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Massaker in Norwegen

Alarmsignal einer wachsenden Bedrohung durch Islamophobie, rechtsextreme Politik und Gewalt

Dave Stockton / Martin Suchanek, Infomail 569, 25. Juli 2011

Was trieb Andreas Breivik, den brutale Mörder von über 90 Menschen, darunter v.a. Jugendliche, zu seiner barbarischen Tat? War er ein „Verrückter“, war er ein „Einzeltäter“? Diese Frage versuchen bürgerliche Medien zu klären, um das vorgeblich „Unfassbare“ zu fassen.

Doch diese ganze Betrachtung der Frage, die den Blick auf die Betrachtung der Psyche des einzelnen Täters konzentriert, verdunkelt in Wirklichkeit eher die Ursachen des Massakers, als dass sie diese erhellt. Ob Breivik ein Psychopath war oder nicht, ist letztlich eine Nebenfrage.

Arbeiterfeindlich und rassistisch

Klar sind jedoch die Motive des Täters. Und diese - so irrational und „verrückt“ seine Texte und Erklärungen auch sein mögen - sind klar. Breivik gab seinem Anwalt zufolge an, dass er die Norwegische Arbeiterpartei und ihre Jugendorganisation abgrundtief hasste, weil sie marxistisch sei, weil sie den Multi-Kulturalismus fördere und „weich“ gegenüber dem Islam sei.

Ganz klar ist auch, dass Breivik - unabhängig davon, ob er die schreckliche Tat allein, zusammen mit Komplizen oder im Auftrag anderer geplant und durchgeführt haben mag - Teil einer größeren, erzreaktionären Bewegung ist, einer zunehmend stärker werdenden rassistischen und faschistischen Rechten, die sich heute auch zunehmend gewalttätig gegen MigrantInnen, Roma und v.a. gegen Muslime wendet und in den letzten Jahren häufig auch vor Mord nicht zurückgeschreckt ist.

Breivik war lange Jahre Mitglied der rechtspopulistischen Fortschrittspartei, die als zweitstärkste Partei im Norwegischen Parlement selbst alles andere als “Randgruppe” sieht und das “Abendland” in einer Art “Endkampf” gegen die “Überfremdung wähnt”. Er äußerte sich begeistet zur neofaschistischen englischen Defense League und lobt in seinen Blogs die österreichische Rassistenpartei FPÖ.

Breivik ist ein Mann, der von rassistischem Hass und von Klassenhass gegen die Arbeiterbewegung tief geprägt ist. Seine eigentliche Triebkraft war jedoch der Anti-Islamismus, der Hass auf alle muslimischen MigrantInnen, die Europa “überfluten” und “unsere” ach so demokratische, tolerante, christliche Kultur zerstören würden. Die norwegische Arbeiterpartei und das Jugendcamp auf der Insel Utøya wurden zur Zielscheibe, weil sie “zu weich” gegenüber dem Islam, seine multi-kulturellen und marxistischen Helfshelfer gewesen wären.

So irrational, reaktionär, verschwörungstheoretisch inspiriert und politisch obskur die politische Denke dieses rassistischen und neofaschistischen Killers auch ist, so weit hergeholt und politisch komplett daneben seine Thesen wie seine Einschätzung der norwegischen Arbeiterpartei als “Islamophil” sind - sie sind keineswegs die Kreation eines mehr oder minder pathologischen Einzeltäters.

Anti-Islamismus

Die rassistische, arbeiterfeindliche und antidemokratische Gesinnung teilen, wenn auch vielleicht mit unterschiedlichen Betonungen und Kombinationen, die wachsende neofaschistische, rassistische und rechtsradikale Bewegung und die ihnen angeschlossen Parteien und Kampagnen in ganz Europa.

Der „Anti-Islamismus“ wird tagtäglich mehr oder weniger offen von den Boulevardblättern und in „verfeinerter“ Form auch von der bürgerlichen Mainstream-Presse propagiert. Dabei mag einer wie Sarrazin rassistisch über die Stränge schlagen - doch hat nicht auch Angela Merkel „Multi-Kulti“ für gescheitert erklärt? Selbst als schon längst klar war, dass der Täter eine Rechtsradikaler ist, orakelte ein ARD-„Terrorismusexperte“, ob der Anschlag nicht doch irgendwie einen „islamistischen Hintergrund“ gehabt hätte (siehe dazu: http://www.youtube.com/watch?v=wkS6lN4yBvw&feature=player_embedded)?

Das ist kein Zufall. „Anti-Islamismus“ ist zu einer vorherrschenden imperialistischen Ideologie geworden, um rassistische Hetze gegen die MigrantInnen im Innern, v.a. aber Krieg und Besatzung von Afghanistan bis Palästina zu begründen, um Raub und Plünderung der halbkolonialen Welt als „Kampf für Demokratie und Menschenrechte“ und gegen den „islamistischen Terrorismus“, der uns alle bedrohe, zu verklären.

Imperialistische Heuchelei

Vom norwegischen König Harald, über den Papst bis zu Kanzlerin Merkel gibt es natürlich keinen westlichen Politiker, keine Politikerin, die sich nicht schockiert zeigen und ihre Trauer zum Ausdruck bringen. Doch diese Trauer ist letztlich die zynische Begleitmusik zur tagtäglichen Barbarbei, für die imperialistische Regierungen, Militärs und Konzerne verantwortlich sind.

Wo bleibt das Entsetzen angesichts der Opfer der imperialistischen Kriegsmaschinerie in Afghanistan, Libyen oder Pakistan? Diese werden jeden Tag durch die Bomben, Raketen und Drohnen der US- und NATO-Kriegsmaschinerie bedroht. Als die Bundeswehr letztes Jahr afghanische ZivilistInnen massakierte, musste erst untersucht werden, ob diese nicht doch gut getarnte „Taliban“ und „TerroristInnen“ gewesen wären. Die Regierung sorgte sich mehr um die Befindlichkeit der Kampfpiloten und das Image der Bundeswehr, denn um die Opfer.

Auch das „friedliebende“ Norwegen ist Teil der NATO und die norwegische Labour- Regierung unterstützt deren imperialistische Politik. Auch der norwegische Staat, auch die norwegische Regierung sind Teil „unserer“ imperialistischen Kultur - und es ist leider eine trauriger Tatsache, dass in dieser Kultur und ihrer Öffentlichkeit in der Regel die Opfer barbarischer Massaker nur dann als Menschen und Individuen dargestellt werden, wenn sie weiße EuropäerInnen sind, während die Opfer ebenso grausamer Massaker im Nahen Osten, Nordafrika oder anderen imperialistischen Einsatzgebieten nur „Kollateralschäden“ sind im Kampf für „unsere“ Werte und für „unsere“ Profite.

All das tut unserer Trauer, unserem Mitgefühl für die Opfer des Massakers, für die Jugendlichen auf der Insel Utøya oder die Beschäftigten im Regierungsgebäude in Oslo keinen Abbruch. Der Killer hat den Anschlag verübt, weil er damit seinen Hass auf alle fortschrittlichen, proletarischen, internationalistischen Werte zum blutigen Ausdruck brachte, die sowohl seiner rassistischen Gesinnung wie den verlogenen „Werten“ der imperialistischen Demokratie gegenüberstehen. Als er sein Massaker begann, diskutierten die Jugendlichen auf Utøya, wie Solidarität mit dem palästinensischen Volk organisiert werden könne.

Solidarität

Es sind diese Werte, diese Solidarität, die wir verteidigen und verteidigen müssen. Es sind jene Werte, die die rechte Reaktion mit Gewalt zerstören will und die „unsere“ Regierungen, Militärs und das kapitalistische System - und nicht zuletzt auch die sozialdemokratischen FührerInnen - täglich mit Füßen treten.

Den rassistischen und neonazistischen Gewalttätern und Organisationen und den Kriegstreibern aus der „Mitte“ der Gesellschaft halten wir die internationale Solidarität entgegen. Unsere Solidarität gilt den PalästinenserInnen, die gegen den zionistischen Rassistenstaat und seine US-amerikanischen und europäischen Verbündeten für ihr Selbstbestimmungsrecht, für das Rückkehrrecht aller PalästinenserInnen und für einen einheitlichen, säkularen Staat Palästina kämpfen, in dem die Angehörigen alle Nationen gleichberechtigt leben können. Unsere Solidarität gilt den muslimischen Gemeinden in ganz Europa, die von der extrem und populistischen Rechten, von „respektablen“ Rassisten attackiert, vom Staat mit reaktionären Tests, Überwachung und Abschiebung bedroht werden.

Wir müssen aus dem Massaker von Oslo und Utøya noch eine weitere Lehre ziehen. Auf die Polizei, auf den Staat ist kein Verlass im Kampf gegen rassistische Gewalttäter. Umso entschiedener muss allen Versuchen konservativer u.a. „Sicherheitspolitiker“ entgegengetreten werden, den tragischen Tod linker Jugendlicher zum Verwand zu nehmen, Sicherheitsgesetze weiter zu verschärfen und den Überwachsungsstaat weiter auszubauen. Wir alle wissen aus Erfahrung, dass sich diese nur gegen jene richten werden, die heute vorgeblich geschützt werden sollen.

Gegen die rassistische Rechte, gegen ihre Mörder, ihre Anschläge hilft nur, dass wir uns selbst organisieren. Dass wir - Linke, die Arbeiterbewegung, MigrantInnen, Jugendliche - eigene Selbstverteidigungsorgane aufbauen, den wachsenden rassistischen und faschistischen Kräften und antimuslimischen Kampagnen, welche die Krise und die Demoralisierung vieler für ihrer reaktionären Zwecken nutzen wollen, geschlossen und militant entgegentreten!

Dazu ist es unabdingbar, nicht nur Selbstschutz und Selbstverteidigungsorgane aufzubauen. Es muss dazu auch eine energische antichauvinistische Kampagne gegen Islamophobie, gegen die rassistische Hetze gegen Muslime und andere MigrantInnen in der Arbeiterbewegung aufgebaut werden!

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