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Rassistische Karrikaturen

Anti-Islamismus und der „Krieg gegen den Terror“

Infomail 247, 20. Februar 2006

Die Veröffentlichung von rassistischen Karikaturen durch die dänische Zeitung Jyllands Posten, die Mohammed, den Propheten des Islam, abbilden, hat eine ganze Kette von Protesten in Mittelost bis nach Zentral- und Südostasien provoziert.

Eine dieser Karikaturen zeigt Mohammed mit Turban, in dem Bomben versteckt sind; auf einer weiteren empfängt Mohammed eine lange Reihe von Selbstmordattentätern im Himmel und teilt ihnen mit, dass leider keine Jungfrauen mehr übrig sind. Andere wiederum zeigen Moslems als stereotype Terroristen. Im Begleittext zu diesen Karikaturen schrieb Flemming Rose, der Kulturredakteur des Blattes: „Eine moderne weltliche Gesellschaft wird von einigen Moslems abgelehnt.“

Viele dieser Abbildungen sind rassistisch, eine alltägliche Erscheinung in den populären Medien vieler westlicher Länder. Wie üblich war die erste Reaktion des Zeitungsverlegers zu dem heftigen Aufruhr darum altbekannt: „Warum können sie keinen Scherz vertragen?“ Moslems entgegneten darauf, dass antisemitische Witze nicht in den westlichen Medien abgedruckt werden.

Anti-Islamismus als Teil des „Krieges gegen den Terror“

Seit dem Attentat vom 11.September 2001 auf das World Trade Center in New York, dem weitere Terrorangriffe in Bali, Madrid und London folgten, hat sich eine Islamfeindlichkeit in der westlichen Hemisphäre ausgebreitet. Sie beruft sich oft auf Samuel Huntingdons widerliche Hetzschrift ‚Kampf der Kulturen’.

Obwohl offiziell von den imperialistischen Regierungen verurteilt – weil sie die konservativen Verbündeten in den islamischen Staaten brauchen – kochen die Medien sie immer wieder hoch. Sie betonen, dass der Islam ‚grundverschieden’ von der jüdisch-christlichen Tradition sei und als rückwärts gewandte, primitive, unzivilisierte, irrationale und blindwütige Religion zu fürchten sei.

Sie ziehen ihren Nutzen aus der Angst vor terroristischen Angriffen und erzeugen Feindschaft gegen die moslemischen Gemeinden. In seiner ‚liberalen’ Form trachtet dieser Rassismus danach, den Moslems die Annahme westlicher Werte aufzuzwingen und sie von den Extremisten und Fundamentalisten abzuspalten.

Rassistische Karikaturen mit ihren Darstellungen von Moslems und Arabern mit hassverzerrten Gesichtern, Hakennasen und als Selbstmordattentäter entsprechen demnach den in den westlichen Medien verbreiteten gängigen Klischees. Interessanterweise weisen sie eine frappierende Ähnlichkeit mit den antisemitischen Karikaturen vor 1945 auf, die nicht nur von den Nationalsozialisten, sondern von fast allen rechten Parteien benutzt wurden.

Der Herausgeber der Jyllands Posten rechtfertigt die Veröffentlichung dieser Karikaturen mit dem Recht auf Meinungsfreiheit. Die Zeitung hatte schon des Öfteren rechts gerichteten rassistischen Anschauungen mit demselben Vorwand Raum gegeben. Aber vor kurzem hat das Blatt zur Zensur eines Künstlers aufgerufen, der ein erotisches Bild von Jesus gemalt hatte, und hatte sich geweigert, eine Karikatur abzudrucken, weil die Redakteure meinten, diese würde einen Aufschrei unter Christen verursachen. Ihre Beteuerungen, dass sie nur demokratische Rechte verteidigen wollten, sind also ganz offensichtlich geheuchelt. Sie haben bewusst die wütenden Gegenreaktionen der islamischen Seite einkalkuliert, um ihre widerlichen Vorurteile bestätigen zu können.

Fundamentalistische Geistliche haben ihrerseits dann anscheinend diese Karikaturen aus Dänemark nach Nahost gebracht - und noch eigene dazu -, um den Fundamentalismus weiter zu schüren.

Kaum einen Monat nach dem Erscheinen der Karikaturen haben sich die Botschafter von 10 islamischen Ländern beim dänischen Premierminister über diese Karikaturen beschwert (Oktober 2005). Am 10.1.2006 hat eine norwegische Zeitung die Karikaturen erneut veröffentlicht. Als Ende des Monats die Proteste in Mittelost losbrachen, wurden sie auch noch in Frankreich, Deutschland, Italien und Spanien nachgedruckt.

Bisher mussten bei den Protesten 12 Menschen in Afghanistan und 3 in Pakistan ihr Leben lassen.

Im Libanon und in Syrien wurden die dänischen und norwegischen Botschaften angezündet. Mehrere 100 Iraner griffen die dänische Botschaft in Teheran an. Die iranische Regierung hat ihre Handelsbeziehungen mit Dänemark abgebrochen. Häcker haben versucht, hunderte von dänischen Internetseiten lahm zu legen. Übers Internet werden die Abbildungen verurteilt und zum Boykott gegen dänische Produkte aufgerufen.

Freie Meinungsäußerung - um welchen Preis?

Die Behauptung der Millionärsmedien, die freie Meinungsäußerung zu verteidigen, ist heuchlerisch. Sie selbst üben ‚Selbstzensur’ gegen Darstellungen, die den Krieg gegen den Irak oder die Moral der imperialistischen Truppen untergraben könnten. Kein einziges Bild über die Auswirkungen der Phosphorbomben gegen die Zivilbevölkerung beim US-Sturm auf Falludscha ist bislang gezeigt worden.

Als der Nachrichtensender Al Dschasira Bilder von im Irak getöteten US-, britischen und dänischen Soldaten brachte, haben die westlichen Medien einen Aufruhr inszeniert. US-Präsident Bush erwog die Schließung der Al Dschasira-Sendestation in Qatar. Die US-Regierung ist so „sensibel“, dass sie nicht einmal Bilder von Särgen gestattet, in denen tote US-Soldaten in die USA zurück gebracht werden.

In Britannien gilt eine freiwillige Selbstverpflichtung der Medien mit derselben Wirkung. So wurde z.B. der Name eines Truppenführers verschwiegen, der für die Folter von pakistanischen Einwanderern in Griechenland verantwortlich war.

Das britische Antiterrorgesetz 2006 verbietet die ‚Verherrlichung’ des Terrorismus. Es ist so weit gefasst, dass es jeden Artikel oder Abbildung, die geeignet sind, gewaltsamen Widerstand gegen jede Regierung der Welt zu unterstützen, kriminalisiert. Die britische Außenpolitik kann selbstredend jederzeit entscheiden, was Terrorismus und was Freiheitskampf ist.

Das Image einer freien und furchtlosen westliche Presse mit unbestechlicher Berichterstattung über die Dinge, ‚wie sie wirklich sind’, ist nichts als ein Märchen.

In den imperialistischen Ländern, die am rigorosesten ihre Kapitalinteressen durchsetzen, sind die Medien in den Händen einer Handvoll Riesenkonzerne. In den USA kontrollieren 5 (AOL-Time Warner, Disney, Murdochs New Corporation-Fox Empire, Bertelsmann und Viacom (ehedem Columbia Broadcasting System) das Geschäft. Multimilliardäre wie Rupert Murdoch diktieren die Nachrichten, die die amerikanischen Massen empfangen. In Britannien beherrscht ebenfalls eine kleine Anzahl von Presse- und Fernsehbaronen das Geschehen.

Sogar die BBC, die 2003 über die mehrheitliche Antikriegsstimmung berichtete, musste zurück schalten. Piers Morgan, der Herausgeber des Daily Mirror, der gegen den Krieg eingestellt war, stolperte über die Veröffentlichung von gefälschten Folterfotos britischer Soldaten im Irak. Nun ist die gesamte Massenmedienszene in sicheren Händen von Kriegsfreunden.

Gewerkschaftern, Jugendlichen, ethnischen Minderheiten und MigrantInnen, die gegen den Krieg oder neoliberale Politik sind, werden die Äußerungen ihrer Anschauungen in diesen Medien verwehrt. Sie werden in der ‚freien’ kapitalistischen Presse verleumdet.

Religion, Staat und Gesellschaft

Im Krieg gegen den Terror, der sich zur Hauptsache gegen die arabischen Massen in Nahost richtet, fördern die Imperialisten ein Klima des Rassismus und der Islamfeindlichkeit. Die westliche Presse ist ein zentrales Mittel, um diese zu schüren. Diese Islamfeindlichkeit versucht, sich mit einer Kritik an reaktionärer und antidemokratischer Praxis des islamischen Klerus sowie an den islamischen Lehren zu rechtfertigen.

So wird als Beweis vorgebracht, dass der Islam nicht die Unterscheidung von religiöser Gemeinschaft (umma), dem Staat und der Zivilgesellschaft kenne. Islamische Länder wie Saudi Arabien und der Iran unterdrücken Frauen.  Homosexuelle werden nach islamischem Recht grausam bestraft. In vielen arabischen Staaten wird antisemitische Propaganda betrieben.

MarxistInnen haben sicher keinen Grund, die geringste Unterdrückung und Grausamkeit im Namen der Religion zu bemänteln. Wir fordern und verteidigen die Gleichberechtigung von Frauen, Homosexuellen, Nicht-Moslems und Nichtgläubigen. Wir verurteilen alle Formen des Antisemitismus als ‚Anti-Imperialismus’ von Dummköpfen, der den Feinden der PalästinenserInnen nur in die Hände spielt.

In jedem Land sind wir gegen religiöse Gesetze und religiöse Propaganda in staatlichen Schulen. Religion sollte eine Angelegenheit ausschließlich für Gläubige sein, d.h. für Erwachsene, freiwillige Mitglieder von Moscheen, Kirchen, Synagogen oder Tempeln. Wenn sie sich der Scharia, Tora oder den kanonischen Gesetzen unterwerfen wollen, ist das ihre Privatsache. Aber uralte religiöse Gesetze aus einer Zeit vor demokratischen und gesellschaftlichen Rechten, die erst in den letzten 3 Jahrhunderten errungen wurden, können nur einen reaktionären Effekt haben, wenn sie auf moderne Gesellschaften übertragen werden.

Die Freiheit der Kritik an Religion in den Medien und auf der Straße ist schützenswert. Gesetzen, die die Beleidigung von Religion oder von Gläubigen verbietet, muss die Zustimmung verweigert werden. Diejenigen, die kritisiert werden, können sich nicht zum Richter darüber aufschwingen, was sie für erlaubt halten. Selbstverständlich haben auch sie das Recht zu protestieren, d.h. ihnen muss die Freiheit der Meinungsäußerung zugestanden werden.

Die dänischen Karikaturen waren eindeutig islamfeindlich und rassistisch. Es wäre jedoch falsch und blauäugig, zur Bekämpfung dieses Rassismus nach Verboten durch den bürgerlichen Staat zu rufen. Die Kapitalistenklasse nützt ihre Macht in erster Linie, um Anschauungen zu kriminalisieren, die ihrem System schaden. Wir treten stattdessen für das unmittelbare Eingreifen der Ausgebeuteten und Unterdrückten ein, um die Aufstachelung zu Rassenhass und Übergriffen zu unterbinden.

Tony Blairs wiederholter Versuch, ein Gesetz durchzubringen, das die ‚Aufwiegelung zum religiösen Hass’ unter Strafe stellt, muss also zurück gewiesen werden. In Britannien ist die Unterstützung dieses Gesetzesvorhabens durch Respect (Wahlbündnis von SWP und bürgerlich-moslemischen Organisationen) eine Schande und ein weiterer elender Versuch, moslemische Stimmen durch einen Verrat von sozialistischen Grundsätzen zu  bekommen.

Wir sind natürlich gegen die absichtliche Beleidigung des Glaubens von religiösen Menschen, weil wir wissen, dass „Religion der Seufzer der unterdrückten Geschöpfe, das Herz einer herzlosen Welt und die Seele in seelenlosen Bedingungen ist“ (Marx). Aber die wirkungsvollste Art, die reaktionären Auswirkungen von Religion in der Gesellschaft zu bekämpfen, ist der Kampf gegen Ausbeutung und Unterdrückung, welche die tiefere Ursache von Religion sind. Dazu gehört auch, demokratische Rechte gegen religiöse Einrichtungen, die diese Rechte schmälern oder gar abschaffen wollen, zu verteidigen.

Kampf um Kontrolle

Wenn bei Jyllands Posten oder anderen europäischen Zeitungen, die diese Karikaturen abgedruckt haben, revolutionäre oder klassenbewusste Drucker beschäftigt gewesen wären, hätten sie bei ihren Kollegen dafür argumentiert, die Veröffentlichung solch rassistischen aufwiegelnden Materials zu verhindern. Wenn dies trotzdem geschehen wäre, hätten sie gefordert, dass das Blatt den Moslems gleiche Möglichkeiten zur Erklärung ihres Unmuts und ihrer Erfahrungen als Opfer der Islamfeindlichkeit und ebenso Antirassisten zur Darstellung ihrer Sichtweise einräumt.

Solche Maßnahmen hat es in der Vergangenheit der Arbeiterbewegung schon gegeben. Während des britischen Bergarbeiterstreiks 1984 wurde das Boulevardblatt Sun gezwungen, eine Nummer mit einem weißen Deckblatt herauszugeben, weil die Beschäftigten sich weigerten, einen verleumderischen Leitartikel zu veröffentlichen, der die Bergleute verunglimpfte.

Viele im Westen zeigen sich verdutzt über das Ausmaß der Reaktion in Mittelost. Wie können ein paar Karikaturen für solche massenhaften Wutausbrüche sorgen? Die islamischen Fundamentalisten werden nun dafür verantwortlich gemacht, ihr Süppchen mit der Anfachung des Massenzorns zu kochen.

Es stimmt zwar, dass reaktionäre fundamentalistische Geistliche oder nationalistische Regierungen die Lage für sich zu nutzen versuchen, und die Wut der Massen für ihre Zwecke kanalisieren. Die wahren Ursachen für den Aufruhr liegen jedoch in der Politik des Imperialismus und seines zionistischen Verbündeten Israel in der Region.

So verständlich die Wut über die Karikaturen ist - eigentlich müsste sie sich gegen andere Ziele richten. Die Verbrechen, gegen die sich die Wut der Massen richten sollte, sind die Gewalt gegen die lebenden Irakis und Palästinenser, sind die Verbrechen des Imperialismus und Israels in Gaza, in der Westbank, in Guantanamo Bay und Falludscha.

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