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Bangkok brennt

Thailändische Lehren

Simon Hardy, Infomail 487, 27. Mai 2010

Am Morgen des 19. Mai hatte sich die thailändischen Armee dem Lager der Rothemden inmitten der Hauptstadt Bangkok genähert und den dort Ausharrenden über Lautsprecher mitgeteilt: „Kommt heraus oder wir machen Euch platt.“

Als der Überfall begann, waren die Anführer der Rothemdenbewegung jedoch nicht in der Lage, den Widerstand gegen die Armeeoffensive zu führen und organisieren. Viele hatten schon vorher kapituliert.

Einer dieser Anführer, Jatupom Prompan, stand, als die Armee angriff, auf einer Bühne in der Mitte des Lagers und rief entnervt: „Ich entschuldige mich bei Euch allen, aber ich will nicht noch mehr Verluste. Ich bin auch am Ende. Wir werden kapitulieren.“

Nach vierwöchigem Protest mit vielen Toten und Verwundeten stellte sich heraus, dass in dem Moment, als es darauf ankam, die Rothemden Löwen waren, die brüllen, aber nicht beißen.

Als die Truppen ins Lager eindrangen, wurden mindestens 16 Menschen erschossen und noch viel mehr verwundet. Auch ein westlicher Journalist war unter den Toten. Seither sind mindestens 86 Menschen umgekommen.

Überlebende, die vor dem Angriff fliehen konnten, steckten symbolträchtige Gebäude wie die Börse in Brand. Die meisten Medien stellten dies als Beweis für die ‚sinnlose’ Zerstörungswut der Rothemden dar. In Wahrheit war dies jedoch der verzweifelte Versuch einer Bewegung am Rande der Niederlage, noch ihren Protest mit einer letzten Botschaft an die Thai-Regierung und die Welt kund zu tun, dass ihr Anliegen ernst genommen werden soll.

Die Regierung verhängte eine Ausgangssperre in Bangkok und angesichts der Breite der Anhängerschaft der Rothemden gleichzeitig in 23 Provinzen Thailands, um weitere Ausbrüche von Protesten unter Kontrolle zu bekommen. Selbst 24 Stunden nach dem ersten militärischen Eingreifen waren Teile von Bangkok immer noch nicht voll in der Hand von Armee und Polizei, doch das Rückgrat der Rothemden war gebrochen.

Nun schmachten die engagiertesten AktivistInnen, die bis zum Schluss Widerstand geleistet hatten, im Gefängnis und sehen Anklagen wegen Terrorismus und Hochverrat entgegen, die, wenn sie ‚bewiesen’ sind, ihnen die Todesstrafe bringen kann.

Die Ursachen der Bewegung

Wie so oft werden die politischen Zusammenhänge von den bürgerlichen Medien für die Menschen außerhalb des Landes kaum transparent gemacht. 2006 wurde der damalige Premierminister Thaksin Shinawatra durch einen Militärputsch gestürzt, der von buddhistischen Religionsführern u.a. einflussreichen Teilen des Establishments unterstützt wurde. Die nachfolgenden Wahlen brachten einen Anhänger von Thaksin, Samak Sundaravej, ins Amt, der aber bald bei denselben Kräften des Establishments in Ungnade fiel. Er wurde seiner Funktion enthoben, nachdem ihm seine Medienverbindungen als Leiter einer Fernsehshow durch das oberste Gericht als Verfassungsbruch ausgelegt wurden.

Daraufhin wurde von der PPP (Volksmachtpartei) Taksins Schwager Somtschai Wongsawat als Premierminister nominiert. Doch auch der wurde vor dem Verfassungsgericht nicht anerkannt, die gesamte Partei wurde per Justizbeschluss aufgelöst. Ob die Anschuldigungen der Korruption und Bestechung stimmen oder nicht, mag dahin gestellt sein, aber das Eingreifen des Verfassungsgerichts war nicht einfach eine unparteiische Maßnahme der Justiz. Der Beschluss zur Verfolgung der PPP-Führer kam eindeutig vom Militär und der Geschäftswelt, die diese Partei als Bedrohung ihrer Vorrechte ansahen, das Land so zu regieren, wie sie es für richtig hielten.

Damit ist nicht gesagt, dass Thaksin selbst eine grundsätzliche Gefahr für die herrschende Klasse darstellte. Er war früher selbst einer der reichsten Männer des Landes, und die PPP war besetzt mit Figuren aus dem Establishment und verschiedenen pro-kapitalistischen Politikern. Doch einige begrenzte Reformen des Thaksin-Regimes erschreckten die Reichen und die Grundbesitzer so sehr, dass sie sich an das Militär wandten, um die ‚Demokratie wieder her zu stellen’. Thaksin wurde ins Exil verbannt, stieg damit zum Märtyrer und Volkshelden auf, dessen Ansehen unter den Armen über alle Maßen wuchs.

Wie viele halbkoloniale Länder ist auch die thailändische Gesellschaft von einem aufgeblähten Militärapparat, einer starken bürokratischen Elite und einem hyperaktiven Verfassungsgericht geprägt. Das Militär mischt sich sehr häufig in die thailändische Politik ein, sei es durch Putsche oder durch Druck auf die Gerichte, dass diese missliebige politische Personen oder Parteien kalt stellen. Das zeigt überdeutlich das Scheitern von bürgerlicher Demokratie in diesen Ländern.

Die PPP wurde als „Thais lieben Thailand-Partei“ von Thaksin wieder gegründet. Nach deren Verbot organisierten sich die verbliebenen Parlamentsmitglieder und sonstigen politischen Führer in der Pheu Thai-Partei, die sich nun in der Opposition befindet.

Doch für die thailändische Geschäftswelt und die Armee waren solche Manöver nicht ausreichend, um die Thaksin-AnhängerInnen von der Macht fern zu halten. Wie alle politischen Führer wissen, ist Macht letztlich von Gewalt abhängig. Eine Bewegung außerhalb der Regierungsinstitutionen war also notwendig, um ihre Interessen durchzusetzen.

2008 formierte sich daher eine Gruppe namens PAD (Volksbündnis für Demokratie). Mit gelben Hemden - die Farbe der thailändischen Monarchie - und bewaffnet mit Gewehren, Messern und Bomben mobilisierte die PAD eine Kampagne zum Sturz des PPP-Regimes. Sie führte Ende November 2008 eine mehrtägige spektakuläre Besetzung des Hauptflughafens von Bangkok durch und erzwang dessen Schließung. Sie umzingelten mehrere Regierungsgebäude und forderten den Rücktritt der Regierung. Somtschai rief die Armee zur Hilfe, um den Flughafen zu räumen, aber die Generäle weigerten sich. Stattdessen gaben sie eine eigene Erklärung heraus, indem sie die PAD zum Verlassen des Flughafens aufforderten, gleichzeitig aber den Rücktritt der Regierung forderten. Das war ein klares Zeichen für die politischen Fäden, die hinter den Kulissen gesponnen wurden.

Die Revolte der Armee zog einen Schlussstrich unter das PPP-Regime. Das Verfassungsgericht trat zusammen und beriet über das Verbot der 3 Parteien in der Regierungskoalition unter dem Hauptvorwurf des Betruges. Die Tagung des Obersten Gerichts war von Soldaten gegen die Rothemden, die vor dem Gebäude demonstrierten, abgeriegelt. Die Richter entschieden, dass die drei Parteien aufzulösen seien. Einige KritikerInnen monierten jedoch, dass die Richter nicht unbefangen seien, zumal einer als Ehemann einer PAD-Aktivistin Verbindungen zu dieser Bewegung hatte. Die Entscheidung führte zu einem Machtkampf im Parlament, als sich Splittergruppen von der PPP abspalteten und so das Stimmenverhältnis veränderten. Die Führer der verbotenen Parteien wurden auf 5 Jahre vom politischen Leben ausgeschlossen und Neuwahlen in ihren Wahlkreisen angesetzt.

Nach diesem Eklat bildete die Demokratische Partei, die traditionelle Vertretung des Großkapitals und der Monarchie, unter Führung von Abhisit Wedschajiva, der seither Premierminister ist, die Regierung. Sie wurde nicht von der Bevölkerung gewählt und ist nur im Amt durch die Machenschaften der mächtigen Eliten und der Militärs, unterstützt nur von bewaffneten pro-monarchistischen Banden. Darum ist eine der Schlüsselforderungen der Rothemden die Forderung nach sofortigen Neuwahlen und einer legitimierten Regierung.

Die Führungskrise der Rothemden

Der Zeitpunkt des Überfalls und der ‚Säuberungsaktion’ durch die thailändische Armee war kein Zufall. In den Tagen zuvor hatten etliche FührerInnen der Rothemdenbewegung der Abhisit-Regierung klar zu erkennen gegeben, dass sie die Auseinandersetzungen nicht weiter zu treiben gedächten, dass sie einem bewaffneten Angriff nur passiv begegnen würden und dass sie über keine Strategie zum Voranbringen der Bewegung verfügten. Die Regierung erkannte, dass der Rothemdenprotest seinen Höhepunkt überschritten und keine Konzeption für die Durchsetzung ihrer Ziele hatte. Von da ab war das Schicksal des Widerstands besiegelt.

Die fehlende Strategie ist der Hauptgrund für das Scheitern der Bewegung. Trotz ihrer teilweisen Militanz - denn die mehrwöchige Blockade von zentralen Bezirken der Hauptstadt war durchaus militant - war die Bewegung zum Scheitern verurteilt, weil die kämpferische Haltung nicht verbunden war mit einer radikalen Strategie, die wirklich die Militärherrschaft untergraben und eine neue politische Lage im Land hätte schaffen können.

Obwohl die Rothemden die größte Unterstützung von städtischer Armut und Bauern bezog, mobilisierte sie weder die Kleinbauern noch - weit wichtiger - die städtischen ArbeiterInnen als unabhängige gesellschaftliche Kräfte. So konnte die Bewegung keine Taktiken wie Generalstreik oder Streiks in den strategischen Industrien entwickeln, die das Kräfteverhältnis entscheidend gegen die Regierung beeinflusst hätten. Stattdessen beschränkten sie ihre Forderungen auf Neuwahlen. Grundlegend dafür ist die Haltung der Rothemden-FührerInnen, die Massenmobilisierungen vor allem als Kraft zur Stützung ihres eigenen Machtanspruchs zu gebrauchen.

Sie wollten nicht zu Streiks und Aufständen im ganzen Land aufrufen, weil dies ihre Kontrolle über die Bewegung in Frage gestellt hätte - ganz abgesehen von der Gefährdung ihres eigenen Wohlstands. Diese Umstände waren im wesentlichen dieselben, die auch die Grüne Band-Bewegung im Iran gelähmt hatten. Auch dort stand die Wahl zwischen dem Entfachen einer Massenbewegung, die die gesamte herrschende Klasse mit einer Revolution bedroht hätte und der Kapitulation vor ihren Konkurrenten innerhalb der herrschenden Klasse. Sie hatten sich für die zweite Variante entschieden.

Wenn eine Bewegung versucht, ‚das Volk’ oder ‚die Nation’ zu organisieren, verfolgt sie populistische Ziele. Der Populismus verdunkelt die Klassenspaltung hinter dem Appell an ‚das Volk’. Der Populismus ist eine Fessel, indem er viele ArbeiterInnen und Arme an klein- oder großbürgerliche FührerInnen kettet, die sie in Wahrheit nur für ihre eigenen Ziele benutzen.

Alternative Strategie

Schon 1848 erkannte Marx, dass die moderne Kapitalistenklasse unumkehrbar anti-revolutionär geworden war. Bei realen Kämpfen gegen Diktaturen oder undemokratische Regierungen neigen Kapitalisten und Kleinbürgertum immer zur Kapitulation statt zu revolutionären Maßnahmen für einen echten Wandel. Nach dem Scheitern der demokratischen Reformbewegungen in Europa 1848 argumentierte Marx, dass nur die Arbeiterklasse den revolutionären Kampf bis zum Sieg führen könne. Deren Kampfformen werfen nicht nur die Frage von Demokratie auf, sondern bieten auch die sozialistische Revolution als Krisenlösung an. Die Arbeitermassen, millionenfach mobilisiert und als Klasse kollektiv in Streiks, Besetzungen und Massendemonstrationen tätig, können den Kapitalismus in seinem Kern angreifen, dem Profitsystem, und damit die Frage aufwerfen: Wer ist wirklich die treibende Kraft in der Gesellschaft?

In einer populistischen Bewegung werden die verschiedenen Interessen von Kapitalisten, Arbeitern und Bauern einer falschen Gemeinschaftsideologie untergeordnet, sonst würde die scheinbare Einheit zerfallen. Wenn ‚das Volk’ kapitalistischen Führern oder solchen Parteien folgt, führt das unweigerlich zur Unterordnung der Bewegung unter die kapitalistischen Klasseninteressen.

Die Führung der Rothemden sah ihren Anhang aus Bauern und städtischer Armut stets nur als Hilfskräfte im Machtkampf gegen die Regierung. Für SozialistInnen dagegen steht stets die Selbsttätigkeit der Arbeiterklasse und der Armut im Mittelpunkt.

Thaksin lebt im Exil und hat einen Teilzeitjob als Wirtschaftsberater bei der kambodschanischen Regierung. Er selbst sagt, dass die Unterdrückung zu einem Guerrillakrieg führen könnte. Das ist nicht unwahrscheinlich. Natürlich mangelt es nicht an Gründen für die Unzufriedenheit auf dem Lande, v. a. im Nordosten, wo die Rothemden am meisten Unterstützung genießen.

Welche Form die Auseinandersetzungen auch annehmen, die Bewegung hat tiefe Spuren in Thailand hinterlassen. So sehen dies auch viele Kommentatoren. In der gegenwärtigen Wirtschaftslage ist eine lang anhaltende Stabilität unwahrscheinlich. Wenn sie wirklich voran schreiten will, selbst auf dem Weg zu ihrem Nahziel, eine gewählte Regierung zu etablieren, muss die Bewegung nichtsdestotrotz eine neue Führung herausbilden, die nicht mit der bestehenden Ordnung verbandelt ist.

Das Schicksal der Besetzung durch die Rothemden macht deutlich, dass selbst die Beachtung des Wählerwillens den Sturz der inneren Machtzirkel erfordert. Dazu gehört nicht nur die derzeitige Regierung, sondern auch die Rechtsprechung und der Generalstab. Eine solche Revolution muss zweifellos ebenso gegen die Monarchie auftreten, ungeachtet dessen, wie weit die Verehrung für den König traditionell geht.

Die Bewegung muss auch für eine souveräne Verfassunggebende Versammlung eintreten, eine neue Verfassung, nicht nur für einen neuen Premierminister. Damit eine solche Versammlung demokratisch zusammentreten kann, muss die Bewegung eigene Organe herausbilden. Auf dem Land sind das Bauernräte, in den Städten Arbeiterräte. Diese Räte brauchen eigene bewaffnete Arme, ihre eigenen Milizen, zunächst, um die bestehende Regierung zum Rücktritt zu zwingen, und dann, um die Wahlen für die Versammlung zu organisieren und zu überwachen.

Innerhalb der Bewegung müssen revolutionäre SozialistInnen für den Aufbau einer Arbeiterpartei werben, die ein Programm erarbeitet, mit dem die demokratischen Rechte der ArbeiterInnen und Bauern errungen und gesichert werden können. Es wird nötig sein, über die politische Revolution hinweg zur gesellschaftlichen Revolution voran zu schreiten, zum Sturz des Kapitalismus und zum Aufbau einer sozialistischen Republik, die auf der Herrschaft von souveränen Arbeiterorganisationen und deren Verbündeten, der armen Bauern, beruht.

Nur diese Strategie, die Strategie der permanenten Revolution, kann den gegenwärtigen Kampf für Demokratie unabhängig von dem engen Interessenshorizont einer Politikerclique zum Erfolg führen. Nur eine Partei, die sich den Zielen der permanenten Revolution verschrieben hat, kann die ArbeiterInnen und Bauern in Thailand anleiten in einem Kampf um die Kontrolle über die Wirtschaft, damit der Wohlstand des Landes für die Hebung des Lebensstandards der überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung, und nicht für die selbstsüchtige Habgier von wenigen eingesetzt werden kann, die das Land in den Ruin getrieben haben.

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