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Berlin

Welche Perspektive für die Revolutionäre Erster Mai-Demonstration?

Martin Suchanek, Infomail 943, 2. Mai 2017

An keinem anderen Tag offenbart die Berliner anti-kapitalistische Linke so viel Mobilisierungspotential wie am Ersten Mai. Auch 2017 gingen wieder Tausende auf die Straße – obwohl es insgesamt vier Demonstrationen gab, die für sich die Tradition des revolutionären Ersten Mai beanspruchten.

An der vom „Internationalistischen Block“ getragenen Demonstration, die um 16.00 Uhr vom Lausitzer Platz startete, beteiligten sich über 3000 Menschen, an der um 18.00 an die 10.000. Außerdem nahmen einige hundert an den Demonstrationen in Neukölln (13.00) und  um 16.00 vom Michaelkirchplatz teil.

Verglichen mit den letzten Jahren war trotz insgesamt deutlich über 10.000 Menschen eine Abnahme der TeilnehmerInnenzahl zu verzeichnen. Die Spaltung innerhalb des früheren Vorbereitungsbündnisses hat dazu sicher ihren Teil beigetragen. Bevor wir darauf und auf die mögliche Überwindung einer solchen Spaltung eingehen, macht es aber auch Sinn, kurz eine Bilanz über die beiden wichtigsten Demonstrationen zu ziehen. Die Gruppe ArbeiterInnenmacht war eine der maßgeblichen MitorganisatorInnen der 16.00 Uhr-Demonstration. Wir wollen daher erst gar nicht vorgaukeln, eine „neutrale“ Haltung zu den beiden Bündnissen einzunehmen. Wir legen vielmehr unsere Einschätzung bewusst zur Diskussion, um auch die Vorschläge für eine zukünftige Entwicklung und Ausrichtung der Demonstration darzulegen.

Die beiden Demonstrationen

Die beiden Demonstrationen hatten sich vordergründig anhand der Frage der Anmeldung gespalten (siehe dazu die Stellungnahme des Internationalistischen Blocks). Wie der 1. Mai 2017 zeigte, ging es aber um sehr viel mehr als nur diese Frage.

Die 16.00-Demonstration war stark von ihrer inhaltlichen politischen Ausrichtung geprägt. Das Motto des Aufrufes „Solidarität und Befreiung international“ zeigte ebenso wie die Mobilisierung im Vorfeld und die Berichte und Stellungnahmen auf der Bündniswebseite (https://erstermai.nostate.net/wordpress), dass es sich hierbei um keine leere Ankündigungspolitik handelte.

Das brachten auch die Redebeitrage verschiedener Gruppierungen der Demonstration zum Ausdruck (Internationalistischer Abend, ArbeiterInnenmacht, Aktionsgruppe Rigaer 71-73, F.O.R.-Palestine, Street Roots, BDS, Afghanischer Verein YAAR, Revolutionäre Internationalistische Organisation).

Die HDK/HDP Berlin hatte ebenfalls aufgerufen. Kurdische und türkische Aktivistinnen prangerten gemeinsam die Unterstützung des Diktators Erdogan durch die deutsche Regierung mit finanzieller Unterstützung und Rüstungsdeals an. Palästinensische und jüdische Aktivistinnen demonstrierten Seite an Seite gegen die Kriegspolitik des israelischen Apartheidregimes sowie die außenpolitische Rückendeckung seiner Verbrechen durch die deutsche Regierung.

Sicherlich hatten sich etliche der 3000 TeilnehmerInnen auch aus „Neugier“ angeschlossen. Insgesamt aber waren sie vor allem wegen des politischen Inhaltes gekommen, wegen der klaren internationalistischen, klassenkämpferischen und anti-imperialistischen Ausrichtung der Demonstration. Das zeigte sich auch darin, dass die Redebeiträge auf viel Beifall und positive Resonanz stießen, wie auch an lauten Sprechchören während der gesamten Demonstration.

Leider konnte der Aufmarsch aufgrund polizeilichen und gerichtlichen Verbots nicht die ganze Wegstrecke laufen, sondern musste vor dem Kottbusser Tor beendet werden. Viele TeilnehmerInnen und die Gruppen des Internationalistischen Blocks beteiligten sich danach aktiv an der 18.00-Demonstration, trotz der politischen Differenzen zu deren Ausrichtung.

Die 18.00 Uhr-Demonstration zog rund 10.000 Menschen an. Sie hatte zweifellos den Vorteil des „Reizes des Unangemeldeten“, einer größeren Präsenz in der bürgerlichen Presse, des Eventcharakters auf ihrer Seite und der Startzeit, die sich in den letzten Jahren als „üblich“ eingeprägt hat.

Schon im Vorfeld hatte die Polizei erklärt, dass sie die Aktion nicht verhindern würde, „begleitete“ jedoch vor allem den Frontblock über die gesamte Demonstration mit engen Reihen, die einem Wanderkessel glichen.

Die Polizei lobte sich nachträglich selbst, dass sie alles im Griff gehabt hätte – abgesehen von Auseinandersetzungen am Abschluss der Demonstration. Ob das nun mediale Selbstdarstellung oder Realität ist, sei hier dahingestellt. Wichtig ist jedoch, das sich die ganze Frage des Aufmarsches durch das Myfest, der Route, die ganze Auseinandersetzung im Vorfeld fast ausschließlich um „Anmeldung“ oder „Nichtanmeldung“, „friedlicher“ oder „gewalttätiger“ Ablauf drehte.

Die Polizei agierte natürlich am Ende (und mit ihrem Spalier auch während der Demo) alles andere als „friedlich“. 72 DemonstratInnen wurden festgenommen, möglichen „AnstifterInnen“ der Aktion wurde medial die Strafverfolgung in Aussicht gestellt. Ansonsten lautet die Botschaft von Polizei und rot-rot-grünem Senat, dass man alles im Griff gehabt habe – was letztlich aufgrund des Kräfteverhältnisses auch stimmt.

Wir solidarisieren uns mit den Festgenommenen. Unsere Differenzen mit den OrganisatorInnen der 18.00-Uhr-Demonstration ändern selbstverständlich nichts daran, dass wir alle DemonstrantInnen gegen Polizeirepression verteidigen.

Aber in der öffentlichen Fokussierung auf die Frage der Anmeldung zeigt sich auch das politische Defizit der 18.00-Uhr-Demonstration. Über die Nichtanmeldung und einen allgemeinen, abstrakten Antikapitalismus hinaus war kein gemeinsamer politischer Inhalt erkennbar. Natürlich gab es politische Parolen und auch organisierte Blöcke. Aber das ändert nichts daran, dass sie keinen gemeinsamen, nach außen sichtbaren und erkennbaren Inhalt hatte. Mit dem Verzicht auf eine Anmeldung (und damit auf Lautsprecherwagen) war das angelegt.

Unterschiedliche Auffassungen

Vor allem entspringt das alles einer falschen Auffassung davon, was eigentlich den Kampf in der aktuellen Situation voranbringt.

Für viele aus dem post-autonomen Spektrum gilt die „Selbstermächtigung“ durch eine bestimmte Form – in diesem Fall eine unangemeldete Demonstration – schon als „befreiender Akt“. Für revolutionäre MarxistInnen wie die Gruppe ArbeiterInnenmacht ist das eine taktische Frage.

Für die Post-Autonomen ist das Subjekt der Befreiung die Addition „revolutionärer“ Individuen. Für uns ist es ein kollektives – die ArbeiterInnenklasse. Damit diese zu einem Subjekt werden kann, braucht es nicht nur Aktion, sondern auch die Hebung des Bewusstseins wie die Organisierung dieser gesellschaftlichen Kraft.

Die Vermittlung von Inhalten und Positionen gerade zu zentralen Fragen des Klassenkampfes ist daher für uns kein „Beiwerk“ zum vermeintlich eigentlich revolutionären Aktionismus – sondern Kern einer kommunistischen Politik am Ersten Mai.

Damit verbunden ist schließlich auch die Frage, wer überhaupt mobilisiert werden soll. Geht es vor allem darum, ein Event zur Selbstdarstellung der Szene auszurichten oder sollen breitere Schichten von ArbeiterInnen, Jugendliche, MigrantInnen angesprochen werden?

Internationale Solidarität

Dabei handelt es sich – wie die Auseinandersetzungen um den Ersten Mai in Berlin schon im letzten Jahr zeigten – nicht nur um eine Frage von mehr oder weniger „Anmeldung“, von mehr oder weniger Reden, sondern vor allem um eine der politischen Positionierung.

Schon 2016 kam es im Bündnis zu einem heftigen, auch öffentlich ausgetragenen politischen Konflikt. Die „Ökologische Linke“, eine dem anti-deutschen Spektrum zuzurechnende Sekte um Jutta Ditfurth, deren Hauptaktivität in der Denunziation von Anti-ImperialistInnen und Anti-ZionistInnen besteht, hatte damals den Ausschluss von BDS und F.O.R.-Palestine verlangt. Damit unterlag sie zwar deutlich, aber Gruppierungen wie die „Interventionistische Linke“ und „Radikale Linke Berlin“ wollten sich ihrerseits zu keiner klaren, anti-zionistischen Haltung durchringen, enthielten sich bei den Abstimmungen.

Sie wollen – wie so viele deutsche Linke – die barbarische Siedlungspolitik der Regierung Netanjahu und erst recht die Solidarität mit dem Befreiungskampf der PalästinenserInnen außen vor lassen.

Dieses Ausweichen läuft in Wirklichkeit auf das Einknicken vor dem deutschen Imperialismus hinaus. Wenn es um Palästina geht, steht ein großer Teil der Linken ihrem Staat und seinem zionistischen Verbündeten näher als den Unterdrückten. Andere üben sich in „Neutralität“ und verstecken sich vor der Tatsache, dass diese selbst die Herrschenden begünstigt. Das spiegelte sich auch in der Spaltung der Revolutionären Erster Mai-Demonstration wider.

Zukunft der Revolutionären Ersten Mai-Demonstration

Die Überwindung der Spaltung in mehrere Demonstrationen wird daher keine einfache Sache werden. Es geht nicht nur um eine bestimmte „Aktionsform“ – es geht auch darum, auf welcher politischen Grundlage und mit welcher Ausrichtung eine gemeinsame Demonstration möglich ist.

In den letzten Jahren war die Demonstration am Ersten Mai in Berlin unserer Meinung nach massiv angewachsen, weil sie immer wieder Internationalismus ins Zentrum ihrer Mobilisierung gestellt hatte. Das betrifft sowohl die Demonstrationen, als griechische GewerkschafterInnen an der Spitze liefen, wie auch die Organisierung des Internationalistischen Blocks als Sprachrohr für ArbeiterInnenpolitik, Anti-Kapitalismus und Anti-Imperialismus.

Natürlich soll und wird eine Bündnisdemonstration auch anderen Schwerpunkten und Ausrichtungen einen Platz bieten. Wir streben keinesfalls an, dass eine gemeinsame Demonstration auf Grundlage des „Internationalistischen Blocks“ agieren soll. Vielmehr sollten alle Blöcke ihre eigenen Aufrufe, Losungen haben und das Gesamtbündnis sollte sich auf die gemeinsame Mobilisierung, Pressearbeit und zentrale Anliegen beschränken.

Aber die Solidarität mit konkreten Befreiungskämpfen – und dazu gehört jener der palästinensischen Bevölkerung – muss unserer Meinung nach ein Bestandteil einer gemeinsamen Ausrichtung sein. Ansonsten bleibt das Bekenntnis zur „Revolution“ abstrakt und inhaltsleer, eine bloße Phrase.

Wir sehen in einer stärkeren politischen Ausrichtung der Demonstration auch den einzigen Weg, ihre weitgehende politische Folgenlosigkeit für den „Rest“ des Jahres zu überwinden.

Dazu gehört auch, sich in Zukunft bei Planung und Mobilisierung weniger am MyFest abzuarbeiten. Zweifellos bringt ein Auftakt in dessen Nähe oder auf dem Fest Vorteile bei der Gewinnung von TeilnehmerInnen.

Umgekehrt hat sich das MyFest als Mittel zur Entpolitisierung erwiesen – und war als recht erfolgreiches. Verglichen mit ihm sind selbst die DGB-Kundgebungen, die oft an eine Bartwurstverkostung erinnern, hochpolitisch. Beim MyFest wird die Entpolitisierung hedonistisch abgefeiert, von der „revolutionären“ Bühne am O-Platz ertönt auch mal sexistischer Rap. Selbst die Demonstrationen gehören fast schon zum Fest-Programm mit abschließendem Scharmützel mit den Bullen.

All das zeigt, dass sich oppositionelle Politik nicht hauptsächlich auf Form und Gestus stützen kann – ihre Eingemeindung ist dann früher oder später vorprogrammiert.

Auch hier zeigt sich umgekehrt, warum es einer Diskussion um die inhaltliche Ausrichtung der Demonstration bedarf.

Darüber hinaus haben die Erfahrungen dieses Jahres gezeigt, dass es keine Selbstverständlichkeit ist, dass ein gemeinsames Bündnis demokratisch strukturiert ist, also Vereinbarungen gemäß Mehrheitsentscheid der beteiligten Blöcke oder Gruppen getroffen werden. Ultimaten bezüglich der Aktionsformen wie sie in diesem Jahr von der RLB vorgetragen wurden, verunmöglichen das.

Und schließlich bedarf es bezüglich des Zwecks und der Zielsetzungen der Demonstration einer offenen, auch öffentlich geführten Debatte.

Wir sind uns der Tatsache bewusst, dass unsere Einschätzung des Ersten Mai und erste kritische Folgerungen von anderen Bündnissen und Blöcken nicht geteilt werden oder jedenfalls „Diskussionsbedarf“ besteht. Wir halten aber eine Auseinandersetzung um diese Punkte für notwendig, um die Spaltung in mehrere Demonstrationen zu überwinden und die Basis für eine Bündniszusammenarbeit politisch unterschiedlicher Gruppierungen überhaupt schaffen zu können.

Wir schlagen daher allen, die Interesse an einer gemeinsamen Revolutionären Erster-Mai-Demonstration haben, vor, ihre unterschiedlichen (oder gemeinsamen) Schlussfolgerungen zu diskutieren, auszuwerten und so die Basis für eine gemeinsame, spektrenübergreifende Demonstration 2018 zu schaffen.

Wir treten dabei für folgende drei Ziele ein:

Offene Diskussion über die Ziele und Zwecke der Demonstration

Demokratische Bündnisstruktur

Internationalistische, klassenkämpferische Ausrichtung

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