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Der Missbrauchsskandal in Amstetten

Wenn die Familie zum Gefängnis wird

Kommentar von Michael Pröbsting (Liga der Sozialistischen Revolution, österreichische Sektion der Liga für die Fünfte Internationale), Infomail 363, 13. Mai 2008

Der Vorfall ist so erschütternd wie abstoßend. Ein mittlerweile 73jähriger Familienvater in Amstetten vergewaltigte seine heute 42jährige Tochter seit ihrem 11. Lebensjahr, hielt sie ab ihrem 18. Lebensjahr - d.h. 24 Jahre lang (!) - in einem Kellerverließ gefangen, vergewaltigte sie regelmäßig und zeugte insgesamt 7 Kinder mit ihr. Eines dieser Kinder starb, drei blieben mit ihrer gepeinigten Mutter im Verließ und hatten bis zu ihrer Befreiung am 27. April kein Tageslicht gesehen.

Jede und jeder empfindet Abscheu angesichts eines solch grausamen und brutalen Mißbrauchs einer Frau und ihrer Kinder. Jede und jeder fragt sich, wie konnte es dazu kommen, warum ist niemandem etwas aufgefallen? Auch wenn noch nicht alle Details dieses Falles bekannt sind, so liegen für uns von der Liga der Sozialistischen Revolution (LSR, österreichische Sektion der Liga für die Fünfte Internationale) nichtsdestotrotz einige Schlußfolgerungen auf der Hand.

Das Drama von Amstetten - nur der Gipfel des Eisbergs

Zuerst einmal gilt es festzuhalten, daß das grausame Martyrium der Elisabeth F. in dieser extremen Form zwar ein Einzelfall ist. Aber körperliche und sexuelle Gewalt gegen Frauen bzw. Kinder sind alles andere als Einzelfälle. Sie gehören zur bürgerlichen Familie seit ihrem Bestehen. Offiziellen Schätzungen zufolge ist in Österreich jede fünfte Frau von körperlicher und/oder sexueller Gewalt durch einen männlichen Familienangehörigen betroffen. Die meisten Vergewaltigungen finden nicht auf der Straße, sondern in der Familie statt. Allein 2005 mußten 3.256 Frauen mit ihren Kindern Schutz in Frauenhäusern suchen. Kurz: Das Drama in Amstetten ist nur die Spitze des Eisbergs, ein abscheuliches Extrembeispiel für körperliche und sexuelle Gewalt gegen Frauen und Kinder in der Familie.

Wer ist schuld?

Es geht keineswegs darum, jede Familie als Hort der Folter oder jeden Familienvater als Vergewaltiger zu denunzieren. Wir alle wissen, daß zahlreiche Männer viel Zuneigung und Opfer für ihre Frauen und Kinder aufbringen. Aber der Kapitalismus ist ein System, dass uns und unsere Lebensbereiche kaputt macht. Dieses System beruht auf der Ausbeutung der ArbeiterInnenklasse - jener Klasse, die gezwungen ist, ihre Arbeitskraft zu verkaufen - durch die Klasse der Kapitalisten. Diese Maschinerie der Ausbeutung und Unterdrückung saugt Kraft und Lebensenergie aus unserem Geist und unserem Körper und erzeugt Frustration und Aggression.

Gleichzeitig beruht der Kapitalismus auf der Struktur der bürgerlichen Familie. Die Verpflegung und Erholung, die Betreuung der Kinder usw. - all dies wird nicht von der Gesellschaft übernommen, sondern in den Verantwortungsbereich der privaten Familie abgeschoben. Das mag zwar für den Kapitalisten billiger sein (private Hausarbeit kostet ihn nichts), überfordert jedoch die zeitlichen und kräftemäßigen Ressourcen der Mütter und Väter.

In einer auf Ausbeutung und Unterdrückung beruhenden Klassengesellschaft müssen sich unterdrückerische Strukturen notwendigerweise auch in den sozialen Beziehungen widerspiegeln. Dazu zählt auch die Vorherrschaft der Männer gegenüber den Frauen. Dies drückt sich in der Schlechterstellung der Frauen in der Arbeitswelt ebenso aus wie in ihrer vorrangigen Verantwortung für die unbezahlte Hausarbeit.

Die Familie - basierend auf der Vorherrschaft des Mannes gegenüber der Frau - ist daher in der Klassengesellschaft oft ein Ventil, wo sich die durch die kapitalistische Ausbeutung verursachte Frustration des Mannes in Gewalt gegen Frau und Kind niederschlägt (wie auch der Frau gegen ihre Kinder und zunehmend auch gegen den Mann, wenn auch viel seltener).

Abschottung und Isolation

Aus all dem ergibt sich, dass die bürgerliche Familie auf dem Prinzip der Abschottung und Isolation von der Gesellschaft beruht. Warum wenden sich so wenige Frauen und Kinder an Verwandte, Freunde, öffentliche Stellen, wenn sie von körperlicher oder sexueller Gewalt betroffen sind? Weil die Familie im Kapitalismus eben eine eigene, abgeschottete Welt ist. Wenn private Hausarbeit, Erholung, Kindererziehung usw. keine Aufgabe der Gesellschaft, sondern von jeder und jedem einzelnen ist, dann kümmert sich logischerweise die Gesellschaft auch nicht um die damit verbundenen Probleme. Jeder muß damit selbst fertig werden. Es wird daher auch noch immer als eine Schande empfunden, Opfer von körperlicher oder sexueller Gewalt zu werden.

Natürlich gibt es heute Frauenhäuser, Notrufe usw. Dies ist einerseits eine Folge der seit den 1970er Jahren stärker gewordenen ArbeiterInnen- und Frauenbewegung. Andererseits wird der soziale Zerfall der Gesellschaft auch immer mehr für den Kapitalismus selbst ein Problem.

Aber die bestehenden Angebote in der kapitalistischen Gesellschaft sind im besten Falle unzureichend. Ein finanziell und personell gut ausgestattetes Netz an Betreuungseinrichtungen für Frauen existiert nicht, insbesondere nicht außerhalb der Großstädte.

Solange wir in einer auf Unterdrückung und Abschottung existierenden Klassengesellschaft leben, solange wird sich nur eine kleine Minderheit der Opfer an die Öffentlichkeit wenden. Darüber hinaus brauchen Frauen und Kinder nicht nur Zufluchtsmöglichkeiten, sondern auch eine wirkliche materielle Existenzgrundlage für ein eigenständiges Leben ohne Ehemann/Familienvater. Doch so etwas bietet der kapitalistische Staat nicht an und kann es auch nicht.

Was tun?

Solange der Kapitalismus existiert, solange wird es Ausbeutung, Frauenunterdrückung und damit auch Gewalt in der Familie geben. Deswegen kämpft die LSR für die Zerschlagung der bürgerlichen Herrschaftsordnung durch eine sozialistische Revolution. Erst in einer sozialistischen Gesellschaft werden die Klassen und wird auch die bürgerliche Familie absterben. Erst in einer solch klassenlosen Gesellschaft werden die Menschen frei sein, werden Frauen ohne Abhängigkeit und Unterdrückung vom Mann leben, kann die Last der Hausarbeit von den Schultern einer Einzelnen auf die der Gesellschaft übertragen werden.

Das bedeutet jedoch keineswegs, dass die ArbeiterInnenbewegung bis zum Tage der Revolution die Hände in den Schoß legen soll. Im Gegenteil: Die LSR tritt dafür ein, dass die ArbeiterInnenklasse, die ImmigrantInnen, die Jugendlichen für eine breite Kampagne gegen häusliche Gewalt mobilisiert werden müssen. Die Gewerkschaften und Parteien der ArbeiterInnenbewegung müssen für folgende Forderungen kämpfen:

Massiver Ausbau von qualitativ hochwertigen Frauenhäusern und Kinderasylen, die den Opfern nicht nur eine Notunterkunft, sondern eine tatsächliche Lebensgrundlage auf Dauer bieten.

Der Staat muss den betroffenen Frauen Ausbildungs- und Berufsmöglichkeiten sowie Kinderbetreuungsprogramme anbieten, die ihnen eine eigenständige Existenz ermöglichen. Den betroffenen Kindern muß eine von den Eltern unabhängige Existenz in sicherer Umgebung mit guter Ausbildung geboten werden!

Wer soll das bezahlen? Ganz einfach: Das Geld muss über eine massive Besteuerung von jenen geholt werden, die sich seit Jahren und Jahrzehnten auf unsere Kosten bereichern - der Schmarotzerklasse der KapitalistInnen! Daher fordern wir eine massive Besteuerung der Unternehmensgewinne!

Doch das Problem der häuslichen Gewalt läßt sich nicht nur mit staatlichen Maßnahmen lösen. Es läßt sich auch nicht lösen durch eine verstärkte Überwachung durch den Staat. Wir wollen kein verstärktes Schnüffeln durch den bürgerlichen Staat im Privatleben, sondern eine entschlossene Kampagne innerhalb der ArbeiterInnenklasse durch die fortschrittlichen Organisationen selbst! Wir brauchen eine breite Aufklärungskampagne innerhalb der Gewerkschaften, der ArbeiterInnenklasse, der Immigrantengemeinde usw. gegen Gewalt gegen Frauen und Kinder.

Darüber hinaus sind Nachbarschaftskomitees notwendig, die in Versammlungen der Bevölkerung in den Gemeinden und Stadtteilen gewählt und von diesen kontrolliert werden. Diese sollen sich mit Fragen der häuslichen Gewalt und den dafür Verantwortlichen auseinandersetzen und entsprechende Maßnahmen zum Schutz der Frauen und Jugendlichen ergreifen.

Gleichzeitig muss es regelmäßige reine Frauenversammlungen wie auch Jugendlichentreffen geben, in denen gemeinsame Projekte und Aktivitäten angegangen werden. Für solche Versammlungen sollen nach Möglichkeiten alle gewonnen werden, damit einerseits eine Regelmäßigkeit in der Zusammenarbeit und andererseits eine offene Vertrauensbasis zueinander entwickelt wird. Nur durch die Zusammenarbeit innerhalb der Klasse, kann das Klischee der Familie als angeblich „einzigem Rückhalt“ durchbrochen werden. Unsere Klasse, die ArbeiterInnenklasse, muss von brutalen Patriarchen und Möchtegern-Kaisern in den eigenen vier Wänden gesäubert werden. Solche Männer müssen überzeugt oder - wenn dies nicht möglich ist - mit den notwendigen Mitteln unschädlich gemacht und isoliert werden. Ein Mann ist nicht jener, der körperlich Schwächere schlagen kann, sondern der die Brüder und Schwestern seiner Klasse mit Respekt und Solidarität behandelt und den Mut hat, sich gemeinsam mit anderen dem Feind - den Kapitalisten und ihrem Staat - entgegen zu stellen.

Eine solche Kampagne darf nicht mit kleinbürgerlich-humanistischen Argumenten geführt werden („Gewalt ist immer schlecht“, „Mit Reden kann man die Probleme lösen“), wie uns die offizielle Regierungspropaganda und die Einfaltspinsel der akademischen „Zivilgesellschaft“ einzureden versuchen. Die Lösung muss vielmehr darin liegen, dass wir unsere Wut nicht gegen unsere Brüder und Schwestern lenken, sondern gegen die Schuldigen für die Misere - gegen die herrschende Klasse - richten.

Wenn wir die Arbeiterbewegung für eine solche Kampagne gewinnen, können wir den Sexismus zurückdrängen und zu einer stärkeren, geeinteren, widerstandsfähigeren Klasse werden, können wir die Voraussetzungen für einen erfolgreichen Kampf für eine sozialistische Revolution schaffen, für ein Leben in Freiheit und ohne Ketten. Diese Zukunft fällt nicht vom Himmel, sondern muss von uns erkämpft werden! Der Kampf für eine solche Zukunft ist es wert. Wenn auch Du diese Ziele teilst, wenn auch du gegen solche Verbrechen wie der Tragödie in Amstetten vorgehen willst, dann kämpfe gegen das System, das solche Verbrechen hervorbringt! Kämpfe mit uns gemeinsam in den Reihen der LSR!

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