Arbeitermacht
Liga für die fünfte Internationale

Nord & Südamerika Europa Asien & Australien


google.de arbeitermacht.de

Bremen

Gegen die rechte Skandal-Justiz!

Korrespondent Bremen, Infomail 580, 30. September 2011

Ein Demonstrationszug von etwa 1.000 Menschen bewegte sich am Mittwoch, dem 28. September, von der Ostkurve des Bremer Weserstadions bis zum dortigen Amtsgericht, um gegen eine Justiz zu demonstrieren, die sich wie in der Weimarer Republik auf dem rechten Auge als blind erweist.

Lautstarke Demonstration

Eine eindrucksvolle, laute, lebendige Demonstration vorwiegend aus Jugendlichen gab der Justiz die Kante und konnte sich gegenüber den „NormalbürgerInnen“ am Straßenrand eindrucksvoll in Szene setzen.

Die mitreißendsten und von allen Demo-TeilnehmerInnen und Passanten geteilten Parolen waren: „Antifa und Fußballfans gegen rechte Hooligans! Gemeinsam gegen rechte Gewalt! Wir sind hier und wir sind laut, weil die Justiz Scheiße baut!“ Recht hatten sie damit, wie der im Folgenden abgedruckte Demoaufruf „Rechte Gewalt stoppen! Schluss mit der Verharmlosung von rechter Gewalt! Schluss mit der Entpolitisierung von Prozessen!“ erklärt:

„Im Januar 2007 wurde die erste Jubiläumsfeier der Ultra- Gruppe ‚Racaille Verte’ (auf Deutsch übersetzt etwa: grünes Pack; d. Verf.), welche im Ostkurvensaal des Weser- Stadions stattfand, von rechten Hooligans überfallen. Hintergrund des Angriffs war die öffentliche Positionierung von ‚Racaille Verte’ als antirassistische Fußballfangruppierung sowie die überwiegende Distanzierung der Ultra- Szene von rechten Ideologien. Es wurde gezielt eine Person verprügelt und dabei schwer verletzt. Weitere Partygäste wurden bespuckt und geschlagen. Gegenstände wurden durch den Saal geworfen. Zwei Personen mussten im Krankenhaus behandelt sowie mehrere Verletzte notärztlich versorgt werden. Weitere Angriffe wurden angedroht, wenn an der antirassistischen Position festgehalten werden würde. Die Teilnehmer an dem Angriff sind teilweise in rechten Strukturen, wie z.B. regionalen Kameradschaften, organisiert und mehrfach auf NPD-Veranstaltungen beobachtet worden. Sie sind Mitglieder der rechten Gruppen ‚Standarte Bremen’ und ‚Nordsturm Brema’ (NSHB) bzw. deren Umfeld.

Aufgrund von ZeugInnenaussagen hat die Staatsanwaltschaft nach über viereinhalb Jahren (!) einen Prozess gegen sieben Angreifer angestrengt. Diese skandalöse Verzögerung hängt nicht etwa, wie von Seiten der Justiz behauptet, mit Aussageverweigerungen der ZeugInnen zusammen. Diese hatten sich mehrheitlich bereits drei Monate nach dem Angriff zur Verfügung gestellt. Die tatsächlichen Ursachen für den derart verspäteten Prozessbeginn bleiben also weiterhin unklar.

Am vergangenen Donnerstag, den 22. 09. 2011, begannen die Verhandlungen im Amtsgericht Bremen. Dabei wurde seitens des zuständigen Richters eine Verkürzung des Verfahrens vorgeschlagen. Sollten Staatsanwalt und Verteidigung diesem Vorschlag zustimmen, würden die Angeklagten mit schockierend milden Strafen davonkommen. Das Verfahren könnte bereits am zweiten Verhandlungstag (Donnerstag, den 29. 09. 2011) beendet sein. Ein solcher Ausgang wäre in vielerlei Hinsicht folgenschwer. Ein Umstand, der von der Justiz offensichtlich billigend in Kauf genommen wird.

Denn zu dem Ausmaß des Falles gehören massive Einschüchterungsversuche gegenüber ZeugInnen. Eine Strategie, von der nicht einmal bei Prozessbeginn abgesehen wurde. Ganz im Gegenteil kam es zu Beschimpfungen und dem Abfotografieren von ProzessbeobachterInnen und JournalistInnen. Weder der Richter noch das Justizpersonal oder die Polizei schritten dabei entscheidend ein. Alle, die sich couragiert bereit erklärt haben, auszusagen, sind nun den Nazis über Gerichtsakten namentlich bekannt. Jetzt seitens des Gerichts einen harmlosen Deal vorzuschlagen, der in seiner Wirkung nicht einmal einem „Schuss vor den Bug“ gleichkommt, steht in keinem Verhältnis zu dem Risiko, das die ZeugInnen auf sich genommen haben. Dies und die Ansetzung vor der niedrigsten Instanz zeigen auf, dass die Justiz die Dimension des Verfahrens nicht erkannt hat.

Der Vorschlag von Geldstrafen, teilweise auf Bewährung, wird dem politischen Charakter nicht gerecht. Die Chance, ein klares Zeichen gegen die Gewalttätigkeit von Nazis setzen zu können, würde dadurch verpasst werden. Menschen, die sich gegen die faschistischen Strukturen positionieren, würden von der Justiz alleine gelassen werden. Die Aussage des Amtsgerichts, mit dem vorgeschlagenen Übereinkommen den ‚Konflikt zu befrieden’, entbehrt jeglicher Realität. Es handelt sich auf keinen Fall um ‚innerfamiliäre Streitigkeiten’ (Verteidigung), stattdessen ist mit weiteren Übergriffen zu rechnen – erst recht, wenn die Angeklagten durch ein mildes Urteil dazu ermuntert werden. Denn eine zögerliche Rechtsprechung würde die Angeklagten sowie deren Umfeld in ihrem Handeln bestärken.

Um auf den Justizskandal aufmerksam zu machen, rufen wir zu einer Demo am Mittwoch, den 28. 09. 2011, um 17:00 Uhr auf. Vom Ort des Angriffs, dem Ostkurvensaal am Weser- Stadion, gehen wir zum Amtsgericht Bremen. Damit setzen wir ein Zeichen gegen das unfassbare Vorgehen der Bremer Justiz und zeigen, dass die Einschüchterungsversuche der Nazis nicht fruchten.

Rechte Gewalt nicht als szenetypischen Konflikt verharmlosen! Wir lassen uns nicht einschüchtern!“

Skandaljustiz

Das Oberlandesgericht Bremen ordnete auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft diese Woche an, einen der 7 Angeklagten im Strafprozess um die Neonazi-Organisation „Sturm Wiking“ auf Kaution von 2.000 Euro freizulassen. Markus S. war zu Monatsanfang für eine Woche inhaftiert worden, nachdem er einem Verhandlungstermin ferngeblieben war. Am 22. Februar 2008 bewarfen die Angeklagten das Lidicehaus (Lidice ist Ort eines SS-Massakers) auf dem Stadtwerder mit Steinen und richteten einen Schaden von rund 20.000 Euro an. In kürzester Zeit erwies sich somit der Bremer Justizapparat bereits zum zweiten Mal als auf dem rechten Auge blind.

Wein und Wermut

Die richtigen Parolen, das starke Aufgebot, die Anziehungskraft auf „NormalbürgerInnen“, die sich teilweise spontan eingereiht haben, sind starke Pluspunkte, die unterm Strich die Demo zu einem eindrucksvollen Erfolg gemacht haben. Ein weiterer Pluspunkt ist in der Auftaktrede der Jugendorganisation „A Gauche“ (Auf der Linken; d. Verf.) zu finden, wo der Redner zu Recht betonte, dass der Bremer Justizskandal aufzeige, dass man schlicht und einfach im Abwehrkampf gegen den Faschismus nicht auf die bürgerliche Justiz bauen dürfe. Ansonsten bewegte sich die Demo im Rahmen dessen, was in der „extrem“-linken Szene als Konsens gilt.

Wohltuend im Vergleich zum 6. August in Bad Nenndorf und zu Kassel am 17. September war das Fehlen eines sichtbaren „antideutschen“ oder sogar pro US/Israel-Blocks. So weit, so gut.

Doch der Ortskorrespondent mag trotzdem nicht davon ablassen, ein paar Tropfen Wermut in den Wein der Erfolgstrunkenheit zu träufeln.

Betreffs der Organisation verließ sich die fast ausschließlich vom extrem linken Spektrum - genauer gesagt, dem autonomen - geprägte (und „organisierte“?) Demo auf Spontaneität und eigene „Stärke“. Ein Ordner-/Selbstschutzdienst war überhaupt nicht auszumachen.

Inhaltlich war eine starke Tendenz zu verspüren, den Faschismus in erster Linie als eine extreme Form des Rassismus zu begreifen. Das ist nur insofern berechtigt, als jedeR FaschistIn einE RassistIn ist. Umgekehrt stimmt das aber nicht.

Das Spezifikum des Faschismus gerät so aber leicht aus dem Blickfeld. Faschismus ist in den imperialistischen Metropolen die reaktionär-imperialistische Antwort auf die sich zuspitzende Strukturkrise des Kapitalismus, die die Gesellschaft zusehends polarisiert, die Politik der parlamentarischen „Mitte“ und der Vermittlungsfähigkeiten des Parlamentarismus überhaupt aushöhlt und unter den verzweifelten Hammerschlägen des neoliberalen Angriffs erstarkt, wenn die organisierte Arbeiterbewegung den deklassierten Elementen ihrer Klasse und denen der abgestürzten Mittelschichten einen Ausweg aus der Perspektivlosigkeit zu weisen nicht in der Lage ist.

Der Faschismus stellt eine Bedrohung für die „linke“ (Werder-) Szene, noch viel mehr natürlich eine tödliche rassistische Gefahr für MigrantInnen, für ethnische Minderheiten wie Roma und Sinti, Juden und Jüdinnen, für Lesben und Schwule dar. Als reaktionäre, militante politische Bewegung besteht sein Spezifikum aber darin, dass er letztlich auf die Zerschlagung, Atomisierung der gesamten Arbeiterbewegung, all ihre Institutionen und Organisation gerichtet ist. Das betrifft nicht nur die linken, kämpferischen oder revolutionären Teile der Arbeiterklasse, sondern alle – auch die reformistischen, sozial-demokratischen und gewerkschaftlichen – Organisationen. Genau der Zusammenhang ist aber zentral, um das Verhältnis von Kapitalismus und Faschismus – seine grundlegende Gefahr und Funktion für das Kapital – zu begreifen.

Bezüglich dieser Fragestellung unterschied sich die Bremer Demo leider um kein Jota von einer „üblichen“ Demo gegen „Rechts“. Versuche, DGB, SPD und DIE LINKE ins Boot zu holen? Fehlanzeige! Man(n) fühlt sich stark genug. Für den Moment mag’s reichen. Kein Bulle, kein Fascho hat es gewagt, die Demo anzugreifen oder auch nur zu stören. Zur Zeit sind die Faschos zwar zahlenmäßig unterlegen, aber im Kern wesentlich besser organisiert als die von ihrer Spontaneität und ihrer zahlenmäßigen Überlegenheit zehrende extreme Linke, die gar keine Anstalten macht, aus ihrem Ghetto herauszukommen und an die weitgehend unter sozialdemokratischem Einfluss stehenden Arbeiterklasse heranzukommen. Darum müssen VeranstalterInnen solcher Aktionen auch die reformistischen Organisationen (DGB, SPD, DIE LINKE) – ihre Basis wie Führung - auffordern, sich einzureihen. Getrennt marschieren, vereint schlagen! Das ist das Wesen der antifaschistischen Arbeitereinheitsfronttaktik. Statt verwaschener, scheinradikaler Propaganda über Ursachen und Wesen von Faschismus und Rassismus sollen alle BündnisteilnehmerInnen ihre eigene Propaganda entfalten bei völliger Freiheit gegenseitiger Kritik aneinander.

Radikal war der verteilte Aufruf wohl, aber nicht antikapitalistisch. Ein Zusammenhang zwischen Faschismus und Kapitalismus und dessen zwangsläufiger Krisenhaftigkeit fehlte überall. Im Stil des klassischen deutschen Idealismus wurde Faschismus im Wesentlichen als falsche Denkweise, als böse nationalistische Ideologie „enttarnt“: „Nationalismus“ raus aus den Köpfen!“ war eine der Hauptparolen. Welch’ Wunderwaffe! Hier bestimmt das Bewusstsein das Sein, nicht umgekehrt. Das „falsche“, aber reale kapitalistische Sein - Basis wie Überbau – radikal, d.h. an der Wurzel, verändern zu müssen, gerät so als Aufgabe völlig aus dem Blickfeld.

Genau an diese Wurzel – die gesellschaftliche Basis wachsender faschistischen Organisationen – müssen wir ran, wollen wir erfolgreich sein.

Leserbrief schreiben   zur Startseite

Wöchentliche E-News
der Gruppe Arbeitermacht

:: Archiv ::