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Polizeigewalt und Rassismus

Die brasilianische Apartheid und die Fußball-WM

Eloy Nogueira, Liga Socialista, Brasilianische Sektion der Liga für die Fünfte Internationale, Infomail 757,12. Juni 2014

Nach den großen Protestbewegungen im Juni/Juli 2013 begannen sich die Titelblätter der Zeitungen mit anderem Inhalt zu füllen. Es waren diese Proteste, die auch in ganz Brasilien den Fall Amarildo bekannt machten. Ein schwarzer Arbeiter, genauer ein Hilfsarbeiter auf dem Bau, 47 Jahre alt und Bewohner der Comunidade (1) von Rocinha, namens Amarildo „verschwand“ am 14. Juli, nachdem er durch Polizisten der UPP (2) von Rocinha abgeführt worden war.

Transparente auf allen Demonstrationen zeigten die Frage: Wo ist Amarildo? Die Frage eroberte die sozialen Netze und in kurzer Zeit wurde sie zum nationalen Thema. Auch Amnesty International verlangte die Aufklärung des Falles Amarildo.

Die Leiche des Maurers Amarildo wurde nie gefunden, aber die systematischen Forderungen führten zu einer Untersuchung, die am Ende aufdeckte, dass der arme Bauarbeiter von der POLICIA festgenommen, gefoltert und erschossen worden war. Die Verantwortlichen wurden identifiziert, verhaftet und vor Gericht gestellt.

Aber was hat der Fall Amarildo mit der Fußballweltmeisterschaft zu tun?

Es waren die Proteste gegen die Preiserhöhungen im öffentlichen Nahverkehr, die sich schließlich auch in Proteste gegen die Art der Durchführung der Weltmeisterschaft wandelten, die den Fall Amarildo zur Explosion brachte. Amarildo wurde zur Ikone des Kampfes für das Schicksal der Verschwundenen, der „desaparecidos“.

Viele ähnliche Fälle von Verbrechen durch die POLICIA wurden aufgedeckt. Etliche  Fälle zeigten die Involvierung der Polizei in Folter und Exekutionen von Jugendlichen in der Präfektur von Rio de Janeiro. Sie füllten die Titelblätter der Zeitungen, wobei dies oft dargestellt wurde, als ob Drogendealer in Schusswechseln mit der Polizei umgekommen seien. Viele dieser Fälle wurden schon widerlegt.

Aber dies ist kein Privileg von Rio de Janeiro. Auch in Sao Paulo haben wir viele Fälle gesehen von Exekutionen und von Gewaltakten der Polizei, v.a., wenn es um Räumungen von Obdachlosen ging, sei es von besetzten Gebäuden oder Ländereien, sei es von zentralen Orten, wo es Konzentrationen dieser Ärmsten der Armen gibt.

Die letzte Tragödie ereignete sich am 22. April, als der Tänzer Douglas Rafael da Silva ermordet wurde, der als DG bekannt ist und im Programm „Esquenta“ des Rede Globo TV mitspielte. Nach der offiziellen Version wurde DG während einer Schießerei zwischen Drogendealern und der Polizei im Viertel Morro Parvao-Pavaozinho (Rio) getroffen und starb dort. Nach der Volksmeinung wurde DG durch die Polizei ermordet. (3) Am selben Tag starb auch der Jugendliche Edilson Silva. Auf einer Demonstration, die durch die Mutter von DG, Maria de Fatima da Silva, organisiert wurde, wurde das Ende der Polizeigewalt auf Transparenten und Plakaten gefordert, getragen von den Bewohnern der Comunidade.

Außerdem gab es erst jüngst die Ermordung eines Jugendlichen, der Anführer der Versammlungen der „Rolezinhos“ war (dies sind „Einkaufstouren“, in denen in schnell organisierten und durchgeführten Massenaktionen überteuerte Lebensmittel in Supermärkten enteignet werden. Der Name leitet sich von einer volkstümlichen Bezeichnung der Einkaufswagen ab). Entsprechend der Meldungen der Medien war sein Tod das Ergebnis einer Schlägerei mit anderen Jugendlichen, bei der er durch mehrere Fußtritte auf den Kopf ums Leben kam. In wessen Interesse war wohl der Tod eines Jugendlichen, der die Rolezinhos gegen die großen Supermarktketten organisierte …?

Es ist wohl klar: wir befinden uns in einem Krieg der ökonomischen und rassistischen Ausgrenzung, einer „Säuberung“ der großen Zentren, v.a. jener, wo die die Großereignisse der Weltmeisterschaft stattfinden. Daher sprechen wir von einem Regime der Apartheid, das bisher verdeckt war und sich nun jetzt offen zeigt. Die großen Zentren, die Supermärkte, die Stadien, die Strände und vieles mehr sollen nur genossen werden von den Wohlhabenden und den Touristen mit ihren Dollars.

Die Fälle von Folter, Verschleppungen und Exekutionen von jugendlichen Bewohnern der Peripherie werden immer regelmäßiger und erscheinen unglaublicher Weise sogar als normal. Der Fall Amarildo war eine Ausnahme, da er mit den großen Protesten zusammenfiel. Doch was ist mit den anderen „Amarildos“, die täglich exekutiert werden - durch die Repressionskräfte des Staates oder durch die faschistischen und paramilitärischen Kräfte? Es gibt tausende Fälle, die oft mit „Beerdigungen“ in den Müllhalden enden, von denen niemand sagen kann, was passiert ist.

Diese Politik ist bekannt und oft benutzt worden in Südafrika, wo die Polizei ungeheuerliche Gewalt gegen Arme und Farbige ausübte, welche diese fernhalten soll von Orten, die für Weiße vorgesehen waren. Genau das sehen wir auch in Brasilien. Die Armen, in ihrer Mehrheit mit dunkler Hautfarbe, werden in ihren Comunidades angegriffen, mit der Absicht, sie einzuschüchtern: mit Erniedrigung, Folter und Exekutionen. Die Angriffe werden organisiert durch Polizei, Paramilitärs und Killerkomandos.

Dieser Typ von Polizei ist ein Erbe der Militärdiktatur. Er existiert zur Verteidigung der Reichen und ihres Eigentums, daher attackiert und exekutiert er ArbeiterInnen.

Es ist daher notwendig, diese Polizei aufzulösen, besonders ihre Einbindung ins Militär, und sie durch eine Miliz zu ersetzen, die kontrolliert wird durch Versammlungen der sozialen Bewegungen und der Assoziationen der Einwohner der Comunidades, damit nicht mehr das Interesse der Reichen und Besitzenden, sondern das Interesse der ArbeiterInnen, der schwarzen Bevölkerung und der Armen der Peripherie verteidigt wird. Die Bevölkerung muss das Recht erhalten, die Leitung dieser Milizen zu wählen und sie jederzeit wieder abzuwählen. Die Milizionäre müssen das Recht der gewerkschaftlichen Organisierung und der Wahl ihrer Vorgesetzten erhalten.

Die Arbeiterklasse braucht dringend eigene Gruppen der Selbstverteidigung, kontrolliert durch ArbeiterInnen und BewohnerInnen der Comunidades. Dies wäre die einzige Miliz, entmilitarisiert und unter der Kontrolle der sozialen Bewegungen und der Gewerkschaften, deren Ziel es wäre, die Interessen der ArbeiterInnen und der armen Bevölkerung und der unterdrückten Minderheiten zu verteidigen.

Wie Marx und Engels im Manifest der Kommunistischen Partei sagten: „Die Proletarier nicht in ihr zu verlieren als ihre Ketten.“

Nur eine wirklich demokratische und sozialistische Gesellschaft kann der Arbeiterklasse wahrhafte Freiheit bringen.

Weg mit der brasilianischen Apartheid!

Gegen eine Mörder-Polizei gegen arme ArbeiterInnen und jugendliche Schwarze!

Weg mit der Polizei! Für die Organisierung von Gruppen zur Selbstverteidigung der Arbeiterklasse!

Für eine Gesellschaft der Demokratie und des Sozialismus!

Anmerkungen

(1) das hierzulande gern verwendete Wort „Favela“ für arme, oft illegal besiedelte Stadtviertel, hat einen eher negativen Sinn. Die Bewohner dieser Viertel selbst bevorzugen, sich als „Comunidades“ (in etwa „Gemeinden“) zu bezeichnen.

(2) Unidade de Policia Pacificadora („Polizeieinheit zur Befriedung“), Teil der Militärpolizei in Rio de Janeiro, die „Favelas“ besetzt, um sie offiziell von Drogenkartellen zu „säubern“, insbesondere im Vorfeld der WM, sie stürmte bislang etwa 220 Comunidades.

(3) Auch hier war wiederum die UPP die beschuldigte Polizeieinheit. Der Verdacht auf einen homosexuellen-feindlichen Hintergrund der Polizeiaktion liegt nahe.

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