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Nazi-Schlappe in Bremen

Eine kritische Bilanz ist trotzdem notwendig

Korrespondenz Bremen, Infomail 553, 5. Mai 2011

Wie schon 1999 und 2006 versuchte die NPD, am 1. Mai 2011 in Bremen aufzumarschieren.

Zuerst die guten Nachrichten: nur 185 Neonazis marschierten am 30. April auf einer von 3000 Polizisten (!) abgesperrten Route durch den westlichen Teil der Neustadt. Dass sie nicht am „Tag der Arbeit“ zum Zuge kamen, lag auch daran, dass diesmal viel mehr Gegendemonstranten vor Ort waren als 2006 - ca. 8000. Wo vor 4 1/2 Jahren die DGB-Gewerkschaften nicht offensiv zur Gegendemonstration aufriefen und 1999 regelrecht spalterisch wirkten, weil an ihrer klassischen Maikundgebung festhaltend, während die Faschisten vor den Werkstoren von Daimler-Benz zur Versammlung aufriefen, es radikal-linken Kräften überließen, die Glatzen zu konfrontieren, mussten letztere deren Pläne erfolgreich durchkreuzen.

Diesmal rief der DGB unter seiner neuen Vorsitzenden Annette Dühring für seine Verhältnisse frühzeitig zum Handeln auf und ein breites Bündnis „Keinen Meter!“ entstand auf seine Einladung und unter seiner Federführung. Dessen Motto lautete: „Rigoros. Beherzt. Zusammen. Gegen soziale Ausgrenzung und Rassismus“. Der gemeinsame Aufruf wurde von über 100 Organisationen - Parteien, politischen Gruppierungen, Nichtregierungsorganisationen, Kirchenverbänden, Bündnisse, „Bewegungen“, Gewerkschaften und deren Einzelgliederungen usw. - unterzeichnet. Jugendorganisationen schlossen sich zu einem Jugendbündnis „Keinen Meter!“ zusammen.

Der Aufruf ließ einerseits Klartext sprechen: „Lasst uns den Naziaufmarsch verhindern. Lasst uns alles dafür tun, dass die Nazis nicht in die Bürgerschaft kommen…Eine Tolerierung der NPD in der Öffentlichkeit ist  falsch verstandene Toleranz…Ob Nazis wieder auf unseren Straßen marschieren können oder nicht, das liegt an uns! Wir stellen uns ihnen entgegen!“ Welch wohltuender Unterschied zu 1999 und 2006!

Einheit in der Aktion?

Natürlich war diese Gegenmobilisierung im Verhältnis zur Mobilisierungsfähigkeit der Neonazis eine Schlappe für sie, noch deutlicher als 1999 und sogar 2006. Ihr dritter Versuch, in Bremen einen Fuß auf den Boden zu kriegen, muss zum Glück als gescheitert betrachtet werden.

Die Breite des Bündnisses darf aber nur bedingt als Plus eingeschätzt werden, denn der DGB behielt von Anfang an das Heft des Handelns im Bündnis in der Hand. Das begann schon damit, dass zur Gründungsversammlung nur ausgewählte Gäste eingeladen wurden, die den Aufruf annahmen, ja sämtliche Aktivitäten steuerten. Die Vielzahl der Unterschriften darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es nur ein kleiner Kern aus ReformistInnen und Teilen der Autonomen - letztere leisteten ein Großteil der „Wasserträgerdienste“ - war, der die politische und strategische Linie bestimmte. Der Rest war Karteileichen, die zum Besuch der Veranstaltungsreihe und Teilnahme an der Demo aufgefordert waren.

Bei allen hehren Vorsätzen, den Glatzköpfen direkt entgegenzutreten, wo diese marschieren - immerhin ein deutlicher Fortschritt zu 1999 und 2006 - blieb es doch bei Lippenbekenntnissen. Nicht ein ernster Versuch wurde unternommen, die Polizei zurückzudrängen und die Distanz zwischen den Marschrouten des Bündnisses und der Faschos zu überwinden, obwohl um 10.00 Uhr auf dem Leibnizplatz, nach dem Ende des Demonstrationsumzuges, das Kräfteverhältnis zwischen TeilnehmerInnen und Bullerei recht ungünstig für letztere wirkte.

Natürlich ist auch uns klar, dass die Frage, ob einen Durchbruch versucht wird, um den Nazis direkt entgegenzutreten, immer auch von einer Einschätzung des Kräfteverhältnisses und der Gesamtlage abhängig ist. Insofern mag es auch gerechtfertigte Gründe gegeben haben, die die Veranstalter davon abhielten, offensiver vorzugehen.

Wir kritisieren vielmehr, dass das Bündnis gar nicht die Möglichkeit geschaffen hatte, dies vor Ort nach Einschätzung der Lage, Stimmung, Bereitschaft in den eigenen Reihen, Entschlossenheit der Polizei usw. entscheiden zu können. Es gab keine Leitungsstrukturen der antifaschistischen Gegenaktion, kein vorher durchgespieltes und besprochenes Szenario verschiedener Aktionspläne. Ein paar Ordner schauten teilnahmslos sowohl dem Treiben des „Schwarzen Blocks“ wie dem Gegentreiben der „Freunde und Helfer“ in Bürgerkriegsuniform zu. Das sind keine handlungsfähigen Strukturen, die auch sowohl einen Demonstrationszug wie eine Kundgebung unter freiem Himmel gegen Provokationen von innen und außen verteidigen und lenken können, schon gar nicht sind Ordnerkräfte und Leitung demokratisch gewählt, ausgebildet und eingewiesen. So blieb es beim Katz-und-Maus-Spiel einiger Autonomer mit der Polizei nach der Ankunft auf dem Leibnizplatz, die versuchten, in kleinen Gruppen Kordons und Absperrgitter durchbrechen zu versuchen - erfolglos und ohne die Masse der TeilnehmerInnen einzubeziehen.

Volksfrontpropaganda auf kleinstem gemeinsamen Nenner

Nein, eine Aktionseinheit war das nicht. Trotzdem riefen wir als Gruppe Arbeitermacht zur Unterstützung der Demo auf. Den Aufruf konnten wir allerdings nicht unterschrieben, selbst wenn wir handverlesen zum Bündnis eingeladen worden wären.

Statt kurz und knapp die Ziele der Aktion zu verbreiten und für massenhafte Unterstützung zu werben, die Teilnehmer auf die möglichen Optionen - je nach Stärke und Entschlossenheit der Polizei und Faschisten - vorzubereiten einschließlich der Notwendigkeit organisierter Verteidigung und demokratischer Aktionsleitung, erging sich der offizielle Aufruf in moralischer Verurteilung von NPD-Ideologie und Praxis. Dem Leser bleibt haften, dass die Nazis ganz schrecklich menschenverachtend, antisemitisch, rassistisch etc. sind. Bedauerlicherweise werden gesellschaftliche Rolle und Ursachen des Nationalsozialismus gar nicht betrachtet, dieser vielmehr als übles Gedankengut entsorgt. So unpolitisch dies ist, so unmarxistisch ist seine Gleichsetzung mit Rassismus.

Der Faschismus ist natürlich auch eine rassistische Bewegung, aber seine Funktion für den Kapitalismus besteht v.a. in der Zerschlagung der organisierten Arbeiterbewegung. Er ist eine reaktionäre Massenbewegung, die das wild gewordene Kleinbürgertum unter tatkräftiger Mithilfe des Lumpenproletariats bis hin zu den rückständigsten Schichten der Lohnabhängigen zum massenhaften Terror gegen die Arbeiterbewegung mobilisiert. Die Arbeiterorganisationen müssen bei Strafe ihres Untergangs die braune Gefahr durch ihre eigenen Selbstverteidigungsorgane zurückschlagen, über alle Partei- und Gewerkschaftsgrenzen hinweg. Das ist Sinn und Wesen der Arbeitereinheitsfront. Auf den bürgerlichen Staat und seine Exekutive sowie Rechtsprechung zu vertrauen, ja ihn zum Verbot der Faschisten aufzufordern, kommt aufgrund unserer obigen Ausführungen einer politischen Strangulierung seiner selbst gleich. Im kleinen Maßstab können wir das heute schon sehen: das „Scheitern“ des NPD-Verbots an der starken Fraktion von „Verfassungsschützern“ in dieser Partei, der Schutz kleiner Häuflein von braunen Skinheads und Schlipsträgern durch eine Polizeiübermacht vor der wesentlich stärkeren Linken, wie am letzten Sonnabend in der „kleinen“ Hansestadt.

Gruppe Avanti grenzt sich ab?

Unsere oben kurz skizzierte Kritik trifft natürlich v.a. die „radikale“ Linke. So hat z.B. Avanti den Aufruf kommentarlos unterschrieben und auch in den eigenen Publikationen keine Kritik daran geäußert.

Also müssen wir davon auszugehen, dass Avanti nichts Erwähnenswertes an der faulen „Gutmenschen“propaganda, dem Volksfrontcharakter des Bündnisaufrufs auszusetzen haben. Auf ihrer Webseite veröffentlichen sie stattdessen eine Gründungserklärung. Wir können nur mutmaßen, dass es sich in „Abgrenzung“ zum offiziellen Flugblatt um die eigene Position handelt oder um die eines nicht näher benannten linken Blocks in „Keinen Meter!“.

Klar ist das nicht, zumal das Logo des Bündnisses darüber prangt. Die Gründungserklärung fügt dem Aufruf auch nur hinzu, dass Rassismus auch inmitten der Gesellschaft existiert und man dagegen „zusammenkommen“ muss, nicht nur im Wahlkampf der NPD. Wer schon fremde Kleider stehlen muss, bei wem schon die bunten Fahnen durcheinander wehen, der kann uns Elemente der Faschismuseinschätzung wie der Einheitsfronttaktik nur vorenthalten. Damit wollen wir keinesfalls das Engagement, den Aktivismus der zumeist jugendlichen Mitglieder Avantis schmälern. Im Gegenteil, ihrer aktiven Rolle im Bündnis zollen wir allerhöchsten Respekt. Aber: Ohne Kenntnis marxistischer Elementarzusammenhänge sind solche Organisationen, wie radikal sie sich immer gerieren mögen, bestenfalls im antifaschistischen Kampf verwirrt, dazu verdammt, an den Rockschößen des Reformismus hinterhergezogen zu werden.

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