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Hessen

Schwarzer Montag für die SPD

Peter Lenz, Infomail 391, 4. November 2008

Kurz vor der Wahl Ypsilantis zur Ministerpräsidentin Hessens erklärten vier SPD-Abgeordnete, dass sie nicht für Ypsilanti stimmen werden. Damit ist ihre Wahl aufgrund mangelnder Mehrheit im Grunde unmöglich geworden.

Es war eine bemerkenswerte Pressekonferenz. Die vier GenossInnen von der „Gewissensfraktion“ erzählten von Ängsten, Bauchschmerzen und Gewissensbissen, die sie befallen hätten, kurz bevor es zur Abstimmung über die rot-grüne Koalition ging. Auch über Wahlkabinenklaustrophobie berichtete eine der Damen und vom unvorstellbaren Druck, der immer mehr auf ihr gelastet habe.

Ein anderer, Jürgen Walter, sieht zehntausende Arbeitsplätze in Hessen gefährdet. Als ob Finanzkrise und Rezession durch den Koalitionsvertrag von Grünen und SPD „festgelegt“ worden seien. Natürlich wollen sie SozialdemokratInnen bleiben, denn „Sozialdemokratin zu sein, ist auch eine Lebenseinstellung“.

Das Gewissen der Abgeordneten zwickt sehr selektiv. Es ist schon beachtlich, wenn PolitikerInnen dieser Richtung brav Händchen heben, wenn es um Kriegseinsätze der Bundeswehr geht, rassistische Gesetze, die Einschränkung von Grundrechten oder sozialpolitische Schweinereien beschlossen werden. Wittern sie jedoch „linken Radikalismus“ (oder was sie dafür halten), dann beißt sie ihr Gewissen (oder was sie dafür halten).

Wie hat sich die SPD-Führung verhalten?

Ohne Rückendeckung aus der Parteispitze scheint dieser Coup kaum vorstellbar. Zumindest politisch ermuntert worden sind die Vier aus den Führungskreisen der SPD. Müntefering hat sich auf der Pressekonferenz in Berlin wie ein Aal gewunden. Im Wesentlichen hat er nur den Zeitpunkt des Outings kritisiert, als Parteichef kann er wohl auch schlecht einen offenen Bruch der Fraktionsdisziplin gutheißen.

Auch scheint ihm zu dämmern, welche Auswirkungen dieser Tag für die SPD haben wird.

De facto ist die hessische SPD gespalten. Praktisch zieht sich dieser Bruch - wie schon beim Rücktritt Becks gesehen - wohl durch die gesamte Partei.

So appelliert Müntefering an die hessische SPD, es jetzt nicht noch schlimmer zu machen, sprich einen klaren Schnitt zu machen und die vier auszuschließen.

Aber die vier abtrünnigen Landtagsabgeordneten haben auch von Teilen der hessischen, sozialdemokratisch geprägten Gewerkschaftsbürokratie Rückendeckung, so von der IG BCE („Kraftwerk Großkrotzenburg“), ver,di („Flughafen Frankfurt/Main). Auch Lokalgrößen wie Kassels OB Hilgen („Flughafen Kassel-Calden“) und andere haben Stimmung gegen den Koalitionsvertrag gemacht.

Die politische Bedeutung von Ypsilantis Scheitern

Das Scheitern Ypsilantis an den „eigenen“ Leuten, verdeutlicht nicht nur die Vorrottetheit der SPD-Rechten und der sozialdemokratischen Parteispitze. Sie zeigt auch, die Schwäche des „linken“ oder traditionellen Reformismus. Wenn wir einmal unterstellen, dass Ypsilanti ihre Versprechungen von einem „Politikwechsel“ ernst genommen hat, so hing sie in der Tat illusionären Vorstellungen an, wie ein „Modell Hessen“ überhaupt zu bewerkstelligen sei.

Sie ging nämlich davon aus, dass der „Politikwechsel“ durch eine fragile parlamentarische Mehrheit eingeläutet werden können - eine Illusion, die sie mit der Linkspartei teilte und die sie im Grund blind macht für die Entschlossenheit der SPD-Bundesspitze, des rechten Parteiflügels und von Teilen der Gewerkschaftsbürokratie. All diese haben sich in die SPD als entschlossene Gegner einer im Grunde alles andere als radikalen „Reform“regierung gezeigt. Sie nehmen lieber eine Spaltung oder jedenfalls einen weiteren Niedergang der SPD in Kauf, wenn es darum geht, im Interesse des deutschen Kapitals eine etwas „linkere“ Regierung zu verhindern, die die gröbsten Schweinereien nicht mitzumachen gedenkt und von wichtigen Fraktionen des Kapitals als „unsicher“ betrachtet wird.

Dieser Dienst am deutschen Kapital ist es, woraus  die „Gewissensfreiheit“ und die „Verantwortung“ der Abgeordneten zu ihrer wirklichen dumpfen Größe finden. Wer bedenkenlos für diverse Mordsunternehmen der herrschenden Klasse stimmt und diese mitträgt, hat allerdings schon dann ein Gewissensproblem, wenn ein paar militärisch-industrielle Projekte wie Flughafenausbauten nur „überprüft“ werden sollen.

Wie auch immer die Hessische SPD damit umgehen wird: Hinter dem Scheitern Ypsilantis steckt ein viel grundsätzlicheres Problem der gesamten Sozialdemokratie, der gesamten reformistischen Arbeiterbewegung. Während die Rechten wie die SPD-Spitze um Müntefering und Steinmeier sowie ihre Verbündeten in den Gewerkschaftsapparaten ihr Heil in noch mehr Korporatismus, im nächsten Aufguss von Schröders „Neuer Mitte“ sehen, so hängen die „traditionellen“ Sozialstaats-Reformisten in Teilen der SPD und der Gewerkschaftsbürokratie sowie der LINKEN dem Versuch an, eine historisch gescheiterte „linkere“ Form bürgerlicher Arbeiterpolitik wieder zu beleben. Deren ökonomische Basis, d.h. die Möglichkeit, etwas “umzuverteilen“ und somit den sozialen Frieden - also die Beruhigung und Begrenzung des Klassenkampfes - zu sichern, ist jedoch unwiederbringlich zerstört.

Dieser Versuch ist zum Scheitern verurteilt. Dass sie in Hessen schon an der schäbigen Haltung von vier SPD-Abgeordneten zerbrach, ist sicher ein Stück weit zufällig. Dass es nur vier Knalltüten brauchte, um das ganze Projekt zum Scheitern zu bringen, zeigt aber auch, wie wenig Lebenskraft in ihm steckt.

Es verdeutlicht, dass die Hoffnung auf eine „bessere“ und „soziale“ Regierungspolitik einer „Reformregierung“ eine Illusion ist, eine Illusion, die in Hessen schon platzte, bevor sie ihre Untauglichkeit in der Praxis erweisen konnte.

Es verdeutlicht, dass ein Bruch mit dieser Illusion und der Kampf für eine revolutionäre Alternative selbst notwendig sind.

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