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Kampagne gegen die “Tarifrechtsreform” der Bundesregierung

Ein Angriff auf das Streikrecht

Peter Lenz, Neue Internationale 187, März 2014

Um den Koalitions- und Tarifpluralismus in geordnete Bahnen zu lenken, wollen wir den Grundsatz der Tarifeinheit nach dem betriebsbezogenen Mehrheitsprinzip unter Einbindung der Spitzenorganisationen der Arbeitnehmer und Arbeitgeber gesetzlich festschreiben.“ So postuliert der Koalitionsvertrag vom 27.11.13 ein wichtiges Ziel der Großen Koalition.

Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) hat nun angekündigt, bis Ostern einen Gesetzentwurf zur Tarifeinheit einzubringen. Dabei soll diese Regelung mit der des Mindestlohns, die Ausdehnung des „Arbeitnehmerentsendegesetzes“ für tariflich vereinbarte Mindestlöhne auf alle Branchen und die „Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen“ in ein Paket gepackt.

Nahles hat vor, dieses Bündel bis zur Sommerpause 2014 durch den Gesetzgebungsprozess zu peitschen. Warum diese Eile in einer Sache, die von GegnerInnen wie BefürworterInnen problematisch gesehen wird, u.a. weil es starke verfassungsrechtliche Bedenken gegen dieses Vorhaben gibt, da es in das Grundrecht der Koalitionsfreiheit eingreift? Nahles ist klar, dass es der Gewerkschaftsbasis früher oder später klar wird, welches Päckchen sie da zum Schaden der Arbeiterbewegung schnürt. Sollte die Regelung von Nahles und Co. durchkommen, wäre das eine reale Beschneidung des Streikrechts.

Gewerkschaftsspitzen sehen zu

Die Gewerkschaftsführungen tun so, als wären sie nicht in den aktuellen Gesetzgebungsprozess eingebunden. Es ist leider so, dass dem Gros der Mitglieder der DGB-Gewerkschaften die Konsequenzen dieser Vorgänge noch nicht bewusst ist. Kein Wunder, denn der Terminus „Tarifeinheit“ ist eine bewusste Irreführung, denn tatsächlich geht es nicht um irgendeine tarifliche Einheit, sondern darum, die Verhandlungs- und Streikmöglichkeiten bestimmter Gewerkschaften, v.a. kleinerer Spartengewerkschaften wie etwa der Lokführergewerkschaft GdL, die in den letzten Jahren militante und erfolgreiche Streiks geführt hat, zu beschneiden. Natürlich sagt man das nicht so offen, weil sonst jede(r) GewerkschafterIn sofort merken würde, wo der Hase im Pfeffer liegt, sondern tarnt den Angriff mit dem gut klingenden Slogan der „Tarifeinheit“. Praktisch bedeutet das, dass in bestimmten Branchen nur eine Gewerkschaft tarif- und streikberechtigt wäre - natürlich die jeweils größere wie etwa die IG Metall, die IG BCE oder ver.di, deren Führungen recht zuverlässig jeden Kampf der Beschäftigten verhindern oder ausbremsen. Bei ihnen ist es kaum zu erwarten, dass sie in militanter Weise über die „tarifpartnerschaftlichen“ Stränge  schlagen. Wie die Streiks von Cockpit oder der GdL gezeigt haben, kann das bei den kleineren Gewerkschaften bzw. berufsständischen Vereinigungen schon Mal anders aussehen - einerseits, weil sie in strategisch wichtigen Bereichen agieren und in diesen viel Druck aufbauen können; anderseits, weil sie sich mit mehr Engagement das Vertrauen und die Mitgliedschaft direkter verdienen müssen als die großen Massengewerkschaften.

In puncto „Tarifeinheit“ sind die Führungen der DGB-Gewerkschaften andererseits ja selbst  Experten der Flexibilisierung der Tariflandschaft. Unübersichtlichkeit und Zerklüftung von Tarifen sind geradezu zu einer Existenzbedingung für die bürokratischen Gewerkschaftsapparate geworden, die vorgeben, sich in diesem Wirrwarr von Verträgen auszukennen und daher als Vermittler zwischen Lohnabhängigen und Kapital unverzichtbar zu sein.

Trotzki

Das hat Trotzki schon 1940 analysiert, als er schrieb:

„Der Monopolkapitalismus fußt nicht auf Privatinitiative und freier Konkurrenz, sondern auf zentralisiertem Kommando. Die kapitalistischen Cliquen an der Spitze mächtiger Trusts, Syndikate, Bankkonsortien usw. sehen das Wirtschaftsleben von ganz denselben Höhen wie die Staatsgewalt und benötigen bei jedem Schritt deren Mitarbeit. Ihrerseits finden sich die Gewerkschaften in den wichtigsten Zweigen der Industrie der Möglichkeit beraubt, die Konkurrenz zwischen den verschiedenen Unternehmen auszunützen. Sie haben einem zentralisierten, eng mit der Staatsgewalt verbundenen kapitalistischen Widersacher zu begegnen. Für die Gewerkschaften - soweit sie auf reformistischem Boden bleiben, das heißt soweit sie sich dem Privateigentum anpassen - entspringt hieraus die Notwendigkeit, sich auch dem kapitalistischen Staate anzupassen und die Zusammenarbeit mit ihm zu erstreben.

Die Gewerkschaftsbürokratie sieht ihre Hauptaufgabe darin, den Staat aus der Umklammerung des Kapitalismus zu ‚befreien', seine Abhängigkeit von den Trusts zu mildern und ihn auf ihre Seite zu ziehen. Diese Einstellung entspricht vollkommen der sozialen Lage der Arbeiteraristokratie und Arbeiterbürokratie, die beide um einen Abfallbrocken aus den Überprofiten des imperialistischen Kapitalismus kämpfen. Die Gewerkschaftsbürokraten leisten in Wort und Tat ihr Bestes, um dem „demokratischen“ Staat zu beweisen, wie verlässlich und unentbehrlich sie im Frieden und besonders im Kriege sind.“ (Trotzki, Die Gewerkschaften in der Epoche des imperialistischen Niedergangs)

In den DGB-Gewerkschaften gibt es keine Beschlusslage für „Tarifeinheit“. In der GEW kommt mit der Gesetzesvorlage zur Tarifeinheit Existenzangst auf, stehen doch in vielen Bereichen wie Kitas GEW und ver.di in Konkurrenz. In ver.di wiederum gibt es Bereiche wie die JournalistInnen (DJU), wo ver.di gegenüber anderen Verbänden in eine Minderheit geraten kann. Es steht auch die Möglichkeit im Raum, dass sich die GdL auf den gesamten Nah- und Fernverkehrsbereich ausweitet. Da könnte die große Verkehrsgewerkschaft EVG in vielen Bereichen in Turbulenzen geraten. Daher gibt es z.B. in ver.di Bedenken gegen die „Tarifeinheit“, weil dadurch Konflikte entstehen könnten, die man nicht gebrauchen kann und die zudem weitergehende politische Diskussionen auslösen könnten, die den Spitzen unangenehm sind.

Die Bedenken der Einzelgewerkschaften gegen die „Tarifeinheit“ sind also durchaus real, weil die bürokratisch festgelegten Einflusssphären der Einzelgewerkschaften tw. obsolet würden. Das würde allerdings auch die Frage provozieren, wie vernünftig die jetzige Strukturierung der Gewerkschaften überhaupt ist, inwieweit sie sinnvoll den Strukturen von Branchen und den Bedürfnissen des gemeinsamen Kampfes entsprechen. Eine Diskussion dieser Fragen und womöglich eine Neustrukturierung der Gewerkschaften würde aber auch die Frage aufwerfen, welche Politik, welches Programm ihnen zugrunde soll. Das oblag bisher aber immer der Deutungshoheit des Apparats, der sich nur sehr ungern von der Basis drein reden lassen wollte. Gerade das wäre aber nötig!

Ein Argument des DGB für die „Tarifeinheit“ besteht darin, dass bestimmte Gewerkschaften, die nicht im DGB sind, als reine „Standesorganisationen“ gesehen werden, die quasi eine Streikbrecher-Rolle spielen würden. Doch die Frage ist diffiziler.

Bei aller Kritik am „Marburger Bund“ (MB) z.B. ist es doch auch so, dass die Situation vieler lohnabhängiger ÄrztInnen in Krankenhäusern längst nicht mehr nur privilegiert, sondern auch  zunehmend prekär ist. Anstatt dem MB also nur den Schwarzen Peter zuzuschieben, um damit eine fragwürdige „Tarifeinheit“ zu begründen, wäre es also nötig, eine spezifische Taktik anzuwenden, die einerseits den, bornierten Standescharakter des MB angreift, andererseits aber auch versucht, eine gemeinsame Kampffront mit allen Beschäftigten des Gesundheitswesens zu schaffen.

Anders sieht es aber z.B. bei der AUB bei Siemens u.a. Metallbetrieben aus. Sie ist eine „Gelbe Gewerkschaft“, die bekämpft werden muss, weil sie eine reine Streikbrecherfunktion hat und zur Schwächung der IG Metall dient.

Das Streikrecht zu verteidigen ist nur möglich, wenn dieses Recht praktisch erkämpft wird

Deshalb sollten wir alle kämpferischen Aktionen von GdL, Fluglotsen, Piloten, Ärzten usw. unterstützen, insbesondere auch deren Streikaktionen.

Nur hier sehen wir auch die Möglichkeit, neben der notwendigen Agitation und Propaganda gegen die „Tarifeinheit“ auch realen Widerstand zu formieren. Gelegenheiten dazu bringen die absehbaren Streiks der Piloten oder die schwelenden Konflikte bei den Fluglotsen auf europäischer Ebene.

Ein Standardargument von Gewerkschaftsfunktionären ist, dass sich bestimmte Berufsgruppen ein größeres Stück vom Kuchen abschneiden wollen. Dazu heißt es in einem Beschluss der Münchner GEW: „Auch wir sind der Meinung, dass es besser wäre es, wenn die Mitglieder dieser Berufsgewerkschaften mit allen Beschäftigten der Branche gemeinsam kämpfen würden. Gewerkschaftliche Gegenmacht benötigt Breite und Geschlossenheit, d.h. auch den Einsatz der Starken für die Schwachen. Falsch ist jedoch die Argumentation, dass die Spartengewerkschaften ´Sondervorteile auf Kosten ihrer Kollegen' herausholen wollten; keiner Beschäftigtengruppe wird etwas weggenommen, wenn der Streik Erfolg hat. Im Gegenteil wird dadurch doch der Druck auf die Unternehmer erhöht. Bei einer kämpferischen Politik könnten die DGB-Gewerkschaften diese Gruppen zurückholen, denn es handelt sich ja bei ihnen nicht um einen Unter-, sondern um einen Überbietungswettbewerb. Sie mithilfe der Gerichte und der Regierung zu bekämpfen, heißt, sich ins eigene Fleisch zu schneiden. Ein so massiver Angriff auf das Streikrecht wird allen Gewerkschaften nur schaden. Er führt nicht zu mehr Solidarität, sondern verschlechtert die Kampfbedingungen. Wir brauchen natürlich mehr Geschlossenheit, aber sie lässt sich nicht durch Zwang herstellen, sondern nur auf der Basis von eigener Kampfentschlossenheit. „Wenn Beschäftigte streiken - egal welcher Organisation sie angehören - verdient das zunächst einmal Unterstützung. Streikenden fällt man nicht in den Rücken.“ (Detlef Hensche in jW, 22.11.07)

Aufbau von Widerstand

Was sind die nächsten Schritte im Kampf gegen den Schwindel der „Tarifeinheit“ und den damit verbundenen Angriff auf das Streikrecht?

Am 26.1.2013 haben sich in Kassel AktivistInnen versammelt, um über die Gegenwehr gegen diese „Tarifeinheit“ zu beraten. Sie starteten die Kampagne „Hände weg vom Streikrecht“.

Diese Kampagne muss nun gestärkt und voran getrieben werden. Dazu ist es u.a. nötig, dass in den gewerkschaftlichen Gliederungen eine breite Debatte angeregt wird, um den wahren Charakter der „Tarifeinheit“ zu entlarven und Widerstand dagegen zu entwickeln. Diese Maßnahmen müssten in einer bundesweiten Konferenz münden, die eine klares politisches Zeichen gegen das Projekt von Nahles und Co. setzt. Doch ein Zeichen allein könnte sich als unzureichend erweisen, um die Attacke auf das Streikrecht zurück zu schlagen. Daher müssen auch Demonstrationen und Warnstreiks organisiert werden, um die SPD und die Spitzen des DGB zu einer Kursänderung zu bewegen. Sollte all das nicht ausreichen, sind politische Massen bzw. ein Generalstreik nötig - allein schon deshalb, weil eine erfolgreiche Einführung der „Tarifeinheit“ den Klassengegner zu weiteren Angriffen in diese Richtung ermuntern würde.

Um eine solche Dynamik zu erzielen, muss auch die enge Kooperation mit jenen Branchengewerkschaften gesucht werden, die selbst auch dagegen sind -  natürlich, ohne die Kritik an bestimmten ihrer Positionen aufzugeben.

Apropos größeres Stück Kuchen: Vielleicht sollten wir wieder einmal über die Übernahme der ganzen Bäckerei reden?!

 

Das nächste Treffen der Initiative „Hände weg vom Streikrecht“ findet am 16.3.14, 10 Uhr in Kassel statt. Infos unter:

https://www.facebook.com/HaendeWegvomStreikrecht?fref=ts
http://streikrecht-verteidigen.org/

 

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Nr. 187, März 14
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