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Gipfel in Wien

Kampf gegen Bologna muss Widerstand gegen Kapitalismus heißen!

Aufruf der „Liga der sozialistischen Revolution“ (österreichische Schwesterorganisation der Gruppe Arbeitermacht) zu den Protesten gegen Bologna-Prozess in Wien am 11./12. März, Infomail 473, 11. März 2010

Am 11./12. März 2010 werden sich die europäischen BildungsministerInnen in Budapest und Wien treffen, um das 10-Jährige Bestehen des Bologna-Prozesses zu feiern. Während die Herrschenden der Europäischen Union ihre Feierlichkeiten begehen, werden tausende Studierende auf die Straße gehen, um ihre Stimme gegen die Verschlechterungen im universitären Bereich zu erheben.

Die BildungsministerInnen werden sich nicht nur versammeln, um das 10-Jährige Jubiläum des Bologna-Prozesses zu feiern. Auf dem offiziell als „Bologna Ministerial Anniversary Conference“ bezeichneten Kongress werden auch weitere Angriffe auf das europäische Bildungssystem geplant werden. Unser Ziel ist klar: Wir wollen diese Konferenz verhindern, denn sie repräsentiert jene kapitalistische Bildungspolitik, die sich klar gegen die Interessen der Studierenden und Lehrenden richtet. Unsere Methoden zur Erreichung dieses Ziels sind Massendemonstrationen, Streiks und Blockaden.

Die LSR und die Jugendorganisation REVOLUTION werden sich deshalb an der Vorbereitung und Durchführung dieser Proteste beteiligen und rufen alle fortschrittlichen Organisationen und Einzelpersonen aus bildungs- und gesellschaftspolitischem Bereich auf, die Proteste zu unterstützen und sich ebenfalls aktiv daran zu beteiligen.

Bologna = kapitalistische Bildungspolitik

Der Bologna-Prozess, vorbereitet durch die Sorbonne-Erklärung 1998 und offiziell gestartet durch die Bologna-Erklärung von 1999, steht für eine systematische Anpassung des europäischen Hochschulsystems an die Anforderungen der kapitalistischen Wirtschaft der Europäischen Union. Die offiziellen Ziele des Bologna-Prozesses nach Minderung der sozialen Selektion und Erhöhung der Mobilität der Studierenden waren und sind dabei lediglich positiv klingende Feigenblätter für permanente Angriffe auf die Studienbedingungen.

Nach wie vor werden Studierende aus unteren sozialen Schichten systematisch benachteiligt, nach wie vor ist Mobilität eine Frage des finanziellen Hintergrundes. In Wirklichkeit sollen die Hochschulen durch den Bologna-Prozess zu einem zentralen Stützpfeiler der europäischen Wirtschaft werden. Das Ziel ist dabei klar abgesteckt: Durch den Umbau der Studien auf das dreigliedrige Bologna-System (Bachelor, Master, PhD) soll eine höhere Qualifikation der Arbeitskräfte durch einen Bachelor-Abschluss bei gleichzeitig starker Selektion für die weiterführenden Studiengänge wie Master und PhD erreicht werden.

Dies korrespondiert ganz klar mit dem von der EU im Lissabon-Prozess festgelegten Ziel „die Union zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum in der Welt zu machen“. Es ist daher kein Wunder, dass eines der ersten im Zusammenhang mit der Konferenz genannten Schlagwörter „employability“ (dt: Möglichkeit zur Beschäftigung) ist.

Diese enge Verzahnung von Wissenschaft und Wirtschaft auf europäischer Ebene geht auch einher mit diversen Angriffen auf nationaler Ebene. Das Gastgeberland Österreich wird dabei als ein Vorzeigeland für die Umsetzung des Bologna-Prozesses tituliert. Besonders herausgestrichen wird dabei das Universitätsgesetzt 2002 (UG 2002), auf dessen Kappe unter anderem der Umbau der Universitätsstrukturen geht. Mit der neuen Einrichtung eines Universitätsrates für die Universität Wien wurde dabei eine systematische Integration von UnternehmerInnen vorangetrieben. Zwei davon sind die Geschäftsführerin der AiCuris GmbH (Pharma-Konzern) und der Generaldirektor der Casinos Austria AG (Glücksspielunternehmen).

Zusätzlich hat die Uni Wien zurzeit einen Rektor, der erster Stellvertreter der Aufsichtsrats-Vorsitzenden bei der Versicherung Uniqa und der Banken- und Versicherungsgruppe Erste Group ist. Die direkte Durchsetzung kapitalistischer Interessen wurde bei einem gleichzeitigen Abbau studentischer Repräsentanz somit auch in den Herrschaftsstrukturen an den Unis verankert. Es ist klar, welche Interessen Bologna verfolgt, wenn dieser undemokratische Umbau der Uni-Strukturen als Paradebeispiel gepriesen wird.

Bildung ist mehr als nur Uni

Für die LSR misst sich der Erfolg von Protesten auf der einen Seite natürlich in der Erreichung kurzfristiger Ziele. Diese kurzfristigen Ziele sehen wir in einer systematisch Störung bis zu einer vollkommenen Verhinderung der Konferenz in Wien. Auf der anderen Seite müssen solche Proteste jedoch auch genutzt werden, um langfristige Veränderungen im Bildungssystem zu bewirken. Um dabei erfolgreich zu sein, müssen wir den Protest gegen den Bologna-Gipfel in Wien als Auftakt für eine breite Protestbewegung an österreichischen und europäischen Universitäten sehen und gleichzeitig das kapitalistische Bildungssystem auch außerhalb universitärer Bildung in den Mittelpunkt des Widerstandes rücken.

Um über die Grenzen universitärer Bildungspolitik hinauszukommen müssen SchülerInnen, KindergärtnerInnen und Lehrlinge miteinbezogen werden. Wir wollen gemeinsam mit KindergärtnerInnen demonstrieren, weil sie selbst an den Verschlechterungen im vorschulischen Bildungsbereich zu leiden haben und aus erster Hand wissen, wie stark bereits im Kindesalter die Selektion für den späteren Lebensweg zuschlägt. Wir wollen gemeinsam mit SchülerInnen protestieren, weil das dreigliedrige Schulsystem nach wie vor Jugendliche aus ärmeren sozialen Schichten systematisch benachteiligt. Wir wollen gemeinsam mit Lehrlingen protestieren, weil wir mit ihnen für das Recht auf freien Hochschulzugang auch ohne Matura und für höhere Löhne in ihren Berufen kämpfen möchten.

Die im Oktober 2009 beginnende europäische Protestbewegung an den Universitäten darf sich dabei nicht darauf verlassen, dass die einzelnen ProtagonistInnen des Bildungsbereiches automatisch die Wichtigkeit des Kampfes gegen Bologna verstehen. Sie muss einen aktiven Part in der Mobilisierung und politischen Miteinbeziehung von KindergärtnerInnen, SchülerInnen und Lehrlingen spielen. Studentische Anliegen müssen genauso zum Anliegen von SchülerInnen werden, wie die Anliegen der Lehrlinge nach höherer Bezahlung zum Anliegen der StudentInnen werden müssen. Das verstehen wir unter gelebter Solidarität.

Europaweite Strukturen aufbauen

Mit der Besetzung des Audimax in Wien Ende Oktober 2009 wurde eine europäische Protestbewegung losgetreten, die zu ihrem Höhepunkt Hörsäle in über 80 Universitäten besetzt hielt. Wenngleich eine große Stärke in der Spontaneität des Protestes lag, ist darin auch eine zentrale Schwäche begraben.

Während die Herrschende Klasse der Europäischen Union über gemeinsame juristische, militärische und politische Strukturen verfügt, sind die Protestbewegungen der vergangenen Jahre oftmals nicht über einen Zustand der spontanen Solidarität hinausgekommen.

Was wir brauchen sind europaweite Strukturen, die gemeinsam europaweite Protestaktionen planen können. Der geplante Gegengipfel in Wien muss dabei zum Dreh- und Angelpunkt für den Aufbau dieser Strukturen werden. Die LSR tritt deshalb für die Wahl eines europaweiten Koordinationsrates ein, dessen Aufgabe in der Organisierung und Vorbereitung regelmäßiger Versammlungen und Aktionstagen liegen muss. Wir treten dabei für eine jederzeitige Abwählbarkeit Personen in solchen Strukturen ein, um jegliche Bürokratisierung von Anfang an verhindern zu können.

Gleichzeitig braucht es auch eine europaweite Alternative zur offiziellen Studierendenvertretung ESU (European Students Union), die den Bologna-Prozess bereitwillig mitgetragen hat. Wir treten deshalb für die Schaffung einer europäischen StudentInnengewerkschaft ein, die sich als militante und kämpferische Vertretung der Studierenden versteht.

Weg mit den Scheuklappen! Protest gegen Bologna zum Protest gegen Kapitalismus machen!

Der Gegengipfel hat neben der Schaffung von Strukturen jedoch auch eine klare politische Aufgabe. Wenn die LSR auch jede noch so kleine Verbesserung im Bildungsbereich unterstützt und bereit ist energisch dafür einzutreten, darf man sich nicht der Illusion hingeben, dass eine umfangreiche Veränderung des Bildungssystems innerhalb des kapitalistischen Systems möglich wäre.

Gerade das Bildungssystem ist ein Feld für einen permanenten politisch-ideologischen Machtkampf. Für den kapitalistischen Staat ist Bildung dabei nicht nur ein Feld der ideologischen Herrschaftsausübung, sondern auch eine zentrale Unterdrückungsmaschinerie. Während ein kleiner Teil zur zukünftigen Elite herangezüchtet wird, hat die große Mehrheit lediglich die Aussicht auf schlecht bezahlte Jobs.

Der Erfolg der Protestbewegung misst sich deshalb auch an dem Grad der Verbindung von bildungs- mit gesellschaftspolitischem Protest. Denn es ist wenig verwunderlich, dass eine Gesellschaft des Profites und der Ausbeutung auch Lehr- und Lernbedingungen schafft, die genau diese Prinzipien in sich vereinen.

Um erfolgreich langfristige Verbesserungen erkämpfen zu können, müssen die Proteste deshalb in einen antikapitalistischen Kontext gestellt werden. Die LSR tritt deshalb für die Überführung der Proteste im Bildungsbereich in eine gesamtpolitische Bewegung gegen die kapitalistische Krise ein.

Als Lösung der Krise sehen wir die Überwindung der kapitalistischen Gesellschaft durch eine sozialistische Revolution. Wir sind jedoch keine Tagträumer und wissen, dass jegliche grundlegende Veränderung gut vorbereitet und geplant werden muss. Deshalb treten wir für den Aufbau einer Partei ein, die sich eine Überwindung des Kapitalismus auf die Fahnen schreibt und arbeiten schon heute auf eine solche Veränderung gemeinsam mit einer internationalen Organisationen – der LFI – und RevolutionärInnen in vielen Ländern der Welt hin.

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