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Ein Jahr Anti-Cuts Bewegung in Britannien

Eine kritische Bestandsaufnahme

Workers Power, Britannien, Teil 1, Infomail 617, 18. April 2012

Seit 2010 ist die Regierung von Torys und Liberaldemokraten im Amt. Von Anfang an hat sie systematisch den Öffentlichen Dienst und den „Sozial“staat aufs Korn genommen und die Umverteilung des Reichtums von unten nach oben vorangetrieben. Durch Öffnung von bisherigen staatlichen oder kommunalen Leistungen durch Privatisierung soll sich der Reichtum für die Wohlhabenden weiter mehren. Die Regierung begann bei den leichter angreifbaren Sektoren, wo der gewerkschaftliche Organisierungsgrad am niedrigsten ist oder wo die Widerstandskraft am geringsten schien.

Wo die Offensive begann

Dienste für Behinderte und Alte sowie die Unterstützung für  wohltätige und nicht profitable Organisationen fielen als erste dem Kahlschlag zum Opfer. Der Haushalt für die Kommunen wurde gekürzt, v.a. bei Büchereien und Freizeitzentren machte sich dies bemerkbar. Viele Verwaltungen hielten sich jedoch am Anfang mit solchen Angriffen auf ihre kommunalen Angestellten noch zurück.

Dann gerieten die StudentInnen ins Kreuzfeuer, als die Regierung bewusste Schritte in Richtung Privatisierung von höherer Bildung unternahm. Die Regierung rechnete damit, dass die Studentengewerkschaft NUS wenig Widerstand auf die Beine bringen würde. Bei deren  Führung hatten sie sich nicht getäuscht, wohl aber in dem Potenzial für einen Führungswechsel, der in der Strategie linker Gruppen lag, die dem spontanen Zorn und der Militanz von hunderttausenden Jugendlichen Rechnung trugen.

Trotz des Tempos, mit der sich die Bewegung entfaltete, reichte die politische Strategie der führenden AktivistInnen nicht so weit, dass sie auch nach der parlamentarischen Abstimmung weiterkämpften. Die Lehrergewerkschaften unterstützten in erster Linie mit Worten und gaben etwas praktische Hilfestellung bei den Besetzungen. Ohne die Verbindung der Militanz der StudentInnen mit der ökonomischen Macht der ArbeiterInnen blieb die Gegenwehr aber beschränkt und erlahmte schnell.

Trotz ihres Scheiterns politisierte diese Bewegung die nächste Jugendgeneration und erzog sie zum Kampf. Das war ein ausgezeichnetes Beispiel, wie ein Kampf gegen eine Regierungsreform entstehen und sich zu einer echten Massenbewegung durch studentische Versammlungen und eine Einheitsfront zwischen StudentenführerInnen u.a. linken Kräften (landesweite Kampagne gegen Gebühren und Kürzungen, Londoner Versammlung) auswachsen kann. Solche kühnen Initiativen sind ein notwendiger Bestandteil für die Aktivität auch von kleinen sozialistischen Gruppen.

Es gibt aber auch objektive Grenzen für Bewegungen, besonders wenn die Bürokratie in den Gewerkschaften ein Bremsklotz ist, der nicht einfach beiseite geschoben werden kann. Ferner war der Einpunktcharakter der Kampagne am Anfang noch eine Stärke, am Ende aber ein Hindernis, sobald das Parlament die Reformen verabschiedet hatte und eine umfassendere, längerfristige Perspektive unbedingt nötig wurde.

Die Antwort der Gewerkschaften

Als die Attacken auf den Öffentliche Dienst eskalierten, dargestellt und veröffentlicht in der regierungsamtlichen Ausgabenübersicht vom Oktober 2010, erhöhte sich der Druck auf den Gewerkschaftsdachverband TUC, gegen die Kürzungen zu demonstrieren. Die TUC-Bosse verzögerten die Aktion aber vorsätzlich und legten die Demonstration erst auf den 26. März 2011 fest. Dennoch wurde die Demonstration zu einem überwältigenden Erfolg, denn einzelne Gewerkschaften und die Organisationen gegen Kürzungen brachten eine halbe Million Menschen auf die Beine. Am 30. Juni und am 30. November fanden landesweite Streiks statt. Dazwischen versuchten die LehrerInnen und die Gewerkschaften im Öffentlichen Dienst, eine breitere Koalition zur Verteidigung von Renten für den Öffentlichen Dienst zu bilden und wollten andere Gewerkschaften dazu bewegen, beim Dachverband für einen gemeinsamen Streik zu stimmen.

Die Debatte auf dem Gewerkschaftskongress drehte sich darum, ob die Renten oder das Gesundheitswesen im Mittelpunkt stehen sollten. Die Entscheidung des Verbands, Streiks auf die Renten zu beschränken, bedeutete, dass statt der ganzen Arbeiterklasse nur die Beschäftigten im Öffentlichen Dienst mobilisiert wurden, was deren Erfolgsaussichten verringerte.

Den Ausschlag für die Renten gab auch das Argument, die Gewerkschaften könnten hier legale und ihrer Meinung nach gut unterstützte Streiks durchführen. Ein Streik im Gesundheitswesen würde illegale und offener politische Aktionen zur Folge haben. Außerdem wären dann Elemente außerhalb der Gewerkschaftsbewegung mit einbezogen. Der Verband traf auch die bewusste Entscheidung, nicht zu allen dringenden Problemen - Renten, Löhne und Arbeitsplätze - gleichzeitig zu streiken und insbesondere nicht die Privatisierung als Streikgrund an Bord zu nehmen.

Der Streik am 30. November 2011 war der größte seit 1926 und motivierte unglaublich viele ArbeiterInnen des Öffentlichen Dienstes zum Widerstand gegen den Rentenabbau. Nach diesem Tag aber zogen sich die rechten Gewerkschaftsspitzen aus der Kampffront zurück und unterschrieben den Ausverkauf. Das gab den passiven Führungselementen die Gelegenheit, den Kampf abzuwürgen, so dass nur noch die Mitglieder der Londoner Lehrergewerkschaft und die Gewerkschaft der Universitätsbeschäftigten am 28. März diesen ahres streikten.

Neben den StudentInnen und ArbeiterInnen, die gegen Kürzungen kämpften, hat die Occupy-Bewegung den Gedanken eines allgemeinen Widerstands gegen Kürzungen und Kapitalismus aufgegriffen. Die Sommerunruhen brachen als Antwort auf die allgemeine Verarmung von Beschäftigten und Erwerbslosen und auf die Kriminalisierung und brutale Unterdrückung von Jugendlichen aus.

Die Revolutionen in Nordafrika und Nahost trugen den Ruf nach Demokratie und Bürgerrechten und v.a. die Möglichkeit von Massenwiderstand für diese Ziele auch auf die britische Insel. Ein europaweiter Generalstreik fand dagegen in Britannien wenig Widerhall und wurde in Hinsicht auf Griechenland mit dem Argument abgewehrt, dass es wegen der großen Unterschiede zwischen den verschiedenen Ländern keine realistische Basis für eine gemeinsame Aktion geben könne und der Effekt der Krise auf die ‚eigene’ Ökonomie diesen Ansatz eher verhindere. Dennoch gab es ein breite Zustimmung für diese Bewegungen und sie waren inspirierend.

Die Occupy-Bewegung scheint durch schlechtes Wetter, gerichtliche Auflagen und Räumaktionen demobilisiert worden zu sein, aber die ägyptische Revolution ist noch nicht am Ende, und es könnte weitere Aufstände geben. Falls dies geschieht, wird das Medienecho kaum so positiv wie bei der ersten Welle sein. Dennoch werden viele sie weiter unterstützen und vielleicht von der ägyptischen Arbeiterklasse und Jugend lernen können.

Fragmentierung der Bewegung

Trotz des Riesenpotenzials, das in den Studenten- und Arbeiterkämpfen aufscheint und der Politisierung durch die ägyptische Revolution und die spätere Occupy-Bewegung bleibt die Bewegung gegen die Kürzungen in Britannien gespalten.

Alle Kürzungsthemen - Bildungsgebühren, Streichung von Behindertenzuschüssen, kommunale Finanzmisere bei Einrichtungen für Jugend, Frauen und Minderheiten, Einschränkungen im Gesundheitswesen - bleiben entweder sektoral getrennt oder werden nur auf örtlicher Ebene zusammengeführt. Es blieb bei lokalen Ausschüssen gegen Kürzungen, die bestenfalls Sammlungen von AktivistInnen sind, aber es kam nicht zu frei gewählten Aktionsräten. Die Aktionen beschränkten sich zumeist auf kleine lokale Demonstrationen, symbolische Besetzungen oder die Unterstützung von Kämpfen von Gewerkschaften und der NutzerInnen bedrohter sozialer oder kommunaler Einrichtungen. So wichtig sie auch sein mögen - sie entfalten keine Welle von Massenwiderstand.

Die Initiative der Sozialistischen Partei (SP, in Deutschland SAV), das landesweite Netzwerk der Shop Stewards (National Shop Steward Network = NSSN) gab es schon vor der Wirtschaftskrise. Es war ein Mittel zur Schaffung eines gewerkschaftsübergreifenden, breiten linken Bündnisses, um in Gewerkschaften Fuß zu fassen, wo es noch nicht präsent war. Zu Anfang bezog das Netzwerk auch AktivistInnen außerhalb der SP ein, bis die Partei versuchte, eine eigene Kampagne gegen die Kürzungen zu starten. Die Nicht-SP-Mitglieder verließen daraufhin unter Protest das Netzwerk, weil sie den Schulterschluss mit der schon bestehenden Bewegung herstellen wollten.

Die Sozialistische Arbeiterpartei (SWP, in Deutschland Marx21) startet als erstes die Kampagne für das „Right to Work“ (RTW = Recht auf Arbeit), die sich mit dem Problem der steigenden Arbeitslosigkeit zu Beginn der Krise beschäftigte, sich ausweitete und Proteste auf Kongressen der Regierungsparteien mit unterschiedlichem Erfolg organisierte. Vor kurzem bekamen sie Medienaufmerksamkeit durch ihre Aktivität bei den Protesten gegen die Arbeitsmarktpolitik der Regierung.

Counterfire (Gegenfeuer, eine Abspaltung der SWP) schuf die „Koalition des Widerstands“ (Coalition of Resistance = COR) als Versuch, die „Stoppt den Krieg-Koalition“ auch gegen die Kürzungen zu richten. Nach vielversprechendem Auftakt und einer Konferenz mit mehr als 1.000 TeilnehmerInnen reduzierte sich die Zahl beim zweiten Mal auf weniger als die Hälfte, nachdem ein Nichtangriffs- oder besser Nichteinmischungspakt mit „Recht auf Arbeit“ und dem „Gewerkschaftsnetzwerk“ dazu führte, dass sich die notwendige vereinte Bewegung gegen Kürzungen nicht einstellte. COR orientierte sich auch am rechten Flügel der Bewegung und weigerte sich, die Generalstreiklosung aufzustellen - mit dem Argument, er sei zur Zeit undurchführbar und außerdem eine Gewerkschaftsangelegenheit, in die sie sich nicht einmischen sollten.

Die SWP rief daraufhin die Bewegung „Unite the Resistance“ (UTR = Vereint den Widerstand). Sie steht der NSSN näher als der RTW und der COR. Die UTR wurde anlässlich der Rentenstreiks gegründet und konzentrierte sich auf den proletarischen Teil des Kampfes gegen die Kürzungen und die Organisierung von einfachen GewerkschafterInnen. Die UTR wollte ein klares Datum für die Aktion festlegen und war demokratischer als alle sonstigen Kampagnen der SWP.

Sie nahm ein Reihe von radikaleren Forderungen zum Rentenstreik auf, wurde aber durch den Rückzug der Gewerkschaften und die Unfähigkeit der SWP, Basisorganisationen aufzubauen, ausgebremst, besonders in den Gewerkschaften, wo sie führende Mitglieder haben (NUT, PCS, UCU) bzw. in Unite, wo eine Basisinitiative (Graswurzel-Linke) schon zum Eintritt bereit stand.

Dieses Herangehen ist die logische Folge aus der SWP-Konzeption der UTR als Mischung aus einer breit angelegten Linken und einer Basisorganisation. In Worten treten sie für die Idee der Basisorganisationen ein, sind aber nicht willens, mit den linken GewerkschaftsbürokratInnen zu brechen.

Diese Kampagnen sind keine größerer Anziehungspunkte für AktivistInnen, weil sie im wesentlichen als Linksfronten um eine bestimmte Gruppierung aufgezogen werden und weil der Grad der Spaltung keine von ihnen besonders attraktiv macht. Viele lokale Gruppen gegen die Kürzungen sind einer dieser Kampagnen zuzurechnen, aber dies zeigt im Grunde nur die relative lokale Stärke von SP-, SWP- oder Counterfire-Mitgliedern und nicht, dass diese Ortsgruppen wirklich politischer Bestandteil auf Grundlage ihrer Kampfstrategie gegen die Kürzungen sind.

Die Fragmentierung in der Bewegung überlässt dem TUC eine relativ sichere Position. Gegenwärtig hat nur er bzw. eine Einzelgewerkschaft die Kraft, Massen zu mobilisieren oder zum Streik aufzurufen. Druck auf die Gewerkschaftsspitze kommt von ihrer Mitgliedschaft und SozialistInnen in der Führungsriege; aber er ist nicht stark genug, wenn er nicht eine alternative Führung anstrebt. Nur die Androhung einer solchen Führung würde die Gewerkschaftsbürokraten dazu zwingen, weiter zu gehen, als sie es jetzt wollen.

Workers Power ist stets für ein vereintes, gemeinsames Bündnis gegen die Kürzungen eingetreten. Diese Botschaft hat ein Echo in der Bewegung gefunden, weil auch die Mehrheit der AktivistInnen danach strebt. Vereint würden obige Kampagnen weit mehr Kraft entfalten als die Summe ihrer Einzelteile. Wenn alle lokalen Gruppen gegen Kürzungen föderativ zusammenarbeiten und in Aktivität versetzt würden, könnten viel breitere Schichten von ArbeiterInnen, Jugendlichen und kommunalen AktivistInnen einbezogen werden. Wesentlich ist für die Gewerkschaften, dass eine starke Kampagne gegen die Kürzungen eine alternative Machtgrundlage gegenüber der TUC-Bürokratie schaffen könnte. Dadurch würde auch ein Weg gewiesen, auf dem sich die Basis organisieren könnte.

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