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Wikileaks

Die Fassade der imperialistischen „Demokratie“ bröckelt

Roman Riedl, Infomail 562, 22. Dezember 2010

Der Medienrummel um den „Whistleblower“ WikiLeaks bedarf aktuell keiner ausführlichen Erklärung. Es ist offensichtlich, dass WikiLeaks mit seinen Veröffentlichungen „Staatsinteressen“ zur Geheimhaltung diverser Dokumente und Praktiken untergräbt und dadurch nicht nur zur medialen Sensation, sondern auch zu einem „Nestbeschmutzer“ der Regierungen geworden ist.

Gegründet wurde WikiLeaks 2007, im April 2010 wurde eine erste breite Debatte durch ein geleaktes Video ausgelöst, das einen US-Helikopter zeigt, der im Gegensatz zu den Angaben der US-Army nicht „Terroristen“, sondern Journalisten tötet.

Darauffolgend wurden diverse Geheimdokumente zu den Kriegen im Irak und in Afghanistan veröffentlicht, die Beweise für das verbrecherische Vorgehen der USA liefern. So hat WikiLeaks gezeigt, dass eine bis zu diesem Zeitpunkt geheime Task Force in Afghanistan operiert, deren Hauptaufgabe die gezielte Tötung durch die „Abarbeitung“ einer Namensliste ist. Genauso wurde durch die Dokumente klar, dass die US- und NATO-Truppen trotz Strategiewechsel und Truppenaufstockungen in Afghanistan immer mehr an Boden verlieren.

Die Bedeutung der Enthüllungen von WikiLeaks besteht nicht darin, dass diverse Entwicklungen nicht bereits vermutet oder zum Teil auch schon bewiesen worden sind. Wirkliche Bedeutung erlangen die Veröffentlichungen durch die breite Kontrastierung der Propaganda einzelner am Krieg beteiligter Regierungen, die sich angesichts wachsender Kriegsablehnung immer schwerer tun, ihre militärischen Interventionen zu rechtfertigen. Nicht Verschwörungstheorien müssen herhalten, um die Pläne der Regierungen zu durchleuchten. Staatliche Dokumente erbringen den Beweis für die Verlogenheit der Regierungspropaganda.

Neben diesen populärsten Enthüllungen zum Afghanistan- und Irakkrieg wurden und werden jedoch auch eine Reihe weiterer Dokumente veröffentlicht. So z.B. der Entwurf von Dänemark, den USA und Großbritannien zur Klimakonferenz in Kopenhagen, der aufgrund seines Angriffs auf ärmere Länder breiten Protest innerhalb der Konferenz und auf der Straße hervorgerufen hat.

Geheimdiplomatie und bürgerliche Demokratie

Veröffentlichungen dieser Art tauchen nicht zum ersten Mal in der Geschichte auf. Man nehme nur die Enthüllungen der Pentagon-Papiere zum Vietnamkrieg 1971. Die jüngsten Publikationen von geheimen diplomatischen Depeschen sind jedoch insofern eine weitreichenderere Untergrabung des Informationsmonopols des bürgerlichen Staates. Erstens sind sie durch die technischen Mittel der Verbreitung kaum zu kontrollieren und aus dem Netz zu entfernen, zweitens steigert die durch den Popularitätsgewinn von WikiLeaks gewachsene Perspektive weiterer Veröffentlichungen die Nervosität der bürgerlichen Politik. Der Staat ist in Bedrängnis. Denn trotz seiner Deklarationen von Freiheits- und Persönlichkeitsrechten kann selbst die demokratischste Gesellschaft nur durch Einschränkung dieser Rechte aufrecht erhalten werden.

Das Verstehen natürlich auch die Regierungen, die zurzeit ihre Doppelmoral in Bezug auf demokratische Freiheiten zur Schau stellen. Auf der einen Seite gibt es breit angelegte Kritik v.a. von westlichen Regierungen an der Einschränkung demokratischer Rechte in einzelnen Ländern. Die Kritik an China und der Streit von Google über die Zensurfrage oder die Entrüstung der US-Regierung über die Angriffe auf die progressive Protestbewegung im Iran stehen auf der einen Seite. Auf der anderen Seite stehen restriktive Vorgehensweisen wie die permanenten Versuche, WikiLeaks mundtot zu machen oder aber auch die Unterstützung der USA für die Sperre von Facebook in Pakistan. Hier wird offensichtlich mit zweierlei Maß gemessen. Können demokratische Argumente verwendet werden, um die eigene Position zu stärken, so werden Regierungen und ihre Militärs zu den glühendsten Verfechtern der Freiheit. Bedrohen demokratische Freiheiten jedoch diese Positionen, ist man gern bereit, sie zurückzurollen.

Die Verteidigung von demokratischen Rechten, die Sicherung der Pressefreiheit und die Möglichkeit, einen genaueren Blick auf interne Diskussionen der Regierungen und diplomatischen Corps zu werfen, sind zentrale und unterstützenswerte Anliegen. Wir sehen in Ländern, die selbst klassische Freiheiten eines bürgerlichen Verständnisses nicht umgesetzt haben, um wie viel schwieriger die Bedingungen für Kritik, politische Arbeit und Aktivismus sind. Gleichzeitig dürfen wir uns jedoch auch keine Illusionen über die Unumstößlichkeit demokratischer Prinzipien und der Demokratie als solches machen. Zum einen zeigt der Angriff auf WikiLeaks, wie schnell Regierungen bereit sind, demokratische Rechte einzuschränken, wenn sie ihre Interessen bedroht sehen. Zum anderen ist die Demokratie als solche kein absolutes Prinzip, das keinen Änderungen unterworfen wäre. Die Demokratie ist eine historisch besondere Staatsform, die, genau wie alle anderen Staatsformen, bestimmte Macht- und Unterdrückungsverhältnisse impliziert. Eingebettet in marktwirtschaftliche Verhältnisse erfüllt diese staatliche Form den Zweck, den juristischen und ideologischen Überbau zur Sicherung von ökonomischen Ausbeutungsverhältnissen zu liefern. Die Frage, inwieweit Freiheiten gewährt bzw. zurückgenommen werden, ist deshalb in erster Linie eine Frage sozialer Auseinandersetzungen um genau diese Freiheiten.

Der Wert von WikiLeaks besteht darin aufzuzeigen, wie sehr solche Freiheiten tagtäglich allein durch Informationszurückhaltung eingeschränkt werden. Doch bei aller Wertschätzung für die Arbeit von WikiLeaks und den Einsatz hunderter JournalistInnen, die an WikiLeaks gesandte Dokumente prüfen: es gibt dabei ein Missverständnis der bürgerlichen Demokratie und das Pprojekt ist in seiner Wirksamkeit beschränkt.

Auf der Website von WikiLeaks wird argumentiert, dass die Veröffentlichung von geheimen Dokumenten „den Kurs der Geschichte in der Gegenwart verändern und uns zu einer besseren Zukunft führen kann“. Dies ist insofern eine Illusion, da gerade aufgrund der aktuellen Handlungen von Regierungen, die in erster Linie ja in einer Einschränkung, nicht in einer Verbreiterung des Informationsflusses bestehen, kein Automatismus zwischen Enthüllungen und positiver Entwicklung der Presse- bzw. Medienfreiheit impliziert werden kann.

Kapitalismus und Geheimhaltung

Diese Ziele zu erreichen ist eine Frage von politischen Kampagnen und letztenendes der Überwindung des Kapitalismus, der aufgrund seines Klassencharakters und der daraus erwachsenden sowohl nationalen als auch globalen Ungleichheitsverhältnisse einen Staat braucht, der diese Spannungen im Zaum halten kann. Diese Abfederung von Spannungen besteht jedoch nicht in dem Versuch, Interessensgegensätze auszugleichen, sondern vielmehr in der Durchsetzung bürgerlich-kapitalistischer Interessen. Der Einsatz von Polizei und Militär gegen Anti-Krisen-Proteste in Griechenland, Italien oder die Militarisierung ganzer Branchen wie im Fluglotsenstreik in Spanien zeigen, dass der Staat kein neutrales Instrument, sondern ein Klasseninstrument für die Interessen der herrschenden Klasse ist. Die Verdeckung der staatlichen Interessen im In- und Ausland ist deshalb ein grundlegendes Element des kapitalistischen Staatsapparates.

Warum ein solcher Drang zur Geheimhaltung besteht, ist im Mechanismus der Konkurrenz auf dem freien Markt zu ergründen. Der Kapitalismus funktioniert auf der Grundlage von Nationalstaaten, die den entsprechenden juristischen und staatlichen Rahmen bieten, um die Ausbeutungsbedingungen einzelner KapitalistInnen zu sichern. Zwischen diesen einzelnen Kapitalien besteht Konkurrenz - sowohl national als auch international. Im globalen Spiel um die Aufteilung der Welt und die Einflussnahme auf unterschiedliche Regionen bzw. um den Gewinn von Vormachtstellungen auf dem Weltmarkt spielen die diplomatischen Vertretungen eine zentrale Rolle, um die jeweiligen Bedingungen eines Landes einzuschätzen.

Es ist sehr positiv, dass nun unterschiedlichste Dokumente veröffentlicht werden und Geheimhaltungsabkommen gebrochen werden. WikiLeaks bietet dafür eine technisch ausgereifte Plattform, die es bis jetzt ermöglicht hat, die Anonymität der InformantInnen zu gewährleisten.

Schon die revolutionäre Sowjetunion hatte solche diplomatischen Geheim-Verträge veröffentlicht. Der russische Revolutionär Leo Trotzki erklärte 1917 in einer kurzen Stellungnahme, warum die junge Sowjetunion diese Dokumente veröffentlicht hat. Er argumentierte, dass die geheime Diplomatie zu den Grundbestandteilen der kapitalistischen Gesellschaft gehört und diese jahrelange Geheimhaltung durch die Veröffentlichung der Dokumente beendet werden muss:

„Geheimdiplomatie ist ein notwendiges Werkzeug für eine besitzende Minderheit, die gezwungenermaßen die Mehrheit betrügen muss, um sie ihren Interessen unterzuordnen. Der Imperialismus mit seinen dunklen Plänen der Eroberung und seinen räuberischen Allianzen und Abkommen hat das System der Geheimdiplomatie zu höchstem Niveau entwickelt. Der Kampf gegen Imperialismus, der die Menschen in Europa erschöpft und zerstört, ist zur gleichen Zeit auch ein Kampf gegen die kapitalistische Diplomatie, die Grund genug hat sich vor dem Tageslicht zu fürchten.“

Repression gegen WikiLeaks

Die Welle der Repression gegen WikiLeaks muss klar verurteilt werden! Die Interessensverschränkung der Regierung mit einzelnen Unternehmen wie Serveranbietern und Krediktartenfirmen ist v.a. nach der Ankündigung der WikiLeaker, auch im Besitz von geheimen Finanzdaten von Banken zu sein, nur zu verständlich. Die Furcht, selbst ins Rampenlicht gerückt zu werden, ist Grund genug für die Unternehmen, um auf die Einnahmen aus Kreditkartentransaktionen und Servermiete zu verzichten. Die kritische Web-Community hat bereits richtig darauf reagiert. WikiLeaks ist mittlerweile von 2.194 einzelnen Seiten (Stand 16.12.10) abrufbar.

Doch es braucht über die digitale Welt hinausgehend auch Kampagnen zur konsequenten Verteidigung der nun wahrscheinlich folgenden noch stärkeren Mechanismen der Geheimhaltung. Die bereits in Ausarbeitung begriffenen Verfahren gegen WikiLeaks lassen die dunkle Wolke von Zensur und Einschränkung der Pressefreiheit am Himmel erscheinen, gegen die es in ihren frühesten Stadien anzukämpfen gilt.

Die Inhaftierung von WikiLeaks-Gründer Julian Assange ist im Zusammenhang auf die Angriffe auf die Grundprinzipien der Geheimhaltung zu verstehen. Es geht weder der britischen, der schwedischen noch der US-Regierung darum, die Vergewaltigungsvorwürfe aufzuklären. Ob diese Vorwürfe richtig sind oder nicht, können wir nicht beurteilen. Sollten sie richtig sein, so treten wir dafür ein, dass Assange dafür in vollem Maß verurteilt wird - die Leak-Bewegung wird wohl auch ohne ihren Popstar auskommen. Die progressive Rolle von Assange in der aktuellen Debatte darf kein Grund sein, warum die Vorwürfe keiner Klärung zugeführt werden sollen. Doch die Forderung der USA, Assange an die Vereinigten Staaten auszuliefern (während diese bereits mittels juristischen Kunststücken seine Verurteilung vorbereiten) zeigt, dass es ihnen hier nicht um eine Aufklärung der Vergewaltigungsvorwürfe geht. Assange soll mundtot gemacht werden. Die Vergewaltigungsvorwürfe kamen ihnen hierbei gerade recht. In Wirklichkeit ist das Verhalten der britischen, schwedischen und US-Regierung eine Farce für jene Frauen, die diese Vorwürfe erhoben haben, weil es ihre Anschuldigungen zum Nebenschauplatz von Regierungsinteressen verkommen lässt.

Die Zukunft von WikiLeaks

Es ist absehbar, dass die Kampagnen und die Repression gegen WikiLeaks und die WikiLeaker zunehmen wird. Der Soldat Bradley Manning, dem vorgeworfen wird, mehrere Dokumente und das Video des auf Zivilisten schießenden Helikopters weitergegeben zu haben, wurde bereits im Mai 2010 festgenommen. Zuerst wurde er in Kuwait eingesperrt, später in ein Militärgefängnis in Virginia transferiert. Es ist anzunehmen, dass an ihm ein Exempel statuiert wird. Als Höchststrafe drohen 52 Jahre Haft. Bezeichnend ist diese Herangehensweise natürlich für die US Regierung, die sich darauf konzentriert, jene zu verurteilen, die die Wahrheit ans Licht bringen, anstatt jene zu verurteilen, welche die Verbrehen begangen haben.

Nach dem ACTA-Abkommen (Anti-Counterfeiting Trade Agreement, ein Abkommen gegen Softwarepiraterie), das auch von der EU mitverhandelt wird und den Regierungen umfangreiche Instrumente zur Einschränkung der Informationsfreiheit im Internet bietet, werden wahrscheinlich auch entsprechende Gesetzgebungen zu Whistleblower-Websiten nicht lange auf sich warten lassen.

Während in den meisten Ländern Europas und den USA liberale Mediengesetze vorherrschen, hat Ungarn bereits gezeigt, wohin die Reise gehen könnte. In einem neuen Mediengesetz wurde festgelegt, dass der Präsident der Medienbehörde Budget- und Personalentscheidungen im staatlichen Rundfunk treffen kann. Eingesetzt wird dieser Präsident durch den Ministerpräsidenten. Im Amt bleiben darf er für neun Jahre. Dieses u.a. Beispiele zeigen, dass die Verteidigung von demokratischen Rechten wieder zu einem wichtigen Bestandteil der politischen Agenda progressiver Kräfte in der ganzen Welt werden muss!

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