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Wahlen in Indien

Neue Mehrheit, alte Politik

Infomail 170, 2. Juni 2004

Die regierende nationalistische Hindu-Partei Bharatiy Janata (BJP) verlor überraschend die Wahlen. Nur weniger Tage später zog die Vorsitzende der siegreichen Kongresspartei, Sonia Gandhi, ihre Kandidatur für das Amt der Premierminsterin zurück. Das war die Folge einer chauvinistischen und anti-demokratischen Kampagne der BJB gegen sie, bei der sie v.a. wegen ihrer italienischen Herkunft attackiert wurde.

Gleichwohl verspricht die Politik der Kongresspartei wenig anders zu werden als die ihrer Vorgängerregierung. Daran ändern auch die beschönigenden Worte des neuen Premierministers Manmohan Singh, der den "Krieg gegen die Armut" zum obersten Regierungsziel erklärt hat und "ein menschliches Element" in die neo-liberalen Wirtschaftsreformen einbringen will.

Er hat auch in Aussicht gestellt, dass die weitere Privatisierung der indischen Öl- und Gasgesellschaft sowie des Gasversorgers GAIL vorerst gestoppt werden soll. Die Privatisierung verlustbringender Unternehmen soll künftig "Fall für Fall" entschieden werden. Außerdem versprach Singh, dass die neue Regierung die Banken in Staatshand behalten wolle und die Ausgaben für Bildung auf 6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erhöhen möchte.

Liberalisierung

Die ohnedies nicht sonderlich spektakulären Versprechen hören wir wohl - allein Singhs politische Taten sprechen eine andere Sprache. Als Gouverneur hatte er eine Reihe von Sanierungsabkommen mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Asian Development Bank (Asiatische Entwicklungsbank) abgeschlossen. Als Finanzminister hatte er 1991 das größte neoliberale Deregulierungsprogramm in der Geschichte Indiens auf den Weg gebracht. Die seit 1996 regierende BJP hat dieses Programm fortgesetzt.

Diesen Kurs weiterzuführen war auch ein zentrales Moment der Kampagne gegen Sonia Gandhi. Nach dem Sieg der Kongress-Partei kam es nämlich zu einem dramatischen Einbruch der Börse von Mumbai. Innerhalb kurzer Zeit verlor sie 11% (rund 35 Mrd. Euro).

Als Singhs Kandidatur zum Premierminister bekannt wurde, erholten sich die Kurse fast so rasch wie sie gefallen waren - acht Prozent an einem Tag, der zweitgrößte Tageszuwachs in der Geschichte der Börse von Mumbai. Die Kapitalisten hatten, was sie wollten.

Singh gilt den meisten Wirtschaftsbossen Indiens als der Garant neoliberaler Reformen und weiterer Privatisierung. Nun tritt er an die Stelle der "unzuverlässigeren" oder jedenfalls weniger bekannten Gandhi. Aber auch die von der BJP geführte "National Demokratische Allianz" unter dem ehemaligen Premier Vajpayee war aus Sicht der herrschenden Klasse und des Auslandskapitals nicht die "Idealbesetzung". Ihr Reformtempo galt als "zu langsam".

Die indische Bourgeoisie erhofft sich von einer Regierung Singh vor allem weitere neoliberale Angriffe und Maßnahmen, die ausländische Investitionen anziehen und der indischen Wirtschaft Wachstumsraten ähnlich denen Chinas bescheren sollen (und damit auch die Möglichkeit zur Kapitalakkumulation für die indische Bourgeoisie).

Ländliche Armut

Die Kongresspartei hat aber nicht aufgrund des Programms und der kapitalkonformen Politik Singhs gewonnen. Im Gegenteil: ihren überraschenden Wahlsieg hat sie der großteils verarmten Landbevölkerung zu verdanken - rund 670 Mill. Menschen oder zwei Drittel der Bevölkerung.

Die Wahlkampagne der BJP war ganz auf die städtische Bevölkerung, die noch eher vom Neoliberalismus und Wirtschaftsboom der letzten Jahre profitiert hatte, zugeschnitten. Die Wahllosung "India Shining" (Leuchtendes Indien) musste der Landarmut wie blanker Hohn erscheinen.

Die ländlichen Lebensbedingungen hatten sich in den letzten Jahren aufgrund langer Trockenperioden vor dem letzten Monsun verschlechtert. Die Infrastruktur - Straßen, Elektrizität und Wasserversorgung - wurden in den letzten Jahren kaum erneuert. Schlechte Ernten und niedrige Preise für Lebensmittel haben viele Bauern in den Ruin oder an den Rand des Ruins getrieben, was sich nicht zuletzt in einer hohen Selbstmordrate unter überschuldeten Bauern zeigt.

Die Desillusionierung der Landbevölkerung äußerte sich auch in der geringen Wahlbeteiligung von nur 55 Prozent. Der Hindu-Chauvinismus der BJP führte außerdem dazu, dass eine großer Teil der Moslems die Kongresspartei wählte.

Der "Sieg" der Kongresspartei darf auf keinen Fall als große Zustimmung durch die ArbeiterInnen und Bauern verstanden werden. Schließlich erhielten die Wahlsieger landesweit auch nur 27 Prozent der gültigen Stimmen. Auch das vom Kongress geführte Wahlbündnis "Vereinigte Fortschrittliche Wahlallianz" erhielt nur 36 Prozent - den selben Prozentsatz wie die BJP-geführte "Nationale demokratische Allianz". Aufgrund des Wahlsystems hat die Kongress-geführte Wahlallianz jedoch 220 Sitze im Parlament, während die nationale demokratische Allianz auf nur 185 kommt.

Die KPI(M)

Um regieren zu können, ist die Wahlallianz der Kongresspartei auf weitere parlamentarische Unterstützung angewiesen, insbesondere auf die Linksfront, die 59 Sitze erhielt und ihr bestes Resultat erreichte. Die Hauptkraft dieses Bündnisses ist die KPI (M) "Kommunistische Partei Indiens (Marxisten)", die über 43 Sitze verfügt.

Die KPI(M) hat es zwar abgelehnt, der Regierung beizutreten, will sie aber "von außen" unterstützen oder dulden. Damit mag die KPI(M) zwar vermeiden können, durch die schlimmsten neoliberalen Angriffen diskreditiert zu werden oder sogar das eine oder andere Privatisierungsprojekt verlangsamen zu können - eine grundsätzliche Korrektur der bürgerlichen Politik der Kongresspartei ist von ihr nicht zu erwarten.

Die KPI (M) mag zwar einen verheißungsvollen Namen haben. Entscheidend für die Beurteilung ihrer Politik sind freilich ihrer Taten. Die KPI (M) selbst regiert seit 1977 in Westbengalen. Dort wurden 15 große Staatsbetriebe verkauft. Die IT-Branche wird von der Regionalregierung als "strategisch" betrachtet, was darauf hinausläuft, dass die KPI (M) ein Streikverbot für diese Industrie erließ.

Die KPI (M) teilt zwar nicht das rabiate neoliberale Programm von Singh und seiner Regierung. Aber es ist leicht möglich, dass sie sich die Zustimmung zu solchen Maßnahmen im Gegenzug für Investitionen abkaufen lässt, die in ihre Stammgebiete gehen.

Kurz: weder von der Regierung noch von ihren parlamentarischen "Unterstützern" können die Arbeiter- und Bauernmassen viel erwarten.

Säkularismus

Viele InderInnen haben bei diesen Wahlen die BJP nicht nur wegen ihrer Wirtschaftspolitik nicht gewählt, sondern auch wegen ihrer chauvinistischen Politik gegenüber der muslimischen Bevölkerung. Manchen wird noch das Massaker an 2000 Moslems in Gujart, einem von der BJP kontrollierten Bundesstaat, im Jahr 2002 in Erinnerung sein. Gegen den damaligen Gouverneur, Narendi Modi wurden keinerlei Schritte unternommen, obwohl er nichts zur Verhinderung des Massenmordes getan hatte.

Das führt auch dazu, dass vieler InderInnen noch heute die Kongresspartei als einen Garanten des Säkularismus betrachten, die Hindus, Moslems und Sikhs zusammenführen will oder zumindest deren aller Überleben sichert - auch wenn diese Hoffnung durch die Politik der Kongresspartei an der Macht keineswegs bestätigt wird. So hatte Indira Gandhi vor 20 Jahren Truppen nach Punjab beordert, die die heiligste Stätte der Sikh, den Golden Tempel von Amritsar plünderten und einen Sikh-Aufstand für ein unabhängiges Khalistan blutig niederschlugen. Auch im Kashmir haben alle Kongress-Regierungen immer wieder die Forderung nach Selbstbestimmung ignoriert. Statt dessen wurde und wird dafür ein Krieg mit Pakistan geführt und der indisch kontrollierte Teil des Kashmir wurde zu einem Polizeistaat.

Selbst in diesen Wahlen hat die Kongresspartei wenig Alternativen zum Hindu-Fundamentalismus der BJP geboten. In Gujarat fühlte sich die Parteiführung so sicher, dass die sie Stimmen der Moslems erhalten würde, dass sie kaum muslimische Kandidaten aufstellte. Zurecht wurde die Kongresspartei als "Ersatzmannschaft der BJP" kritisiert.

Utopismus

Um die Behauptung der Kongresspartei, dass sie die Interessen von Millionen von Armen vertreten würde, steht es nicht viel besser. 320 Millionen leben heute unter der Armutsgrenze.

In Wirklichkeit hat die Kongresspartei immer nur für die Kapitalisten des Landes und für den Imperialismus regiert. Aber selbst ihr ursprüngliches Ziel, Indien zu einer Weltmacht zu machen, ist schon lange gescheitert und zwar vor allem aus zwei Gründen:

Erstens war die indische Bourgeoisie aufgrund des Erbes der britischen Kolonialherrschaft immer relativ klein und daher auch ökonomisch unterentwickelt. Das hat das Wachstums des indischen Kapitalismus selbst behindert und erklärt zum Teil auch, warum der indische Kapitalismus bis heute eng mit dem Geschick einiger weniger Familien - insbesondere auch der Nehru-Gandhis - verbunden ist.

Zweitens erwiesen sich die Mittel zur Überwindung der Rückständigkeit als vollkommen ungeeignet, um die wirtschaftliche Unterordnung des Landes unter den Imperialismus zu brechen. Die Kongresspartei hatte nach der Unabhängigkeit bis in die 70er Jahre versucht, dieses Ziel durch Investitionsprogramme und die Verstaatlichung industrieller Schlüsselsektoren zu erreichen und so die Grundlage für eine "nationale" Kapitalakkumulation zu schaffen.

Wie in anderen halbkolonialen Ländern, die einen solchen Weg beschritten hatten, wurde diese Strategie in den 80er Jahren aufgrund enormer Verschuldung und steigender Investitionskosten aufgegeben. Unter Indira Gandhi hielten Deregulierung und die weitere Öffnung der Wirtschaft für den Weltmarkt und ausländische Investoren Einzug. Alle folgenden Regierungen von Kongress oder BJP haben diesen Weg fortgesetzt.

Revolutionäre Alternative

Diese Strategie geht notwendigerweise mit massiven Angriffen auf die indischen ArbeiterInnen und Bauern einher. Ein Blick auf das Nachbarland und erklärte Vorbild China verdeutlicht das. Die massive Steigerung der Ausbeutungsrate und die staatliche Sicherung dieser Ausbeutung ist eine notwendige Voraussetzung für die Anziehung riesiger ausländischer Investitionen und hohe Wachstumsraten.

Die einzig realistische Alternative für die Massen besteht im Kampf gegen diese Angriffe; im Kampf nicht nur gegen den Neoliberalismus, sondern gegen Kapitalismus und imperialistische Abhängigkeit - im Kampf für den revolutionären Sturz des Systems.

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