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Pakistan

Am Beginn einer neue Klassenkampfperiode

Revolutionary Socialist Movement, Pakistanische Sektion der Liga für die Fünfte Internationale (L5I), Infomail 564, 24. Juni 2011

In den letzten Wochen beschleunigte sich die politische und gesellschaftliche Krise in Pakistan rasant. Die Tötung von Osama bin Laden enthüllte den verrotteten Scheincharakter der ‚Partnerschaft’ zwischen den US-Imperialisten und ihrem Marionettenregime in Islamabad. Das willkürliche Handeln der ‚demokratischen’ Imperialisten zeigt erneut, dass die USA sich nicht an Formalitäten, was die Respektierung nationaler Souveränität anlangt, halten, wenn ihre eigenen Interessen auf dem Spiel stehen. Wieder einmal haben sie die pakistanische Regierung und das Militär als untergebene Befehlsempfänger bloß gestellt, die höchstens verbal protestieren können.

Zugleich unterstützt die pakistanische Regierung den reaktionären Krieg der USA in Afghanistan und den Grenzgebieten des eigenen Landes. Sie lässt weiterhin die andauernden Drohnen-Luftattacken und die Abschlachtung von ZivilistInnen zu und führt ihrerseits Krieg gegen die eigene Bevölkerung. Wie die kürzliche Ermordung des Journalisten Salim Shahzad aufdeckt, ist der Geheimdienst entschlossen, die Opposition und sogar die Berichterstattung in den Medien zum Schweigen zu bringen.

Zunehmende Spaltungen in der herrschenden Klasse

Diesmal könnte die korrupte Regierung der Pakistanischen Volkspartei (PPP) von Präsident Asif Ali Sardari aber zu weit gegangen sein. Sie verliert immer mehr an Rückhalt. Die öffentliche Demaskierung ihres dem Imperialismus hörigen Charakters und ihres Misserfolgs im reaktionären Krieg hat auch zu Spaltungen in den pakistanischen Streitkräften geführt. Die  Beziehungen zwischen Pakistan und den USA werden im Militärstab ernsthaft überdacht. Die Armee fürchtet, dass sie die Legitimation für ihre Macht und ihre Pfründe in Gesellschaft und Politik einbüßen könnte.

In der Bevölkerung kursieren Witze über die Souveränität des Staates. Das Oberkommando der Armee steht nicht nur unter dem Druck des pakistanischen Volkes, sondern auch dem des höheren und mittleren Offizierskorps. Die größte Sorge gilt jedoch wichtigen Teilen der herrschenden Klasse, angeführt von der parlamentarisch stärksten Opposition, der Pakistanischen Moslemliga - Nawas (PML-N), die sich nicht nur von der PPP-Regierung, sondern auch vom Militär entfremdet. Ihr Führer Narwas Sharif fordert den Ausschluss des direkten Militäreinflusses auf die Politik und tritt für ein ziviles Regime statt der Militärherrschaft ein. Er drohte sogar mit einer ‚Jugendrevolution’ und einem ‚Marsch auf Islamabad’.

Die ArbeiterInnen und Bauern dürfen allerdings kein Vertrauen in diese Führung setzen, denn die PML-N ist geschichtlich dem Militär und Sektionen der Kapitalisten und Großgrundbesitzer verbunden. Sharif und seine Partei geben nun demagogisch ‚korrupten’ Kapitalisten und dem Militär die Schuld an Pakistans politischer und sozialer Krise. Sie behaupten, dass die Wurzeln der Krise in der Regentschaft von ‚feudalen’ Grundbesitzern und ihren militärischen Verbündeten lägen und nicht bei ‚modernen’ Kapitalisten und Bankern.

Das ist natürlich völlig falsch. Pakistan ist seit langem ein kapitalistisches Land, obschon ein stark abhängiges halbkoloniales. Formal unabhängig, war es von seiner Gründung an ein Teil der weltweiten kapitalistischen Arbeitsteilung, die auf der Ausbeutung und Unterordnung der ärmeren Länder durch die imperialistischen Staaten beruht. Jahrzehntelang war es eine Halbkolonie der USA - trotz formaler Souveränität, einer riesigen Armee und dem Besitz von Atomwaffen.

Doch der Ruf der PML-N nach ‚Revolution’ spiegelt die sich vertiefenden Spaltungen in der herrschenden Klasse wider. Nach dem Sturz von General Musharraf nutzte die PPP Populismus, Vetternwirtschaft und ‚demokratische’ Glaubwürdigkeit, um den Ärger der Bevölkerungsmassen abzulenken. Ebenso versucht die PML-N nun, sich als Kraft darzustellen, die imstande wäre, den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Niedergang aufzuhalten und die sich zuspitzende politische Krise zu lösen, wozu die gegenwärtige PPP-Regierung nicht in der Lage ist.

Diese Risse im herrschenden Lager untergraben die Legitimität aller ihrer Einrichtungen und des Militärs im besonderen. Das Militär war immer versucht, sich als ‚Retter’ des Volkes während der Flutkatastrophe zu stilisieren und erhielt in diesem völlig unberechtigten Anspruch Schützenhilfe von den Medien; dennoch haben die Fraktionierungen der herrschenden Klasse offeneren Protest gegen die Regierung, das Militär, den Geheimdienst und deren Attacken auf die normale Bevölkerung begünstigt.

Zunahme von Arbeiterkämpfen

Die Arbeiterklasse und die Bauern müssen sich allerdings darüber klar sein, dass sie der bürgerlichen Opposition und deren Interessen nicht folgen dürfen. Stattdessen müssen sie ihre eigenen Organisationen im Kampf gegen die Krise, die Bosse, das Militär und jegliche Unterstützung des Imperialismus sowie für demokratische Rechte aufbauen.

Pakistan erlebt nicht nur eine politische Krise, sondern gehört auch zu den Ländern, die die weltweite Rezession in einen langen wirtschaftlichen Abstieg gestürzt hat. Die Preise für Nahrungsmittel und Grundversorgungsgüter schnellen empor. Während der Militärapparat Milliarden für den Krieg und den Schutz des Landbesitzes der Reichen erhält und verprasst, müssen Millionen Flutopfer hungern und ohne Obdach auskommen.

Die Regierung erweist sich als zunehmend unfähig, die notwendigste Versorgung mit Strom für Wirtschaft und Privathaushalte zu gewährleisten. Stromausfälle von bis zu 16 Stunden am Tag treffen die Bevölkerung schwer, besonders auf dem Land und in Klein-, aber teils auch in Großstädten. Selbst in Riesenstädten wie Lahore kommt es täglich zu Stromsperren von 4 bis 8 Stunden. Die Stromabschaltungen haben auch zu Verknappung von Gas und Benzin geführt.

Die politische und wirtschaftliche Krise hat als bedeutsamste und erfreulichste Wirkung aber auch den ArbeiterInnenprotest im ganzen Land ermuntert und vorangebracht.

Inzwischen ist ein Massenwiderstand gegen die Stromreduktionen in Pakistan entstanden, v.a. in Karatschi, dem Handels- und Finanzzentrum des Landes. 11.000 ArbeiterInnen der KESC-Elektrizitätsgesellschaft haben in den beiden vergangenen Monaten gestreikt.

Verschiedene politische Parteien haben einen Aufruf zu einem stadtweiten Streik in Solidariät mit den KESC-ArbeiterInnen gestartet und die ganze Stadt an einem Tag lahmgelegt.

In Belutschistan gibt es gleichfalls eine Massenprotest- und Streikbewegung von ÄrztInnen, vornehmlich von schlecht bezahlten KrankenhausärztInnen. Diese Gruppe hatte sich vorher nie an Streiks beteiligt. Unterstützung erhielten sie von BerufskollegInnen aus dem Pandschab, die einen eintägigen Solidaritätsstreik gegen die Verhaftung und Misshandlung der Streikenden in Belutschistan durchführten.

In Lahore fand eine große Arbeiterdemonstration statt, organisiert von 24 verschiedenen Gewerkschaften, der Pakistanischen Labourpartei, die eng verbunden ist mit dem Vereinigten Sekretariat der 4. Internationale, der RSM (Sektion der LFI) und linken StudentInnenorganisationen. Dies ist Ausdruck des Protestes in verschiedenen öffentlichen Institutionen.

Es ist ganz klar: Pakistan ist in einer Lage, in der die herrschende Klasse sich in einer tiefen  Krise befindet und die Arbeiterklasse ihren Widerstand verstärkt. Auch andere Schichten der Bevölkerung rühren sich und wenden sich gegen die Regierung, die Bosse und den Imperialismus.

Die Arbeiterklasse muss sich nun vereinigen und die Kämpfe anführen! Die Wirtschafts- und Gesellschaftskrise verschlimmert sich in Pakistan täglich. Die herrschende Klasse ist ernsthaft entzweit und hat keine Lösung für die Arbeiter- und Bauernmassen; im Gegenteil, sogar die Mittelschichten der Gesellschaft spüren die Auswirkungen der Wirtschaftskrise. Auch das Militär, eine der Kerninstitutionen zur Erhaltung des pakistanischen Staats, steht unter Druck und verliert an Legitimation.

Zugleich ist die Arbeiterbewegung im Aufschwung. Sie ist entschlossen, lange Kämpfe zu führen. All dies sind klare Hinweise darauf, dass sich in Pakistan eine vorrevolutionäre Periode anbahnt. In dieser Lage muss die Arbeiterklasse an die Spitze des Kampfes treten und ihm eine Führung geben.

Zunächst muss die Einheit der ArbeiterInnen im Kampf gegen Kürzungen, Inflation und Verarmung hergestellt werden. Die stark angestiegenen Mobilisierungen, Streiks und Proteste sind bislang nicht über regionale, sektorale oder betriebliche Horizonte hinausgegangen.

Die Arbeiterschaft krankt an zersplitterten und schwachen Gewerkschaften, die vereinigt und auf industrieller Grundlage und ohne politische Unterordnung unter bürgerliche Parteien oder NGOs neu aufgebaut werden müssen.

Darum ruft die RSM zu einer Arbeitereinheitsfront gegen die Krise auf!

Baut Streik- und Aktionsausschüsse auf gegen Kürzungen, Privatisierungen, Inflation! Für einen Mindestlohn von 25.000 Rupien (rund 200 Euro)!

Solche Ausschüsse sollten nicht nur in Betrieben, sondern auch auf größeren Ländereien gegründet werden und Frauen, Bauern, Arbeitslose und Arme einbeziehen.

Wir rufen die Gewerkschaften und alle Arbeiterorganisationen auf, sich im Widerstand zu vereinigen! Die Offensive der Bosse kann nur durch gemeinsame Maßnahmen im ganzen Land, in allen Regionen erfolgreich gestoppt werden! Deshalb fordern wir einen unbefristeten Generalstreik, ausgehend von den Gewerkschaften und Arbeiterorganisationen!

Ein solcher Streik muss von Streikausschüssen geführt werden, die in allen Betrieben gewählt und zentralisiert werden - auf Orts-, Gebiets und Landesebene! Zum Schutz vor Attacken von rechten, faschistischen Kräften und Polizeiprovokateuren auf Streikpostenketten müssen Arbeiterselbstverteidigungsorgane aufgebaut werden!

Eine solche Bewegung würde rasch die Frage aufwerfen, wer für die Krise des Landes aufkommen, wer es führen, wer es gemäß den gesellschaftlichen Bedürfnissen wieder aufbauen kann. Die Antwort muss die Arbeiterklasse mittels eines Aktionsprogramms geben. Dessen Herzstück müsste sein:

Entschädigungslose Verstaatlichung der Elektrizitäts- und Energiekonzerne unter Arbeiterkontrolle, um eine regelmäßige Versorgung für alle sicher zu stellen, nicht nur für die Reichen!

Auflage eines Programms von öffentlichen Arbeiten unter Arbeiterkontrolle, um menschenwürdige Behausungen zu bauen und die durch die Flut zerstörten Anwesen und Dörfer wiederherzustellen!

Die Bosse, Imperialisten und Reichen müssen für ein solches Programm zur Überwindung der Krise zahlen, nicht die ArbeiterInnen und Armen! Für eine progressive Besteuerung auf Reichtum und Einkommen! Für die Streichung der Auslandsschulden und die Enteignung von Auslandskapital, von Finanzhäusern, Börsen und deren Zentralisierung in einer Staatsbank unter Arbeiterkontrolle!

Stopp der Inflation und den Erhöhungen der Lebensmittelpreise! Für eine gleitende Skala der Löhne und Einkommen mittels eines Lebenshaltungsindex, eingerichtet durch einen Ausschuss von ArbeiterInnen und AnwohnerInnen unter unbedingtem Einbezug von Frauen!

Für die völlige Streichung der Schulden von Kleinbauern und ArbeiterInnen! Für die entschädigungslose Enteignung aller Betriebe, die Entlassungen planen oder den Lohn kürzen!

Für die Enteignung großer Ländereien, für die Kontrolle von Grund und Boden durch diejenigen, die darauf arbeiten!

Eine solche Bewegung darf sich nicht auf soziale Fragen beschränken, die die ArbeiterInnen, Bauern und Armen betreffen. Sie muss auch alle politischen Probleme Pakistans anpacken.

Stopp dem reaktionären ‚Krieg gegen den Terror’! Rückzug aller Truppen aus den Grenzgebieten! Keine Drohnen-Attacken der USA! Keine US- oder andere imperialistische Streitkräfte dürfen pakistanisches Gebiet und Luftraum für ihre Kriege nutzen! Raus mit allen  US- oder anderen imperialistischen Einheiten oder Militärberatern!

Weg mit allen reaktionären Gesetzen, die die Rechte der ArbeiterInnen auf Organisations- und Protestfreiheit beschneiden!

Für Bevölkerungstribunale, gewählt von der Bevölkerung zur Aufklärung der Morde an AktivistInnen und kritischen JournalistInnen und der Verantwortung der Täter und Drahtzieher!

Für die Einberufung einer Verfassungsgebenden Versammlung, um die brennenden gesellschaftlichen und demokratischen Fragen und die Sorgen der unterdrückten Nationalitäten, einschließlich ihres Rechts auf Lostrennung, falls sie es wünschen, zu behandeln!

Nur Arbeiter- und Bauernkomitees, nicht das Militär und der korrupte Staatsapparat, können sicherstellen, dass die Abgeordneten für diese Versammlung auf demokratischste Weise gewählt werden, unter der Kontrolle ihrer WählerInnen bleiben und durch diese abberufbar sind. Die Versammlung muss gezwungen werden, sich mit allen grundlegenden Fragen von demokratischen Rechten und sozialer Gerechtigkeit zu befassen: Landrevolution, Verstaatlichung von Großindustrien und Banken unter Arbeiterkontrolle, Selbstbestimmung von nationalen Minderheiten, Abschaffung von ökonomischen und politischen Privilegien für die Reichen!

Aber selbst die demokratischste Versammlung kann nicht die eigentliche Lösung der Probleme bedeuten; sie wird nur die Arena sein, in der die konkurrierenden Klassen für ihre Programme streiten. ArbeiterInnen und Bauern können und werden so lernen, dass sie weiter gehen müssen, selbst die Staatsmacht übernehmen und eine revolutionäre Arbeiter- und Bauernregierung bilden müssen.

Ein solches Programm braucht aber eine revolutionäre Arbeiterpartei, die konsequent dafür einsteht, ArbeiterInnen, Arme, Jugendliche und Frauen um sich schart. Die pakistanische Arbeiterbewegung besitzt derzeit keine solche politische Kraft. Sie ist zerstreut in hunderten von Gewerkschaften, Kleingruppen und -parteien, die bestenfalls wenige tausend Mitglieder zählen.

Deshalb fordern wir die Gewerkschaften auf - die Führungen wie die Mitglieder -, zu beginnen, eine solche neue Arbeitermassenpartei zu formieren! Wir rufen alle politischen Organisationen der pakistanischen Linken wie Labour Partei, Arbeiterpartei und „Klassenkampftendenz“ auf, sich diesem entscheidenden Kampf anzuschließen!

Wir orientieren uns auf den Aufbau einer solchen Partei und schlagen als politische Grundlage unser Programm vor, ein Aktionsprogramm für die gesamte Arbeiterklasse und für die sozialistische Revolution. Die Geschichte bietet gewaltige Herausforderungen, aber auch gewaltige Chancen für die pakistanische Linke und die Arbeiterbewegung. Wir müssen uns auf die Höhe dieser Aufgaben begeben!

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