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Pressekonferenz der GDL

Der Abschied vom Streik wird vorbereitet

Martin Suchanek, Infomail 334, 27. November 2007

Gestern, um 16.00 Uhr, erklärte die GDL, dass „GDL-Hauptvorstand und die -Tarifkommission (...) beschlossen haben, die Tarifverhandlungen aufzunehmen.“ (Presseerklärung der GDL vom 26.11.) Am Montag, dem 3. Dezember sollen Verhandlungen stattfinden, um „die Rechtsposition des eigenständigen Tarifvertrags zu klären.“ Weiter stellt die GDL-Führung in den Raum, dass es zu weiteren Streiks kommen würde, sollte keine Einigung über „einen eigenständigen Tarifvertrag geben, der diesen Namen verdient.“

Die Mogelpackung

Wenn jetzt nach monatelangem Kampf und vielen Täuschungsmanövern des Bahn-Vorstandes Verhandlungen angesetzt werden, wird wohl jeder Mensch vermuten, dass der Vorstand der Bahn AG der GDL in irgendeiner Frage entgegengekommen sein muss. Von den Führungen der DGB-Gewerkschaften sind wir auch gewohnt, dass kleine Schritte des Entgegenkommens zu großen Erfolgen aufgeblasen werden, damit das Abbrechen der Kampf-Aktionen begründet werden kann.

Im Falle des Lokomotivführer-Streiks ist dem aber nicht so. Das Angebot der Bahn ist kein Millimeter Entgegenkommen.

Die GDL-Führung nimmt vielmehr erneut Gespräche auf, obwohl sie das „Angebot“ der Bahn AG - korrekt - als Mogelpackung entlarvt hat. So heißt es in der Presseerklärung unter der Überschrift “Bahn bietet keinen eigenständigen Tarifvertrag”:

“Das ‚Angebot’ enthält zwar pro forma den Begriff ‚eigenständiger Tarifvertrag’. Dieser soll jedoch ‚nur bei zeitgleicher Absicherung der Tarifeinheit der DB AG abgeschlossen werden’. Der eigenständige Tarifvertrag ist also eine Mogelpackung. Weiter: „Auch die Entgelterhöhung von 13 Prozent ist eine Täuschung.“ Diese setzt sich zusammen aus dem bereits bestehenden Tarifabschluss mit der Tarifgemeinschaft mit einer Höhe von 4,5 Prozent, einer einprozentigen Entgelterhöhung für alle Beschäftigten und einer 2,5-prozentigen Erhöhung für Mehrarbeit, die ausschließlich vom Fahrpersonal erbracht wird sowie einer Arbeitszeiterhöhung um zwei Stunden, die mit fünf Prozent vergütet wird.”

Warum handelt die GDL-Führung so?

Die GDL ist in den letzten Wochen in einen massiven politischen Konflikt, in einen politischen Klassenkampf mit dem deutschen Kapital, der Regierung und dem Staat geraten. Zweifellos wollten die GDL-Spitzen und die überwiegende Mehrheit der LokführerInnen und ZugbegleiterInnen „nur“ ihre berechtigten Interessen durchsetzen und kämpften deshalb für einen eigenen Tarifvertrag. Die GDL-Führung wäre wohl schon froh gewesen, als „gleichberechtigter“ „Sozial“partner neben Transnet-Chef Hansen anerkannt zu werden.

Doch die Politik der Bahn AG und die Inkorporation von Transnet und Hansen ließen selbst das nicht zu. Die LokführerInnen und ihre Gewerkschaft sahen sich gezwungen, für ihre Ziele zu streiken.

Sie haben damit einen politischen Kampf aufgenommen, auch wenn sie sich dessen nicht bewusst sind.

Erstens hat der Streik das Ziel der Bahnprivatisierung in Frage gestellt und damit ein wichtiges Ziel der deutschen Regierung und der herrschenden Klasse, einen riesigen, weltweit konkurrenzfähigen, privatisierten Transportkonzern auf die Beine zu stellen – auf dem Rücken noch stärkerer Ausbeutung der Beschäftigten und zulasten der KundInnen aus der Arbeiterklasse.

Zweitens bedeutet ein Streik im Transportsektor, auch wenn er nur relativ kurze Zeit dauert, immer auch eine massive Unterbrechung der kapitalistischen Wirtschaft insgesamt. Aber die Kapitalisten nehmen lieber Millionenverluste hin als zu riskieren, dass die GDL gewinnt und das Beispiel Schule macht. Deshalb ist sich die ganze herrschende Klasse samt allen ihren Hilfstruppen einig und hat den Streik auch gleich mit allen Waffen der bürgerlichen Gesellschaft und des imperialistischen Staates attackiert: Gerichtsurteile, Streikverbote, Medienhetze etc.

Drittens hat der Streik das „System“ Mehdorn-Hansen, also die enge Klassenzusammenarbeit im Bahnkonzern in Frage gestellt. Der Lokführerstreik hat daher vordergründig sogar Transnet-Chef Hansen dazu gezwungen, eine „Nachbesserung“ zum „Jahrhundertabschluss“ von Transnet/GDBA bei der Bahn zu fordern. Freilich hat ihn das nie daran gehindert, sich mit der Bahn-Spitze u.a. im Aufsichtsrat darüber zu verständigen, wie dem GDL-Streik das Rückgrat gebrochen werden kann.

Die herrschende Klasse konnte die Lokführer bisher nicht in die Knie zwingen. Im Gegenteil: sie haben trotz Medienhetze und einer gegnerischen Phalanx aus Regierung, Gewerkschaften, Kapital und Staatsapparat enorme Sympathien bei der Mehrheit der Lohnabhängigen gewonnen. Sie haben sie gewonnen, weil Millionen unter ganz ähnlichen, teilweise noch schlechteren Bedingungen leben müssen als die GDLler und  weil sie die Erfahrung teilen, jahrelang nur Verschlechterungen hinnehmen zu müssen. Die GDL genießt große Sympathien, weil sie als kleine Gewerkschaft schon jetzt mehr erreicht hat als die Mehdorn-hörige Transnet-Spitze, weil sie gezeigt haben, dass sich Streiken lohnt.

Aber der Kampf steht jetzt am Scheideweg. Es droht ein Abschluss, der den Lokführern wenig Zugeständnisse bringt und eine Befriedung des Konflikts im Sinne des Vorstands erlaubt.

Es ist eindeutig, dass auch die DGL-Führung ein Ende des Kampfes will. Nur so ist zu erklären, dass sie eine offenkundige Mogelpackung nicht ausgeschlagen hat. Alle Rechtfertigungen für diesen Schritt – etwa in dem Sinne, dass „unter der Hand“ noch weitere Zugeständnisse kommen würden, dass die Regierung für das „Wohlverhalten“ der GDL dem Bahnvorstand noch ein paar Brosamen abverlangen würde, sind auch nur Mogelpackungen – allerdings von der GDL-Spitze gegenüber ihren Mitgliedern.

Es ist alles andere als ein Zufall, dass die Streikenden über den Inhalt der Gespräche mit Hansen und dem Bahn-Vorstand nicht informiert wurden. Und „selbstverständlich“ wurden sie auch nicht gefragt, ob sie das „Ergebnis“ als „Grundlage für Verhandlungen“ oder als Mogelpackung ablehnen und den unbefristeten Streik aufnehmen wollten.

Die GDL-Führung hat zu diesem Vorgehen mehrere Beweggründe. Erstens hofft sie, als Juniorpartner von Transnet, als „eigenständiger“ Akteur im System der Klassenzusammenarbeit anerkannt zu werden. Was die undemokratische Vorgehensweise in der letzten Woche betrifft, unterscheidet sich die GDL-Führung jedenfalls nicht von der Transnet-Chefetage um Hansen. Sie unterscheidet sich wohl eher dadurch, dass sie unprofessionell handelt und den Ausverkauf weniger geschickt beschönigt.

Zweitens hat die GDL-Führung den Rückzug auch unter dem Druck des Klassengegners angetreten. Ihr ist schon länger zu Bewusstsein gekommen und in Gesprächen mit Tiefensee und anderen Regierungsvertretern wohl auch bewusst gemacht worden, dass eine Fortsetzung des Streiks und der Beginn eines unbefristeten Ausstandes zu einer „alles oder nichts“-Situation führen würde, dass es dann für Regierung, Bahnvorstand, usw. darum ginge, die GDL zu vernichten, dass Streiks verboten werden würden und dass die Eisenbahner dann allein dastehen würden.

Angesichts der offenen Unterstützung der DGB-Spitzen, der großen Einzelgewerkschaften und aller Parlamentsparteien (außer der LINKEN) für Transnet und den Bahnvorstand, konnten die Herrschenden wohl nicht nur diese Drohung vermitteln, sondern auch plausibel machen, dass keine Massenorganisation für die BahnerInnen einen Finger krumm machen würde.

Und selbst die LINKE brauchte mehrere Monate, bis sie sich dazu durchringen konnte, die Interessen der Lokführer als „legitim“ anzuerkennen. Sie brauchte dazu mehrere Monate, weil ein Teil der LINKEN gegen den Streik der GDL war und ist. Das ist auch der Grund, warum in ihrer „Solidaritätserklärung“ auch kein Wort der Solidarität mit der Organisation der Lokführer, der GDL, noch mit den konkreten Forderungen des Streiks zu finden war und ist.

Nein zu den Verhandlungen!

Es ist notwendig, diese beiden Beweggründe für die Politik der GDL-Spitze im Auge zu haben, wenn ein fauler Kompromiss verhindert werden soll.

Erstens ist es entscheidend, dass jetzt die Basis, lokale Streikkomitees, die AktivistInnen des Kampfes Mitgliederversammlungen der GDL einfordern und durchführen, um a) über den vollen Inhalt der Gespräche informiert zu werden, b) über das Angebot und die Taktik von Vorstand und Tarifkommission zu diskutieren und zu entscheiden. Auf diesen Versammlungen sollte die Ablehnung des „Angebots“ und ein unbefristeter Streik für die Forderungen der GDL beschlossen werden!

Diese Versammlungen müssen Delegierte wählen, die noch in dieser Woche bundesweit zusammentreten, um über den weiteren Kurs zu entscheiden. Sie müssen eine Erneuerung der Tarifkommissionsmitglieder und Vorstandsmitglieder gemäß den Beschlüssen erwirken oder zumindest klar machen, dass diese in Zukunft ohne Zustimmung der Basis keine Verhandlungen über Mogelpackungen aufnehmen dürfen.

Zweitens geht es aber auch darum, dass die GDLler sich klar machen, dass es in diesem Kampf wirklich um eine zentrale politische Machtprobe geht, dass es um einen politischen Klassenkampf mit Kapital und Staat geht.

Das heißt, dass sie selbst die Dynamik der Entwicklung in ihre Hände nehmen müssen! Der unbefristete Streik ist das beste Mittel, alle BahnerInnen in täglichen Streikversammlungen zu mobilisieren, die Bevölkerung offensiv um Unterstützung anzusprechen und Druck auf die Führungen der DGB-Gewerkschaften auszuüben, indem Streikende auf Versammlungen in anderen Betrieben sprechen und helfen, eine Opposition gegen die Spitzen der DGB-Gewerkschaften aufzubauen.

Politischer Kampf heißt auch, dass es darum geht, den Kampf gegen Angriffe des Staates, seiner Gerichte, Provokationen der Polizei usw. zu verteidigen.

Es kann durchaus sein, dass ein unbefristeter Streik auch jetzt noch die Konzernführung nach wenigen Tagen zum Rückzug zwingt, weil sie (und noch mehr die Kapitalistenklasse insgesamt) im Moment die Risiken einer vollen Konfrontation doch noch scheuen.

Genau kann das niemand sagen. In jedem Fall werden sich aber die Ziele der Streikenden am leichtesten durchsetzen lassen durch die größtmögliche Mobilisierung. Doch um die notwendige, aktive Solidarität für einen unbefristeten Streik zu schaffen, ist der Aufbau und die Verbreiterung bestehender Solidaritätskomitees notwendig, um den Kampf um aktive Solidarität – einschließlich von Solidaritätsstreiks – in die Betriebe und andere Belegschaften zu tragen und die Sympathie der Bevölkerung zur aktiven Unterstützung voran zu treiben.

Zugleich zeigen der Streik und sein drohendes endgültiges Aus aber auch, dass es zwei miteinander verbundene strategische Aufgaben gibt, vor denen die Arbeiterklasse in Deutschland heute steht:

1. Den Aufbau einer organisierten klassenkämpferischen Basisbewegung in Betrieben und Gewerkschaften, die dem ständigen Verrat der Bürokratie aktiv und praktisch entgegentreten kann.

2. Dem Block aus Kapital, Regierung, Parteien, Medien und Staatsapparat müssen wir eine Kraft entgegensetzen, die auch auf unserer Seite die politische Einheit herstellt und Kampffähigkeit organisiert. Das kann nur eine Partei sein, die sich in keiner Weise von den Kapitalisten, ihrem Staat und ihrem System abhängig macht - eine neue, revolutionäre Arbeiterpartei, die den Kampf gegen den Generalangriff mit dem Kampf für die sozialistische Revolution verbindet.

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