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Berliner Sozialbündnis

Die Angst der Linken vor der Demokratie

Infomail 160, 19. März 2004

Im Zuge der Vorbereitungen der Mobilisierungen für die europäischen Aktionstage gegen den Sozialkahlschlag am 2. und 3. April durchzieht mittlerweile eine großartige Aufbruchsstimmung das Land. Als ob sich ein lange verschlossenes Tor endlich öffnet und die Massen durchströmen können, um ihren Anliegen endlich Ausdruck zu verleihen.

In Berlin, wo für den 3. April die größten Demonstrationen erwartet werden, arbeitet dazu der DGB mit dem Berliner Bündnis gegen Sozial- und Bildungsraub (kurz: Sozialbündnis) zusammen. Dieses Sozialbündnis entstand ursprünglich aus der Mobilisierung zum 1. November 2003 und der Kooperation mit den streikenden Studierenden. Es umfasst Organisationen wie Attac, Linksruck, ISL, SAV, Arbeitermacht, ALB, RSB, DKP, Anti-Hartz-Bündnis, Friko, VertreterInnen aus verschiedenen Gewerkschaftsgliederungen und Studierenden, Initiativen von Erwerbslosen und anderen Zusammenhängen, die sich mehr oder weniger regelmäßig beteiligen.

Das hier gezeigte Engagement ist erfrischend und entfaltet immer wieder eine mitreißende Wirkung. Neben den zu erwartenden inhaltlichen Differenzen bestehen hier jedoch auch grundlegende Schwierigkeiten in den Formen der Entscheidungsprozesse.

Beispiel Berliner Sozialbündnis

Diese Schwierigkeiten zeigten sich beispielsweise beim letzten Plenum des Sozialbündnisses am 14. März besonders deutlich. Nachdem der DGB klargestellt hatte, dass er für die MLPD keinen Infostand bei der Abschlusskundgebung am 3. April zur Verfügung stellen möchte, ergab sich die Frage, wie sich das Sozialbündnis dazu verhalten solle. Dass die MLPD durch ihre echt-stalinistische Doktrin, ihre bürokratischen Manöver und ihr unseriöses Verhalten in früheren Kooperationen auf keine Sympathie stößt, ist klar. Es sollte allerdings auch selbstverständlich sein, jedem Versuch einer Einschränkung der demokratischen Rechte innerhalb der Arbeiterbewegung und der Linken entschieden entgegenzutreten - auch wenn es um die MLPD geht und die Ablehnung vom DGB kommt.

Immerhin gab es Diskriminierungen und Unterdrückungen von linken AktivistInnen nicht nur durch staatliche Mittel, sondern auch in den gewerkschaftlichen Reihen. Wer hier nicht grundsätzlich für demokratische Rechte eintritt, gibt die Möglichkeit der Ausgrenzung wieder in die Hände der gewerkschaftlichen Bürokratie, die auf eine traurige Geschichte in ihrem Verhältnis zu linken Oppositionellen verweisen kann, die sich nicht den Ansprüchen der sozialdemokratischen Hegemonie beugen wollten. Letztlich stimmten lediglich Arbeitermacht und die SAV für die Unterstützung der MLPD in dieser Frage. Das sollte als Alarmzeichen verstanden werden.

Im Rahmen der Diskussion zu dieser Frage war auch zu erfahren, dass ein Vertreter des Bündnisses der MLPD das Angebot machte, weitere gegenseitige öffentliche Kritik einzustellen - was auch eine Einschränkung der eigenen Meinungsfreiheit darstellt.

Anstelle eines prinzipiellen Eintretens für demokratische Rechte wurde hier also einerseits die DGB-Einschränkung akzeptiert und andererseits eine politische Selbstbeschränkung angeboten. Die MLPD kümmert sich darum freilich nicht und fährt munter fort, das Sozialbündnis als ein vom DGB gekauftes Gremium zu diffamieren.

Das Verhältnis zur MLPD war bereits zuvor problematisch. Als klar wurde, dass diese Organisation, die monatelang eine eigene und von ihr kontrollierbare Struktur einer Kooperation vorzog; die sich weigerte, die ausstehenden finanziellen Beiträge zu begleichen und eher als Gegenkraft gegenüber dem Sozialbündnis auftrat, zur Aktionskonferenz am 6. März erschien, war der erste Reflex in der Koordinierungsgruppe des Sozialplenums, in dieser Konferenz keine Abstimmungen durchzuführen. Nachdem allerdings das Sozialbündnis für das Einzugsgebiet außerhalb bis dahin über keine Legitimation für seine Verhandlungen mit dem DGB verfügte und die VertreterInnen von außerhalb einbezogen werden mussten, wurde diese Idee wieder verworfen. Von den etwa 100 TeilnehmerInnen stellte die MLPD dann auch nur etwa ein Drittel, wodurch keine Übernahme möglich war.

Lediglich bei der Wahl der RednerInnen für den 3. April behielt sich das Sozialbündnis vor, eine/n RednerIn selber zu bestimmen und nicht von der Konferenz wählen zu lassen. Ohne entsprechende vorherige Absprache wurde hier zwar bereits der Name Peter Grottian erwähnt, aber eine Abstimmung dazu sollte im Sozialbündnis erfolgen. Im entsprechenden Plenum des Sozialbündnisses wurde dann allerdings Grottian als bereits von der Konferenz gewählter Redner präsentiert. Dieses Vorgehen ist nicht nur deshalb skandalös, weil Grottian durch seine früheren Initiativen zum 1. Mai in Berlin auf begründete und vehemente Ablehnung innerhalb der Linken stieß und er aktuell wieder für Empörung durch seinen Aufruf für Lohnkürzungen sorgt, sondern weil hier auch versucht wurde, eine demokratische Entscheidungsfindung zu umgehen.

Der Vorschlag Grottians zu Lohnkürzungen, d.h. seine Idee, 0,5% des Finanzvolumens der Tarifangebote "in neue Arbeitsplätze umzuwandeln", führt uns zum nächsten Problem. Diese Idee wurde nämlich in der Mobilisierungszeitung des Sozialbündnisses publiziert. Soweit zu den Artikeln dieser Zeitung eine Diskussion im Plenum stattfand, bezog sie sich auf die Titel und nach Fertigstellung auf die Verteilung. Die inhaltliche Gestaltung oblag einer Arbeitsgruppe.

Ein ähnliches Schicksal weisen auch andere Publikationen des Bündnisses auf. Beispielsweise die 'Forderungen und Alternativen des Sozialbündnisses zum Berliner Doppelhaushalt' sind tatsächlich Forderungen einer Arbeitsgruppe. Noch bevor hierzu etwas abgestimmt und beschlossen werden konnte, waren die Forderungen bereits in Druck. Oder auch der Aufruf zum internationalen Aktionstag am 20. März entstand aus einer Gruppierung, die sich im Nachhinein als Arbeitsgruppe des Bündnisses darstellen wollte. Zu beeinflussen war auch hier nichts, weil mit der Vorlage bereits eine Unterschriftensammlung begonnen hatte.

Ein solches Prozedere zieht freilich viele an, die keiner politischen Organisation angehören oder zumindest ein umfassenderes Sprachrohr suchen, eine Arbeitsgruppe zu ihrem bevorzugten Thema gründen und dann im Plenum eine Verteilung und Finanzierung einfordern. Um jedenfalls politische Organisationen nicht zu einflussreich werden zu lassen, wurde im Konfliktfall schon mal mit der Idee gespielt, ihnen nur eine Stimme zuzugestehen.

Zumindest zeigte sich in den vergangenen Wochen auch eine schüchterne Tendenz zur Entscheidungsfindung mittels Mehrheitsverhältnissen in Abstimmungen. Ursprünglich schien das Konsensprinzip ein unbestreitbares Entscheidungsprinzip zu sein; maximal ein Meinungsbild schien möglich. Damit wäre eine dauerhafte Blockade bei allen wichtigen Entscheidungen vorprogrammiert gewesen. Nur bei unwichtigen Fragen hätte sich keine kritische Minderheit ergeben. Bei wesentlichen Fragen führt es zwangsläufig dazu, dass bei einem offenen Plenum eine mehr oder weniger zufällige Minderheit eine Festlegung verhindert oder nur der kleinste gemeinsame Nenner festgelegt werden kann - oder die wichtigen inhaltlichen Festlegungen außerhalb fallen, z.B. in Arbeitsgruppen. Das Konsensprinzip bedient jedenfalls entweder konsequent die politische Belanglosigkeit oder es findet als notwendige Ergänzung eine Auslagerung bedeutender Festlegungen.

Fazit

Diese Entwicklungen im Berliner Sozialbündnis sind nicht ungewöhnlich. Die neue soziale Bewegung hat angesichts ihrer schlechten Erfahrungen mit verschiedenen linken Organisationen Gründe, hier Vorbehalte zu haben und nach Organisationsformen zu suchen, die diese Erfahrungen nicht wiederholen. Was sich allerdings am Beispiel des Berliner Sozialforums zeigt, sind neue Probleme, die sich im Bemühen der Vermeidung alter Probleme ergeben können.

Hätte das Sozialbündnis das Konsensprinzip für alle seine Publikationen und Tätigkeiten konsequent durchgeführt, müsste es sich heute fragen, ob die soziale Bewegung wegen oder trotz ihrer Bemühungen in Gang kommt. Entsprechend der jüngeren Erfahrungen verlagert sich die Fragestellung zunächst auf die Arbeitsgruppen, ob sie die Wünsche der von den sozialen Kürzungen Betroffenen artikulieren. Freilich hoffen sie es, aber ob ihre inhaltliche Festlegung qualitativ so viel besser ist als all das, was bisher dazu bereits publiziert wurde, ist zweifelhaft. Was aber viel wichtiger ist: die wenigen publizierten Forderungen dekorieren bislang lediglich einige Mobilisierungen, wirken darüber hinaus aber nicht organisierend.

Ob es politische Unerfahrenheit ist oder bewusstes Kalkül: die systematische Ausklammerung der Organisationsfrage verweigert den Massen dort eine Antwort, wo sie am dringendsten benötigt wird. Wenn sie täglich die soziale Nötigung erfahren, müssen sie das nicht noch einmal schriftlich bestätigt kriegen und wenn sie dagegen etwas machen wollen, dann genügt dazu keine bloße Beteiligung an einer Demonstration. Sie brauchen nicht nur geeignete Losungen - sie benötigen kampffähige Strukturen, um ihre Forderungen auch durchsetzen zu können. Dazu ist eine Verankerung in den Stadtteilen, den Betrieben, Projekten und Bildungseinrichtungen nötig. Hier müssten aus Versammlungen Delegierte gewählt werden, die zusammenkommen, inhaltliche Festlegungen vornehmen und die nächsten Schritte beschließen.

Ein Sozialbündnis, das nicht versucht, eine solche demokratische Struktur aufzubauen, das statt dessen selbstzufriedene Arbeitsgruppen kreiert, die demokratischen Rechte nicht prinzipiell verteidigt und ausübt und die politische Organisierung bestenfalls als tolerabel ansieht, läuft jedenfalls Gefahr, letztlich zum Steigbügelhalter für die in ihren eigenen Organisationen an den Rand gedrängten Reserve-ReformistInnen zu werden.

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