchtlingen im Vordergrund, andere kamen v.a. wegen der Flora.

Dass sich diese Anliegen bündelten, ist das Szenario, das Bullen, v.a. jedoch den Senat, „die Politik“ und das Hamburger Establishment umtreiben. Natürlich ist ihnen bewusst, dass solche Demonstrationen nicht mehr sind als erste Sammelpunkte für zukünftige Kämpfe - aber allein die Tatsache, dass die Solidarität mit Flüchtlingen und mit MieterInnen eine zunehmende Mobilisierungskraft entfaltet, gilt ihnen als möglicher Vorbote größerer Bewegung. Und dieses Potential soll schon im Keim erstickt werden.

Dabei wird der Polizeiwillkür Tür und Tor geöffnet. Dieselben Medien, die über die Brutalität der ukrainischen Sicherheitskräfte und deren Vorgehen gegen oppositionelle DemonstrantInnen aufjaulen, verloren kaum ein Wort der Kritik über den Bürgerkriegseinsatz der Hamburger Polizei. Sie lobten die „Präventionstaktik“ der  Sicherheitsorgane. Die Hamburger CDU fordert ein Verschärfung des Demonstrationsrechts.

Der CDU-“Experte“ für innere Sicherheit, Bosbach, warnte davor, dass der Staat womöglich auf dem linken Auge blind würde: „Gegen Rechtsextremismus gibt es zu Recht einen geschlossenen Widerstand in Staat und Gesellschaft. Bei Linksextremisten sprechen wir von ,Aktivisten' und ,Autonomen' und versuchen, über Gespräche einen rechtmäßigen Zustand herbeizuführen. Das könnte in dieser Szene als Schwäche des Staates missverstanden werden.” (Die Welt, 23.12.)

Mag diese Weltsicht auch noch so absurd die Dinge auf den Kopf stellen, als Drohung sollte sie allemal ernst genommen werden.

Mit dem Ruf nach einer Einschränkung des Demonstrationsrechts, polizeilicher Befugnisse und deren Aufrüstung steht die Hamburger CDU nicht allein da. Sie kann sich vielmehr auf eine „ganz große Koalition“ stützen, an der - abgesehen von der Linkspartei - alle im Bundestag vertretenen Parteien mehr oder weniger enthusiastisch mitmachen.

Auf den ersten Blick mag der Ruf nach noch „weniger Demokratie“ - natürlich immer vorgetragen im Namen ebendieser besten aller bürgerlichen Herrschaftsformen - angesichts relativer Stabilität und geringem Klassenkampfniveau in Deutschland etwas übertrieben erscheinen. Vor dem Hintergrund einer alles andere als sicheren internationalen Entwicklung ist aber auch die „innere Ruhe und Sicherheit“ eine brüchige Sache, die in den kommenden Jahren rascher in Frage gestellt werden könnte, als nicht nur die Lobredner des Kapitalismus, sondern auch manche Linke in Deutschland gern glauben.

Daher sollte die brutale Bullenprovokation vom 21. Dezember in Hamburg als das verstanden werden, was sie ist - eine Warnung an die Linke und die Arbeiterbewegung. Sie ist Teil einer Politik der präventiven Einschränkung demokratischer Rechte, der wir - die sozialen Bewegungen, die „radikale Linke“, linke Parteien, Gewerkschaften - nur geschlossen begegnen können. Sie muss verstanden werden vor dem Hintergrund einer weiter schwelenden strukturellen Krise des Kapitalismus, die sich - kurzfristige konjunkturelle Besserungen durchaus nicht ausgeschlossen - letztlich weiter verschärfen wird. Genau diese Entwicklung führt jedoch dazu, dass bestehende bürgerlich-demokratischen Rechte in Frage gestellt werden - und dass wir sie verteidigen müssen, um unsere eigenen Kampfbedingungen zu halten und zu verbessern.

Nein zur Kriminalisierung! Niederschlagung aller Verfahren gegen die DemonstrantInnen!

Nein zu allen Einschränkungen des Demonstrations- und Versammlungsrechts!

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