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Frankreich:

StudentInnen und ArbeiterInnen schlagen zurück

Infomail 333, 20. November 2007

In der Nacht zum 13. November begannen die Beschäftigten der Staatseisenbahnen SNCF weniger als einen Monat nach einem höchst erfolgreichen Streik, der das Land lahm legte, mit einem erneuten Ausstand.

Am 15. sprang er auf die Pariser Untergrundbahn Métro über. Heute, am 20.11.2007, befinden sich nahezu alle ArbeiterInnen und Angestellten des Öffentlichen Dienstes im Ausstand. Dazu zählen jetzt die Belegschaften von Air France, France Télécom, der Strom- und Gasriesen EDF und GDF, der Post, Gemeindebedienstete sowie die LehrerInnen. Zwei der bei der SNCF engagierten Gewerkschaftsdachverbände - in Frankreich existieren fünf (!) - verkündeten ein unbefristete Streiks. Mehrere assemblées générales (AGs) - das sind Vollversammlung der Streikbasis - taten es ihnen gleich. Nur dank eines im Sommer verabschiedeten Gesetzes, das ein minimales Verkehrsangebot erzwingt und das die Gewerkschaften damals widerstandslos passieren ließen, rollt zur Zeit ca. 10% des öffentlichen Gesamtverkehrs auf Schiene und Straße. Ihnen allen geht es um den Erhalt des „speziellen“ Verrentungsmodells im Öffentlichen Dienst, das nach 37,5 Beitragsjahren greift.

StudentInnen machen mobil

Die StudentInnen unternehmen bereits Solidaritätsaktionen mit den Ausständischen, verfolgen aber auch eigene Ziele gegen Sarkozys neoliberale „Reformen“. In Rennes (Bretagne) blockierten sie die Zugänge für das Verwaltungspersonal. An der Universität X von Nanterre im Westen der französischen Metropole brach die Polizei die Türblockaden unter Einsatz von Gummiknüppeln, Tränengas und scharfen Hunden. Ca. 2/3 aller französischen Unis erleben Studentenaktionen; an 1/3 läuft überhaupt kein Lehrbetrieb, weil die Eingänge blockiert, die Hörsäle besetzt sind oder die Rektoren den Laden dicht gemacht haben.

Seit Ende Oktober wurden allgemeine Versammlungen (assemble generals = AGs) an allen Unis im Lande abgehalten. Eine nationale coordination (Delegiertentreffen mit VertreterInnen aller AGs) wurde ins Leben gerufen. Die meisten AGs stimmten für Besetzungen und fast alle unterstützten direkte Solidaritätsaktionen für die Streikenden. Viele versuchten, die Bahnhofszugänge zu versperren. Der Kampf muss auch unbedingt auf die (Ober-)Schulen ausgedehnt und in die banlieues (Vorortghettos) getragen werden, wo letztes Jahr die marginalisierte Immigrantenjugend gegen Sarkozy rebelliert hat.

Sie fordern auch die Rücknahme des LRU (Gesetz über die Autonomie der Universitäten). Auch dieses wurde von Sarkozy in den Sommerferien ohne nennenswerten Widerstand seitens der größten Studentengewerkschaft UNEF durchs Parlament geboxt. Die UNEF unterstützt die aktuellen Streiks, aber keine „Minderheitsaktionen“ wie Uniblockaden. Das LRU ist ein Meilenstein zur vollständigen Privatisierung der Hochschulbildung: es führt zur endgültigen Konkurrenz zwischen den Unis, zur Allmacht der Rektoren. Letztere können jetzt auch aus der Privatwirtschaft stammen, können jetzt Teile der Hochschulen verkaufen oder verpachten, Personal aussuchen und Studiengebühren erheben. Schon finanzieren Privatstiftungen ganze Fakultäten, verleihen Diplome und bestimmen, wer lehren, forschen und studieren darf. Die Ungleichheiten zwischen den Unis, unter Studierenden und Lehrenden nehmen enorm zu. Der Anteil prekär beschäftigter Assistenten ohne nominelle Anstellung und Titel wächst ebenso beständig wie die Stipendien versiegen.

Sarkozy sucht die Entscheidung

In den letzten 12 Jahren wurde Frankreich von gewaltigen Streikwellen und Massendemonstrationen erschüttert: gegen Rentenreformen 1995 und 2003, gegen den CPE (Lockerung des Kündigungsschutzes für Neueinstellungen) 2006. Jedes Mal gaben die Regierungen nach und die Gewerkschaftsvorstände trafen Abkommen, die eine spätere Attacke der Rechten gestatteten. Nach einem Wahlkampf, während dessen er versprach, ein französischer Thatcher zu werden und den Gewerkschaftseinfluss zu brechen, trat er selbstbewusst auf. Anlässlich seines Besuchs bei George W. Bush verkündete er, hart zu bleiben: „Frankreich hat viel zu sehr in der Vergangenheit nachgegeben. Sie kann das nicht mehr weiter tun“. In einer Rede vor dem EU-Parlament in Straßburg gelobte er, dafür gewählt worden zu sein, um die neoliberale Agenda vom Lissabonner Gipfel knallhart durchzuziehen. Konservative Zeitungen wie Le Figaro weisen darauf hin, dass er auf der Straße den Sieg davon tragen müsse, um den vor einem Jahr angekündigten klaren Bruch mit der Weichheit zu vollziehen - oder seine Reformambitionen lösten sich ins Nichts auf. Seine Partei UMP - insbesondere die Parteijugend jeunesse dorée - mobilisieren bereits Straße und Bahnhöfe gegen die Streikenden.

Es kann keinen Zweifel geben, dass Sarkozy der französischen Arbeiterklasse ähnlich Thatcher zwischen 1982 und 1985 eine historische Niederlage zufügen möchte. Eine Wiederholung früherer Konfliktmuster (s.o.) erscheint deshalb höchst unwahrscheinlich. Noch mehr als 2006 rückt darum die Frage der Führung der Bewegung von ArbeiterInnen und StudentInnen in den Mittelpunkt. Sie braucht eine ebenso entschlossene, um Sarkozy zu vernichten! Weitere reaktionäre Maßnahmen liegen schon in der Schublade: neues Arbeits- und Kündigungsrecht, Selbstbeteiligungszahlungen für Inanspruchnahme des Gesundheitswesens, Stellenabbau im ÖD).

Schakale

Die Spitzen der großen Gewerkschaftsverbände hingegen sind allzeit zur Sabotage bereit. Es gehört zu ihrem Standardrepertoire, Sektor für Sektor an verschiedenen Aktionstagen getrennt aufs Feld zu führen, gefolgt von Wochen und Monaten voller Passivität und Verhandlungen. Sie verweigern elementare Solidarität und streben an, einen Keil zwischen ArbeiterInnen und Lernende zu treiben. Negative Beispiele sind Äußerungen der Vorstände von CFDT (Confédération Française du Travail) und FO (Force Ouvrière), sich zurückzuziehen, sollte es zu einer (entscheidenden) Kraftprobe mit dem Regime kommen.

Obwohl in Worten offensiver für ihre Mitglieder eintretend, schloss die CGT (Confédération Générale du Travail) am Vorabend ihre Bereitschaft zu Verhandlungen über die Zukunft des Pensionssystems nicht aus. Das am Vorabend des Streiks! Schon lockt die Regierung mit Lohnzugeständnissen, um das Prinzip Verlängerung der Lebensarbeitszeit durchzusetzen. Da wird mancher CGT-Funktionär wohl schwach!

Nur die Eisenbahner-SUD zeigte den Zusammenhang zwischen der Pensionsreform für die SNCF und den Interessen aller Beschäftigten im Land auf. Diese Gewerkschaft ist aber klein und folgt in aller Regel den Abschlüssen der CGT.

Die akute Führungskrise der Arbeiterschaft setzt sich auf politischer Ebene fort. Die Sozialistische Partei (PSF) ist praktisch zusammengebrochen. Die Kommunistische Partei Frankreichs (PCF) ist nach ihrer Wahlschlappe sichtlich desorientiert. Das politische Vakuum versucht die Revolutionär-Kommunistische Liga (LCR), französische Sektion der mandelistischen Vierten Internationale, zu füllen: sie ruft richtig zur Bildung einer neuen antikapitalistischen Partei auf. Die LCR verwehrt sich aber fataler Weise dagegen, dass sie eine revolutionäre Partei sein soll!

Im Kampf auf Leben und Tod gegen Sarkozy brauchen die französischen Lohnabhängigen dringend eine aktivistische Kampfpartei, die die Vorhut an allen Fronten umfassen muss: nicht nur GewerkschafterInnen und StudentInnen darunter, sondern die sans papiers (illegale MigrantInnen), die Jugend der Trabantenstädte, Antikriegsmilitante usw.

Vorwärts zum Generalstreik!

EisenbahnerInnen, Gas- und ElektrizitätswerkerInnen im Kampf gegen Rentenklau, Angestellte der Air France, die für höhere Löhne eintreten, die MetallerInnen bei Airbus, die gegen verschlechterte Arbeitsbedingungen und Entlassungen auf den Plan treten, gegen Stellenabbau aufgebrachte Regierungsangestellte, Studis in der Schlacht gegen das LRU: sie alle können und müssen sich in einer einheitlichen Massenbewegung sammeln, für die Niederlage Sarkozys und den Sturz seiner Administration in Aktion treten - den Generalstreik!!!

Die Bildung von coordinacions am Arbeitsplatz, im Viertel und ihre Bündelung zur nationalen Streikversammlung müssen auch StudentInnen und andere Schichten (s.o.) einbeziehen. Nur so können Basiskontrolle, Einheit und Kampfkraft gegen die Sabotage der hauptamtlichen Topfunktionäre gewahrt bleiben.

Diese Auseinandersetzung, in der der Einsatz kaum höher sein kann, ist für ArbeiterInnen in Europa und auf der ganzen Welt von überragender Bedeutung. Die französischen Arbeiter, Angestellten und Jugendlichen standen im Widerstand gegen den Neoliberalismus mehr als einmal in vorderster Linie. Sie verdienen unsere ungeteilte und aktive Solidarität. Delegationen aus anderen Ländern sollen an diesen Aktionstagen ihre Anteilnahme vor Ort zeigen und ihre Sympathien bekunden. Die streikenden GDL-Lokführer und britischen PostbotInnen der CWU sollen sich aber auch darauf vorbereiten, zu Hause zu Aktionen aufzurufen, falls Sarkozy mit der Unterdrückung unserer Brüder und Schwestern startet.

Sieg den französischen ArbeiterInnen und Jugendlichen!

Verbindet die Dispute der Lokführer und anderer Beschäftigter des Öffentlichen Dienst mit jenen in ganz Europa!

Organisiert die Bewegung für ein Kampf- und Aktionsprogramm!

Stärken und verbreitern wir die Bewegung, indem wir zunächst in unserer Firma oder Abteilung für den unbegrenzten Generalstreik stimmen! Danach müssen wir um uns herum in den Wohngebieten, Sekundarschulen, Unternehmen unserer Städte mobilisieren - ausgesprochen wichtig: in der Privatwirtschaft.

Ausarbeitung einer Plattform mit Dringlichkeitsmaßnahmen, um unsere Forderungen zu erfüllen und die Dynamik zu verallgemeinern.

Kontrolliert die Bewegung quer durch alle Streikkomitees, AGs in jedem Betrieb, eine nationale Koordination!

Hände weg von der Renten„sonder“regelung! Für den Ruhestand nach 37,5 Beitragsjahren für Alle!

Allgemeine Lohnanhebung um 300 €! Sofortiger Mindestlohn von 1500 €!

Abschaffung des Pécresse-Gesetzes (benannt nach der Bildungsministerin Pécresse)  über die Hochschulautonomie (LRU)! Erhöhung der Stipendien, Bau von Studentenheimen! Festanstellung aller Prekarisierten (Hochschulen, nationales Schulwesen…)!

Nein zu Zuzahlungen für Arztbesuche, Krankenhausaufenthalt und Medikamente! Verteidigung und Ausdehnung der Sozialversicherungserrungenschaften! Vollständige Kostenerstattung der Auslagen Aller!

Für ein Programm groß angelegter öffentlicher Beschäftigung unter Arbeiterkontrolle: Bauten von Schulen, Krankenhäusern und Sozialwohnungen, bezahlt aus Unternehmerprofiten!

Nein zu jeglicher Streikgesetzgebung! Boykottiert die Verhandlungen über Arbeitsrecht und Kündigungsschutz! Der Kündigungsgesetzentwurf gehört genauso in die Mülltonne wie der CPE!

Nein zum Rassismus! Abschaffung aller rassistischen Gesetze, Verordnungen und Bestimmungen (Pasqua, Chévènement, CESEDA etc.)! Gleiche Rechte für alle EinwandererInnen, Öffnung der Grenzen! Papiere für Alle!

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