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Tarifabschluss im Öffentlichen Dienst

Ein ganz fauler Kompromiss

Martin Suchanek, Infomail 809, 30. März 2015

Die rund 200.000 angestellten LehrerInnen gehen leer aus. Wie schon bei der letzten Tarifrunde der Länder wurde ihre zentrale Forderung, eine neue Eingruppierung und eine damit verbundene Gleichstellung mit ihren verbeamteten KollegInnen bezüglich des Entgelts, auch bei der diesjährigen abschließenden Verhandlungsrunde geopfert.

Die GEW (Gewerkschaft Erziehung Wissenschaft) wird den Tarifvertrag nicht unterzeichnen, die anderen Mitglieder der „Tarifgemeinschaft“ (ver.di, Beamtenbund, GdP) aber schon.

Solidarität - für Bsirske nur ein leeres Wort

Die GEW hat den Kompromiss zurecht abgelehnt und auch eine zusätzliche Lohnerhöhung von 30 Euro ausgeschlagen. Dafür, so ihre Verhandlungsführung, wollte sie sich das Streikrecht nicht abkaufen lassen.

Für die angestellten LehrerInnen gibt es keine Friedenspflicht, ihr Tarifkampf läuft weiter - inklusive der Möglichkeit, dass es zu weiteren Streiks kommt.

Aber der Kampf geht - wie schon vor zwei Jahren  unter erschwerten Bedingungen weiter. Im Namen von ver.di und den anderen DGB-Gewerkschaften versicherte Frank Bsirkse am Sonntag, dem 28. März, der GEW und den LehrerInnen die „volle Solidarität“ - nur streiken könnten sie leider nicht. Vielen Dank auch, Frank!

Genau diese Unterstützung und keine leeren Worte bräuchten die Beschäftigten jedoch. Laut GEW ist nur in Berlin, Sachsen und Teilen Nordrhein-Westfalens der Anteil der angestellten LehrerInnen so groß, dass effektive Streiks möglich wären. Ohne flächendeckende Streiks ist jedoch das Druckmittel gegenüber den „Arbeitergebern“ sehr begrenzt, zumal die Mehrheit der Länder praktisch nicht davon betroffen wäre.

Das ganze Gerede von Bsirske u.a. Gewerkschaftsbonzen ist ein zynisches Manöver. Es geht in erster Linie darum, die Kritik und Empörung von Mitgliedern der GEW u.a. kämpferischer GewerkschafterInnen zu besänftigen.

Fakt ist, dass die LehrerInnen trotz großspuriger anderer Verlautbarungen der Funktionäre am Beginn der Tarifrunde im Regen stehen gelassen wurden.

Mit dem Abschluss fallen sie nicht nur den 200.000 angestellten LehrerInnen in den Rücken. Sie schwächen auch die parallel laufende Tarifauseinandersetzung der rund 240.000 Beschäftigten im kommunalen Sozial- und Erziehungswesen. Diese ist nicht nur für die direkt in der Tarifrunde stehenden ErzieherInnen u.a. Beschäftigte bei den Kommunen von größter Bedeutung, sondern auch für rund eine halbe Million Lohnabhängiger in derselben Branche, die v.a. bei freien Trägern arbeiten, da sich diese am Tarifvertrag für die kommunalen Beschäftigten orientieren.

Dadurch, dass die Beschäftigten bei den Ländern nicht mehr in der Auseinandersetzung sind, sind natürlich auch die Koordinierung der Aktionen und die gemeinsame Erhöhung des Drucks nicht mehr möglich.

Der Abschluss von Potsdam

Folgt man den Verlautbarungen der Verhandlungsführer und den Erklärungen von ver.di, so war der Ausverkauf der LehrerInnen der einzige echte Minuspunkt eines ansonsten „anständigen“ Verhandlungserfolgs.

Mit einer prozentualen Erhöhung von 2,1 Prozent 2015 und 2,3 Prozent 2016 sowie einer Mindesterhöhung von 75 Euro für die unteren Gehaltsgruppen in diesem Jahr hätte man eine satte Verbesserung von tabellenwirksamen 4,83 Prozent ausgehandelt. „Damit profitieren die Beschäftigten von spürbaren Reallohnsteigerungen“, so Bsirske. Vorausgesetzt wird dabei freilich, dass die Inflation auch 2016 mitspielt und die realen Kosten der Ausgaben für die Lohnabhängigen nicht allzu viel über der offiziellen Inflationsrate liegen. Angesichts früherer Lohnverluste, Arbeitszeitverdichtung, Outsourcing usw. sind die 2,1, bzw. 2,3 Prozent reichlich bescheiden.

Damit ist es mittlerweile offensichtlich normal, dass die Tarifverträge im Öffentlichen Dienst für zwei Jahre abschlossen werden, so dass wenigstens parallel laufende Tarifrunden der Beschäftigten der Länder und jener von Bund/Kommunen praktisch gar nicht mehr vorkommen können. Auch wenn auf Gewerkschaftstagen (noch) Resolutionen verabschiedet werden, die eine Rückkehr zu einem einheitlichen Tarifvertrag fordern, so spielt das offenkundig keine Rolle im Kalkül des Apparats.

Stolz ist die Gewerkschaftsführung außerdem, dass „Eingriffe in die Leistungen der betrieblichen Altersversorgung“ verhindert werden konnten. Freilich kostet auch das etwas - nämlich eine Erhöhung der Beiträge für die Beschäftigen: 0,2 Prozent ab Juli 2015, dann jeweils 0,1 Prozent im Juli 2016 und 2017 für den Westen und 0,75 im Osten.

Das ist nur ein Teil des Stufenplans zur Ausgleichung der Unterschiede zwischen Ost und West, der über etliche Jahre in 5 (!) Schritten vollzogen werden soll.

Für die Azubis erhöht sich die Vergütung 2015 und 2016 um jeweils 30 Euro. Außerdem wurde eine unbefristete Übernahme nach erfolgreicher Ausbildung durchgesetzt. Der Kompromiss wäre kein fauler, gäbe es nicht auch hier eine Hintertür für die „Arbeitgeber“. Die Übernahmegarantie gibt es nämlich nur in dem Maße, wie „bedarfsgerecht ausgebildet wurde“.

Schließlich soll auch der Befristungsmissbrauch im Öffentlichen Dienst angegangen werden. Lt. ver.di liegt der Anteil ungerechtfertigten Befristungen bei Staat, Ländern, Kommunen mittlerweile deutlich über jenem in der Privatwirtschaft. Wie soll dieser Missstand nun beseitigt werden? Im Herbst soll gemeinsam mit den Arbeit“gebern“ geprüft werden, ob und in welchem Umfang überhaupt einer vorliegt, um dann in Arbeitsgruppen „gemeinsame Lösungen“ zu erarbeiten.

Im staatlichen Apparat muss offenkundig auch die Sozialpartnerschaft noch besonders bürokratisch ausgelebt werden.

In jedem Fall zeigt sich, dass von einem „anständigen“ Abschluss nicht die Rede sein kann. Angesichts der guten Mobilisierung bei den Warnstreiks wäre insgesamt weit mehr drin gewesen. Gemeinsam mit den LehrerInnen und durch die Koordinierung mit der Auseinandersetzung der ErzieherInnen hätte nicht nur eine deutliche Verbesserung der Einkommen erzielt werden können. Vor allem wären gemeinsame Streik- und Mobilisierungserfahrungen von Beschäftigten der Länder und Kommunen möglich gewesen, ein teilweise Überwindung der Spaltung der Tarifrunden.

Genau das aber war offenkundig nicht gewollt. Statt dessen zog die Bürokratie einen raschen Abschluss bei den Ländern vor - wohl wissend, dass das die ErzieherInnen und v.a. die LehrerInnen enorm schwächt. Die Fortsetzung der Tarifrunde und deren Radikalisierung , die Durchführung längerfristiger Streiks usw. hätte auch viel stärker zu einer politischen Konfrontation mit dem Staat, den Medien, der herrschenden Klasse geführt. So bleibt der Abschluss im Rahmen der „Haushaltsdisziplin“ der Länder - einer Größe, die die Gewerkschaftsführungen mittlerweile stillschweigend als Richtschnur für Forderungen und Abschlüsse akzeptiert haben und an der sich die Bedürfnisse ihrer Mitglieder zu orientieren haben.

Mitgliederbefragung - eine demokratischer Prozess?

Der Abschluss muss, bevor er zur Tarifvereinbarung wird, noch durch die Gremien der Gewerkschaften. Von einer Zustimmung ist jedoch auszugehen - zumal sie ohnedies vom Apparat dominiert werden.

Ver.di führt außerdem eine Mitgliederbefragung durch. Diese hat rein statuarisch keine bindende Wirkung, soll aber als bindendes Votum anerkannt werden. Das hört sich sehr demokratisch an, so als gebe es de facto eine Urabstimmung. In Wirklichkeit handelt es sich hier um eine Form plebiszitärer Demokratie zur Absegnung des Verhandlungsergebnisses. Die Mitglieder können zwar über das Ergebnis befinden. Auf das Zustandkommen des Ergebnisses, das zur Abstimmung steht, hatten sie aber keinen Einfluss. Der Auseinandersetzung ist mit dem Entscheid der Verhandlungsführung und der Bundestarifkommission praktisch jede Dynamik genommen. Selbst wenn die KollegInnen mit Nein stimmen würden, wäre es überaus schwer, die in den Warnstreiks aufgebaute Kampfbereitschaft erneut zu erzeugen - und damit die Grundlage für eine längere Auseinandersetzung. Selbst bei einem Nein würden einzig der Apparat und die „Spitzen“gremien entscheiden, wie es weitergehen soll. Einzig neue Verhandlungen müssten wohl anberaumt werden.

Doch ein Nein ist ohnedies sehr unwahrscheinlich. Die ganze Form der individuellen Befragung begünstigt das ohnedies schon beim Apparat konzentrierte Monopol über die  Meinungsbildung. Die Argumente für den Abschluss finden sich prominent auf der Webseite und werden auch in den Publikationen und Informationsveranstaltungen der Gewerkschaften nicht zu kurz kommen. GegnerInnen oder KritikerInnen des Kompromisses haben keinen Zugang zu den offiziellen Informationskanälen der Gewerkschaft.

Die individuelle Befragung bedeutet außerdem, dass es auch keine Versammlungen oder Abstimmungen nach vorhergehender Diskussion gibt, wo die politisch bewussteren Teile der Beschäftigten gegen die Argumente der Bürokratie oder Vorurteile politisch rückständigerer Mitglieder argumentieren könnten.

Alles in allem haben wir es also mit einer pseudo-demokratischen Übung zu tun, bei der sich die Bürokratie auf die loyalen und rückständigeren Schichten stützt und mit der sie zugleich die politische Verantwortung für den Abschluss auf die Mitglieder abwälzt. So kann (und wird) sich die ver.di-Führung im Falle einer Zustimmung bei der Befragung gegenüber linker Kritik zusätzlich wappnen, indem sie argumentiert, dass sie mit dem Tarifabschluss (inkl. des Verrats an den LehrerInnen) nur dem Willen der Mitglieder folge - während in Wahrheit natürlich die Mitglieder nur die Entscheidungen der Bürokratie absegnen.

Wir rufen daher dazu auf, bei der Abstimmung mit Nein zu stimmen und den Tarifabschluss abzulehnen. Auch wenn uns bewusst ist, dass eine Ablehnung des faulen Kompromisses bei ver.di äußerst unwahrscheinlich ist, so ist ihr Umfang auch ein Maßstab für die Stärke/Schwäche der GegnerInnen des Abschluss und der Manöver der Bürokratie  - und auch ein Signal an die Mitglieder anderer Gewerkschaften, v.a. der GEW.

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