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Skandal um den Bundespräsidenten

Ein Wulff im Schafspelz

Hannes Hohn, Infomail 597, 31. Dezember 2011

Gerade noch rechtzeitig vor Redaktionsschluss der medialen Jahresrückblicke sorgte Bundespräsident Wulff für einen Skandal. Genauer gesagt wurde er von einem alten Skandal eingeholt. Als er noch Ministerpräsident von Niedersachsen war, hatte er in einer Parlamentsanfrage jede Begünstigung im Amt abgestritten. Tatsächlich jedoch nahm er von der befreundeten Unternehmerfamilie Geerkens einen marktunüblich günstigen Kredit für sein Einfamilienhaus in Anspruch. Da es sich dabei „nur“ um 500.000 Euro handelte, ging Wulff wohl davon aus, dass dies nicht der Rede und schon gar nicht eine Auskunft gegenüber dem Parlament wert sei.

Ausnahmsweise wurde die Sache aber nicht klammheimlich entsorgt, sondern öffentlich. Wulff war gezwungen, Stellung zu nehmen. Zuerst versuchte er sich damit herauszureden, dass er ja vom niedersächsischen Landesparlament nicht direkt zu diesem Kredit befragt worden war und insofern nicht die Unwahrheit gesagt habe. Formell richtig, geht diese Einschätzung aber weit an der Sache - klare Vorteilnahme im Amt - vorbei.

Die verspätete, zögerliche und scheinheilige Reaktion des Bundespräsidenten war natürlich provozierend und animierte politische Opposition und Medien zum Nachhaken. Und siehe da: Wie so oft bei der Aufklärung von Politiker-Affairen kommen dabei immer neue Skandale ans Licht. So auch bei Christian Wulff, der „obersten moralischen Autorität des Staates“.

Zuerst wurde bekannt, dass er sich regelmäßig von reichen Freunden in ihre Villen zum Urlaubmachen einladen ließ. Das war in Einzelfällen schon vorher bekannt, nur die Häufung überraschte manche.

Dann platzte die nächste Bombe. Lt. einem Bericht des SPIEGEL hatte Wulff Anfang 2010 seinen Privatkredit abgelöst, indem er bei der BW-Bank einen neuen, wieder sehr günstigen Kredit über 520.000 Euro aufnahm. Dabei lag der Zinssatz zwischen 0,9 und 2,1 Prozent - der durchschnittliche Bauzins lag seitdem bei ca. 3,5 Prozent! Chapeau, Herr Wulff! Und da sagt man immer, Politiker verstehen nichts von Wirtschaft ...

Nicht genug damit, wurde nun auch noch bekannt, dass ein anderer Spezi, der AWD-Gründer  Maschmeyer, mit 40.000 Euro den Verkauf eines Buches von Wulff unterstützte. Ob legal oder nicht, zeigt es, wie und vom wem in diesem Land Meinung gemacht wird.

Nun wäre die ganze Angelegenheit eigentlich nicht der Rede wert, denn bekanntlich haben bürgerliche Politiker oft genug mehr Dreck am Stecken als ein Fußgänger in Berlin Hundescheiße. Der Haken an der Sache ist nur, dass ein deutscher Bundespräsident außer für das Begrüßen von Staatsgästen v.a. für die „politische Moral“ zuständig ist - genauer: für den öffentlichen Anschein, dass da noch etwas „Anständiges“ mit im Spiel sei außer den nackten Sachinteressen des Kapitals oder dem Ego von Politikern. Pech: Wer hoch steigt, kann umso tiefer fallen. Doch keine Angst, sollte Wulff tatsächlich unsanft landen, so nicht unter einer Brücke, sondern eher in Brüssel ...

Hinter den Kulissen

Man sollte meinen, dass das Amt des Grüßonkels aus Schloss Bellevue für die deutsche Bourgeoisie und ihre Politikaster eigentlich verzichtbar wäre, v.a. da das Schicksal des krisengeschüttelten Europas mehr denn je von Berliner Ministerien entschieden wird. Doch selbst in der oft genug irrational anmutenden bürgerlichen Politik ist selten etwas einfach nur Zufall oder reine Zier. Auch das Amt des Bundespräsidenten hat eine durchaus wichtige Funktion - v.a. für den Fall, dass die Demokratie mal nicht mehr so gut funktioniert, wie z.B. in der Weimarer Republik. Als die bürgerlichen Parteien damals zunehmend weniger in der Lage waren, das soziale Desaster der ersten deutschen Republik zu regieren, kam ein „starker Mann“, der „über den Parteien“ steht, gerade recht. Erst war es Kanzler Brüning, der mit Notverordnungen am Parlament vorbei - oder besser: mit dessen Duldung - regierte, dann war Reichspräsident Hindenburg der letzte Halbstarke - ehe der fürs Kapital „richtige“ starke Mann kam: Hitler.

Von solchen Szenarien ist Deutschland momentan sicher weit entfernt. Doch die Situation der Welt - und besonders Europas - lassen ahnen, dass die Verhältnisse sich auch hier schnell ändern könnten. In einer Situation massiv schwindender Illusionen in die Demokratie und politischer Radikalisierung käme dann einer Figur wie Wulff eventuell eine wichtige Funktion zu. Dafür muss er aber möglichst „unbescholten“ sein, um als Autorität, als „moralische Instanz“ zur Rettung der Nation geeignet zu sein. Deshalb ist es nicht ganz unwichtig, die Person des Bundespräsidenten, v.a. aber sein Amt, vor Ungemach zu bewahren. Nicht zuletzt geht es dabei auch um das „Ansehen“ der Demokratie, d.h. der Glaubwürdigkeit des demokratischen Scheins. Ob dafür Wulff zum Abschuss freigegeben wird oder nicht, ist noch offen.

Auf jeden Fall zeigen die öffentlich gewordenen „Fehltritte“ Wulffs, wie tief verquickt die Interessen, ja das Alltagsleben von Kapitalisten und PolitkerInnen sind. Ähnlich der Mafia existiert auch in Deutschland (und allen anderen kapitalistischen Ländern) ein riesiger Filz aus Unternehmern, Politikern, Juristen, Medienleuten, Wissenschaftlern usw. usf. Man kennt sich, man hilft sich, man deckt sich - soweit es geht. Und es geht ziemlich weit.

Reaktionen

Nicht eigentlich der Skandal selbst, wohl aber die Reaktionen der Politik darauf sind durchaus interessant. Dass die Unionsparteien den Christdemokraten Wulff (noch) stützen, überrascht nicht. Kanzlerin Merkel verkündet, sie habe „volles Vertrauen“ in Wulff. Das hat sie natürlich nicht, doch immerhin offenbart diese Äußerung ihre Verlogenheit und die der gesamten Politiker-Kaste. Was, Frau Merkel, muss man sich als Politiker noch leisten, ehe er kein „volles“ Vertrauen mehr genießt?!

Verwunderung löste hingegen die Äußerung des SPD-Vorsitzenden Gabriel aus, der meinte, man solle Wulff nicht zu sehr bedrängen, weil sonst eine „Staatskrise“ drohe. Aber, aber, lieber Genosse Gabriel, selbst wenn eine 60-Minuten-Doku über Eskapaden Wulfs im Swingerclub an die Öffentlichkeit käme und der Obermoralist der Republik ganz unten durch wäre, würde selbst das noch nicht zu einer Staatskrise führen.

Gabriels engelsgleiche Geduld mit seinem Staatschef erklärt sich weniger aus der Angst vor einer Staatskrise als aus seiner Ablehnung, aus diesem politischen Ärgernis der Union wirklich Kapital zu schlagen. Warum auch? Auch aus dem bisher völlig missratenen Krisenmanagement von Schwarz/Gelb wollte man als SPD ja nicht unbedingt Nutzen ziehen, indem man etwas ganz anderes vorschlägt. Nein, man meckert über Merkel - um dann doch jedem ihrer Sparprogramme auf Kosten der Massen und zu Gunsten der Finanzhaie zuzustimmen. Es wäre ja zudem auch möglich, dass demnächst wieder eine Große Koalition notwendig wird, da will man im Vorfeld nicht zuviel Geschirr zerschlagen.

Und die Linkspartei?

Wenigstens von der hätte man erwartet, dass sie Wulffs ungewollte Steilvorlage nutzt, um ein paar politische Treffer zu erzielen. Doch weit gefehlt!

Hans-Henning Adler, Fraktionsvorsitzender der LINKEN im Niedersächsischen Landtag, erklärte: „Durch die Affaire um den Bundespräsidenten Wulff (...) wurde ganz nebenbei etwas nach oben gespült, was nach unserer Auffassung den eigentlichen Skandal ausmacht: die Verfilzung von Politik und Wirtschaft zu einem System gegenseitiger Begünstigung. (...) Die Fraktion DIE LINKE wird diese Kumpanei von Finanzkapital und Politik im Januar-Plenum des Landtages zur Sprache bringen". Von einer klaren Forderung nach Rücktritt Wulffs keine Spur. Doch immerhin verweist er klar auf den strukturellen Zusammenhang von Kapital und Politik.

Total verschwommen äußert sich hingegen Dagmar Enkelmann, Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der LINKEN-Fraktion im Bundestag. Auf die Frage, ob der Bundespräsident zurücktreten sollte, meinte sie: „Als Präsident ist Wulff vor allem eine moralische Instanz. Deswegen müssen hier hohe Maßstäbe gelten. Wenn er sein Amt nicht mehr unbelastet ausüben kann, sollte er zurücktreten.“ (linksfraktion.de, 19. 12.11)

Ja, wenn das Wörtchen Wenn nicht wäre, hätte Genossin Enkelmann wohl gar nichts dazu zu sagen. Anstatt konsequent auszunutzen, dass Wulff angeschlagen und das politische System und seine Personage wieder einmal angezählt sind, sondert sie läppische Floskeln wie die folgenden ab: „Ob er seinem Amt gerecht wird, würde ich lieber anhand seiner politischen Arbeit beurteilen. Da hat sich Wulff bisher mehr als zurückgehalten: Klare Worte zur Finanzkrise oder zur sozialen Spaltung in Deutschland sind nicht zu hören. Wulff ist ein Präsidialer auf Reisen - kein Wunder, wird er hier doch immer wieder von seiner Vergangenheit im niedersächsischen Amigo-Geflecht eingeholt.“ (ebenda)

Statt die bewusste moralinsaure Quacksalberei Wulffs als menschelndes Beiwerk bürgerlicher Realpolitik zu entlarven und zu verurteilen, wird suggeriert, dass er sich „zurückgehalten“ hätte. Sicher, er ist kein Scharfmacher wie etwa Ex-Bundespräsident Herzog, der einst forderte, es müsse „ein (neoliberaler) Ruck durch Deutschland gehen“, damit Deutschland in Europa nach vorn kommt. Nun ist Deutschland in Europa weiter vorn als je nach 1945. Da kann Wulff den sozialen Schafspelz noch anlassen - und die LINKE kann weiter von einer wichtigen und akzeptierten Rolle in der deutschen Politik träumen.

Wer so wie die LINKE auf den politischen Sumpf  der bürgerlichen Demokratie reagiert, wird selbst in ihm versinken.

Eine Linke, die eine wirkliche Opposition ist, müsste nicht die bürgerliche Demokratie gegen deren „Auswüchse“ und Mängel verteidigen, sondern den betrügerischen, unterdrückerischen Charakter der bürgerlichen Demokratie als einer verhüllten Form der Diktatur des Kapitals entlarven. Zudem müsste sie die Machtausübung der Arbeiterklasse mittels Räten, Milizen und direkter Kontrollorgane als grundsätzliche Alternative zu allen Formen bürgerlicher Herrschaft aufzeigen. Doch dafür fehlen der Führung der LINKEN Courage und politischer Verstand.

Konkret müsste aktuell z.B. gefordert werden:

Sofortiger Rücktritt Wulffs als Bundespräsident!

Einsetzung eines Untersuchungsausschusses unter Mitwirkung von an der Basis direkt gewählten VertreterInnen von Belegschaften, Gewerkschaften, Arbeitsloseninitiativen usw.!

Überprüfung aller Funktions- und Mandatsträger in Bund, Ländern und Kommunen auf eventuelle Verbindungen zur Wirtschaft und Vergünstigungen!

Herabsetzung aller Diäten auf Höhe eines Facharbeitergehaltes und Streichung aller Boni!

Veröffentlichung des gesamten Eigentums und aller (Neben)einnahmen von Abgeordneten und staatlichen Funktionsträgern!

Abschaffung des Präsidentenamts!

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