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"There is no power on earth that can stop the growth of marxist ideas"

Die Grant-Tradition und der Stalinismus

von Marcus Gassner und Fritz Haller

Seit 1989 die Berliner Mauer fiel und ein osteuropäisches Regime nach dem anderen kollabierte, befindet sich der Stalinismus in seiner Todeskrise. Die Machtübernahme Jelzins in Rußland und die Auflösung der Sowjetunion 1991 bekräftigten diese Tatsache genauso wie die seither immer beschleunigtere Restaurationspolitik in China, Kuba und Vietnam. Der Stalinismus als historisches Phänomen geht unausweichlich seiner endgültigen Zersetzung entgegen, auch wenn es nach wie vor einige stalinistische Staaten in Asien und zumindest zwei große stalinistische Parteien in Westeuropa gibt. In der internationalen Arbeiterbewegung hinterläßt der Stalinismus Demoralisierung, Desertion und eine noch nie dagewesene Verwirrung. Die Zersetzung des Alten erzeugt dabei natürlich auch verbesserte Chancen für etwas Neues. Doch jede neue revolutionäre Strömung in der Arbeiterklasse muß mit einem klaren Verständnis dessen beginnen, was der Stalinismus ist, was sein Ursprung und sein Wesen waren und welche Kampfformen notwendig sind, um seine Überreste zu besiegen und seine Wiederkehr in jeglicher Form zu verhindern.

Grant und Pablo

Die trotzkistische Tradition ist im Kampf gegen den Stalinismus entstanden. Einige der wichtigsten Werke Trotzkis beschäftigen sich mit der Analyse des Stalinismus und gerade, weil Stalin in den Werken Trotzkis die für ihn tödliche Gefahr der Wahrheit erkannte, ließ er nicht nur Trotzki selbst, sondern auch Tausende seiner Anhänger ermorden.

Die Analyse des Stalinismus war es aber auch, die die Trotzkisten in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg entzweite und zu zahlreichen Spaltungen führte. Michel Pablo, einer der einflußreichsten Führer der Vierten Internationale zwischen 1951 und 1963 revidierte Trotzkis These von der konterrevolutionären Natur des Stalinismus und erklärte stalinistische Parteien für fähig, proletarische Revolutionen zu führen. Er befürwortete eine strategische Anpassung an diese angeblich "unbewußt trotzkistischen" Stalinisten (z.B. Tito und Mao). Pablos pseudo-orthodoxe Gegner vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale, wie beispielsweise Gerry Healy, erwiesen sich als unfähig, dem Revisionismus eine marxistische Weiterentwicklung der Theorien Trotzkis entgegenzustellen. So blieben sie einerseits in dogmatischer Beschwörung der alten Formeln stecken, erwiesen sich aber andererseits in der Praxis als genauso anpassungssüchtig wie die "Pablisten".

Wir wollen uns im folgenden Artikel mit der Stalinismusanalyse einer weiteren Strömung, die sich auf das politische Erbe Trotzkis beruft, auseinandersetzen, nämlich mit der Ted-Grant-Tradition. Grant war der Begründer und jahrzehntelanger Führer der internationalen Militant-Tendenz (deren österreichische Sektion die SOV und deren deutsche Sektion die SAV ist). Diese Strömung spaltete sich vor einigen Jahren, Grant war in der Minderheit und begründete eine neue internationale Tendenz (Socialist Appeal, die österreichische und deutsche Sektion heißen gleichermaßen ‘Funke’).

Die Grant-Strömung war ebenso unfähig, die Entstehung der degenerierten Arbeiterstaaten in Osteuropa zu erklären, wie der Pabloismus oder der Healyismus. Natürlich kann man dies auf wenigen Seiten nicht voll umfänglich abhandeln. Es würde aber genügen, wenn es uns nachzuweisen gelänge, daß bereits die Methode, die Grant bei der Erklärung der Entstehung der stalinistischen Staaten anwandte, falsch war. Dieser Fehler zeitigte in den folgenden Jahrzehnten zunehmend schwerer analytische und in der Folge auch politische Fehler. Seit 1989/91 befinden wir uns in der Phase der kapitalistischen Restauration in Osteuropa und der Sowjetunion. Und Grant und seine Anhänger erweisen sich neuerlich als unfähig, die wesentlichen Wendepunkte dieser Entwicklung zu begreifen. Die methodischen Fehler, die Grant schon kurz nach 1945 einführte, erweisen sich nun als die Basis jener Probleme, die er bei der Analyse der Restauration hat. In seinem jüngsten Buch "Russia: from Revolution to Counterrevolution", das erst 1997 herauskam, wiederholen sich alle seine früheren Fehler noch einmal.

Versetzen wir uns also kurz 50 Jahre zurück, in die Zeit als unter dem Einfluß der Sowjetunion und der Roten Armee in Osteuropa in einer Reihe von Ländern der Kapitalismus gestürzt wurde.

Wie entstanden die degenerierten Arbeiterstaaten?

Ted Grant war ein Opfer der bürokratischen Degeneration der Vierten Internationale, die in den 50er und 60er Jahren zu einer Reihe von Spaltungen führte. Grant wurde Ende der 40er Jahre von Gerry Healy, dem damaligen Führer der britischen Sektion der Vierten Internationale, mit bürokratischen Mitteln aus der Organisation gedrängt. Er gründete daraufhin die "Revolutionary Socialist League" (RSL), die nicht Teil der Vierten Internationale war.

Als sich Healy jedoch 1953 von der internationalen Führung um Pablo abspaltete, hielt Grant die ganzen 50er Jahre hindurch eine unsichere Kooperation mit den Pablisten aufrecht. Erst 1964 (nach dem Sturz Pablos) brach Grant endgültig mit dem "Vereinigten Sekretariat der Vierten Internationale" (deren heutige Sektionen der RSB und die Inprekorr-Strömung in Deutschland bzw. die SOAL in Österreich sind). Die Ursache für diesen Bruch war die Order von Seiten der internationalen Führung, auch in Britannien eine politische Arbeit außerhalb und unabhängig von der Labour Party zu beginnen.

Es ist deshalb kein Zufall, daß die Politik Grants von Pablos versteinertem Zentrismus geprägt ist, auch wenn Grant der Methode Pablos eine eigene zentristische Note hinzugefügt hat. Die Kernelemente von Pablos Position gründeten sich auf ein falsches Verständnis der objektiven Situation nach dem Krieg: nämlich, daß der Dritte Weltkrieg bevorstehe, daß dieser eine "Krieg-Revolution" sein würde, in der die stalinistischen Bürokratien unvermeidlicherweise eine revolutionäre Rolle spielen würden. Daraus schloß Pablo, daß der unvermeidliche Sieg des stalinistischen Lagers die Menschheit zu "Jahrhunderten von deformierten Arbeiterstaaten" verdammen würde.

Grant stand dieser Perspektive von Anfang an kritisch gegenüber. Im Selbstverständnis der Grant-Tradition spielt die Analyse des Übergangs vom Kapitalismus zu "deformierten" Arbeiterstaaten eine zentrale Rolle. Anhänger von Militant behaupten bis heute, daß Grant von allen Nachkriegs-Trotzkisten der einzige war, der diesen Übergang marxistisch analysieren konnte. Grant:

"The change was accomplished with the aid and the participation of the working class. The demonstrations of armed workers on the streets convinced the capitalist elements of the uselessness of resistance. It was this threat of force which ensured the peaceful change". (1)

Nun ist es schon einmal von Interesse, daß Grant glaubte, man könne die kapitalistische Klasse von der Sinnlosigkeit einer Verteidigung ihres Eigentums überzeugen. Diese Illusion spielt bis heute auch in Grants Konzeption eines friedlichen Sturzes des Kapitalismus im Westen eine Rolle. Tatsächlich war die Bourgeoisie in Osteuropa keineswegs von der Zwecklosigkeit ihres Widerstands überzeugt, vielmehr verfügte sie 1948/49 über keinerlei relevante Machtmittel mehr.

Die Präsenz der roten Armee spielte in Grants ursprünglicher Analyse keine substantielle Rolle, obwohl gerade diese die Machtübernahme der osteuropäischen KPen erst ermöglichte. Dabei darf auch die Neuaufteilung der Welt in Jalta nicht vergessen werden. Der Imperialismus hatte sich vorübergehend damit abgefunden hat, daß in Osteuropa ein paar Länder an die Sowjetunion fielen. Dadurch konnten die Stalinisten den Staatsapparat praktisch unter ihre Kontrolle bringen. Dies wiederum war die Voraussetzung dafür, daß die Stalinisten die Bürgerlichen relativ leicht loswerden konnten. Die Rolle der Arbeiterklasse beim Sturz der Volksfront-Regierungen war relativ gering und qualitativ nicht entscheidend, da alle unabhängigen Strukturen und Ausdrucksformen der Arbeiterklasse von den Stalinisten in den Jahren davor bereits zerschlagen worden waren. Grant unterschätzt diesen Prozeß gewaltig, wenn er den Demonstrationen der Arbeiterklasse eine Hauptrolle beim Sturz des Kapitalismus zuschreibt.

Proletarischer Bonapartismus

Doch Grants Mißverständnis des Prozesses geht im April 1948 noch viel weiter. Für ihn kamen damals nicht nur die Stalinisten an die Macht (was ja nicht zu bestreiten ist), sondern damit war schon die Grundlage für einen degenerierten Arbeiterstaat gelegt. Der politische Umschlagpunkt lag und liegt für Grant darin, daß die Macht von den Stalinisten ergriffen und dadurch ein "proletarisch-bonapartistisches Regime" geschaffen wurde. Der proletarische Charakter des stalinistischen Bonapartismus ergäbe sich daraus, daß die Arbeiter erstens wesentlich zu seinem Triumph beigetragen hätten (siehe oben!), und zweitens, daß die neuen, rein stalinistischen Regierungen die Bourgeoisie enteigneten. Grant verweist darauf, daß 70% des Druckgewerbes, die gesamte chemische Industrie, die Kühlschrankfabriken und alle Bauunternehmen, die mehr als 50 Arbeiter beschäftigten, verstaatlicht wurden. Zusammengefaßt bedeutete dies für ihn: "The economic basis for a workers state has been achieved". (2) Die ökonomische Basis des Arbeiterstaats liegt ihm zufolge also in einem bestimmten Ausmaß an Verstaatlichungen, die von einem "proletarisch-bonapartistischen Regime" durchgeführt werden.

Daran ist zweierlei falsch. Erstens ist der Begriff des proletarischen Bonapartismus ein völlig irreführender. Für Trotzki war die stalinistische Bürokratie v.a. eine bürgerliche (imperialistische) Agentur auf dem Boden des Arbeiterstaats. Der Begriff des "stalinistischen" oder "Sowjet"-Bonapartismus wird von Trotzki eben nicht als "proletarischer" Bonapartismus, sondern als Charakterisierung des Regimes nach dem Vollzug des Therimodor, der politischen Konterrevolution in der UdSSR verwendet:

"2. Das gegenwärtige politische Regime der UdSSR ist das Regime eines ‘Sowjet’- (oder Antisowjet-)Bonapartismus, der seinem Typus nach dem Kaiserreich näher steht als dem Konsulat.

3. Den sozialen Grundlagen und wirtschaftlichen Entwicklungstendenzen nach bleibt die UdSSR weiterhin ein Arbeiterstaat.

4. Der Widerspruch zwischen dem politischen Regime des Bonapartismus und den Erfordernissen der sozialistischen Entwicklung ist die Hauptquelle für die bloße Existenz als Arbeiterstaat.

(...)

6. Die proletarische Diktatur bleibt auch in Zukunft die unerläßliche Bedingung für die sozialistische Entwicklung von Wirtschaft und Kultur in der UdSSR. Die bonapartische Entartung der Diktatur bedeutet daher eine unmittelbare Gefährdung aller sozialen Errungenschaften des Proletariats." (3)

Der Grund dafür liegt letztlich darin, daß die herrschende Bürokratie - so sehr sie erst auf Boden und über die Inbesitznahme der proletarischen Errungenschaften als herrschende Schicht an die Macht kam - keine prinzipielle Verbundenheit mit dem Erhalt der ökonomischen Grundlagen des Arbeiterstaates hat. Genau darum ist den Stalinisten auch möglich, die Grundlagen des Arbeiterstaates von innen her anzugreifen und eine offen restaurationistische Politik zu verfolgen.

Zweitens setzen auch weitreichende Verstaatlichungen noch nicht die kapitalistischen Bewegungsgesetze außer Kraft. Schon Engels hatte klar gemacht, daß verstaatlichtes Eigentum nicht seinen kapitalistischen Charakter verliert, solange es der Mehrwertproduktion dient. Der Übergang von einem kapitalistischen Staat mit einer bürokratischen Arbeiterregierung zu einem Arbeiterstaat besteht im Brechen des Wertgesetzes als dominierender Kraft in der Volkswirtschaft. Dies geschah etwa in der Tschechoslowakei nicht im Februar 1948, als die Stalinisten mit den bürgerlichen Partnern in der Regierung abrechneten, sondern erst mit der Einführung von 5-Jahresplänen, die die Ökonomie dirigierten.

Unsere Strömung drückte diesen Prozeß folgendermaßen aus:

"The qualitative transformation of these bureaucratised states into a bureaucratically degenerate form of the dictatorship of the proletariat takes place at the point when the regimes have expropriated the bourgeoisie economically and set out to subordinate and curtail the operation of the essential law of the capitalist economy, the law of value, and organises their nationalised economies on the basis of the planning principle, albeit in a bureaucratically deformed manner". (4)

Der Kulminationspunkt für die Transformation ist also weder die Verstaatlichung von einigen Betrieben noch die Machtübernahme der Stalinisten, sondern das Unterordnung und Außerkraftsetzung des Wertgesetzes als dominantem Wirtschaftsgesetz unter die zentrale Planung. Dies war in der Tschechoslowakei erst 1949 der Fall, als mit der Einführung des ersten 5-Jahresplanes die Quantität in eine neue Qualität umschlug.

Es ist nicht weiter verwunderlich, daß Ted Grant mit seiner Transformationsanalyse der osteuropäischen Staaten Schwierigkeiten bekommt, wenn er versucht, die Cliffsche Staatskapitalismustheorie zu kritisieren. Tony Cliff ist der geistige Führer der britischen SWP, die in den 70er und 80er Jahren die größte Konkurrenz für die Militant-Tendenz in Britannien war und heute unbestritten die größte zentristische Organisation in diesem Land ist.

Die Ökonomie der stalinistischen Staaten und die Grantsche Theorie

Cliffs Grundverständnis der Sowjetunion und osteuropäischen Staaten läuft schlußendlich auf die These hinaus: In Rußland existiert das Wertgesetz, folglich haben wir es auch mit einem Kapitalismus zu tun. Wohl nicht mit einem westeuropäisch-privatkapitalistischen, aber mit einem staatskapitalistischen.

Wir haben gesehen, daß Grant die Unterdrückung und Kontrolle des Wertgesetzes in seiner Analyse nicht berücksichtigt hatte. Das war kein Zufall. Tatsächlich geht Grant, genauso wie Cliff, davon aus, daß das Wertgesetz in der Sowjetunion nicht nur existierte, sondern - in modifizierter Form - die Ökonomie praktisch dirigierte. "The difference is that whereas in capitalist society it manifests itself blindly by the laws of the markets, in Russia conscious activity plays an important role" (5). Weiter vorne im Text war Grant noch deutlicher geworden als er schrieb: "The law of value is not abolished, but modified". (6)

Hier zeigt sich das gesamte Ausmaß der Schwäche der Grantschen Analyse, nämlich darin, daß Grant mit Cliff einen Schritt mitgeht und dann abrupt kehrt macht und sich wieder an Trotzkis Definition erinnert. Trotzki hatte die Staatskapitalismustheorie in Bezug auf die Sowjetunion explizit abgelehnt. Grant will mit Trotzki nicht brechen, er ist aber unfähig, die trotzkistische Theorie ökonomisch zu untermauern und im Kontext der politischen Ereignisse nach 1945 weiter zu entwickeln

Das Wertgesetz in der Sowjetunion

Das Wertgesetz kann nicht aufhören zu wirken, solange nicht die Warenproduktion aufhört zu existieren. Die Warenproduktion reflektiert den Mangel in der Gesellschaft und wird daher erst mit diesem verschwinden. Dies wiederum bedeutet, daß das Wertgesetz in dem einen oder anderen Bereich wirksam bleiben muß, solange kein Überfluß an Gütern und Dienstleistungen für alle Gesellschaftsmitglieder erreicht wird. Soweit ist alles klar.

Doch dies bedeutet nicht, daß das Wertgesetz nicht einer bewußten Planung untergeordnet werden könnte. Natürlich kann auch diese Planung die ökonomischen Grenzen, die durch den verbliebenen Mangel gegeben sind, nicht willkürlich außer Kraft setzen. Aber sie kann anders mit diesem Mangel umgehen, als dies das spontane Wertgesetz tun würde. Das Wertgesetz ist in einem Arbeiterstaat nicht verschwunden. Es ist nicht völlig außer Kraft gesetzt, aber zurückgedrängt. V.a., es ist nicht das bestimmende, dominante Gesetz.

Wenn man nun aber vom theoretischen Ansatz zum praktischen vordringt, so wird man sehen, daß die Aufgaben der Sowjetökonomie in den 1920er Jahren jene waren, ein rückständiges, von der Agrarproduktion beherrschtes Land zu industrialisieren. Diese politische Aufgabe, die sich der junge Arbeiterstaat stellte, stand jedoch in krassem Widerspruch zu den Tendenzen des Wertgesetzes.

In seiner Analyse der Sowjetwirtschaft sah der Ökonom der russischen Linksopposition, Eugen Preobraschenski, das grundlegende Problem der Übergangsgesellschaft in der Koexistenz von Spontaneität und Planungsprinzip. Genauer gesagt in der Auseinandersetzung zwischen zurückgedrängtem Wertgesetz und dem "Gesetz der sozialistischen Akkumulation".

Der Kampf dieser beiden Gesetze widerspiegelt auf ökonomischer Ebene die Konfrontation zwischen altem, kapitalistischem, rückwärtsgewandtem und dem zukunftsweisendem, sozialistischen Aspekt.

In den kapitalistischen Ländern bestimmt das Wertgesetz die Produktion durch die Profitrate. Das heißt das Kapital fließt von einem Sektor in einen anderen, weil die Profitrate in dem zweiten Sektor über dem Durchschnitt liegt. Damit steigt die Produktion in diesem Sektor, wodurch die Profitrate wieder langsam auf den Durchschnitt und schließlich sogar darunter absinkt. Dadurch wird wieder ein neuer Kapitalfluß in Gang gesetzt, der die Profitraten ausgleichen soll.

Wenn nun aber die Produktionsmittel verstaatlicht sind und einem Plan unterworfen werden, es keinen privaten Kapitalmarkt gibt, so ist klar, daß das Wertgesetz nicht der Regulator der Produktion ist.

Wenn in der unterentwickelten Sowjetunion wirklich das Wertgesetz die Produktion/Investition gesteuert hätte, so hätten die Investitionen in jenen Bereich fließen müssen, in welchem der höchste Profit auf dem Weltmarkt erzielt hätte werden können. Dies wäre in einem rückständigen Land wie Rußland der Agrarsektor gewesen.

Es gab jedoch die politische Entscheidung, daß man die Produktivkräfte schnell weiterentwickeln wollte und eine Industrialisierung forcierte. Diese Entscheidung wurde vom Außenhandelsmonopol flankiert, wodurch man das Eindringen des Wertgesetzes vom Weltmarkt her weitgehend reduzieren konnte.

In der Sowjetunion wurden die Grundgüter, zu denen 1600 Produkte zählten, nicht an Betriebe oder Betriebsgruppen verkauft, sondern wurden direkt mittels des Planes durch den Ministerrat an die Betriebe verteilt. Auch das Geld hatte in der Sowjetunion einen anderen Charakter als im Kapitalismus. Es konnte nicht mehr automatisch in Kapital umgewandelt werden, da der Kauf von Arbeitskraft als mehrwertschaffender Ware untersagt war. Zusätzlich war der Kauf von Produktionsmitteln untersagt (ausgenommen waren einfache Werkzeuge). Dadurch wurde der kapitalistische Zirkulationsprozeß durchbrochen, in dem das Geld die Ausgangs- und die Endform des Kapitals bildet.

Zusammenfassend stellen wir also fest, daß Grant der Auffassung ist, daß das Wertgesetz in der einen oder anderen Form sowohl im Kapitalismus als auch im degenerierten Arbeiterstaat herrscht. Aus diesem Grund muß der Unterschied dieser Staaten hauptsächlich im Überbau liegen. Der Ausdruck "proletarischer Bonapartismus" bringt genau dies zum Ausdruck. Das "proletarische" des Arbeiterstaates ist nicht in den Gesetzen der Ökonomie zu suchen, sondern in der spezifischen Form des Bonapartismus.

Wohin führt uns das alles?

Wenn man nun, wie Grant, den qualitativen Unterschied zwischen degenerierten Arbeiterstaaten und kapitalistischen Staaten hauptsächlich an Überbau-Phänomenen und Herrschaftsformen festmacht, so entstehen fast inflationär neue "proletarische Bonapartismen" in der Nachkriegsweltordnung. Verschiedene halbkoloniale Regimes sahen sich zu bestimmten Zeiten dazu genötigt, sich in der Auseinandersetzung mit dem Imperialismus auf die "brüderliche Hilfe" der Sowjetunion zu stützen. Dies war in der Regel mit Enteignungen von in- und ausländischen Kapitalisten verbunden. Dies zusammen reichte für Grant in der Regel bereits, einen neuen Arbeiterstaat aus der Taufe zu heben. Für eine stalinophile Tendenz, die auch noch reichlich mit einem Hyperoptimismus ausgestattet ist, ergaben sich dann folgende Aussagen zu diesen Regimen:

"While not closing our eyes to the new contradictions this will involve, on the basis of a transitional economy of a workers state, without workers democracy, Marxists, in a sober fashion, will support the emergence of such a state and the further weakening not only of imperialism and capitalism but also of regimes basing themselves on the remnants of feudalism in the most backward countries". (7)

In der kleinen Welt von Militant kam es zu einem geradezu inflationären Entstehen von neuen degenerierten Arbeiterstaaten. Etwa geht die Grant Strömung bis heute davon aus, daß nicht nur Syrien, sondern auch Burma, Angola, Mozambique, Benin und Äthiopien zu degenerierten Arbeiterstaaten wurden. Im folgenden wollen wir exemplarisch den Fall Syrien untersuchen.

Warum ist Syrien kein degenerierter Arbeiterstaat?

Am 8.3.1963 putschte eine Gruppe jüngerer Offiziere, die sich politisch am ägyptischen Präsidenten Nasser orientierten und Mitglieder der Arabisch-Sozialistischen Ba'ath-Partei waren. In der Folge setzte sich die Ba'ath Fraktion bis Mitte 1963 durch, was weitere Putschversuche jedoch nicht vereitelte. Der ökonomische Kurs, den die neue Elite verfolgte, bestand darin, die wirtschaftliche Basis der alten Eliten zu brechen und die soziale Basis des neuen Regimes, die kleinen Bauern und teilweise die städtischen Arbeiter durch soziale Reformen bei der Stange zu halten. In der Folge wurden diese Schichten verstärkt bei der Besetzung der Staatsverwaltung berücksichtigt und es fand eine Ausweitung der Landreform von 1958 statt. In den Jahren 1964 und 1965, in denen es eine Reihe von gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen dem Regime und konservativen Kräften gab, wurden 120 Industrie- und Handelsunternehmen verstaatlicht, um der konservativen Opposition eine weitere Einflußzone zu nehmen und um eine materielle Basis für die Modernisierung zu haben.

Nach anhaltenden Richtungskonflikten übernahm Hafiz al-Asad 1970 die Macht, nachdem er sich gegen einen radikaleren Flügel durchsetzen konnte.

"Seine Machtübernahme brachte eine innenpolitische Öffnung in Richtung auf die Unternehmerschaft und konservative Schichten, eine gewisse wirtschaftliche Liberalisierung und außen- und regionalpolitisch eine Öffnung auf den Westen und die pro-westlichen arabischen Staaten". (8)

Aber auch in Syrien selbst korrigierte Asad die Politik der Putschisten von 1966, die eine stärkere politische, ökonomische und militärische Zusammenarbeit mit den osteuropäischen Staaten wollten.

"The corrective movement of 1970 tempered the ideological fervour of the 1960s and introduced a sense of pragmatism. The nationalisation drive stopped and the private sector was put at relative ease. (...) In the second half of the 1970s, a significant opening into private sector was made with the introduction of a mixed sector concept in tourism, which was extended nine years later to include agriculture. The mixed sector concept was a form of a business partnership between the private and the public sectors whereby the private sector dominated both (owning up to 75 per cent of shares) and management". (9)

In der Folge wurden auf ökonomischer Ebene 5-Jahrespläne erstellt, die bis 1985 erhalten blieben. In der Praxis hatten diese Pläne jedoch eine sehr geringe Bedeutung. Mit arabischen Hilfszahlungen und ausländischen Krediten vom Staat wurde ein Wachstums- und Investitionsprogramm initiiert, welches die Grundstoff- und Konsumgüterindustrie beinhaltete. Das private Kapital "sollte sich auf die leichtindustrielle Produktion, Handel und Dienstleistungen konzentrieren". (10) Der Grund, warum diese Anlagen vom Staat errichtet und geführt wurden, liegt an der einfachen Tatsache, daß sie für die kleine und kapitalschwache syrische Bourgeoisie zu groß und zu kapitalintensiv waren.

Ähnlich wie im Nachkriegsösterreich, in welchem die großen Betriebe von der sozialdemokratisch-konservativ-stalinistischen Regierung verstaatlicht wurden, sollten auch die syrischen Staatsbetriebe der Kapitalakkumulation der nationalen Bourgeoisie dienen. Somit ist es nicht verwunderlich, daß mit Ausnahme des Ölsektors der staatliche Industriesektor nur sehr wenig zum Export beiträgt, sondern vielmehr der privaten Industrie und dem Handwerk als Lieferant billiger Produkte diente. Was hieraus schließlich resultierte, war ein defizitärer Staatssektor und ein sehr profitabler Privatsektor. Letzterer, der sich hauptsächlich auf die Endfertigung von Produkten des gehobenen Bedarfs konzentrierte, war häufig exportfähig.

Nachdem die syrische Wirtschaft in den 80er Jahren in eine tiefe Krise geschlittert war, die auch bei der Bevölkerung zu merklichen Einbußen beim Konsum führte (das BSP/pro Kopf sank von 1790 US Dollar 1982 auf 880 US Dollar 1989), stellte sich die Frage, wie Asad und das herrschende Regime die Ökonomie "reformieren" wollten. Eine umfassende Privatisierung erschien hier als der eher unwahrscheinliche Weg, von dem sogar bürgerliche Wirtschaftskommentatoren abrieten, da das ausländische Kapital kein Interesse an den Staatsbetrieben hatte. Vielmehr schielt das imperialistische Kapital auf die exportorientierten Unternehmen. Und das inländische Kapital hat bis heute nicht die notwendige Finanzkraft, um die bisherigen Staatsbetriebe zu übernehmen.

Was sich hieraus für Grant und seine Tendenz ergeben wird, ist das Dilemma, daß man einen Umschlagpunkt finden muß, um die Restauration in Syrien zu definieren. Und eben dies wird sich als ein Ding der Unmöglichkeit erweisen, weil es eben nichts zu restaurieren gab und gibt, wenn ein Regime und dessen Wirtschaft in den letzten Jahrzehnten kapitalistisch war.

Nicht zufällig hat also der Zusammenbruch des Stalinismus in Osteuropa einige brennende Fragen auf die Tagesordnung der "Socialist Appeal-Tendency" geworfen. Wenn man konsequenter Grantite ist, so wird man auch in der Restaurationsfrage auf Überbauphänomene fokussieren. Es verwundert sodann nicht, daß etwa die italienische Grant-Gruppe (Falce Martello) die Restauration in Rußland im wesentlichen an den verschiedenen Coups 1991 und 1993 festzumachen versucht. In beiden Fällen ging jeweils der pro-imperialistische Jelzin als Sieger hervor, doch erst der zweite Sieg war entscheidend. Die Phase dazwischen wird als "Übergangsphase" und "Doppelmachtsituation" bezeichnet.

Im Spagat zwischen Hyperoptimismus, eigener Methode und Realität

Grant und Woods erklären die Restauration in Osteuropa in noch keinem einzigen Land für abgeschlossen. Daß sie zu dieser Schlußfolgerung kommen, ist nicht weiter verwunderlich, auch wenn sie dabei mit ihrer Methode bis zu einem gewissen Grad brechen müssen. Diese Sichtweise ergibt sich aus dem Hyperoptimismus, an welchem es bei Militant/Socialist Appeal nie mangelte und der keine wesentlichen Rückschläge für die Arbeiterklasse kennt. Vielmehr klammert man sich an die Formel: "that there is no power on earth that can stop the growth of Marxist ideas".

Wenn es also schon nicht verwundert, daß Grant die Restauration als noch nicht abgeschlossen sieht, so ist es zumindest von Interesse, wie diese Revision der eigenen Methode argumentiert wird.

Auch wenn die Überbauphänomene immer noch ausschlaggebend für die Definition der Restaurationsstufe sind, im wesentlichen wird die Restauration des Staates diskutiert und nicht die der Ökonomie, so basiert nun doch ein Teil der Argumentation auf den ökonomischen Unzulänglichkeiten Rußlands und anderer osteuropäischen Staaten. Ein restaurierter russischer Kapitalismus ist für Woods ein stabiler Kapitalismus. Die "Überbau"-Methode bleibt jedoch dort erhalten, wo argumentiert wird, daß der Kapitalismus erst als restauriert gelten könnte, wenn keine stalinistischen Fraktionen mehr vorhanden wären, die wieder zu einer Zentralisierung der Wirtschaft tendieren können. Vielmehr müßte ein "bürgerlicher Bonapartismus" herrschen, d.h. ein Bonapartismus, der direkt an die dominanten Fraktionen des nationalen Großkapitals gebunden ist. Das Bild, welches gezeichnet wird, schaut in etwa so aus: "the process (der Restauration - unsere Anmerkung) can be reversed". Mit anderen Worten: Die alte stalinistische Bürokratie "can go back to the old system", welches dann zur Definition Rußlands als "a hybrid formation, with elements of a bourgeois state grafted onto the old bureaucratic apparatus" führt.

Rußland ist also ein Übergangsstaat mit einer bürgerlichen Regierung, in welchem es einen militärischen Flügel der Bürokratie gibt, was zu einer Rezentralisierung der Ökonomie führen könnte. Als besondere Blüte kann die Popularisierung dieser Position durch Woods betrachtet werden, der meinte, der stalinistische Staatsapparat in Rußland sei immer noch "largely intact".

Aus viel Verwirrung entsteht auch nichts als Verwirrung

In seinem kürzlich erschienenen 580 Seiten starken Werk "Russia - from Revolution to Counterrevolution" versucht Ted Grant nun auch der breiteren Öffentlichkeit die Analysen zur Restauration in Osteuropa zu präsentieren. Jene Kapitel, die allgemeine trotzkistische Thesen und Positionen zum Stalinismus präsentieren, seien in diesem Zusammenhang einmal beiseite gelassen, um den Rahmen des Artikels nicht zu sprengen.

Interessanter für dieses Thema sind jene Passagen, die sich mit der kapitalistischen Restauration befassen und die Position zur Staatsfrage präsentieren. Begonnen wird damit, daß festgestellt wird:

"It is possible to have a workers state with 100 per cent private ownership of means of production, and also to have a bourgeois state with 100 per cent state ownership. The former was the case with the Paris Commune (...) Even in the first phase of the Russian Revolution, the Bolshewiks did not proceed immediately to nationalise industry". (11)

Die offensichtliche Suggestion dieser Aussage ist die folgende: sowohl Marx als auch Lenin definierten die Diktatur des Proletariats, d.h. den Arbeiterstaat, rein politisch. Natürlich betreibt dieser Arbeiterstaat - soferne er überleben will und kann - eine bestimmte Wirtschaftspolitik, in deren Zuge wesentliche Teile der Produktion unter staatliche Kontrolle kommen. Aber der qualitative Umschlagspunkt definiert sich danach, welche Klasse die Staatsmaschinerie beherrscht. Bereits diese Analyse ist jedoch falsch. Die Schlußfolgerungen, die daraus abgeleitet werden, multiplizieren diesen Fehler allerdings noch.

Die Diktatur des Proletariats, der Arbeiterstaat, ist eine dialektische Einheit aus einem bestimmten Typus von Staatsapparat und einer bestimmten wirtschaftlichen Struktur. In seiner Totalität umfaßt der Arbeiterstaat beides, den kommuneartigen Halbstaat (wie Lenin den proletarischen Staatstypus nannte) und eine geplante Wirtschaft, die in beständiger Auseinandersetzung mit dem Wertgesetz steht. Die Pariser Kommune realisierte nur den politischen Aspekt, da sie für die Transformation der Ökonomie kein Programm und auch keine Zeit hatte. Sie repräsentierte die Diktatur des Proletariats, aber nur die erste Hälfte, nur ihre politische Ausprägung. Das gleiche gilt für die ersten Monate des sowjetischen Arbeiterstaates bis Mitte 1918. Die bürgerliche Konterrevolution, die im Falle der Pariser Kommune erfolgreich war und im sowjetischen Falle scheiterte, mußte unter diesen Umständen nur eine politische Konterrevolution sein. Die Produktionsverhältnisse waren noch nicht umgewälzt worden, daher war eine soziale Konterrevolution bis zu diesem Zeitpunkt nicht notwendig.

Während des Kriegskommunismus (1918-1920) wurde die Bourgeoisie im wesentlichen enteignet und damit in ökonomischer Hinsicht entmachtet. In den 20er Jahren wurde die sowjetische Industrie zunehmend zentralisiert und geplant. Ab 1929 gab es den ersten 5-Jahresplan. Spätestens jetzt mußte eine bürgerliche Konterrevolution eine soziale Konterrevolution sein, d.h. sie mußte das Planungsprinzip ausrotten und das Wertgesetz wieder zum Wirken bringen. Die Machtergreifung Stalins bedeutete nur eine politische Konterrevolution. Diese war spätestens zum Zeitpunkt der Schauprozesse abgeschlossen. Stalin konnte zwar die letzten Reste des proletarischen "kommuneartigen" Halbstaates zerschlagen, er wollte aber nicht aber die sozialen Grundlagen des Arbeiterstaates zerstören.

Nun stand die Sache gewissermaßen genau umgekehrt wie in den ersten Monaten nach der Revolution. Nun war zwar die Ökonomie nicht-kapitalistisch und im Prinzip geplant (wenn auch der Plan in der Parxis horrende bürokratische Verzerrungen aufwies). Aber der Staat hatte wieder eine bürgerliche Form bekommen. Der stalinistische Staatsapparat ist einer des bürgerlichen Typus. Die Diktatur des Proletariats war nun auf ihren ökonomischen Aspekt reduziert. Die Ausdehnung des stalinistischen Machtbereiches nach dem Zweiten Weltkrieg auf Osteuropa und weite Teile Asiens bedeutete nur die Ausdehnung dieses ökonomischen Aspektes der Diktatur des Proletariats. Natürlich, solange die Stalinisten die bürokratische Planwirtschaft verteidigten, wurde der unversöhnliche Klassenwiderspruch zwischen Ökonomie und Staatsapparat nicht gänzlich offensichtlich. Erst der Übergang der stalinistischen Kaste ins Lager der kapitalistischen (sozialen) Konterrevolution zeigte mit einem Schlag, daß der bestehende Staatsapparat für die Aufgaben der Konterrevolution durchaus geeignet war. Er mußte natürlich gesäubert und reformiert werden, aber dies waren sekundäre Modifikationen. In seinem prinzipiellen Typus bleibt der Staatsapparat im Prozeß der Restauration unverändert.

Nun zum Kern der Aussage von Grant: Er betrachtet den Prozeß der kapitalistischen Restauration in Rußland, aber auch in ganz Osteuropa, als nicht abgeschlossen. Er schreibt: "It is true, ultimately, the question of property relations must be decisive in determining the class nature of a state. However, as we have seen, the correlation is not always an automatic one". (12) Und da die Korrelation eben keine automatische sei (siehe Pariser Kommune!), sei es auch jetzt in Rußland so, daß nicht die ökonomischen Entwicklungen entscheidend seien, sondern die Kräfteverhältnisse in der Bürokratie.

Natürlich findet zwar auch Grant heraus, daß die Privatisierung in Rußland bisher nicht durchschlagend erfolgreich dabei war, ein kapitalistisches Verhalten von Betrieben und Managern durchzusetzen. Diese Einwände sind für uns zentrale Argumentationen für die Einschätzung, daß der Kapitalismus in Rußland noch nicht wiedereingeführt ist. Diese Einwände treffen jedoch auf einige osteuropäische Länder, wie Ungarn oder Polen, nicht mehr zu.

Doch Grant argumentiert überhaupt anders.

"Through all the shifts and turns of the past six years, the old state apparatus has remained basically intact. Such changes as were made were largely of a cosmetic character. (...) The KGB has been renamed the Inter-Republican Security Service (...). The old network remains intact, and continues to function at all levels (...). The same old Stalinist apparatus remains in place, in the shape of the bureaucracy of the state, the army caste; the police, and the KGB". (13)

Da haben wir also nun alle "Beweise" gegen die Restauration versammelt. Die hassenswertesten Erscheinungen der stalinistischen Diktatur, die ja gerade den Widerspruch des bürokratischen Apparates zu den proletarischen Errungenschaften in der Ökonomie verkörperten, werden uns nun als "Belege" für den erhaltenen Arbeiterstaat serviert.

Grant geht sogar noch weiter und schätzt auch die Möglichkeit eines baldigen Sieges der kapitalistischen Restauration als sehr gering, wenn nicht überhaupt als ausgeschlossen ein. Dies begründet er damit, daß ein normaler Kapitalismus in Rußland einen Wirtschaftsaufschwung auf Weltebene à la 1948-74 benötigen würde, die Arbeiterklasse müßte passiv bleiben und Rußland müßte eine Arbeitslosigkeit von 25 Millionen tolerieren, ohne daß es zu sozialen Explosionen kommt. Und einen anderen als diesen "normalen" Kapitalismus zieht Grant für Rußland nicht in Betracht.

Sehen wir einmal davon ab, daß die Vorstellung eines "normalen" Kapitalismus für einen Marxisten schon schwierig ist, weil man ja nicht von vorn herein weiß, was dabei die Meßlatte sein soll. Sieht Grant Afrika, Lateinamerika oder Mitteleuropa als normale Kapitalismen an? Ist ein normaler Kapitalismus imperialistisch oder kolonial? Ist es einer mit Hungersnot oder einer ohne solche? - Wir sehen schon, daß es offensichtlich mehrere Möglichkeiten eines Kapitalismus am Ende des 20. Jahrhunderts gibt.

Aber hinter seiner Skepsis bezüglich der Möglichkeiten der Restauration in Rußland versteckt sich bei Grant sein alter und unkritischer Hyperoptimismus. Diesen hat er auch in seinen alten Tagen nicht eingebüßt. Er liefert uns sogar ein aktuelles Beispiel in Form seiner jüngsten Einschätzung der russischen Arbeiterklasse.

"In Eastern Europe the Stalinist regime lasted just over 40 years. In Russia, the memory of the Revolution and its achievements is twice as long, more than enough time for it to sink deep roots in the collective consciousness. For all these reasons the bourgeoisie regards the CPRF as a different sort of animal to the parties in Eastern Europe". (14)

Auch hier sehen wir wieder, daß Grant ohne Probleme darüber hinwegsehen kann, daß gerade die tapferen russischen Arbeiter Jelzin und seine Restaurationisten den Kapitalismus einführen lassen. Dies offensichtlich nicht deswegen weil sie ein sehr hohes kollektives Bewußtsein haben, sondern weil das Bewußtsein sehr niedrig ist. Die KPRF ist zusätzlich zu ihrem reformistischen Programm auch noch chauvinistisch und antisemitisch. Tatsächlich ist sie ein anderer Fall als die früheren KPen Osteuropas. Aber man kann sie doch kaum als positives Beispiel den westlicheren Ex-Stalinisten gegenüberstellen. Der Stalinismus hat in Rußland sehr tiefe Spuren hinterlassen und er hat fast jede Erinnerung an den Oktober 1917 zerstört. Aber wie gesagt: für eingeschworene Grant-Anhänger sind solche Vorgänge reine Nebensache.

Im Gegensatz zur Konfusion à la Grant gründet sich ein marxistisches Verständnis des Restaurationsprozesses hauptsächlich auf eine Analyse der ökonomischen Veränderungen. Der qualitative Umschlagpunkt besteht in folgendem grundlegenden Vorgang: damit der Prozeß der Mehrwertaneignung und der Kapitalakkumulation tatsächlich die gesamte Wirtschaft dominieren kann, ist es notwendig, daß der Staat sich von der politischen Kontrolle über die Finanzsphäre losreißt und sich dadurch über die verschiedenen Fraktionen der Kapitalistenklasse erhebt. Er muß "ideeller Gesamtkapitalist" werden, damit die Einzelkapitale in eine reale Konkurrenz zueinander treten können. (15) In der Folge wird der Staat ein Kapitalist unter vielen. Er muß dieselben Gesetze zur Regelung des Wettbewerbs auf sich selbst und auf alle wetteifernden Kapitalisten anwenden. Der restaurierte Kapitalismus besitzt auch ein leistungsfähiges Konkurssystem, das das Wertgesetz mit aller Brutalität gegen Einzelkapitalisten (und natürlich die Arbeiter) durchsetzt. Dieses Stadium des vollständig restaurierten Kapitalismus sieht man derzeit in Polen und Ungarn.

China - ein neues Problem für Grant/Woods

Ein weiteres theoretisches Problem für Grant und Woods ist der Restaurationsprozeß in China. Auch hier lagen die "Großen Marxisten" mit ihrer Perspektive falsch: "Given the enormous intensification of contradictions at all levels of Chinese society, the death of Deng will immediately sharpen the conflicts between the different wings of the bureaucracy". (16) Aber in seinem grenzenlosen Optimismus geht Woods noch viel weiter und sieht nicht nur die politische Revolution auf der Tagesordnung, sondern auch die Möglichkeit, daß:

"Theoretically, it is not excluded that the Chinese workers could come to power under these circumstances, even before a mass revolutionary party was formed. Such a development would transform the entire world situation placing socialist revolution on the order of the day internationally". (17)

Dies ist pablistischer Objektivismus in Reinkultur.

Gleichzeitig gesteht Woods der chinesischen Bürokratie eine Lernfähigkeit zu, was dann folgendermaßen aussieht: "The Bureaucracy will not agree to democratisation, because they understand - especially after the experience of Eastern Europe - that any move to loose the bonds of authoritarianism will lead to an explosion". (18)

Dies trifft wohl zu, heißt aber noch nicht, daß die chinesische Bürokratie nicht weiter auf dem Weg der Restauration fortschreiten wird. Zhu Rongji meinte in einem Interview einmal, daß sie (die chinesische Bürokratie) sicher nicht den Weg einer schnellen Privatisierung gehen werde. Dies deswegen, weil es billiger komme, die defizitären Staatsbetriebe durchzufüttern als ein riesiges Arbeitslosenheer zu produzieren. Gleichzeitig werden aber all jene Bereiche in den Sonderwirtschaftszonen einer kapitalistischen Produktion angepaßt und privatisiert, die auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig sind. Dies führte in China dazu, daß Chinas Staatsquote heute niedriger ist als in vielen entwickelten Industrienationen. Gleichzeitig gab es eine Anpassung der Preisstruktur an die wirklichen Kosten- und Marktverhältnisse, und das Außenhandelsmonopol wurde bzgl. dem Export enorm gelockert. (Eine Lockerung des Monopols im Bereich der Importe steht wegen den Verhandlungen zu einem GATT-Beitritt Chinas nun auch schon auf der Tagesordnung.)

Einen neuen verstärkenden Schub wird die Restauration in China unweigerlich auch durch die Angliederung Hongkongs erhalten. In einer gemeinsamen Sino-Britischen Erklärung aus dem Jahr 1984, die von der Thatcher Regierung unterzeichnet wurde, garantiert Peking die Aufrechterhaltung des Kapitalismus in Hongkong für mindestens 50 Jahre. Dies bedeutet nichts anderes, als daß die Hongkonger Bourgeoisie auf die Südchinesischen Sonderwirtschaftszonen strömen und der dort entstandenen Bourgeoisie zahlenmäßig und kapitalkräftig zur Seite stehen wird.

Was wir also in China sehen, ist eine völlig andere Entwicklung als die in der Sowjetunion der 80er und 90er Jahre. Wir haben es hier mit einer Bürokratie zu tun, die im Begriff ist, sich von einer sozialen Kaste zu einer Klasse zu entwickeln. Daß dies natürlich nicht reibungslos vonstatten gehen wird, ist eine Selbstverständlichkeit, da es einerseits nicht die Möglichkeit geben wird, daß alle chinesischen Bürokraten einer neuen Kapitalistenklasse angehören können, und zweitens die sozialen Gegensätze enorm zugespitzt werden.

Gerade eines hat man als marxistischer Beobachter bei den osteuropäischen Vorgängen in den letzten Jahren jedoch sehen müssen. Die Tatsache, daß nicht die gesamte Bürokratie zu einer neuen Kapitalistenklasse avancieren kann, heißt noch lange nicht, daß sich bei den Verlierern in der Bürokratie massiver Widerstand regt. Gerade auf diesen Gedanken baut aber die Grant-Tendenz auf und wenn denn nicht die Bürokratie die Restauration verhindert, so tun dies die Arbeiter und Bauern möglicherweise auch noch ohne eine revolutionäre Partei.

Die Wahrheit über Grant und Woods ist, daß sie Perspektiven durch einen triumphalistischen Optimismus ersetzt haben und immer und überall das unausweichliche Wachsen der Marxisten und der Weltrevolution sahen. Jetzt, nach dem Zusammenbruch des Stalinismus müssen sie für die theoretischen "Sünden" der Vergangenheit die Zeche zahlen, und die ist nicht gering.

Anmerkungen:

(1) The Unbroken Thread, S.192

(2) The Unbroken Thread, S.195

(3) Trotzki, Arbeiterstaat, Thermidor, Bonapartismus, in Trotzki, Schriften 1.2., S. 608

(4) Workers Power/Irish Workers Group: The Degenerated Revolution, S.46

(5) The Unbroken Thread, S.207

(6) The Unbroken Thread, S.209

(7) The Unbroken Thread, S.370

(8) Handbuch der Dritten Welt, S.494

(9) Contemporary Syria, S. 26

(10) Handbuch der Dritten Welt, S.496

(11) Russia: From Revolution to Counterrevolution, S.452.

(12) Russia: From Revolution to Counterrevolution, S.460.

(13) Russia: From Revolution to Counterrevolution, S.490.

(14) Russia: From Revolution to Counterrevolution, S.468.

(15) World Revolution, S.24

(16) Where is China going?, S.29

(17) Where is China going?, S.29

(18) Where is China going?, S.23