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Hamburg, 2. Juni

Blockaden gegen den Naziaufmarsch

Bericht von Rico Rodriguez/Bruno Tesch, Infomail 625, 6. Juni 2012

Die gesamte rechtsradikale Szene von NPD über Kameradschaften bis zu kleinen Nazigruppen hatte für den 2. Juni unter dem Motto „Tag der deutschen Zukunft“ nach Hamburg aufgerufen. Dagegen hat sich bereits früh ein breites, bürgerliches Bündnis (Hamburger Bündnis gegen Rechts, HbgR) gegründet sowie ein Jugendbündnis und ein Antifabündnis. Es waren eine Demonstration und Blockaden gegen die Nazis angekündigt.

Was ist passiert?

Die Demonstration startete um 9.30 Uhr vom Gerhard-Hauptmann-Platz, weit weg von der Naziroute. Es beteiligten sich ca. 5.000 Menschen. Immerhin aber wurde am Ende der Kundgebung gegen 11 Uhr dazu aufgerufen, sich an den Blockadeaktionen gegen den Naziaufmarsch zu beteiligen. Diejenigen, die sich den Nazis wirklich in den Weg stellen wollten, fuhren gleich nach Wandsbek, wo den Nazis nach einigem Hin und Her eine Route genehmigt wurde (die gewünschte Route durch die Innenstadt sowie durch Altona hatten sie nicht bekommen). Die TeilnehmerInnen waren aufgerufen, sich an zwei angemeldeten Kundgebungsplätzen um 9 Uhr zu versammeln. Von dort wurden die Blockaden organisiert.

Obwohl die Blockade-Finger teilweise sehr schlecht organisiert waren und die Polizei mit 4-5.000 PolizistInnen präsent war, konnten die Nazis erfolgreich blockiert werden. Ca. 1.000 Menschen gelangten auf die geplante Route, eine weitere kleinere Blockade wurde von der Polizei gewaltsam aufgelöst. Das führte dazu, dass die Nazis nicht wie geplant losgehen konnten und mit der Polizei eine Alternativ-Route verhandelten. Diese wurde ihnen schließlich gewährt. Nachdem diese Info zu der Blockade durchgedrungen war, machten wir uns geschlossen auf den Weg, um den neuen Weg zu blockieren. Auch hier konnte wieder eine Kreuzung, über die die Faschisten laufen sollten, dicht gemacht werden.

Was dann geschah, war unglaublich. Wir hatten alle bereits über 4 Stunden erfolgreich blockiert und den Nazis auch ihre zweite Route vermasselt. Doch die Polizei war offenbar entschlossen, den Aufmarsch mit aller Macht durchzusetzen. Anstatt den Nazis ihre Demo abzusagen, setzten sie  Wasserwerfer, Panzerräumfahrzeuge, Pfefferspray und Schlagstöcke ein, um den Knotenpunkt Hammer Steindamm/Marienthaler Straße zu räumen. Der braune Mob konnte so unter massenhaftem Polizeischutz schließlich doch noch, in gerade 50 m Abstand zu den GegendemonstrantInnen, vorbei marschieren.

Bilanz

Obwohl die Nazis am Ende noch marschiert sind, kann der Tag und die Aktion als Erfolg gewertet werden. Es waren ca. 5.000 GegendemonstrantInnen im Lauf des Tages nach Wandsbek gekommen, um zu blockieren. Die Nazis waren gerade mal 500. Die Original-Route konnte erfolgreich blockiert werden, und die Nazis konnten nur mit etlichen Stunden Verspätung auf einer kleinen Nebenroute laufen - unter dem Schutz der Staatsmacht und der lautstarken Wut der AntifaschistInnen. Wahrnehmbar als Organisationen, die sich aktiv an der Blockade beteiligt hatten, waren attac, Avanti, DKP, Linkspartei, Piratenpartei, SAV, Solid, die Grüne Jugend und als Gewerkschaften GEW, IG BCE, IGM-Jugend sowie ver.di. Auch eine einsame Juso-Fahne wurde geschwenkt. Diverse Einzelinis von Occupy, Erwerbslosen, Motorradklub Kuhle Wampe und Antifa wurden neben den Autonomen gesichtet.

Doch es muss auch Kritik geäußert werden. Obwohl die Bündnisse sich schon seit Monaten auf diesen Tag vorbereiteten, wirkte die Organisation äußerst schwach und dilettantisch. Die Führung unseres Fingers schien völlig ratlos, wenn sie überhaupt erkennbar war, ja es erweckte den Eindruck, als sei nicht einmal Ortskenntnis vorhanden. So wurden wir mit unserem Finger aus gut 3-400 Leuten an einem Bach entlang in eine Sackgasse geführt und mussten dann umdrehen, um an der nächsten Straße planlos herum zu stehen. Diese Orientierungslosigkeit endete in einem Straßenengpass und war eine direkte Einladung an die Polizei, uns einzukesseln. Die ließ uns in Kleingruppen wieder gehen, da wir etwas abseits der Sicherheitszone kein unmittelbares Gefahrenpotenzial darzustellen schienen. Bei dieser Organisation scheint es schon verwunderlich, dass die Route schließlich doch noch blockiert werden konnte.

Alles in allem zeigt das, dass wir von einer effizienten Aktions-Struktur, die schnell Entscheidungen treffen und einen koordinierten Protest organisieren kann, nach wie vor weit entfernt sind. Hätten wir als gesamte Bewegung eine bessere Organisation gehabt, hätten wir noch mehr erreichen können.

Wie immer kontraproduktiv war auch das Verhalten einiger Autonomer, die jede Mülltonne, die sie finden konnten, auf die Straße warfen und anzündeten. Wo der Versuch, die Straße zu blockieren, noch zu verstehen war, war das Anzünden von Müllbehältern und gar eines Kleinwagens einfach nur blindwütig destruktiv. Der giftige Qualm störte mehr die DemonstrantInnen und AnwohnerInnen, als irgend jemand sonst. Wir befanden uns fast ausschließlich in Wohngebieten, die giftigen Dämpfe zogen in die umliegenden Häuser. Gerade hier wurde die Chance zur Solidarisierung mit und der Einbezug der AnwohnerInnen in einem proletarisch geprägten Wohngebiet sinnlos vertan. Dass es auch anders geht, zeigten Beispiele, als DemonstrantInnen gemeinsam mit HausbewohnerInnen Löschketten bildeten, um das Feuer der abgefackelten Mülltonnen zu ersticken.

Auch wenn einige der destruktiven Aktionen auf Provokateure zurückzuführen sind - dieses Vorgehen hilft den Faschisten und v.a. dem bürgerlichen Staat bei der Kriminalisierung von antifaschistischem Protest. Auch hier zeigt sich die Notwendigkeit von gewählten  Demoleitungsstrukturen, zu deren Aufgaben es neben dem Einbezug von ansässiger und unter Polizeieinsatz leidender Bevölkerung auch gehört, hirnverbrannte Polithooligans und Provokateure in Schach zu halten und zur Rechenschaft zu ziehen. Das darf keinesfalls dem bürgerlichen Staat überlassen werden!

Schließlich hatte auch die SPD-Alleinregierung von Hamburg neben Kirchenvertretern u.a.  bürgerlichen Institutionen unter dem Motto „Hamburg bekennt Farbe“ zu einer Kundgebung gegen die Nazis aufgerufen, die aber erst begann, als der Nazimarsch offiziell schon hätte unterwegs sein sollen. Zudem fand diese Veranstaltung auf dem Rathausmarkt völlig abseits des eigentlichen politischen Brennpunkts statt, so dass  bei der um die Mittagszeit einsetzenden Sperrung von öffentlichen Verkehrswegen die Blockadelokalitäten kaum bequem erreichbar waren.

Das ‚rechtsstaatliche’ Argument, dass ja ‚leider’ die ‚unabhängigen’ Gerichte den Nazimarsch genehmigt hätten, und dass dies unumstößliches Gesetz sei, schießt sich selbst ins Knie, wenn - wie in diesem Fall, aber auch vorher in Frankfurt - klar wird, welches Recht hier eigentlich einseitig geschützt wird - das der Banken und die Meinungsfreiheit von Faschisten. Unfreiwillig treffend schrieb ein bürgerlicher Zeitungskommentator: „So einigten sich Polizei und Neonazis auf eine Alternative“.

Oberbürgermeister Olaf Scholz, einst als linker SPDler gehandelt, ließ als Hauptredner auf der Kundgebung auf dem Rathausmarkt die 10.000 TeilnehmerInnen mit bunten Kärtchen wedeln, erklärte dies zum Antifa-Happening und schickte dann die Leute wie nach einem Kindergeburtstag nach Hause. Hier wäre es richtig gewesen, wenn auch von der Blockadeorganisation  massiv über Lautsprecher und Agitation die Besucher aufgefordert worden wären, mit nach Wandsbek zu kommen. Dort hätten sie dann live miterleben können, wie der selbe nette Nazigegner Herr Scholz seine Polizei, dessen Innensenator oberster Dienstherr der Polizeikräfte ist, die AntifaschistInnen in Wandsbek behandelt. Es war mehr als sinnbildhaft: Der Polizeikordon hatte die Nazis im Rücken und den Feind fest im behelmten Visier. Der Feind waren wir: die Arbeiterbewegung, die AntikapitalistInnen , die Antifabewegung, die Jugendbewegung. Hier wurde wie in Frankfurt ein Stück Bürgerkrieg vorexerziert.

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