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Iran

Die Massenproteste gegen das Wahlergebnis und ihre Perspektive

Simon Hardy, Infomail 434, 24. Juni 2009

Der Iran steckt in einer politischen Krise. Die Klagen gegen Wahlfälschungen haben sich zu einer Massenbewegung in den Straßen ausgewachsen. Ist Mussawi der Weg zum Fortschritt? Welche Perspektive hat die Bewegung?

Entwicklung der Proteste

30 Jahre nach der iranischen Revolution, die in der Gründung der islamischen Republik mündete, drängt sich die Bevölkerung wieder auf Hausdächern und in Straßenschluchten und ruft „Tod dem Diktator!“ Aber dieses Mal ist Präsident Mahmud Ahmadinedschad die Zielscheibe der Bewegung - der Schützling von Irans oberstem Führer, Ali Khamenei, Nachfolger Ayatollah Khomeinis, der Zentralfigur von 1979.

Die AnhängerInnen des ‚geschlagenen’ Kandidaten Mir-Hossein Mussawi organisierten am 15. Juni eine Protestkundgebung in Teheran. Sie wurde von der Polizei umgehend für illegal erklärt und von Mussawi selbst abgesagt, der seine UnterstützerInnen drängte, Ruhe zu bewahren und die Gesetze zu achten. Aber die Spannung war zu groß und entlud sich in den Straßen von Teheran, die trotz Verbots und Androhung von Gewalt seitens des Staates von Menschen überquollen.

Die französische Presseagentur AFP schätzt die Zahl der Protestierenden auf anderthalb bis 2 Millionen, andere sprachen etwas vorsichtiger von 100.000. Mit machtvoller Symbolik marschierten die DemonstrantInnen vom Engelob-Platz, dem Platz der Revolution, zum Asadi-Platz, dem Platz der Freiheit. Beide Örtlichkeiten sind eng verbunden mit dem Kampf gegen den Schah vor 30 Jahren.

Der erfahrene Mittelost-Berichterstatter Robert Fisk beobachtete: „Das waren nicht gerade die jungen trendy Damen mit ihren Sonnenbrillen aus den wohlhabenden Nordbezirken Teherans. Die Armen waren hier, die Straßenarbeiter und Frauen mittleren Alters mit vollem Schador, dem islamischen Schleier.“

Nach dem Protest griff ein Teil der Menge die Kasernen der verhassten Basidji-Milizen an, die als bewaffnete Banden und Werkzeug des islamischen Klerus für Streikbruch und die Durchsetzung der ‚islamischen Verhaltensregeln’ gegen die Bevölkerung eingesetzt werden. Die Basidji-Banden feuerten auf die Menge, ein Radioreporter berichtet von 7 erschossenen und etlichen verwundeten DemonstrantInnen.

Der Zorn der Protestierenden richtete sich gegen die Basidji wegen des von ihnen angerichteten Massakers an der Teheraner Universität am Abend zuvor. Diese Banditen waren in die Schlafräume der Universität eingedrungen und hatten 5 Studenten getötet - als Strafaktion für die Massenproteste am gleichen Tag.

Die Staatsgewalt antwortete auf die Proteste anfangs mit Tränengas, Plastikgeschossen und scharfer Munition. Doch die DemonstrantInnen mobilisierten in solch großem Umfang, dass die Polizei sich genötigt sah, das Feuer einzustellen.

Nach der offiziellen Erklärung von Chamenei, dem Oberhaupt des obersten iranischen Machtorgans, des ‚Wächterrats’, dass zwar 10% der Stimmen noch einmal ausgezählt werden sollen, das Wahlergebnis insgesamt aber nicht anfechtbar sei und der einschüchternden Drohung, dass der Staatsapparat mit harter Hand gegen weitere Proteste vorgehen will, flammte  der Widerstand am 20./21.6. wieder auf. In Teheran kam es erneut zu Straßenschlachten. Die Polizei setzten dabei sogar Wasserwerfer mit kochendem Wasser ein. Auf Seiten der Oppositionellen waren mehrere Todesopfer zu beklagen. Viele landeten mit Knochenbrüchen und Kopfverletzungen im Krankenhaus.

Auch aus anderen Millionenstädten wie Isfahan, Maschad, Schiraz und Täbris wurden oppositionelle Kundgebungen gemeldet. Immerhin wohnen 70% der 73 Millionen Einwohner des Iran in Städten.

Iran steckt in einer politischen Krise, die ein revolutionäres Auseinanderbrechen des klerikalen Regimes nach sich ziehen könnte, das 30 Jahre zuvor die Revolution der Arbeiter und der Bevölkerung, die den Schah gestürzt hatten, abgewürgt hatte.

Ein Blick auf die Wahlen

Bei den iranischen Präsidentschaftswahlen am 12.6.09 haben viele junge Leute, Frauen, Gewerkschafter und große Teile der Mittelschichten ihr Vertrauen Mir-Hossein Mussawi geschenkt, einem Politiker, der sich vor kurzem mit dem ‚Reformerflügel’ der herrschenden Klasse im Iran verbündet hatte, um in die islamische Republik ein Stück weit soziale Liberalität einzuführen und diese damit attraktiver für die Jugend zu machen. Gleichzeitig sollten die Beziehungen zum westlichen Imperialismus verbessert werden.

Der amtierende Präsident Ahmadinedschad kandidierte für die Abadgaran-Allianz von politisch konservativen Organisationen, die der städtischen und ländlichen Armut einige Verbesserungen ihrer Lage in Aussicht gestellt hatten. Ahmadinedschad baute auch auf seine populistische Trumpfkarte, die antiimperialistische Rhetorik.

Der Hintergrund der Wahl sind die jüngsten Spannungen mit dem Imperialismus wegen Irans Uran-Anreicherungs-Programms, das Angebot von US-Präsident Obama zu Verhandlungen mit dem iranischen Regime und die zunehmenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die sich in einer Inflationsrate von 15 bis 25 % ausdrücken.

Die weit verbreitete Wut beruht auf der Annahme, dass Mussawis Niederlage als Folge von Wahlmanipulationen zustande kam. Mussawi hatte einen ‚Wandel’ in Bereichen versprochen, der viele Studenten und besonders junge Frauen betrifft. Er wollte die Moralpolizei bremsen, üble Eiferer, die auf den Straßen patrouillieren und Frauen wegen ‚unislamischer’ Kleidung verhaften und junge Leute in gemischten Gruppen beiderlei Geschlechts verfolgen.

Vor der Wahl versprach er, „Gesetze zu reformieren, die Frauen ungleich behandeln. Wir sollten Frauen finanziell ermächtigen, Frauen sollte eine freie Berufswahl entsprechend ihren Fähigkeiten zustehen, und iranische Frauen sollten in die höchsten Entscheidungsgremien aufsteigen können.“ Diese Idee richtete sich besonders an Frauen der Mittelschicht und verhieß ihnen größere Karrierechancen in Beruf und Politik.

Er bot auch einen diplomatischeren und weniger ‚konfrontativen’ Umgang mit dem Westen an, um eine Liberalisierung der Wirtschaft und Öffnung für den Weltmarkt zu erreichen. Natürlich begrüßten die westlichen Liberalen und Medien diese Absicht.

Ahmadinedschad wiederum setzte auf antizionistische und antiimperialistische Rhetorik. Das hat einige ‚AntiimperialistInnen’ im Westen dazu gebracht, ihn und seine für die Massen schädliche Regierung zu unterstützen.

Er hat eine Politik betrieben, die ihm Unterstützung in den ärmsten Schichten der iranischen Gesellschaft verschaffte. Vor kurzem sagte er, er sei entschlossen, „das Geld aus dem Ölgeschäft dem Volk auf den Mittagstisch zu legen.“ Ahmadinedschad hat einiges vom Ölreichtum in Renten und Löhne der Regierungsangestellten gesteckt. Eines seiner politischen Manöver der jüngsten Zeit war die kostenlose Verteilung von Kartoffeln und Suppe an die Land- und Stadtarmut. Sein Mitbewerber um die Präsidentschaft des Landes bezichtigte ihn daraufhin des ‚Stimmenfangs’, was er natürlich von sich wies und zugleich konterte, dass Mussawi mit seiner hauptsächlich im Internet und an die Mittelschichten gerichteten Kampagne den Bezug zu den einfachen Leuten im Iran verloren habe.

Vorwurf des Wahlbetrugs

Der Verdacht von Wahlmanipulationen tauchte schon vor der Beendigung der offiziellen Stimmauszählung auf, als Ahmadinedschad bereits einen weit höheren Sieg als für möglich erachtet verkündete. Das Innenministerium gab bekannt, dass nach Auszählung von 85% der Stimmen der Amtsinhaber mit 63,3% gegen 34,7% wieder gewählt worden sei. Das wäre der höchste Wahlsieg seit langem gewesen. Mussawi reichte daraufhin eine formale Klage gegen dieses Ergebnis beim 12köpfigen Wächterrat, dem eigentlichen Machtorgan hinter der Regierung des Iran, ein. Die Hälfte des Wächterrats wird vom Madjis, dem Parlament, berufen, die andere vom obersten Führer ernannt.

Doch über dem Führer und dem Wächterrat sitzt die 86köpfige Versammlung der islamischen Fachgelehrten. Sie hat das Recht, Entscheidungen umzustoßen und sogar den höchsten Führer zu ersetzen, obschon das noch nie vorgekommen ist.

Aus dem Mund eines unterlegenen Präsidentschaftskandidaten aus einem halbkolonialen Land ist das Wort ‚Betrug’, bevor die Stimmen ganz ausgezählt worden sind, nicht ungewöhnlich. Aber als SozialistInnen sollten wir nie die Möglichkeit von Betrug in einem System, das so korrupt wie der Kapitalismus und so undemokratisch wie das iranische Regime ist, außer Acht lassen. Aber das ist nicht der Hauptpunkt. Die Proteste richten sich gegen Gegebenheiten, die mehr bedeuten als die Manipulation einer Wahl. Sie sind der Ausbruch von aufgestautem Zorn und Frustration gegen das Regime und die Art, in der es das Leben der iranischen Bevölkerung gängelt und beherrscht.

Natürlich würden die Regierungen in den USA und Europa wie auch in Israel lieber Mussawi als Präsidenten sehen, einen Mann, den sie als umgänglicheren und politisch verlässlicheren Verhandlungspartner einschätzen, nicht zu radikal, nicht zu demokratisch. Sie hätten am liebsten eine ‚grüne Revolution’ ähnlich der ‚orangenen’ oder ‚Rosenrevolution’ in der Ukraine bzw. in Georgien, wo pro-imperialistische Politiker etabliert wurden, aber wo sich ansonsten wenig änderte.

Auf jeden Fall wollen sie den Ausbruch einer wirklichen Revolution vermeiden, die von demokratischen politischen Losungen übergeht zu welchen, die sich den gesellschaftlichen Bedürfnissen der iranischen ArbeiterInnen sowie der städtischen und Landarmut zuwenden. Vor allem wollen sie keinen Zerfall und Zusammenbruch des staatlichen iranischen Unterdrückungsapparats und den Übergang der Macht in die Hände der Jugend und der ArbeiterInnen.

Wohin geht der Iran?

Ungeachtet der offiziellen Führung dieser Bewegung ist klar, dass sich ein massiver Wille der Bevölkerung Bahn zu brechen beginnt, der zunehmend nach einem grundlegenden Wandel des Systems verlangt. Die Forderungen kreisen um die Belange der Mittelschichten, so lange sie die Mehrheit der Protestbewegung bilden.

Einige Gruppen auf der Linken lehnen diese Bewegung ab, weil sie nur von den Mittelschichten getragen sei und meinen, sie wären nur Marionetten des Imperialismus und behaupten, es gäbe gar keinen Wahlbetrug. Das lässt außer Acht, dass der ganze Wahlvorgang, die ausgesiebten Kandidaten, die Medien unter Regierungskontrolle, der Wahlausschuss, dessen Vorsitzender schon vor Stimmauszählung seine Unterstützung für Ahmadinedschad unverhohlen aussprach, auf groteske Weise undemokratisch sind. Die Opposition gegen einen ‚Wahlbetrug’ ist einfach der Leitstrahl für die Unzufriedenheit der Bevölkerung mit dem Regime insgesamt. Das Ziel ist nun, der Bewegung zu helfen, ihre Beschränktheit abzustreifen und auf einen wirklichen revolutionären Kampf  gegen den ganzen islamisch-kapitalistischen Staat zu drängen.

Am Abend des 16.6. erklärte der oberste religiöse Führer, dass es eine begrenzte Stimmennachzählung in einigen kritischen Bezirken geben solle. Dies wurde als Teilsieg für Mussawi begrüßt, ist allerdings nur ein Manöver der Regierung, um die Protestbewegung zu demobilisieren und die Ordnung wieder her zu stellen. Mussawi ist noch einen Schritt weiter gegangen und hat eine Wahlwiederholung gefordert, was die Lage dramatisch zuspitzen würde.

Mussawi – falscher Bundesgenosse der Arbeiterschaft und Jugend

Die  verbreitete Unterstützung für Mussawi ist jedoch die Achillesferse der Bewegung und droht, sie zu ruinieren. Mussawi ist nämlich kein ‚Reformer’ und war dies auch nie. Er sagt von sich selbst, er sei ein ‚Reformer, der sich auf die Grundsätze der islamischen Revolution bezieht. Er war 1981-89 Premierminister während des iranisch-irakischen Kriegs und als sich das Regime durch Massaker an Kommunisten und demokratischen Gegnern festigte. Mussawi sprach sich gegen die Beendigung des Krieges gegen den Irak aus und wollte das Blutvergießen fortsetzen, das beinahe ein Jahrzehnt dauerte und schon so viele Opfer gekostet hatte.

Kein Präsidentschaftsbewerber tritt als unabhängige Instanz auf, die einen wirklichen Wandel bewirken könnte. Das Gefüge des iranischen Politsystems erlaubt es keinem Kandidaten, ohne den Segen des Wächterrats anzutreten. Selbst wenn Mussawi auf einem demokratischen Programm gewählt werden würde, über das er gar nicht verfügt, würden die Einrichtungen des islamischen Staates jeden Versuch zur Reform ersticken und ihn zweifelsohne aus dem Amt entfernen wollen.

Sein Aufruf zum Generalstreik vom 20.6. entpuppte sich als durchsichtiges Manöver, denn er ist an die Bedingung geknüpft, dass eine solche  Massenaktion nur im Fall seiner Verhaftung erfolgen solle. Damit zeigt Mussawi, dass er in Wirklichkeit nichts von Selbsttätigkeit der ArbeiterInnen und der Massen hält, sondern dass es ihm im Gegenteil nur um den Wahlakt und eine Personalisierung des Konflikts geht. Letzten Endes verfolgt er angesichts der Zuspitzung der Lage ebenso wie die Regierung das Ziel, die Bewegung zu kontrollieren und zu entpolitisieren. Nein, Mussawi ist kein Freund der Arbeiterklasse und anderer unterdrückter Schichten der Gesellschaft. Dennoch ist es auch für ihn eine gefährliche Gratwanderung in dieser Auseinandersetzung, denn die entfesselte Dynamik ist nicht so ohne weiteres einzudämmen, das haben ja bereits die Demonstrationen entgegen Mussawis verschiedentliche Rückzieher von Aufrufen zur Mobilisierung bewiesen.

Natürlich gibt es die Gefahr einer Haltung in der iranischen Bevölkerung‚ die besagt, ‚alles ist besser als diese Regierung’. Teile der Mittelschichten würden auch eine imperialistische Invasion begrüßen, wenn sie liberalere demokratische Zustände mit sich brächte, Hauptsache weniger blutig als im Irak oder in Afghanistan, was selbstredend eine reaktionär- utopische Vorstellung von einem netten Imperialismus ist, der nur die Bösen bestraft.

Dieser verhängnisvolle Kurs muss bekämpft werden. Den Imperialismus kümmert das Schicksal der iranischen Bevölkerung mitnichten. Er beutet nur den Wunsch nach demokratischen Veränderungen aus, weil er die Bodenschätze des Landes kontrollieren will. Obama würde die iranischen Massen bedenkenlos dem Würgegriff eines zweiten Schahs oder ähnlichen Figuren wie Mubarak in Ägypten bzw. dem Saudi-Clan in Saudi-Arabien ausliefern, wenn die USA damit das iranische Öl unter ihre Kontrolle bringen könnten.

Welcher Weg vorwärts?

Trotz vieler Vergleichsmomente mit den Demonstrationen und Protesten, die zum Sturz des Schahs 1979 führten, fehlt noch ein Schlüsselfaktor. Ein massiver Generalstreik brachte damals den Iran zum Erliegen, der besonders die einträgliche Ölindustrie traf. Er versetzte der vom US-Imperialismus gestützten Schah-Diktatur den Todesstoß. Seit 30 Jahren leidet die organisierte Arbeiterbewegung unter den barbarischsten Attacken auf ihre Rechte, auf ihre Organisations-, Versammlungs-, Rede- und Handlungsfreiheit. Die Richter verurteilen Gewerkschaftsaktivisten zu Monaten und Jahren in Gefängnis und zu Prügelstrafen. Einige von ihnen wurden in das berüchtigte Foltergefängnis von Ewin eingeliefert.

Das islamische Regime weiß, dass ihr mächtigster Feind die iranische Arbeiterklasse ist. Sie allein hat die Kraft, das Regime in tausend Stücke zu zerschmettern und eine neue politische Ordnung aufzubauen. Deswegen behandelt sie die Arbeiter noch brutaler als der Schah.

Deshalb muss die Forderung nach einem unbefristeten landesweiten Generalstreik – anders als Mussawi sie versteht und formuliert – unbefristet erhoben werden, um das Regime zu stürzen und größere demokratische Freiheiten einzuführen. Der Streik müsste natürlich von  ArbeiterInnen, die sich solidarisch mit dem Kampf der iranischen Arbeiterklasse erklären, überall auf der Welt unterstützt werden. Die Notwendigkeit  für wirtschaftliche Gerechtigkeit muss in den Protesten obenan gestellt werden, um breitere Schichten von ArbeiterInnen und städtischer Armut in die Bewegung zu ziehen und ihr mehr Gewicht zu verleihen.

Damit die iranische Revolution sich voll entfalten kann, müssen die Proteste den studentisch-jugendlichen Rahmen und den von Frauen, die unbehelligt sein wollen von Moralpolizei und lähmenden kulturellen Ausgrenzungen, sprengen. Dazu müssen Forderungen von brennender Dringlichkeit für die Armut, die Fabrik-, Transport- und Ölarbeiterschaft sowie die armen Bauern erhoben werden. Die Arbeiterklasse hat kein Interesse an der Erhaltung eines Polizeistaats, der ständig Streiks niederschlägt und ihre Führer einkerkert. Genauso wenig möchte sie von imperialistischen transnationalen Konzernen ausgebeutet werden. Streiks und Besetzungen der Schlüsselindustrien durch die Arbeiterschaft würden den Kampf, der auf die Entmachtung des Regimes zusteuert, beschleunigen.

Die politische Kernforderung sollte die nach einer souveränen und revolutionären Verfassungsgebenden Versammlung sein. Eine solche Körperschaft  könnte nicht nur alle kulturellen Fesseln für Frauen und junge Leute sprengen, sondern auch die gesamte Struktur, welche die Menschen bevormundet und durch Wächterrat und ‚oberste Führung’ gängelt.

Zwecks Zusammenführung dieser Kämpfe gegen das Regime und für eine solche Verfassungsgebende Versammlung sollten Schoras (Räte) aufgebaut werden, ArbeiterInnen-, StudentInnen- und Elendsviertel-Schoras müssen sämtlich aus frei gewählten und jederzeit abrufbaren Delegierten bestehen und frei sein von jeglicher ‚Oberaufsicht’ durch die örtlichen Moscheen oder Imams (islamische Rechtsgelehrte), sie sollten also so beschaffen sein wie ursprünglich 1978 und 1979. Aus ihren Reihen müssen Milizen gebildet werden, um sich gegen die Basidji-Banden und Pasdaran-(‚Revolutions’-)Garden verteidigen zu können, die nicht ruhen werden, diese Proteste in Blut zu ersticken. Denn ihre Aufgabe ist es, das alte Regime an der Macht zu halten, so lange sie bewaffnet und die Massen unbewaffnet sind.

Das Ziel von SozialistInnen muss es sein, für eine Strategie einzutreten, wonach die Schoras als neue Herrschaftsorgane handeln können und die Aufgabe anpacken, die Gesellschaft nach wahrhaft demokratischen Grundsätzen zu organisieren. Eine solche Vorstellung von Gesellschaft scheint der von 1979 zu ähneln, die dann aber grausam durch die islamische Konterrevolution unter Khomeini zerschlagen worden war. Zugleich muss die Arbeiterklasse die Kontrolle in der Industrie und über die Verteilung von Gütern ausüben.

Die Arbeiterklasse und die radikalisierten StudentInnen müssen ihre eigene Führung herausbilden, müssen eine revolutionäre Partei für den Iran mit der Strategie der Machtergreifung aufbauen, wenn der Kampf gegen das Regime und den Kapitalismus, das System dahinter, gleichermaßen Erfolg haben will. Die Formierung eines sozialistischen Staates und einer Planwirtschaft würde die Wirtschaftsprobleme des Iran lösen können, indem der Ölreichtum zum Wohl der Armen verwendet wird.

Leo Trotzki schrieb schon 1906: „Vor allem andern müssen (die Arbeiter) frei sein von Illusionen. Und die schlimmste Illusion in ihrer Geschichte, woran sie bis heute leidet, ist, sich auf andere zu verlassen.“ Die ArbeiterInnen müssen sich von Mussawi und Konsorten als Führer befreien genau wie von Ahmadinedschad. Sie dürfen sich auch nicht zum Opfer imperialistischer Machenschaften machen lassen.

All diese Forderungen stellen sich konkret, weil in den nächsten Tagen eine neue Frage auftaucht: Was nun? Die Stimmennachzählung wird kein anderes Ergebnis bringen als die Bestätigung des Wahlsiegs von Ahmadinedschad. Mussawi wird irgendein Posten angeboten und beauftragt, die Proteste abzusagen. Der wesentliche nächste Schritt ist ein politischer Generalstreik, der Ruf an die iranische Arbeiterklasse zum Kampf, zum Aufbau von Schoras  Wenn dies geschieht, dann ist ‚der Geist aus der Flasche’, wie Ahmadinedschad gesagt hat.

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