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Nach der NRW-Wahl

Neue Arbeiterpartei – aber welche?

Infomail 212, 30. Mai 2005

Der 22. Mai 2005 brachte gleich zwei einschneidende politische Ereignisse: den Erdrutschsieg der CDU in NRW und die Ankündigung von Neuwahlen im Bund für den Herbst 2005.

Die SPD verlor nach 39 Jahren in ihrem Stammland NRW, dem bevölkerungsreichsten Bundesland, ihre Regierungsmehrheit. Dieses Ergebnis kam an sich nicht überraschend, die Art und Weise schon. Die CDU siegte sehr klar mit 44,8% und gewann 7,8 % hinzu. Die SPD hingegen setzte ihre Serie von katastrophalen Niederlagen fort und verlor 5,7 %, was ihr insgesamt nur 37,1% einbrachte (vorläufiges amtliches Endergebnis).

Während die bislang mitregierenden Grünen leicht einbüßten (minus 0,9 %) und auf 6,2 % kamen, endete die Wahl für die FDP mit einem kleinen Desaster (minus 3,6 %), was ihr aber durch den Wiedereinzug in die Landesregierung an der Seite der Union "versüßt" wird.

Die Rechten, REPs und NPD, konnten erfreulicherweise nicht profitieren und kamen auf nur 0,8 bzw. 0,9 %. Das ist ein klarer Dämpfer für das NPD-Projekt einer "rechten Volksfront" und bedeutet zudem, dass die braunen Ratten diesmal auch kein zusätzliches Futter in Form von Wahlkampfkostenerstattung erhalten.

Die Linke

Auf der linken Seite gab es hingegen bemerkenswerte Ergebnisse. Die PDS zeigte sich erneut unfähig, von der tiefen Krise der SPD zu profitieren. Ihre 0,9 % sind ein klarer Misserfolg. Sie zeigen, dass die PDS in NRW über keine Verankerung in der Arbeiterklasse verfügt und ihre Westausdehnung gescheitert ist. Dahinter steckt letztlich, dass die PDS keine Alternative zur SPD darstellt, sondern sich durch ihr Agieren in jenen Ländern, wo sie mitregiert, durch ihre Politik des Sozialabbaus diskreditiert hat.

Ihre Strategie des "kritischen" Begleitens der SPD, ihre Nachtrabpolitik, ihre Inkonsequenz in den Kämpfen gegen die Schröder-Politik haben sie gehindert, sich als "linke" Kraft zu stärken.

Besser war das Abschneiden der WASG, die 2,2% Prozent erreichte. Das ist mehr, als man angesichts ihrer zahmen, reformistischen Politik und ihrer bisherigen Entwicklung erwarten konnte. Vor allem unter Arbeitslosen konnte sie punkten und holte dort ca. 7 Prozent.

Doch dieser Erfolg wird dadurch sehr stark relativiert, dass die CDU sowohl unter den Lohnabhängigen wie auch unter Arbeitslosen z.T. noch stärker zulegen konnte (plus 8-9 %). Angesichts der immensen Verluste der SPD und des sehr bescheidenen Abschneidens der PDS zeigen die 2,2 % der WASG aber auch, das es ihr nicht gelungen ist, sich in Kernschichten der Klasse zu verankern und als Alternative zur SPD massiv wahrgenommen zu werden.

Kein Wunder: Noch am Wahltag meinte WASG-Vorstandsmitglied Klaus Ernst, er lege "auf einen Sturz der Regierung zum jetzigen Zeitpunkt keinen Wert" (Berliner Zeitung, 23.5.). Nicht vergessen werden soll aber auch, wer die Hauptschuld daran trägt, dass die WASG deutlich unter 5% blieb: die Gewerkschaftsbürokratie, die selbst nach den größten Schweinereien der SPD den Sozis weiter die Treue hält und jede parteipolitische Alternative zu ihr am liebsten ignorieren würde.

Trotzdem werden viele WASGlerInnen das Abschneiden als Bestätigung ansehen. Doch der Maßstab - auch bei Wahlen - sind eben nicht nur soundsoviele Prozente. Die wichtigste Frage ist, was die WASG mit ihrer Politik dazu beiträgt, den Widerstand, den Klassenkampf voran zu bringen und dafür in der Arbeiterschaft, in den Betrieben, in den Gewerkschaften zu mobilisieren und eine politische Alternative zur Sozialdemokratie und zum Kapitalismus als System aufzuzeigen - mit den verstaubten Rezepten der SPD der 70er Jahre wird das nicht gelingen. Damit kann man vielleicht am Wahlsonntag Stimmen gewinnen, den Klassenkampf von Montag bis Samstag bringt man damit keinen Schritt voran.

Fazit

Das Desaster der SPD in NRW ist der vorläufige Höhepunkt eines Prozesses, der 1998 mit dem Amtsantritt Schröders begann und ab 2003 mit Verkündung und Umsetzung der Agenda 2010 ganz offensichtlich wurde: die SPD ist als Regierungspartei gezwungen, die Maske der "Partei der kleinen Leute" fallen zu lassen und sich ganz offen als Partei im Interesse des Kapitals zu präsentieren.

Agenda 2010, Hartz IV sind die Markenzeichen ihrer Politik, die einen Generalangriff auf die Arbeiterklasse, auf Arbeitslose, RentnerInnen und Jugendliche darstellt. Diese für die ReformistInnen unvorteilhafte Lage als Regierungspartei - zudem in einer Situation der Krise des Kapitalismus, verschärften internationalen Konkurrenzkampfes und der Formierung der EU zum imperialistischen global player - zwingt sie dazu, ihre eigene soziale Basis, die Lohnabhängigen, anzugreifen. Dieser Spagat einer bürgerlichen Arbeiterpartei - bürgerlich in Politik und Führung, proletarisch hinsichtlich ihrer Basis - wird immer mehr zur Zerreißprobe für die SPD. Vertrauen, Mitglieder und WählerInnen schwinden dahin.

Die NRW-Wahl bestätigt diesen Trend dramatisch, zeigt aber auch einige Besonderheiten.

Erstens stieg die Wahlbeteiligung gegenüber der letzten Landtagswahl. Der Trend der letzten Landtagswahlen, dass enttäuschte SPD-WählerInnen zu Hause bleiben und deshalb die CDU relativ - meist nicht absolut - an Stimmen zulegte, war diesmal anders. Die CDU hat in NRW ganz eindeutig auch bei ArbeiterInnen und Arbeitslosen gewonnen, am stärksten aber in den Mittelschichten. Dieser Zugewinn der CDU im proletarischen Milieu verweist einerseits darauf, wie tief die Enttäuschung der ArbeiterInnen über "ihre" SPD ist; andererseits zeigt er das Fehlen einer relevanten politischen Alternative und eine politische Verwirrung von großen Teilen der Klasse ob der Niederlagen und mangelnden linken, klassenkämpferischen Alternativen.

Allerdings konnte die CDU gegenüber der Bundestagswahl von 2002 keinen Gewinn an absoluten Stimmen erreichen. Nur 28% aller Wahlberechtigten wählten die CDU (SPD: 23%).

Zweitens wurde deutlich, dass Münteferings Kapitalismus"kritik" nicht ausreichte, um am Wahldesaster der SPD irgend etwas zu ändern und relevante Teile der Enttäuschten zurück zu gewinnen.

Drittens zeigt die NRW-Wahl auch, dass die SPD nach wie vor auf große Teile der Arbeiterklasse entscheidenden Einfluss hat. Im Ruhrpott, dem "proletarischen Herzen" von NRW, hat sie nach wie vor die Mehrheit. Auch in den großen Städten liegt sie fast überall vor der CDU (im Schnitt 45% gegenüber 36%). Das zeigt sehr klar, welche soziale Basis die SPD immer noch hat: die Arbeiterklasse - vermittelt durch die Mehrheit des Gewerkschaftsapparates und der Betriebsräte, welche abzusichern versuchen, dass die SPD weiterhin ihre politische Dominanz über die Klasse behält.

Neuwahlen: warum und für wen?

Das zweite Ereignis des Wahlsonntags war die Ankündigung Münteferings und Schröders, die Bundestagswahlen auf Herbst 2005 vorzuziehen. Das setzt voraus, dass der Kanzler bei einer Vertrauensfrage, die er spätestens im Juli stellen will, keine Mehrheit im Bundestag mehr hätte und daraufhin der Bundespräsident (wenn das Bundesverfassungsgericht nichts dagegen einzuwenden hat) Neuwahlen ansetzen kann.

Es ist bezeichnend für den Charakter der Demokratie in der Sozialdemokratie, dass die Ankündigung der Neuwahlen durch Schröder und Müntefering auch die SPD-Mitglieder überraschte. Genauso bezeichnend ist es, dass die Entscheidung, ob vorgezogene Neuwahlen stattfinden oder nicht, von nicht vom "Volk" gewählten Organen – dem Bundespräsidenten bzw. dem Bundesverfassungsgericht – getroffen werden. Soweit zum Prozedere.

Dass es dazu kommt, ist fast sicher, denn es haben sich nicht nur alle Parteien dafür ausgesprochen; viel entscheidender ist noch, dass die deutsche Bourgeoisie nicht tatenlos zusehen wird, wie sich die Politik mit mangelnden Mehrheiten und dem Patt zwischen Bundestag und Bundesrat tw. selbst blockiert bzw. in der SPD der Widerstand gegen Schröder wächst.

Schließlich geht es darum, die neoliberalen Reformen fortzuführen bzw. noch zu verschärfen. Eine "Reformpause" darf nicht eintreten, wie bürgerliche BeobachterInnen immer wieder betonen. Nicht überraschend, dass auch die Spitzen der Kapitalverbände Schröders Neuwahl-Vorschlag sofort begrüßt haben. Kapitalvertreter verweisen auf die Notwendigkeit, die "schmerzhaften, aber notwendigen Reformen"weiterzuführen. Die Blockade zwischen Bundesrat und Bundestag müsse aufgelöst und für klare Mehrheiten gesorgt werden.

Neuwahlen würden auch bedeuten, dass die immer deutlicher werdende Praxis, dass wegen der Stärke des Unionslagers und der Schwäche der SPD de facto fast eine große Koalition regiert, beendet würde. Jobgipfel, Vermittlungsausschuss und ähnlich "umständliche" Problemlösungen werden dann obsolet. Entweder - was im Moment am wahrscheinlichsten ist - gewinnt die Union die Bundestagswahl klar, dominiert Bundestag und Bundesrat und führt Schröders neoliberale Reformen und Angriffe auf noch schärfere Weise weiter; oder aber es ergibt sich eine große Koalition - was im Grunde dieselben politischen Wirkungen hätte.

Der Neuwahl-Coup Schröders ist alles andere als eine Kurzschlussreaktion. Die Position des Kanzlers in der eigenen Partei und in der Bundestagsfraktion wurde von Monat zu Monat, von Wahlniederlage zu Wahlniederlage schlechter. Bereits zweimal musste er drohen, die Vertrauensfrage zu stellen, um die SPD-Fraktion noch geschlossen hinter sich zu bekommen. Ohne dass es in der SPD einen wirklichen linken Flügel gäbe, neigen doch immer mehr SPD-Funktionäre und Abgeordnete dazu, der Schröder-Linie die Gefolgschaft zu verweigern, weil sie die SPD und damit auch ihre eigenen Wiederwahlchancen untergräbt.

Die SPD-Spitze steht vor einem so simplen wie gravierenden Problem: entweder wie bisher auf dem Agenda-Weg wietergehen und dabei die eigene Partei opfern oder aber die Partei retten und die Regierung aufgeben.

Dahinter steht eine strategische Frage. Die neoliberale Offensive kann auch Schwarz/Gelb weiterführen, wahrscheinlich besser, weil sie weniger Rücksicht auf die Gewerkschaften nehmen müssten. Doch die spezifische Rolle der SPD, in Kooperation mit der Gewerkschaftsbürokratie die Arbeiterklasse zu kontrollieren, sie zu beschwichtigen, sie zu betrügen, das kann eben nur die Sozialdemokratie für das Kapital auf direkten Weg erledigen. Insofern gibt es sehr wohl ein grundsätzliches Interesse daran, die SPD zu erhalten: nicht unbedingt an der Regierung - obwohl Schröder auch dort sehr viel für das Kapital geleistet hat und zu Beginn der Reformen zusammen mit der Gewerkschaftsspitze die Lohnabhängigen beruhigt, eingebunden und deren Kämpfe zuletzt offen verraten und ausverkauft hat - aber als Partei, als bürgerliche Agentur in der Arbeiterbewegung.

Die wachsenden Irritationen im Gewerkschaftsapparat, die Gründung der WASG, die spontan entstandenen Proteste der Montagsdemos waren und sind Alarmsignale dafür, dass die Arbeiterklasse oder wenigstens deren Vorhut nach einer Alternative zur SPD sucht und diese auch aufbaut.

Für die SPD selbst bedeutet die vorgezogene Wahl aber auch, dass die immer stärker schwelenden Debatten über die Linie der Partei beendet werden sollen zugunsten eines Lagerwahlkampfes "Rot-Schwarz". Es dauerte nach Münteferings Ankündigung nur Minuten, bis die ersten SPD-Promis genau das von ihrer Partei einklagten: jeder Richtungsstreit müsse nun zurückstehen zugunsten der Einheit.

Bei allem Gerede über "Lagerwahlkampf" – der eigentliche Zweck der Neuwahlen vom Standpunkt der SPD und der Grünen ist eine Art Referendum über die Agenda 2010 – die "Fortsetzung" des Generalangriffs.

Welche Perspektive für die Linke?

Es ist daher klar, dass in diesem Kontext eine Stimmabgabe für die SPD als vermeintlich "kleineres Übel" fehl am Platz ist.

Der Wahlkampf muss jedoch genutzt werden: als Bühne für den politischen Kampf gegen die bestehende und jede zukünftige Regierung, die – ausgestattet mit dem "Mandat" des Volkes – die laufenden Angriffe noch einmal verschärfen wird.

Im Kontext dieser Aufgabe muss auch die Frage der Wahltaktik und des Eingreifens in den Wahlkampf betrachtet werden.

Das Ergebnis der WASG und der PDS in NRW wie auch die letzten Monate – Montagsdemos, Opel – usw. zeigten das Potential und die Notwendigkeit einer neuen Arbeiterpartei, die die heterogene Bewegung gegen die Angriffe von Kapital und Kabinett vereint und eine politische, klassenkämpferische Alternative zu den Verrätern und Bremsern in den Gewerkschaften und den sozialen Bewegungen bietet.

WASG- und PDS-Führung sowie Lafontaine versuchen, diesem Bedürfnis Rechnung zu tragen – und ihm gleichzeitig die Spitze zu nehmen. Eine neue Partei soll von den Spitzen ins Leben gerufen, ihr Wahlprogramm zwischen Gysi, Bisky, Lafontaine, Trost und Ernst ausgemauschelt werden. Es ist klar, dass dabei nur ein weiterer reformistischer "Einheitsbrei" herauskommt – und keine Plattform der Mobilisierung und des Klassenkampfes. Sie wollen eine Partei formieren, die keine Basis und keiner Bewegung verantwortlich ist, sondern von der zukünftigen Spitze beliebig genutzt werden kann. So meinte Gregor Gysi, dass verhindert werden müsse, dass sich die Linkspartei mit "linken Dogmatikern" einlasse (Berliner Zeitung, 30.Mai). Solche Manöver können nur durchkreuzt werden, in dem der "Einheit" von oben, der Kampf für eine neue Arbeiterpartei, die Einheit von unten entgegengesetzt wird:

Es ist absolut richtig, eine Kandidatur gegen die SPD und die Grünen für die Bundestagswahlen durchzuführen. Es ist auch richtig, dass daraus eine neue Partei entstehen kann und soll.

Aber: nicht eine illustre Runde von ReformistInnen ist dazu notwendig, sondern eine offene Konferenz zur Schaffung einer neuen Arbeiterpartei, die zur Wahl antritt. Dazu fordern wird die WASG und PDS auf!

Zu einer solchen Konferenz sollen alle (sozialistischen und kommunistischen) Parteien und Strömungen eingeladen werden, die sich auf die Arbeiterbewegung berufen und die eine neue Partei aufbauen wollen und gegen Sozialkahlschlag, EU-Imperialismus und Rassismus antreten wollen. Zu einer solchen Konferenz sollen die Gewerkschaftslinke, oppositionelle Strömungen in den Betrieben, die Montagsdemo-Bündnisse, Sozialforen, anti-imperialistische und anti-Kriegsbündnisse, Immigrantenorganisationen usw. eingeladen werden.

Wir fordern die Gewerkschaften und die SPD-Linke auf, offen mit Schröder und der SPD-Spitze zu brechen und die Formierung einer solchen Partei zu unterstützen!

Auf einer solchen offenen Konferenz müssen nicht nur die wichtigsten Kampagnen und Forderungen diskutiert und geklärt werden. Alle Strömungen müssen das Recht haben, ihre eigenen politischen und programmatischen Forderungen einzubringen.

Es muss klar sein, dass es keine Unterstützung, Duldung oder gar Eintritt in eine zukünftige SPD-geführte Regierung oder Koalitionen mit bürgerlichen Parteien (wie in jede andere bürgerliche Regierung) geben darf; dass die PDS aufgefordert wird, ihre Regierungsbeteiligung in Berlin und Schwerin zu beenden.

Es geht darum, eine Partei, eine Kandidatur des Kampfes – nicht des Mitmachens in einer "anderen Regierung" - zu formieren. Als revolutionäre KommunistInnen treten wir dabei von Beginn an dafür ein, dass eine solche Partei nicht nur zur Organisierung des Abwehrkampfes gebildet wird, sondern zugleich ein Programm zur Bekämpfung der Wurzeln des Übels – zum Sturz des Kapitalismus und für die internationale Revolution – diskutiert und annimmt.

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